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Ethik

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Ethik (von griech. ήθος ethos „gewohnter Sitz; Gewohnheit, Sitte, Brauch; Charakter, Sinnesart“, vgl. lat. mos) ist eines der großen Teilgebiete der Philosophie. Die Ethik - und die von ihr abgeleiteten Disziplinen (z.B. Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie) - bezeichnet man auch als „praktische Philosophie“, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst (im Gegensatz zur „theoretischen Philosophie“, zu der die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik als klassische Disziplinen gezählt werden).

Die Ethik beschäftigt sich damit, was gutes oder schlechtes Handeln ausmacht. Eine Ethik sagt also, wie der Mensch handeln soll und wie nicht, bzw. wie er sich beim täglichen Handeln zu entscheiden hat. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit dem Ausmaß individueller menschlicher Freiheit sowie eine Bestimmung von Gut und Böse.

Sie befasst sich hierzu mit den Grundlagen menschlicher Werte und Normen, des Sittlichen und der allgemeinen Moral.

Zentrale Probleme der Ethik betreffen die Motive, die Methoden und die Folgen menschlichen Handelns. Es ergeben sich sehr unterschiedliche Ethiken, je nachdem, wie die Gewichte zwischen diesen drei Bereichen gelegt werden, und was die Quelle der ethischen Normen ist. Von solchen grundsätzlichen Reflexionen einer allgemeinen Ethik zu unterscheiden sind die auf besondere lebensweltliche Problemfelder bezogenen Überlegungen der angewandten Ethik. Die allgemeine Ethik stellt außerdem die Grundlagendisziplin für die speziellen Disziplinen, Individualethik und Sozialethik, dar.

Überblick ethische Disziplinen und Ansätze

Der Begriff „Ethik“

Als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin wurde der Begriff „Ethik“ von Aristoteles eingeführt, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (ethos) meinte, wobei allerdings schon seit Sokrates die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens gerückt war (Sokratische Wende). Hintergrund war dabei die bereits von den Sophisten vertretene Auffassung, es sei für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet werde. Aristoteles war dagegen der Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich. Ethik ist somit für Aristoteles eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat, diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet.

Begriffliche Abgrenzungen

In einem allgemeinen Verständnis lässt sich Ethik als philosophische Reflexion auf Moral definieren. Moral ist dabei zu verstehen als Gesamtheit aller Normen und Ideale des guten und richtigen Lebens, die von einem Menschen oder einer Gesellschaft vorausgesetzt werden. Diese Reflexion kann auf verschiedene Weise vollzogen werden.

Wenn sie nur auf die möglichst präzise empirische Erfassung und Beschreibung der tatsächlichen Moral zielt, spricht man von deskriptiver Ethik. Diese Disziplin ist verwandt mit anderen empirischen Disziplinen wie Moralpsychologie, Moralsoziologie, Ethnologie etc.

Wenn die methodische Reflexion auf Moral nicht in empirisch-deskriptiver oder historisch klärender Weise, sondern mit dem Ziel der Begründung und Kritik vorgenommen wird, spricht man - in einem allgemeinen Sinn - von normativer Ethik (wird im folgenden mit Ethik gleichgesetzt).

Von einer normativen Ethik im engeren Sinne spricht man für gewöhnlich dann, wenn es sich um eine Sollens- oder deontologische Ethik handelt (s.u.).

Von der Ethik ist weiterhin die Metaethik zu unterscheiden. Diese reflektiert die allgemeinen logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen moralischen und ethischen Sprechens bzw. Denkens. Die Metaethik ist eine verhältnismäßig junge Disziplin, die sich in erster Linie der Untersuchung praktischer Argumentationen mit den Mitteln der modernen sprachanalytischen Philosophie verdankt.

Geschichte der Ethik

Formale Betrachtungen zur Ethik nahmen ihren Ursprung im alten Orient, im antiken Kaiserreich China, Indien und Griechenland und wurden im Römischen Reich aufgegriffen und weiterentwickelt. Philosophische Schulen dieser Perioden entwickelten verschiedene ethische Systeme, von denen Sokrates, Platon und Aristoteles die bis heute einflussreichsten begründeten. Der Epikureismus und die Stoa haben in hellenistischer Zeit ethische Schulen ausgebildet, die ihrerseits orientierenden Einfluss auf die Gegenwart ausüben.

Religionen entwickeln ihr ethisches System selten systematisch aus (innerweltlichen) Grundprinzipien, sondern als Konsequenz ihres Glaubenssystems. In den jüdisch-christlichen Schriften (Tanach, Talmud, Bibel, Kirchenväter) haben ethische Fragestellungen einen hohen Stellenwert.

Der nächste bedeutende Zeitraum ethischer Betrachtungen begann im Mittelalter mit Moses Maimonides und Thomas von Aquin. Der auf von gottgegebenen Gesetzen basierenden Ethik dieser jüdisch-christlichen Philosophen wurde ein natürliches Gesetz (Naturrecht), das dem Menschen und der Welt innewohne, an die Seite gestellt.

Die moderne philosophische Ethik hatte ihren Ursprung in den Arbeiten von Thomas Hobbes, David Hume, Spinoza und Immanuel Kant.

Der Utilitarismus wurde von Jeremy Bentham und John Stuart Mill entwickelt. Arthur Schopenhauer schuf in Abgrenzung zu Kant eine Mitleidsethik. Friedrich Nietzsche gilt als der radikalste Kritiker sämtlicher Arten von Ethik. Insbesondere verwies er darauf, dass moralische Bewertungen von der jeweiligen Perspektive abhängen und dass Moralsysteme sehr oft der Festigung der Position der Herrschenden dienen (sofern damit ein Relativismus behauptet werden soll, sind die dort aufgeführten Gegenargumente zu nennen). Der analytischen Ethik (G. E. Moore, W. D. Ross) folgten Emotivismus (Charles Leslie Stevenson, Alfred Jules Ayer) und Existenzialismus (Jean Paul Sartre). Emmanuel Lévinas suchte die Ethik von der Beziehung zu dem Anderen her neu zu denken. In der feministischen Ethik wird darauf aufmerksam gemacht, dass bestimmte Werte (z.B. Fürsorge) und Lebenssituationen aus Sicht der Frau in der herkömmlichen Diskussion stark vernachlässigt wurden.

Grundprobleme der Ethik

Warum überhaupt Ethik?

Die Ethik ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Es geht ihr nicht um ein Wissen um seiner selbst willen (theoria), sondern um eine verantwortbare Praxis. Sie soll dem Menschen in einer immer unüberschaubarer werdenden Welt Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings immer nur allgemeine Prinzipien zur Verfügung stellen. Die Anwendung dieser Prinzipien auf den einzelnen Fall ist nicht mehr durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft. Aristoteles vergleicht sie mit der Kunst des Arztes und des Steuermanns. Wie diese muss auch die praktische Urteilskraft allgemeine Prinzipien immer wieder auf neue Situationen und Lebenslagen anwenden. Damit spielt für die richtige sittliche Entscheidung neben der Kenntnis der allgemeinen Prinzipien die persönliche Lebenserfahrung eine große Rolle.

Lassen sich moralische Sätze begründen?

Die Ausgangsfrage, der sich die Ethik stellen muss, ist, ob die Frage nach dem richtigen Handeln überhaupt sinnvoll ist und moralische Sätze sich begründen lassen. Dabei gibt es v.a. drei Ansätze, die die Begründbarkeit moralischer Sätze bestreiten: den ethischen Relativismus, den Nonkognitivismus und den Dezisionismus.

Ethischer Relativismus

Innerhalb des ethischen Relativismus lassen sich grundsätzlich ein deskriptiver und ein normativer Relativismus unterscheiden.

Der deskriptive Relativismus bezieht sich darauf, dass die Moralvorstellungen der Menschen durch äußere Faktoren wie Kultur, Wirtschaftsordnung, Klassenzugehörigkeit etc. bedingt seien. Daher könne auch keine allgemein gültige Moral formuliert werden. So ist z.B. der Ethnologe Melville J. Herskovits der Meinung:

„Maßstäbe und Werte sind relativ auf die Kultur, aus der sie sich herleiten. Daher würde jeder Versuch, Postulate zu formulieren, die den Überzeugungen oder dem Moralkodex nur einer Kultur entstammen, die Anwendbarkeit einer Menschenrechtserklärung auf die Menschheit als ganze beeinträchtigen.“ (Herskovits, Ethnologischer Relativismus und Menschenrechte, in: Texte zur Ethik, S. 39 f.Vorlage:Ref)

Diese Behauptung lässt sich auf zwei Ebenen angreifen. Auf der empirischen Ebene kann bestritten werden, dass die faktischen moralischen Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen und Kulturen tatsächlich auf grundlegender Ebene miteinander völlig unvereinbar seien.

