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Reichshofrat

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Der Reichshofrat war neben dem Reichskammergericht und in Konkurrenz zu diesem eines der beiden höchsten Gerichte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Der Reichshofrat war allerdings alleine zuständig für Angelegenheiten, die die Reichslehen und die kaiserlichen Privilegien und Reservatrechte betrafen.

Beide Gerichte leiteten ihre Kompetenz vom deutschen König oder Kaiser her, der oberster Gerichtsherr im Reich war. Der reichsunmittelbare Adel und die Reichsstädte konnten nur vor den zwei obersten Gerichten verklagt werden. Bürger, Bauern und niedrige Adlige dagegen mussten zunächst vor den Gerichten derjenigen Fürsten und Städte verklagt werden, deren Untertanen bzw. Bürger sie waren. Sie konnten nur vor den obersten Reichsgerichten prozessieren, wenn sie der Auffassung waren, dass die für sie zunächst zuständigen Gerichte falsch entschieden haben. Dann konnten sie die Fehlerhaftigkeit der unterinstanzlichen Urteile durch die Verfahrensarten Appellation oder Nichtigkeitsklage geltend machen. Dabei mussten sie den Instanzenzug der Gerichte einhalten. Waren diese Voraussetzungen gegeben, überprüften die obersten Reichsgerichte die Entscheidungen der unteren Gerichtsinstanzen.

Entstehung des Reichshofrates

Im Jahr 1495 nahm das Reichskammergericht seine Tätigkeit auf. Das war ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der obersten Gerichtsbarkeit im Heiligen Römischen Reich. Denn davor tagte das oberste Gericht im Reich immer an den Orten, an denen sich auch gerade der Kaiser aufhielt, welcher ja oberster Gerichtsherr war. Da seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die Habsburger die römisch-deutschen Kaiser stellten, gab es mit dieser Regelung Probleme, denn die Habsburger hatten zahlreiche Ländereien außerhalb des Heiligen Römischen Reiches. Die habsburger Kaiser - und damit auch das oberste Gericht - waren oft nicht im Reich anwesend. Um diesen Missstand zu beseitigen, setzte der hohe Adel im Heiligen Römischen Reich im Ewigen Landfrieden von Worms gegenüber Kaiser Maximilian I. durch, dass das oberste Gericht vom Aufenthaltsort seiner Person abgelöst werden und einen ständigen Gerichtsort im Reich bekommen sollte. Maximilian kam der Forderung nach und schuf das Reichskammergericht.

Der Kaiser aber blieb dennoch oberster Gerichtsherr im Reich. Auch wenn das Reichskammergericht nun an einem vom Kaiser verschiedenen Ort seine Tätigkeit aufnahm und dabei recht erfolgreich vorging, wandte man sich daneben auch noch weiterhin an den Kaiser, der nun die Möglichkeit hatte, diese Fälle an das Reichskammergericht weiterzuverweisen oder aber selbst zu entscheiden. Er tat letzteres. Maximilian I. war sehr der alten mittelalterlichen Ordnung verpflichtet, und er hatte nur widerwillig den Forderungen der Reichsstände zugestimmt, dass das höchste Gericht im Reich von seiner Person örtlich und organisatorisch getrennt wurde. Die Tatsache, dass weiterhin gerichtliche Anfragen an ihn kamen, nahm er zum Anlass, ein eigenes oberstes Gericht im Reich zu schaffen, das von seiner Person örtlich und organisatorisch abhängig war - eben den Reichshofrat.

Der Kaiser konnte und wollte sich auch nicht um alle Gerichtsanfragen persönlich kümmern. Die Neugründung des Hofrates stand auch in der Tradition des Mittelalters.

Die Geburtsstunde des Reichshofrates war die Hofordnung Kaiser Maximilians I. vom 13. Dezember 1497 / 13. Februar 1498.