So wird als Beispiel in diesem Zusammenhang häufig der in der Vergangenheit in manchen „primitiven“ Gruppen wie den Eskimos verbreitete Brauch der Tötung alter und schwacher Menschen genannt. Diese geschah aber mit deren Einverständnis und „wird nur nachvollziehbar vor dem Hintergrund extremer Lebensverhältnisse, die durch große Unwirtlichkeit des Lebensraums und knappe Lebensmittel geknnzeichnet sind. Nur so ist verstehbar, daß die moralische Norm, seinen Eltern Gutes zu tun und ihnen Leid zu ersparen, dadurch erfüllt wird, daß man ihnen einen qualvollen Tod erspart, indem man sie auf schmerzlose Weise tötet und somit die Überlebenschancen der Jungen vergrößert“ (Pieper, 33f.Vorlage:Ref).

Entscheidend ist jedoch der Einwand, dass aus deskriptiven Urteilen keine Geltungsurteile abgeleitet werden können. Daraus, dass Menschen tatsächlich unterschiedlich moralisch urteilen, kann nicht gefolgert werden, dass tatsächlich auch unterschiedliche Moralvorstellungen Gültigkeit hätten. Dies gälte es ja gerade nachzuweisen.

Der normative Relativismus steht dagegen auf dem Standpunkt, dass ein ethisches Urteil dann gültig ist, wenn es vom moralischen Standpunkt jener Gesellschaft richtig ist, welcher der Urteilende angehört. So sieht z.B. der von Alasdair MacIntyre vertretene Kommunitarismus die Tradition als letzten Maßstab ethischer Rationalität. Seiner Ansicht nach können daher ethische Konflikte zwischen zwei unterschiedlichen Traditionen nicht gelöst werden. Gegen diese Argumentation lässt sich v.a. der Einwand erheben, dass sie sich als Metatheorie über den Traditionen stehend verstehen muss und sich insofern selbst widerspricht.

Nonkognitivismus

Für Hume ist die Vernunft nur „Sklave der Affekte“.

Während der ethische Relativismus immerhin noch anerkennt, dass mit moralischen Sätzen ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, der dann zurückgewiesen wird, geht der Nonkognitivismus noch einen Schritt weiter: er bestreitet, dass mit moralischen Sätzen überhaupt ein Wahrheitsanspruch erhoben wird.

David Hume

Die wichtigsten Argumente des Nonkognitivismus finden sich bereits bei David Hume. Seiner Ansicht nach können nur zwei Typen von Sätzen einen Wahrheitsanspruch erheben: Sätze, die eine Aussage über die Beziehung von Vorstellungen (ideas) enthalten und Sätze, die eine Aussage über den Bereich der Erfahrung machen. Bei den „Gegenständen“ der Moral, Affekten, Willensakten und Handlungen ist für Hume die Frage nach einer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit sinnlos. Die Vernunft ist nicht in der Lage, den Willen zu motivieren oder sich einem Affekt zu widersetzen. Ihre Funktion erschöpft sich darin, dass sie Mittel für die von den Affekten vorgegebenen Ziele sucht. Die Regeln der Moral sind nach Hume keine Folgerungen der Vernunft, sondern beruhen nur auf einem Gefühl:

„Die Vernunft ist nur Sklave der Affekte und soll es sein; Sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen [...]. Es läuft der Vernunft nicht zuwider, wenn ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will als einen Ritz an meinem Finger.“ (Traktat über die menschliche Natur, II, 3, 3) Vorlage:Ref.

Alfred Jules Ayer

In der metaethischen Diskussion der Gegenwartsphilosophie wurde dieser Ansatz Humes wieder aufgegriffen. So unterscheidet Alfred Jules Ayer wie Hume zwei Klassen sinnvoller Aussagen oder Propositionen: analytische und empirische Propositionen. Moralische Sätze lassen sich in keine dieser beiden Klassen einordnen. Sie dienen vielmehr dem Ausdruck von Gefühlen oder von Einstellungen des Sprechers und sollen bei anderen Gefühle hervorrufen, um so Handlungen auszulösen:

„Das Vorhandensein eines ethischen Symbols in einer Proposition fügt ihrem tatsächlichen Inhalt nichts hinzu. Wenn ich daher zu jemand sage ‚Du tatest Unrecht, als du das Geld stahlst’, dann sage ich nicht mehr aus, als ob ich einfach gesagt hätte, ‚Du stahlst das Geld’. Indem ich hinzufüge, dass diese Handlung unrecht war, mache ich über sie keine weitere Aussage. Ich zeige damit nur meine moralische Missbilligung dieser Handlung. Es ist so, als ob ich ‚Du stahlst das Geld’ in einem besonderen Tonfall des Entsetzens oder unter Hinzufügung einiger besonderer Ausrufezeichen geschrieben hätte. Der Tonfall oder die Ausrufezeichen fügen der Bedeutung des Satzes nichts hinzu. Sie dienen nur dem Hinweis, dass sein Ausdruck von gewissen Gefühlen des Sprechers begleitet wird" (Sprache, Wahrheit und Logik, S. 141) Vorlage:Ref.

Kritik

Gegen die These des Nonkognitivismus, ethische Aussagen seien bloße Gefühlsäußerungen ohne Wahrheitswert wird der Einwand erhoben, dass dieser den lokutionären Bestandteil von moralischen Äußerungen zu sehr vernachlässige. Moralische Äußerungen drücken zwar eine subjektive Einstellung des Sprechers zum Gegenstand aus und dienen auch dazu eine bestimmte Verhaltensweise des anderen auszulösen. Ihre Bedeutung könne sich aber darin nicht erschöpfen, da die Grundlage meiner Einstellung und des Anspruchs an den anderen die Überzeugung von der Richtigkeit meiner Aussage darstelle. Weiterhin können Emotionen und Aufforderungen ihrerseits wiederum einer ethischen Bewertung unterzogen werden.

Es ist sinnvoll zu fragen, ob die mit einer moralischen Äußerung verbundene Emotion oder die Handlung, die ich beim Adressaten meiner Äußerung auslösen möchte, ihrerseits gut sind.

Dezisionismus

Der Dezisionismus sieht das letzte Kriterium moralischer Urteile in Entscheidungen, die einer rationalen Kritik allenfalls noch in einem eingeschränkten Sinne unterzogen werden können.

Der Dezisionismus ist in den verschiedensten Spielarten anzutreffen. Ein Vertreter der sprachanalytischen Variante ist Richard Mervyn Hare. Für ihn lassen sich moralische Urteile auf Imperative zurückführen. Diesen Imperativen liegen Prinzipienentscheidungen zugrunde, die ihrerseits nicht mehr weiter begründbar sind.

Auch im Kritischen Rationalismus Hans Alberts ist eine Letztbegründung der Moral nicht möglich (vgl. Münchhausen-Trilemma). Moralische Normen können sich nur bewähren oder nicht bewähren. Um das zu entscheiden, sind Kriterien erforderlich. Diese müssen letztlich „erfunden und festgesetzt werden, wie dies auch für die Kriterien des wissenschaftlichen Denkens gilt“ (Albert, S. 513)Vorlage:Ref.

Dem Dezisionismus kann ähnlich wie dem Nonkognitivsmus entgegengehalten werden, dass auch Entscheidungen wiederum einer Bewertung unterzogen werden können: ich entscheide mich nicht für bestimmte ethische Prinzipien, sondern diese stellen umgekehrt die Grundlage meiner Entscheidungen dar.

Ethische Grundbegriffe

Im folgenden werden einige elementare Grundbegriffe der Ethik in systematischer Hinsicht dargestellt. Dabei sollen v.a. die Zusammenhänge zwischen ihnen deutlich werden, um die im historischen Teil dargestellten Positionen besser einordnen zu können.

Ethische Grundbegriffe in ihrem Zusammenhang

Moralische Handlungen

Im Mittelpunkt deontologischer Ethiken steht der Begriff der Handlung. Sie lässt sich in erster Annäherung definieren als „eine von einer Person verursachte Veränderung des Zustands der Welt“ (Ricken, S. 96) Vorlage:Ref. Die Veränderung kann eine äußere, in Raum und Zeit beobachtbare oder eine innere, mentale Veränderung sein. Auch die Art und Weise, wie man von außen einwirkenden Ereignissen begegnet, kann im weiteren Sinne als Handlung bezeichnet werden.

Absicht und Freiwilligkeit

Handlungen unterscheiden sich von Ereignissen dadurch, dass wir als ihre Ursache nicht auf ein weiteres Ereignis verweisen, sondern auf die Absicht des Handelnden. Die Absicht (intentio) ist ein von der Handlung selbst zu unterscheidender Akt. Geplanten Handlungen liegt eine zeitlich vorausgehende Absicht zugrunde. Wir führen die Handlung so aus, wie wir sie uns vorher schon vorgenommen hatten. Der Begriff der Absicht ist von dem der Freiwilligkeit zu unterscheiden. Die Freiwilligkeit ist eine Eigenschaft, die zur Handlung selbst gehört. Der Begriff der Freiwilligkeit ist weiter als der der Absicht; er umfasst auch die spontanen Handlungen, bei denen man nicht mehr von Absicht im engeren Sinne sprechen kann.

Eine Handlung ist dann „freiwillig“, wenn sie mit Wissen und Willen durchgeführt wird.

  • Das „Wissen“ als Bedingung der Freiwilligkeit

Die Unwissenheit kann nur die Freiwilligkeit einer Handlung aufheben, wenn die handelnde Person sich nach besten Kräften vorher informiert hat und sie mit dem ihr fehlenden Wissen anders gehandelt hätte. War dem Handelnden eine Kenntnis der Norm oder der Folgen zuzumuten, ist er für ihre Übertretung verantwortlich (ignorantia crassa oder supina). Noch weniger entschuldigt jene Unkenntnis, die absichtlich zum Vermeiden eines Konflikts mit der Norm herbeigeführt wurde (ignorantia affectata), wenn also z.B. bewusst vermieden wird, sich über ein Gesetz zu informieren, um sagen zu können, man hätte von einem bestimmten Verbot nicht gewusst.

Im deutschen Strafrecht wird diesem Sachverhalt Rechnung getragen. So heißt es z.B. in §17 StGB:

„Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden“.

  • Das „Wollen“ als Bedingung der Freiwilligkeit

Für die sittliche Bewertung einer Handlung ist wesentlich das effektive Wollen, die Absicht ihrer Verwirklichung. Das setzt voraus, dass zumindest der Handelnde der Auffassung war, dass ihm eine Verwirklichung seiner Absicht möglich sei, d.h. dass das Ergebnis von seinem Handeln kausal herbeigeführt werden könne. Unterliegt der Handelnde einem äußeren Zwang, hebt diese die Freiwilligkeit der Handlung auf.

Handlungsprinzipien

Absichten finden ihren Ausdruck in praktischen Grundsätzen. Diese können zunächst einmal in inhaltliche und formale Grundsätze unterschieden werden. Inhaltliche Grundsätze legen konkrete inhaltliche Güter (Leben, Gesundheit, Besitz, Vergnügen, Umwelt etc.) als Bewertungskriterum für das Handeln zugrunde. Sie sind notwendig subjektiv und haben einen dezisionistischen Charakter. Sie können ihre eigene Vorrangstellung nicht gegenüber anderen, konkurrierenden inhaltlichen Grundsätzen begründen.

Formale Grundsätze verzichten auf einen Bezug zu konkreten inhaltlichen Gütern. Das bekannteste Beispiel ist der Kategorische Imperativ Kants.

Es lassen sich grundsätzlich drei Ebenen der praktischen Sätze voneinander unterscheiden (vgl. Ricken, 136 f. Vorlage:Ref):

  1. ein oberstes Prinzip praktischer Überlegungen (wie z.B. der Kategorische Imperativ)
  2. praktische Grundsätze, die sich aus dem obersten Prinzip ableiten (wie z.B. die zehn Gebote)
  3. Sätze, die Entscheidungen formulieren, indem sie Maximen auf konkrete Lebenssituationen anwenden

Die Ethik ist generell nur in der Lage, Aussagen zu den ersten beiden Ebenen zu machen. Die Übertragung von praktischen Grundsätzen auf eine konkrete Situation, erfordert das Vermögen der praktischen Urteilskraft. Nur mit seiner Hilfe können eventuell auftretende Zielkonflikte gelöst und die voraussichtlichen Folgen meiner Entscheidung abgeschätzt werden.


Datei:Handlung.png
Komponenten einer Handlung
Handlungsfolgen

Wesentlich für die ethische Bewertung von Handlungen sind die mit ihnen verbundenen Folgen. Diese sind zu unterscheiden in motivierende und in Kauf genommene Folgen. Motivierende Folgen sind Folgen, um derentwillen eine Handlung ausgeführt wird. Sie werden vom Handelnden unmittelbar angezielt („Voluntarium in se“).

In Kauf genommene Folgen („Voluntarium in causa“) werden zwar nicht unmittelbar angezielt, aber als Nebenwirkung der motivierenden Folgen vorausgesehen und bewusst zugelassen (siehe auch Prinzip der Doppelwirkung). So unterliegt beispielsweise bewusste Fahrlässigkeit als bedingter Vorsatz (dolus eventualis) der ethischen und rechtlichen Verantwortung. Volltrunkenheit entschuldigt nicht bei einem Verkehrsunfall.

Tun und Unterlassen

Bereits Thomas von AquinVorlage:Ref unterscheidet eine zweifache Kausalität des Willens: die „direkte“ Einwirkung des Willens, in der durch den Willensakt ein bestimmtes Ereignis hervorgerufen wird und die „indirekte“, in der ein Ereignis dadurch eintritt, dass der Wille untätig bleibt. Tun und Unterlassen unterscheiden sich hierbei nicht hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit. Beim Unterlassen verzichtet jemand auf das Eingreifen in einen Prozess, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Auch das Unterlassen kann daher als Handlung aufgefasst werden.

Die strikte Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungsformen, die z.B. in der medizinischen Ethik eine große Rolle spielt (vgl. aktive und passive Sterbehilfe etc.), muss daher vom ethischen Standpunkt als fragwürdig erscheinen.

Das Ziel menschlichen Handelns

Im Mittelpunkt teleologischer Ethiken steht die Frage, was ich mit meiner Handlung letztlich bezwecke, welches Ziel ich mit ihr verfolge. Der Begriff „Ziel“ (finis, telos) ist hier als „letztes Ziel“ oder „Endziel“ zu verstehen, von dem all mein Handeln bestimmt wird.

Glück als letztes Ziel

In der Tradition wird als letztes Ziel des Menschen das Glück oder die Glückseligkeit (beatitudo) genannt. Der Ausdruck „Glück“ wird dabei in einem mehrdeutigen Sinne gebraucht:

  • zur Bezeichnung eines gelungenen und guten Leben, dem nicht Wesentliches fehlt („Lebensglück“, eudaimonia)
  • zur Bezeichnung günstiger Lebensumstände („Zufallsglück“, eutychia)
  • zur Bezeichnung des subjektiven Wohlbefindens (Glück als Lust, hedone)

Philosophiegeschichtlich konkurrieren die Bestimmungen von Glück als „Lebensglück“ und als subjektives Wohlbefinden gegeneinander. Für die „eudaimonia-Vertreter“ (Platon, Aristoteles) ist Glück die Folge der Verwirklichung einer Norm, die als Telos im Wesen des Menschen angelegt ist. Glücklich ist dieser Konzeption zufolge vor allem, wer auf vernünftige Weise tätig ist.

Für die „hedone-Vertreter“ (Sophisten, klassische Utilitaristen) gibt es kein zu verwirklichendes Telos des Menschen mehr; es steht keine objektive Norm mehr zu Verfügung, um zu entscheiden, ob jemand glücklich ist. Dies führt zu einer Subjektivierung des Glücksbegriffs. Es obliegt nun allein dem jeweiligen Individuum, zu bewerten, ob es glücklich ist. Glück wird hier mit dem Erreichen von Gütern wie Macht, Reichtum, Ruhm etc. gleichgesetzt.

Sinn und Ziel

Das Wort „Sinn“ bezeichnet grundsätzlich die Qualtität von etwas, das dieses verstehbar macht. Wir verstehen etwas dadurch, indem wir erkennen, worauf es „hingeordnet“ ist, wozu es dient. Die Frage nach dem Sinn steht also in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Ziel oder Zweck von etwas. Auch der Sinn einer Handlung oder gar des ganzen Lebens kann nur beantwortet werden, wenn die Frage nach seinem Ziel geklärt ist. Meine Handlung bzw. mein gesamtes Leben ist dann sinnvoll, wenn es auf dieses Ziel hin ausgerichtet ist.