Der Nachfolger Kaiser Maximilians I., Kaiser Karl V., weilte den größten Teil seiner Regierungszeit außerhalb der Gebiete des Reiches und daher war der Hofrat Karls V. meist auch nicht im Reich. Karls Bruder Ferdinand wurde 1531 zum deutschen König gewählt und fungierte damit de facto als Stellvertreter Karls im Reich. Nach seiner Wahl richtete Ferdinand einen eigenen königlichen Hofrat, der eben auch in Abwesenheit des Hofrats Karls V. stellvertretend rechtsprechende Tätigkeit ausübte.

Zuständigkeit des Reichshofrates

Die Arbeit des Reichshofrates beschränkte sich aber nicht auf rechtliche Streitentscheidung. Der Reichshofrat war darüber hinaus eine politische Behörde, die den Kaiser in Regierungs- und Verwaltungsaufgaben beriet und unterstützte.

Im Zentrum der heutigen Forschung steht jedoch die Rechtsprechungstätigkeit des Reichshofrates. Da der Reichshofrat eine kaiserliche Behörde war, erstreckte sich seine Tätigkeit zunächst auch auf alle Materien und Gebiete, mit denen der Kaiser zu tun hatte, also auch Angelegenheiten, die aus den Gebieten der Habsburger stammten, die nicht zum Reich gehörten. Schließlich stellten die Habsburger die Deutschen Könige und Kaiser bis zum Ende des Alten Reiches 1806. Mit der Zeit aber beschränkte der Reichshofrat seine Tätigkeit auf die Gebiete des Reiches. Das resultierte aus dem politischem Druck, den protestierende Reichsstände ausübten. Unter Kaiser Ferdinand II. ist festzustellen, dass der Reichshofrat nur noch Angelegenheiten des Reiches behandelte.

Der Reichshofrat war zudem für die kaiserlichen Reservatrechte im Reich sowie alle Lehens-, Gnaden- und Privilegienangelegenheiten alleinig zuständig.

Für die nachfolgenden Bereiche war neben dem Reichshofrat auch das Reichskammergericht zuständig und man konnte auswählen, welches Gericht man in einer Sache anrief: Landfriedensbruch, Besitzschutzsachen, Zivilsachen, Appellationen gegen Urteile landesherrlicher Gerichte, Fälle wegen Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung durch landesherrliche Gerichte.

Arbeit des Reichshofrates

Das Reichskammergericht arbeitete von seiner Gründung an wie ein echtes Gericht: Es prozessierte nach den bestehenden prozessrechtlichen Regeln zu Streitfällen. Es wurden Klagen eingereicht, der Beklagte wurde geladen und musste sich streitig in einen Prozess einlassen, sofern das Reichskammergericht zuständig war. Der Reichskammergerichtsprozess zielte auf den Erlass eines Endurteils. Es wurde nach den Regeln des Gemeinen Rechts entschieden.

Der Reichshofrat hingegen scheint - vor allem in seiner Frühzeit (bei Maximilian I., Karl V. und Ferdinand I.) - mehr vermittelnde Tätigkeit wahrgenommen zu haben. Er hat sich von Anfang an nicht so sehr um einen Prozess gekümmert, in dem die Parteien zur Führung eines Rechtsstreits sich gegenüberstehen. Er hat vielmehr versucht zu vermitteln, Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Interessen der Parteien zu finden. Bei schwierigen Sachen wurde der Kaiser persönlich eingeschaltet (= votum ad imperatorem).

Weil der Reichshofrat anfänglich mehr auf Streitschlichtung bedacht war, hat er auch nicht so strikt das für das Reichskammergericht geltende Prozessrecht und die damaligen prozessrechtlichen Regeln angewandt. Von einflussreichen Zeitgenossen wurde das teils beklagt. Man wusste nicht genau, wie der Reichshofrat in einem konkreten Streitfall verfahren und entscheiden würde - und konnte sich demnach auch nicht darauf einstellen und das Verfahrensrisiko kalkulieren. Doch der Kaiser kam eher nur zögerlich den Forderungen nach.