Das Gute

Der Begriff „gut“

„Gut“ gehört wie der Begriff „seiend“ zu den ersten und daher nicht mehr definierbaren Begriffen. Es ist zwischen einem adjektivischen und einem substantivischen Gebrauch zu unterscheiden.

Als Adjektiv bezeichnet das Wort „gut“ generell die Hinordnung eines „Gegenstandes“ auf eine bestimmte Funktion oder einen bestimmten Zweck. So spricht man z.B. von einem „guten Messer“, wenn es seine im Prädikator „Messer“ ausgedrückte Funktion erfüllen – also z.B. gut schneiden kann. Analog spricht man von einem „guten Arzt“, wenn er in der Lage ist, seine Patienten zu heilen und Krankheiten zu bekämpfen.
Ein „guter Mensch“ wäre demnach jemand, der in seinem Leben auf das hin ausgerichtet ist, was das Menschsein ausmacht.

Als Substantiv bezeichnet das Wort „Gut“ etwas, auf das hin wir unser Handeln ausrichten. Wir gebrauchen es normalerweise in dieser Weise, um „eine unter bestimmten Bedingungen vollzogene Wahl als richtig oder gerechtfertigt zu beurteilen“ (Ricken, S. 84)Vorlage:Ref. So kann beispielsweise eine Aussage wie „Die Gesundheit ist ein Gut“ als Rechtfertigung für die Wahl einer bestimmte Lebens- und Ernährungsweise dienen. In der philosophischen Tradition war man der Auffassung, dass prinzipiell jedes Seiende – unter einer gewissen Rücksicht - Ziel des Strebens sein könne („omne ens est bonum“). Daher wurde die „Gutheit“ der Seienden zu den Transzendentalien gerechnet.

Das höchste Gut

Als das „höchste Gut (summum bonum)“ wird das bezeichnet, was nicht nur unter einer bestimmten Rücksicht für den Menschen gut ist, sondern schlechthin, da es dem Menschen als Menschen ohne Einschränkung entspricht. Es ist identisch mit dem „unbedingt Gesollten“. Seine inhaltliche Bestimmung hängt ab von der jeweiligen Sicht der Natur des Menschen. In der Tradition wurden dabei die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge präsentiert:

  • das Glück (Aristoteles)
  • die Lust (Hedonismus, klassischer Utilitarismus)
  • Macht (Machiavelli, Nietzsche)
  • Einheit mit Gott (christliche Philosophie)
  • Nirvana (Buddhismus)
  • Erwachen (bodhi) zu Weisheit und Mitgefühl (Mahayana Buddhismus)
  • Bedürfnisbefriedigung (Hobbes)
  • Einheit von Tugend und Glück (Kant)
  • Freiheit (Sartre)

Wert

Der Begriff „Wert“ stammte ursprünglich aus der Nationalökonomie, wo man u.a. zwischen Gebrauchs- und Tauschwert unterschied. Er wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein philosophischer Terminus, wo er im Rahmen der „Wertphilosophie“ eine zentrale Bedeutung einnahm. In der Alltagssprache taucht der Begriff gerade auch in jüngster Zeit wieder auf, wenn von „Grundwerten“, einem „Wertewandel“ und einer „neuen Wertedebatte“ die Rede ist. Der Bedeutung des Wertbegriffs ähnelt stark der des klassischen Begriffs des „Gutes“ (bonum). Er wird wie dieser grundsätzlich in zwei verschiedenen Varianten gebraucht:

  • als „objektiver Wert“ (bonum physicum) bezeichnet er den „Wert“ von bestimmten Gütern für den Menschen (wie z.B. den Wert des menschlichen Lebens, der Gesundheit etc.)
  • als Werthaltung (bonum morale) bezeichnet er das, was mir wertvoll ist, meine „Wertvorstellungen“ (wie Treue, Gerechtigkeit etc.)

Dem Begriff des Wertes kommt im Unterschied zum Begriff des Guten eine gewisse gesellschaftliche Bedingtheit zu. Wir bezeichnen etwas als „werthaft“, wenn es nach dem Urteil der Gesellschaft erstrebbar ist. So kann es zu einem „Wertewandel“ – nicht aber einem „Gutheitswandel“ – kommen, wenn sich das Urteil der Gesellschaft ändert. Die Rolle der Gesellschaft zeigt sich bereits, wenn wir beliebig einige Dinge herausgreifen, die allgemein als „Wert“ oder „wertvoll“ bezeichnet werden:

  • ein Mitarbeiter gilt als „wertvoll“, wenn er eine für das Unternehmen wichtige Arbeit leistet
  • als „Grundwerte“ werden für gewöhnlich die Leitbegriffe der Französischen Revolution, „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Brüderlichkeit“, bezeichnet, die einen starken politischen Bezug aufweisen
  • die hohe Wertschätzung der Gesundheit – wie sich z.B. in der sich stark verbreitenden „Wellnesskultur“ zeigt - ist das Ergebnis einer intensiven gesellschaftlichen Diskussion der letzten Jahre

Tugend

Die richtige Abwägung ethischer Güter und ihre Durchsetzung setzt Tugend voraus. In ihrer klassischen Definition formuliert sie Aristoteles als „jene feste Grundhaltung, von der aus [der Handelnde] tüchtig wird und die ihm eigentümliche Leistung in vollkommener Weise zustande bringt“ (NE 1106a)Vorlage:Ref.
Die Leistung der ethischen Tugenden besteht v.a. darin, im Menschen eine Einheit von sinnlichem Strebevermögen und sittlicher Erkenntnis zu bewirken. Wir bezeichnen einen Menschen erst dann als „gut“, wenn er zur inneren Einheit mit sich selbst gekommen ist und das als richtig Erkannte auch affektiv voll bejaht. Dies ist nach Aristoteles nur durch eine Integration der Gefühle durch die ethischen Tugenden möglich. Die ungeordneten Gefühle verfälschen das sittliche Urteil. Das Ziel der Einheit von Vernunft und Gefühl führt über eine bloße Ethik der richtigen Entscheidung hinaus. Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern auch wer wir sind.
Tugend setzt eine Gewöhnung voraus, die durch Erziehung und soziale Praxis erreicht wird. Wir werden gerecht, mutig etc., indem wir uns in Situationen begeben, wo wir uns entsprechend verhalten können. Die wichtigste Rolle kommt dabei der Tugend der Klugheit (phronesis) zu. Ihr obliegt es, die rechte „Mitte“ zwischen den Extremen zu finden und sich für die optimale Lösung in der konkreten Situation zu entscheiden.

Sollen

Der Begriff „sollen“ ist ein Grundbegriff deontologischer Ethikansätze. Er bezieht sich – als Imperativ - auf eine Handlung, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • das vorgegebene Ziel kann verfehlt werden
  • das vorgegebene Ziel steht nicht in Konkurrenz zu anderen, übergeordneten Zielen
  • das vorgegebenen Ziel kann prinzipiell erreicht werden („Jedes Sollen impliziert ein Können“)

Sprachanalytisch lässt sich das Sollen mit Hilfe der sog. deontischen Prädikatoren erklären. Diese beziehen sich auf die sittliche Verbindlichkeit von Handlungen. Folgende Varianten sind dabei zu unterscheiden:

  • moralisch möglich
  • moralisch notwendig
  • moralisch unmöglich

Moralisch mögliche Handlungen sind sittlich erlaubt, d.h. man darf so handeln. Moralisch notwendige Handlungen sind sittlich geboten. Hier spricht man davon, dass wir etwas tun sollen bzw. die Pflicht haben, etwas zu tun. Moralisch unmögliche Handlungen sind sittlich verbotene Handlungen, die wir nicht ausführen dürfen.

Das Verhältnis zum Guten

Die Begriffe „gut“ und „gesollt“ sind zwar eng miteinander verwandt aber nicht deckungsgleich. So können wir in Situationen stehen, in denen wir nur zwischen schlechten Alternativen wählen können. Hier ist es gesollt, dass wir uns für das „geringere Übel“ entscheiden. Umgekehrt ist nicht alles Gute auch gesollt. Das kann z.B. der Fall sein, wenn das Erreichen eines Gutes ein anderes Gut ausschließt. Hier muss eine Güterabwägung erfolgen, die zum Verzicht eines Gutes führt.

Gerechtigkeit

Darstellung der Justitia von Raffael in der Stanza della Segnatura des Vatikan

Der Begriff der Gerechtigkeit ist seit der intensiven Diskussion um die „Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls und v.a. seit der aktuellen politischen Debatte um die Aufgaben des Sozialstaates (Betonung der Chancen- und Leistungsgerechtigkeit gegenüber der Verteilungsgerechtigkeit) wieder stark ins Blickfeld geraten.

„Gerecht“ wird – wie der Begriff „gut“ – in vielerlei Bedeutungen gebraucht. Es werden Handlungen, Haltungen, Personen, Verhältnisse, politische Institutionen und zuweilen auch Affekte (der „gerechte Zorn“) als gerecht bezeichnet. Grundsätzlich kann zwischen einem „subjektiven“ und einem „objektiven“ Gebrauch unterschieden werden, wobei beide Varianten aufeinander bezogen sind.

Die subjektive oder personale Gerechtigkeit bezieht sich auf das Verhalten oder die ethische Grundhaltung einer Einzelperson. Eine Person kann gerecht handeln ohne gerecht zu sein und umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Legale Handlungen befinden sind nach außen hin betrachtet in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, geschehen aber nicht ausschließlich aufgrund moralischer Beweggründe (sondern z.B. auch aus Angst, Opportunismus etc.). Bei moralischen Handlungen dagegen stimmen Handlung und Motiv miteinander überein. In diesem Sinne wird Gerechtigkeit als eine der vier Kardinaltugenden bezeichnet.

Die objektive oder institutionelle Gerechtigkeit bezieht sich auf die Bereiche Recht und Staat. Hier geht es immer um Pflichten innerhalb einer Gemeinschaft, die das Gleichheitsprinzip berühren. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen Tauschgerechtigkeit (iustitita commutativa) und Verteilungsgerechtigkeit (iustitita distributiva). Bei der Tauschgerechtigkeit tritt der Wert einer Ware oder Leistung in den Vordergrund. Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es um den Wert der beteiligten Personen.

Die Gerechtigkeit der Einzelpersonen und der Institutionen sind in einem engen Zusammenhang zueinander zu sehen. Ohne gerechte Bürger werden keine gerechten Institutionen geschaffen oder aufrechterhalten werden können. Ungerechte Institutionen erschweren andererseits die Entfaltung der Individualtugend der Gerechtigkeit.

Das Anliegen der Ethik beschränkt sich nicht auf das Thema „Gerechtigkeit“. Zu den Tugenden gehören noch diejenigen, die man sich selbst gegenüber hat (Klugheit, Mäßigung, Tapferkeit). Zu den ethischen Pflichten gegenüber anderen zählt noch die Pflicht des Wohltuns (beneficientia), die über die Gerechtigkeit hinausgeht und ihre Wurzel letztlich in der Liebe hat. Während der Gerechtigkeit das Gleichheitsprinzip zugrunde liegt, ist dies beim Wohltun die Notlage oder Bedürftigkeit des anderen. Diese Unterscheidung entspricht der zwischen „iustitia“ und „caritas“ (Thomas von Aquin), Rechts- und Tugendpflichten (Kant) bzw. in der Gegenwart der zwischen „duties of justice“ und „duties of charity“ (Philippa Foot).

Gesinnungs- oder Verantwortungsethik?

Die verschiedenen Ethikansätze werden traditionell – wie weiter unten dargestellt – prinzipiell danach unterschieden, ob sie ihren Schwerpunkt auf die Handlung selbst (deontologische Ethikansätze) oder auf die Handlungsfolgen (teleologische Ethikansätze) legen. Auf diese Unterscheidung bezieht sich auch Max Webers Aufteilung in Gesinnungs- und Verantwortungsethiken, wobei diese von ihm als Polemik gegen Gesinnungsethiken verstanden wurde.

Diese Ethik-Einteilung muss jedoch als fragwürdig bezeichnet werden. In der Praxis sind auch selten Ansätze zu finden, die ihre Theorien rein auf Grundlage eines der beiden Prinzipien entwickelt hätten.

Strikte deontologische Ethiken gehen davon aus, dass es Handlungen gibt, die in sich geboten oder v.a verboten sind. Diese sind dann „unter allen Umständen“ zu tun oder zu unterlassen gemäß dem Spruch „Fiat iustitia et pereat mundus“ („Gerechtigkeit geschehe, und sollte die Welt darüber zugrunde gehen“, Ferdinand I. von Habsburg). Eine gute Beschreibung liefert Robert Spaemann (Christliche Verantwortungsethik, S. 122 Vorlage:Ref):

„Unter deontologischer Ethik versteht man moralische Konzepte, […] für welche bestimmte Handlungstypen ohne Beachtung der weiteren Umstände immer verwerflich sind, also z.B. die absichtliche direkte Tötung eines unschuldigen Menschen, die Folter oder der außereheliche Beischlaf eines verheirateten Menschen“.

Einer solchen Ethik müsste es gelingen, Handlungen aufzuzeigen, die unter allen Umständen, völlig losgelöst von ihren Folgen, als unsittlich und „in sich schlecht“ zu bezeichnen wären. Bekannte Beispiele sind die „Tötung Unschuldiger“ oder die nach Kant unzulässige Lüge. Sehr häufig liegt in diesen Fällen eine „petitio principii“ vor. Wenn z.B. die Tötung Unschuldiger als Mord und dieser wiederum als unsittliche Handlung definiert wird, kann sie natürlich in jedem Fall als „in sich schlecht“ bezeichnet werden. Das gleiche gilt für die Lüge, wenn ich sie als unerlaubtes Verfälschen der Wahrheit bezeichne. Gerade in der Analyse ethischer Dilemmasituationen, in denen nur die Wahl zwischen mehreren Übeln möglich ist, zeigt sich, dass es kaum möglich sein dürfte, bestimmte Handlungen unter allen Umständen als „sittlich schlecht“ zu bezeichnen.

Strikt teleologisch argumentierende Ethikansätze machen die ethische Bewertung einer Handlung ganz von ihren Folgen abhängig:

„Eine Handlung ist dann auszuführen und nur dann, wenn sie oder die Regel, unter die sie fällt, ein größeres Überwiegen des Guten über das Schlechte herbeiführt, vermutlich herbeiführen wird oder herbeiführen sollte als jede erreichbare Alternative“
(Albert Keller, S. 212Vorlage:Ref, übersetzt aus: William K. Frankena, Ethics, S. 14 Vorlage:Ref).

Teleologische Ethiken verfahren also so, dass sie das ethisch Gesollte von außerethischen Zwecken abhängig machen. Sie lassen dabei die Frage unbeantwortet, weshalb wir diese Zwecke verfolgen sollen und machen eine Güterabwägung unmöglich. Die Frage, was ein oder das bessere „Gut“ ist, kann nur geklärt werden, wenn vorher allgemeine Handlungsprinzipien definiert wurden. In vielen teleologischen Ansätzen werden diese Handlungsprinzipien einfach stillschweigend vorausgesetzt, wie z.B. im klassischen Utilitarismus, für den Lustgewinnung und Unlustvermeidung die Leitprinzipien jeglicher Folgenabschätzung darstellen.

Das Problem des Bösen

Gleise nach Auschwitz, dem Symbol des Bösen im 20. Jhd.

Trotz der teilweise apokalyptischen geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wird der Begriff „böse“ in der Umgangssprache nur noch selten gebraucht. Stattdessen werden meist die Begriffe „schlecht“ („ein schlechter Mensch“) oder „falsch“ („die Handlung war falsch“) verwendet. Das Wort „böse“ gilt im gegenwärtigen Bewusstsein generell als metaphysikverdächtig und aufgrund der allgemeinen Verwissenschaftlichung als überholt.

In der philosophischen Tradition wird das Böse als eine Form des Übels betrachtet. Klassisch geworden ist die Unterscheidung von Leibniz zwischen einem metaphysischen (malum metaphysicum), einem physischen (malum physicum) und einem moralischen Übel (malum morale). Das metaphysische Übel besteht in der Unvollkommenheit alles Seienden, das physische Übel in Schmerz und Leid. Diese Übel sind Widrigkeiten, die ihren Ursprung in der Natur haben. Sie sind nicht „böse“, da sie nicht das Ergebnis des menschlichen Willens sind. Das moralische Übel oder das Böse hingegen besteht in der Nicht-Übereinstimmung einer Handlung mit dem Sittengesetz. Es kann nur „die Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person selbst“ böse sein (vgl. KpV, S. 106) Vorlage:Ref. Das Böse ist also als Leistung des menschlichen Subjekts zu verstehen. Wir bezeichnen eine Handlung dann als „böse“, wenn sie mit vollem Bewusstsein und in Freiheit ausgeführt wurde.