Allerdings gab es von Anfang an Regeln, nach denen der Reichshofrat arbeitete. Die erste Ordnung war die Hofordnung vom 13. Januar 1498, darauf folgend das Libell, die Reform des kaiserlichen Hof-, Staats- und Behördenwesens betreffend vom 24. Mai 1518. König Ferdinand I. erliess Hofratsordnungen in den Jahren 1527, 1537 und 1541, die sich zwar an den Reichskammergerichtsprozess anlehnten, jedoch stärkere Freiräume ließen. Auf der anderen Seite waren die Beisitzer des Reichshofrates, die die Urteile sprachen, zumeist im geltenden Recht der damaligen Zeit sehr gut ausgebildet.

Da der Reichshofrat an die Person des Kaisers gebunden war, endete seine Amtstätigkeit immer mit dem Ende der Amtszeit eines Kaisers (bei Abdankung oder Tod). Wenn ein neuer Kaiser gewählt und ins Amt gesetzt worden war, dann wurde vom Kaiser auch immer ein neuer Reichshofrat ins Leben gerufen. In der Zwischenzeit, also in der Zeit nach dem Ende der Amtszeit eines Kaisers und dem Beginn der Amtszeit des Nachfolgers wurde die Tätigkeit des Reichshofrates unter der Verantwortung der Reichsvikare, also des Herzogs von Sachsen und des Pfalzgrafen bei Rhein, interimsweise fortgeführt. Beim Amtsende eines Kaisers hatte es das Reichskammergericht einfacher: es konnte anders als der Reichshofrat ungestört seine Arbeit fortsetzen.

Der Reichshofrat war mit der endgültigen Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. und der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 ebenfalls letztmalig tätig. Mit dieser kaiserlichen Handlung erlosch er für immer.

Aufbau des Reichshofrates

Zwar gründete jeder Kaiser seinen eigenen Hofrat, jedoch entstanden immer wieder ähnliche Strukturen.

Die Reichshofratsordnung von 1559, eine der wichtigsten Ordnungen, gibt hierüber Auskunft: Nach mittelalterlicher Tradition gab es einen Vorsteher (auch Präsident genannt), der die organisatorische Leitung und die Aufsicht über die Schöffen ausübte. Die eigentliche rechtliche Entscheidungsarbeit wurde von den Beisitzern geleistet. Die Mehrheit der Beisitzer entschied. Bis 1550 waren ca. 12-18 Beisitzer zusammen tätig. Danach stieg die Zahl an: 1657 waren es 24, 1711 schon 30 Beisitzer.

Der Reichshofrat setzte häufig Kommissionen ein. Für die Entscheidung einer Rechtsstreitigkeit musste das Gericht wie heutzutage ermitteln, was wirklich vorgefallen war. Das geschah im Wege des Beweisverfahrens. Das Reichskammergericht musste für das Beweisverfahren örtliche Richter als Kommissare ersuchen. Diese Kommissare hatten nur einen ganz engen Zuständigkeitsbereich, nämlich die Durchführung des eng umgrenzten Beweisverfahrens. Der Reichshofrat hatte es einfacher: er konnte von Amts wegen oder auf Antrag der Parteien eine Kommission einsetzen, die den Rechtsstreit vollständig vor Ort verhandelte (nicht nur die Beweisaufnahme zu einem bestimmten beweisbedürftigen Punkt). Die Reichshofrats-Kommission musste dann, wenn sie den gesamten Rechtsstreit verhandelt hatte, an den Reichshofrat Bericht geben. Dieser entschied dann allein aufgrund des umfassenden Kommissionsbericht. Diese Verfahrensweise war wesentlich effektiver, denn die Kommission vor Ort konnte und musste bei Gelegenheit gleich alles auf einmal erledigen und war, was die prozessuale Durchführung des Verfahrens betraf, freier als das Reichskammergericht. Außerdem hatten die Reichshofratskommissionen die Befugnis, einen Rechtsstreit gütlich beizulegen und damit eine Entscheidung herbeizuführen.