Ursache des Bösen

Die biologische Erklärung führt das Böse auf die allgemeine Tatsache der Aggression zurück. Für die Verhaltensforschung ist die Aggression einfachhin ein Bestandteil der menschlichen Natur und als solcher moralisch irrelevant. Daher spricht Konrad Lorenz auch vom „sogenannten Bösen“. Dieser Ansatz übersieht, dass dem Menschen auf der Grundlage der Freiheit die Möglichkeit gegeben ist, zu seiner eigenen Natur Stellung zu nehmen (vgl. Schulz, S. 723 ff.) Vorlage:Ref.

In der Philosophie stellte sich bereits Platon die Frage, wie das Böse überhaupt möglich sei. Das Böse werde nur getan, weil jemand im irrtümlichen Glauben annimmt, er hätte einen Nutzen davon. Somit wolle er aber den mit dem Bösen verbundenen Nutzen. Das Böse um seiner selbst willen könne niemand vernünftiger Weise wollen:

Sokrates: So ist denn doch klar, daß diejenigen, welche es nicht kennen, nicht das Böse begehren, sondern vielmehr das, was sie für gut halten, während es böse ist; so daß diejenigen, welche es nicht kennen und es für gut halten, offenbar eigentlich das Gute begehren. Oder nicht?
Sokrates: Und weiter: Diejenigen, welche das Böse begehren, wie du behauptest, während sie doch glauben, daß das Böse dem schade, welchem es zuteil wird, erkennen doch wohl, daß sie von ihm Schaden nehmen werden?
Menon: Notwendig.
Sokrates: Diese aber, halten sie nicht die, welche Schaden leiden, für elend, sofern sie Schaden leiden?
Menon: Notwendig auch das.
Sokrates: Halten sie die Elenden aber nicht für unglücklich?
Menon: Ich meine doch.
Sokrates: Gibt es nun einen Menschen, welcher elend und unglücklich sein will?
Menon: Ich denke nicht, Sokrates.
Sokrates: Niemand also will das Böse, Menon; wenn anders er nicht ein solcher sein will. Denn was heißt elend sein anders, als das Böse begehren und es besitzen?
(Platon, Menon, 77a-78b)Vorlage:Ref

Dieses in der Antike noch weit verbreitete Verständnis, das Böse ließe sich durch die Vernunft überwinden, wird allerdings durch die geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in Frage gestellt. Diese lehren, dass der Mensch durchaus im Stande ist, das Böse auch um seiner selbst willen zu wollen.

Als Motiv für das Böse kann zunächst einmal der Egoismus ausgemacht werden. Er äußert sich in vielen Spielarten. In seiner harmlosen Variante zeigt er sich im Ideal einer selbstbezogenen Bedürfnisbefriedigung. In dieser Form stellt er letztlich auch die „Vertragsgrundlage“ des Utiltitarismus dar, der nichts anderes als einen Interessensausgleich zwischen den Individuen schaffen möchte. Dieser Aspekt trifft – wie die geschichtliche Erfahrung zeigt – noch nicht den eigentlichen Kern des Bösen. Dieser wird erst dann sichtbar, wenn die eigene Bedürfnisbefriedigung nicht mehr im Vordergrund steht:

„Die eigentliche Struktur des Bösen aber […] zeigt sich erst dort, wo dieser utilitaristische Bezug nicht leitend ist, sondern die zwecklose, ja sogar widersinnige Freude an der reinen Destruktion vorherrscht. Erst hier entdeckt man die unheimlichen Züge des menschlichen Ich: den Machtrausch der Zerstörung genießt“ (Schulz, S. 725) Vorlage:Ref.

Die Ursache dieses „radikal Bösen“ ist nach Kant weder in der Sinnlichkeit noch in der Vernunft zu sehen, sondern in einer „Verkehrtheit des Herzens“, in der das Ich sich gegen sich selbst wendet:

„Die Bösartigkeit der menschlichen Natur ist also nicht sowohl Bosheit, wenn man dieses Wort in strenger Bedeutung nimmt, nämlich als eine Gesinnung (subjektives Prinzip der Maximen), das Böse als Böses zur Triebfeder in seine Maxime aufzunehmen (denn die ist teuflisch); sondern vielmehr Verkehrtheit des Herzens, welches nun, der Folge wegen, auch ein böses Herz heißt, zu nennen“. (Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, S. 686)Vorlage:Ref

Dieser Grundgedanke Kants von der Selbstwidersprüchlichkeit des Ich als Ursache des Bösen wird v.a. in der Philosophie des Idealismus noch einmal vertieft. Schelling unterscheidet zwischen einem alle Bindung verneinenden „Eigenwillen“ und einem sich in Beziehungen gestaltenden „Universalwillen“. Die Möglichkeit zum Bösen besteht darin, dass der Eigenwille sich seiner Integration in den Universalwillen widersetzt.

„Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommenen Einheit mit dem Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht faßt), bloße Sucht oder Begierde, d.h. blinder Wille ist. Diesem Eigenwillen der Kreatur steht der Verstand als Universalwille entgegen, der jenen gebraucht und als bloßes Werkzeug sich unterordnet.“ (Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, S. 459)Vorlage:Ref

Das radikal Böse bewirkt einen Umsturz der Ordnung in mir selbst und in Bezug zu anderen. Es erfolgt um seiner selbst willen, denn „wie es einen Enthusiasmus zum Guten gibt, ebenso gibt es eine Begeisterung des Bösen“ (a.a.O., S. 468) Vorlage:Ref.

Sein und Sollen

Das Grundproblem teleologischer Ethiken ist, dass sie in der Regel Güter-Ethiken sind. Sie beschreiben bestimmte Güter (z.B. „Glück“ oder „Lust“) als für den Menschen gut und damit erstrebbar. Seit Hume wird aber bestritten, dass der Übergang von Seins- zu Sollensaussagen legitim sei. Diese Kritik wird unter dem Stichwort „Humesches Gesetz“ oder „Naturalistischer Fehlschluss“ (G.E. Moore) zusammengefasst. Hume kritisiert an den ihm bekannten Moralsystemen,

„… daß mir anstatt der üblichen Verbindungen von Worten mit „ist“ und „ist nicht" kein Satz mehr begegnet, in dem nicht ein „sollte" oder „sollte nicht" sich fände. […] Dies sollte und sollte nicht drückt eine neue Beziehung oder Behauptung aus, muß also norwendigerweise betrachtet und erklärt werden. Gleichzeitig muß ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind“ (Hume, Traktat über die menschliche Natur, III, 1, 1) Vorlage:Ref.

Hume macht hier darauf aufmerksam, dass zwischen deskriptiven und normativen Aussagen ein wesentlicher Unterschied besteht. Seiner Ansicht nach ist es nicht zulässig, aus deskriptiven Sätzen normative Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Möglichkeit einer teleologischen Ethik scheint hiermit grundsätzlich in Frage gestellt.

Gegen dieses Trennung von Sein und Sollen wird v.a. von Vertretern idealistischer Positionen eingewandt, dass ihr ein oberflächlicher Seinsbegriff zugrunde liege. So argumentiert Vittorio Hösle, das Sollen könne nur vom realen, empirischen Sein strikt abgegrenzt werden; „ein ideales Sein, das nicht vom Menschen gesetzt ist, wird dem Sollen damit ebensowenig abgesprochen wie eine mögliche Prizipiierungsfunktion gegenüber dem empirischen Sein“ (Hösle, S. 127 Vorlage:Ref). Es könne gerade als Aufgabe des Menschen angesehen werden, „damit fertig zu werden, daß das Sein nicht so ist, wie es sein soll“ (Hösle, S. 242 Vorlage:Ref). Das Gesollte solle eben sein und sei als solches bereits Prinzip des Seins:

„Aber wenn das Projekt der Ethik einen Sinn haben soll, dann muß das Sein in einer bestimmten Weise strukturiert sein.: Es muß Wesen enthalten, die zumindest der Erkenntnis des Sollens fähig sind ja in denen diese Erkenntnis - bei allen Widerständen durch verschiedene Interessen - nicht ohne Einfluß auf ihr Handeln ist. Daß aus der Geltung des Sollens Annahmen über die Wirklichkeit folgen, ist eine keineswegs triviale Annahme und m.E. nur im Rahmen eines objektiven Idealismus zu begreifen, nach dem das faktische Sein durch ideale Strukturen wenigstens zum Teil prinzipiert ist“ (Hösle, S. 241f.Vorlage:Ref).

Verschiedene Ethiksysteme

Die Vielzahl ethischer Positionen werden in der Literatur für gewöhnlich in deontologische und teleologische Richtungen eingeteiltVorlage:Ref), wobei aber die jeweilige Zuordnung oft umstritten ist. Die Unterscheidung geht zurück auf Charlie Dunbar Broad Vorlage:Ref und wurde bekannt durch William K. Frankena Vorlage:Ref.

Im Rahmen teleologischer Ethiken (Strebensethiken) wird die moralische Richtigkeit von Handlungen durch ihren Beitrag zur Realisierung oder Erhaltung eines Guten bestimmt. Teleologische Ethiken geben valuativen Sätzen einen Vorrang gegenüber normativen Sätzen. Für sie stehen Güter und Werte im Vordergrund. Die menschlichen Handlungen sind nur insofern von Interesse, als sie hinderlich oder förderlich zum Erreichen dieser Güter und Werte sein können.

Deontologische Ethiken (Sollensethiken) gehen davon aus, dass Handlungen aufgrund anderer Charakteristika als ihrer konkreten Folgen moralisch richtig oder falsch sein können. Hier haben normative Sätze eine Vorangsstellung gegenüber valuativen Satzen. Für sie bilden Gebote, Verbote und Erlaubnisse die Grundbegriffe. Es rücken die menschlichen Handlungen in den Vordergrund, da nur sie gegen eine Norm verstoßen können.

Durch die Art der Definition lassen sich verschiedene ethische Systeme ableiten:


Ethische Richtung Handlungsprinzip Handlungsziel
Aristoteles Entfaltung seines "telos" Das Gute
Epikur - die naturgemäße Lust
Stoa - Leben im Einklang mit der Natur
Utilitarismus - Das größte Glück der größten Zahl
Wertethik - Die durch phänomenologischen Schau erkennbaren Werte der Gegenstände
Kant Verallgemeinerungsfähigkeit der Handlungsmaxime "Heiligkeit" und Glückseligkeit
Diskursethik Rechtfertigbarkeit seiner Handlungsmaxime im Diskurs Transformation der realen Kommunikationsgemeinschaft in eine ideale
Vertragstheorien Übereinkunft in einem (virtuellen) Gesellschaftsvertrag Überwindung des Naturzustandes
Rawls Urzustand; Schleier der Unwissenheit bürgerliche Freiheiten; demokratische Gleichheit

Abb.: Schema der wichtigsten Ethikansätze


Teleologische Ansätze

Das griechische Wort „telos“ bedeutet so viel wie Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel. Unter teleologischen Ethiken versteht man daher solche Theorieansätze, die ihr Hauptaugenmerk auf bestimmte Zwecke oder Ziele richten. In ihnen wird die Forderung erhoben, Handlungen sollten ein Ziel anstreben, das in einem umfassenderen Verständnis gut ist. Der Inhalt dieses Zieles kann unterschiedlich bestimmt werden.

onto-teleologische Ansätze

Dieser klassische teleologische Ansatz wurde v.a. in der Blütezeit der griechischen Klassik und im Hellenismus vertreten. Er geht davon aus, dass jedem natürlichen Gegenstand das Streben innewohnt, ein in seiner Natur oder seinem Wesen angelegtes Ziel zu erreichen. Das wesenseigene Ziel wird dadurch verwirklicht, dass der Gegenstand seine spezifischen Anlagen vervollkommnet und so eine natürliche Endgestalt ausbildet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem betreffenden Objekt um ein lebloses Ding, eine Pflanze, ein Tier oder ein Vernunftwesen handelt. Als Gegenstände in diesem Sinne kommen aber nicht nur natürliche Gegenstände in Frage; auch die soziale oder politische Gemeinschaft, die Geschichte oder der gesamte Kosmos können als teleologische Entitäten aufgefasst werden.

Auch der Mensch besitzt ein eigenes Ziel, das er durch die Perfektionierung seiner spezifischen Anlagen verwirklicht. In seiner Natur ist also schon eine ganz bestimmte Zielgestalt angelegt, auf die hin er sich entwickelt. Allerdings ist er - anders als bei unbelebten Gegenständen, Pflanzen oder Tieren - nicht gänzlich durch seine natürlichen Eigenschaften und Zielvorgaben determiniert. Er muss sich in einem gewissen Rahmen an der Realisierung seines „telos“ selbst beteiligen.

Der Mensch soll so handeln und leben, wie es seiner Wesensnatur entspricht und seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise vervollkommnen. Unter der Voraussetzung, dass er tatsächlich über ein gewisses Maß an Freiheit verfügt, kann er seine Zielvorgabe auch verfehlen.

Eine Unterscheidung zwischen moralischer Richtigkeit und außermoralischer Gutheit ergibt im Rahmen onto-teleologischer Ethiken keinen Sinn. Obgleich die Verfügung über äußere Güter durchaus eine Rolle spielen kann, sind es nicht diese Güter, die in erster Linie angestrebt werden. Das Gut, um das es vor allem geht, ist eine bestimmte Art und Weise zu handeln, nämlich das gute Handeln selbst.

Platon

(...)

Aristoteles
Im Zentrum der Aristotelischen Ethik steht der Begriff der Tugend

Aristoteles gilt als der klassische Vertreter des onto-teleologischen Ansatzes. Seine Ethik setzt an beim Begriff des höchsten Guts. Dieses muss folgende Kriterien erfüllen:

  • Es muss autark sein, das heißt, man darf, wenn man im Besitz dieses Guts ist, keiner anderer Dinge mehr bedürfen
  • Es muss um seiner selbst und niemals um einer anderen Sache willen gewählt werden
  • Es wird nicht dadurch vergrößert, dass ein anderes Gut hinzugezählt wird

Diese Kriterien werden nach allgemeiner Ansicht von der eudaimonia (Glück) erfüllt. Allerdings bestehen Kontroversen über die Frage, worin das Glück besteht.

Nach Aristoteles' Ansicht kann der Mensch das Glück dadurch erreichen, dass er sein spezifisches „ergon“ zu verwirklichen versucht. Das Wort „ergon“ meint die spezifische Funktion, Aufgabe oder Leistung einer Sache. Um die Frage nach dem „ergon“ des Menschen zu beantworten, greift Aristoteles auf die verschiedenen Fähigkeiten der menschlichen Seele zurück:

  • sie verfügt über die lebenserhaltenden Fähigkeiten der Ernährung und des Wachstums: diese stellen aber keine spezifische Leistung des Menschen dar, weil sie sich auch bei allen anderen Lebewesen finden
  • sie verfügt über das Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung: auch dieses Vermögen findet sich bei anderen Lebewesen
  • sie verfügt, über die Fähigkeit der Vernunft (logos): dies ist das dem Menschen eigentümliche Vermögen, weil kein anderes Lebewesen über diese Fähigkeit verfügt.

In der menschlichen Seele gibt es nach Aristoteles zwei verschiedene Teile, die mit der Vernunft zu tun haben:

  • den Teil, der selbst vernünftig ist bzw. über Vernunft verfügt
  • den Teil, der zwar nicht selbst vernünftig, jedoch in der Lage ist, auf die Vernunft zu hören und ihr zu gehorchen: die Emotionen und bestimmte nicht-rationale Begierden

Das gesuchte ergon des Menschen besteht nun darin, die Vernunftfähigkeit der beiden Seelenteile zu aktivieren, das heißt von der Potentialität (dynamis) in die Aktualität (energeia) überzuführen (Akt-Potenz-Lehre). Diese spezifisch-menschliche Leistung wird dann erreicht, wenn die Seele in einem „vortrefflichen“ Zustand ist, was von Aristoteles mit dem Ausdruck „arete“ (Tugend) bezeichnet wird.

Den beiden Seelenteilen entsprechend, die vernünftig genannt werden können, lassen sich nach Aristoteles auch zwei Arten von Tugenden zuordnen. Dem vernünftigen Seelenteil entsprechen die dianoetischen oder Verstandes-Tugenden, dem unvernünftigen Seelenteil die ethischen oder Charakter-Tugenden.

Von diesem Ansatz ergibt sich Aristoteles Verständnis, wie das vollkommene Glück erreicht werden könne.