Verhältnis zum Reichskammergericht

Zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat bestand meistenteils kein Konkurrenzverhältnis. Zwar waren beide Gerichte für dieselben Rechtsmaterien zuständig und man versuchte machmal, wenn der Prozess vor dem einen Gericht nicht günstig verlief oder ins Stocken geriet, das andere Gericht anzurufen. Jedoch gab es häufig Austausch und Kooperation zwischen beiden Gerichten. Allerdings gab es auch Fälle, in denen Konkurrenz aufkam. Diese wurde von der zeitgenössischen Publizistik auch aufgegriffen und aufgrund dessen hielt sich lange Zeit die Beurteilung, zwischen beiden Gerichten bestünde ein solches Konkurrenzverhältnis. Neuere Forschungen zeigen aber, dass dies weit weniger der Fall war, als bisher angenommen.

An welches Gericht man sich wendete, hing von vielen Faktoren ab. Ein solcher Faktor war örtliche Nähe. Der Reichshofrat war häufig mit dem Kaiser außerhalb des Reichsgebietes, so dass es manchmal leichter war, das Reichskammergericht anzurufen, das alsbald seinen festen Sitz in Speyer und später in Wetzlar gefunden hatte. War der Kaiser im Reich, stiegen jedoch auch die Anträge, die vor den Reichshofrat gebracht wurden. Wenn ein Kaiser großes Ansehen genoss, wurde der Reichshofrat auch häufiger angerufen (zum Beispiel der Hofrat Kaiser Karls V. in der Mitte des 16. Jahrhunderts). Auch die Glaubenszugehörigkeit hatte Einfluss. Der Kaiser galt als Wahrer der altgläubigen (= katholischen) Christenheit. Deshalb riefen in der Reformationszeit die protestierenden Reichsstände eher das Reichskammergericht an. Man vermutete hier mehr Aufgeschlossenheit. Unter Kaiser Maximilian II. wurden auch protestantische Reichshofratsmitglieder berufen.

Die Rolle des Reichshofrates als Gericht und Schlichtungorgan wuchs insbesondere seit dem 17. Jahrhundert. Ein wichtiger Einschnitt hierbei waren zum Beispiel die Religionsstreitigkeiten. Am Reichskammergericht konnte man - zudem alleingelassen von Kaiser und Reich - mit diesen hochpolitischen Streitigkeiten nicht gut umgehen, ja es kam sogar zeitweise deshalb zum Stillstand der Gerichtstätigkeit. Die unrühmliche Behandlung der Religionsstreitigkeiten brachten dem Reichskammergericht Bedeutungsverlust. Außerdem war der Reichshofrat wie oben schon beschrieben flexibler, was die Ausgestaltung des Rechtsverfahrens anbelangte. Die Prozesse dauerten meist nicht so lange wie die Prozesse des Reichskammergerichts, das strikt an das Prozessrecht der damaligen Zeit gebunden war. Und der Reichshofrat setzte zur Entscheidung von Streitigkeiten oft Kommissare ein, die am Ort der Streitigkeiten verhandelten, währenddessen das Reichskammergericht stets fest an seinem Gerichtsort Speyer bzw. Wetzlar tagte.

Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1806 hörte auch die Tätigkeit des Reichshofrates endgültig auf.

Literatur

  • Eva Ortlieb: Im Auftrag des Kaisers. Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637–1657), Köln/Weimar/Wien 2001.
  • Wolfgang Sellert: Prozessgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens, Aalen 1973.
  • Wolfgang Sellert (Hrsg.): Reichshofrat und Reichskammergericht, ein Konkurrenzverhältnis, Köln/Weimar/Wien 1999.

Weblinks