Die beste Lebensform sei die „theoretische“ oder „kontemplative“. In ihr könne der höchste menschliche Seelenteil, die Vernunft, entfaltet werden. Ein solches Leben ist aber nach Aristoteles’ Ansicht höher als es dem Menschen als Menschen zukommt und steht eigentlich den Göttern zu. Außerdem sind die Menschen dazu gezwungen, sich mit ihrem äußeren Umfeld auseinanderzusetzen. So bleibt als zweitbeste Lebensform nur die „politische“. Diese ermöglicht im Umgang mit anderen Menschen die Entfaltung der Charaktertugenden.

konsequentialistisch-teleologische Ansätze

Mit diesem Begriff werden teleologische Ansätze bezeichnet, die nicht mehr von einer letzten vorgegebenen Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins oder der Welt ausgehen. Ihr Augenmerk zur moralischen Qualifizierung von Handlungen richtet sich ausschließlich auf deren Konsequenzen im Hinblick auf ein als Nutzen verstandenes „telos“. Diese Theorien können wiederum danach unterschieden werden:

Epikur
Bei Epikur ist die Lust (hedone) der Schlüssel zum guten Leben

Die epikureische Ethik, die schon während der Blütezeit der klassischen teleologischen Ethik als gewichtiger Gegenentwurf konzipiert wurde, weist bereits eine letzte Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins oder der Welt ausdrücklich zurück.

Die Lust (hedone) wird von Epikur zum alleinigen Inhalt des guten Lebens erklärt. Er unterscheidet zwei Arten der Lust: eine „kinetische“ (bewegte) Lust auf der einen Seite sowie eine „katastematische“, d.h. mit dem naturgemäßen Zustand verbundene Lust auf der anderen.

Die kinetische Lust scheidet für Epikur als Kandidat für ein gutes Leben aus. Sie beruht auf einem stetigen Wechsel von Unlust- und Lustzuständen und muss somit auch die Unlust als Bedingung ihrer Möglichkeit bejahen. Sie birgt außerdem stets die Gefahr in sich, dass Bedürfnisse ständig über das sinnvolle Maß hinaus befriedigt und somit neue Bedürfnisse geschaffen werden. Diese Art des Luststrebens ist potenziell maßlos und droht entgegen ihrer ursprünglichen Intention zu einer fortwährenden Quelle der Unlust zu werden.

Die katastematische Lust ist die höchste Form der Lust und das Ziel des Lebens. Sie wird erreicht durch den Zustand unbedürftiger Seelenruhe. Diese wird durch Schmerz und Furcht gefährdet. Schlimmer als der körperliche ist der seelische Schmerz. Jeder seelische Schmerz ist aber auf einen körperlichen Schmerz bezogen: er ist Erwartung oder Erinnerung eines körperlichen Schmerzes. Wenn gezeigt werden kann, dass die Erwartung körperlichen Schmerzes unbegründet ist, löst der seelische Schmerz sich auf. Der größte Schmerz wird durch die Furcht vor dem Tod erzeugt. Dieser kann durch eine richtige Sicht des menschlichen Lebens begegnet werden. Es ist nach Epikur nur ein zufälliges Aggregat von Atomen, das sich mit dem Tod vollständig in seine Bestandteile auflöst. Die Grenze des Todes besitzt somit keinerlei Relevanz für die gegenwärtige Lebensführung und braucht deshalb die Daseinsfreude auch nicht zu beeinträchtigen.

Stoa

Für die Stoiker stellen Selbstliebe bzw. Selbsterhaltung den Grundtrieb überhaupt dar. Die Verfolgung dieses Triebes steht am Anfang jedes natürlichen Entwicklungsprozesses. Im Unterschied zum Tier besitzt der Mensch aber mit der Vernunft noch eine darüber hinausgehende Naturanlage, die sich schon bei Kindern ab einem gewissen Zeitpunkt als zweckfreies Erkenntnisstreben zu regen beginnt.

Ziel allen Handelns ist für Chrysipp das naturgemäße Leben

Mit dieser Entdeckung der Vernunft kommt es zu einer wichtigen Konkretisierung des Gegenstandes der Selbstliebe. Das naturgemäße Leben lässt sich jetzt nämlich als ein Leben gemäß der Vernunft begreifen. Dabei ist die Vernunft nicht nur Gegenstand der Selbstsorge, sondern erweist sich zugleich auch als die eigentliche Leitungsinstanz, die alle anderen Antriebsmomente zu bilden und zu ordnen hat. Um ihre Funktionen angemessen erfüllen zu können, muss die Vernunft einen langwierigen Bildungsprozess durchlaufen, der den Menschen allmählich dazu befähigt, sich nur das zu eigen zu machen, was wirklich seiner Natur gemäß ist. Diese Einsichts- und Aneignungsbewegung nennen die Stoiker „oikeiosis“, womit die Vervollkommnung der vornehmsten menschlichen Eigenschaften gemeint ist.

Dieser Vervollkommnungsprozess wird nicht nur als individuelles Geschehen gedeutet, sondern in einen kosmischen Zusammenhang gestellt: die allmähliche Aneignung der Vernunft, die sich im praktischen Bereich als Zuwachs der Tugend äußert, deuten die Stoiker als eine schrittweise Angleichung an das allgemeine Weltgesetz.

Die lebenspraktischen Resultate dieser Haltung verdichten sich im Streben nach der Seelenruhe (ataraxia), die von allen äußeren Umständen und Zufällen völlig unabhängig machen soll. Aus der Tatsache, dass das wahre menschliche Selbst an einer allgemeinen Weltvernunft partizipiert, folgt eine innere Verbundenheit und prinzipielle Gleichheit aller Menschen. Die Welt wird als der gemeinsame Staat der Götter und Menschen betrachtet. Weil jeder Mensch Teil dieses Ganzen und auf es angewiesen ist, ist der gemeinsame Nutzen dem des einzelnen vorzuziehen.

Utilitarismus
Datei:Bentham.jpg
Benthams Maßstab ist das größte Glück der größten Zahl

Der Utilitarismus ist die am weitesten ausgearbeitete und - u.a. auch deshalb - seit etwa hundert Jahren international meistdiskutierte Variante einer konsequentialistischen Ethik. Seine Anziehungskraft beruht auf seinem Ansatz, Handlungsalternativen ließen sich quantifizieren und durch einen mathematischen Kalkül entscheiden.

Konsequentialismus

Die moralische Beurteilung menschlichen Handelns beruht im Utilitarismus auf der Beurteilung der (wahrscheinlichen) Handlungsfolgen. Den Handlungsfolgen gegenüberzustellen sind allerdings die mit der Handlung selbst verbundenen Aufwände.

Nicht jede Handlung mit guten Folgen ist daher auch schon moralisch geboten. Es können Umstände eintreten (z.B. politische Gewaltherrschaft), unter denen die einzig mögliche Handlung mit guten Folgen so viel moralischen Heroismus verlangt, dass sie von niemandem ernstlich erwartet werden kann.

Auf der anderen Seite ist nicht jede Handlung mit schlechten Folgen unter allen Umständen moralisch verboten. In manchen Situationen kann selbst eine Handlung mit schlechten Folgen erlaubt oder sogar geboten sein, z. B. wenn die Handlungsalternativen - einschließlich Untätigkeit - noch schlechtere Folgen hätten. Zu den „Folgen“ gehören dabei:

  • die beabsichtigen Folgen der Handlung
  • die unbeabsichtigten absehbaren Folgen („Nebenfolgen“) der Handlung
  • die Handlung und ihre Umstände selbst (z.B. der mit ihr verbundene physische und psychische Aufwand)

Alle drei Komponenten müssen bei der Wahl der richtigen Handlung mit ins Kalkül gezogen werden.

Entscheidend sind dabei nicht die tatsächlichen, sondern die absehbaren Folgen einer Handlung, d.h. die Folgen, wie sie sich für einen wohl informierten und vernünftig denkenden Beobachter zum Zeitpunkt der Handlung als mehr oder weniger wahrscheinlich darstellen. Für die Beurteilung der Handlung kommt es dabei neben dem Wert und Unwert der möglichen Folgen wesentlich auch auf deren Eintrittswahrscheinlichkeit an. Kleine Risiken dürfen im Allgemeinen für die Realisierung großer Chancen in Kauf genommen werden. Für einmalige oder gelegentliche Handlungen mit schwerwiegenden negativen, aber sehr unwahrscheinlichen Folgen (wie bei Hochrisikotechnologien) liefert die Utilitaristische Ethik kein eindeutiges Entscheidungskriterium.

Maximierungsprinzip

Unter den jeweils verfügbaren Handlungsalternativen ist für den Utilitarismus diejenige Handlung moralisch geboten, die absehbar das maximale Übergewicht der positiven über die negativen Folgen bewirkt. Dieses Maximum ist rein summativ bestimmt. Geboten ist die Handlung, für die die Differenz aus der Summe des durch sie absehbar bewirkten positiven und der Summe des durch sie absehbar bewirkten negativen Nutzens größer ist als für alle anderen in der Situation möglichen Handlungen.

Universalismus

Für die Beurteilung einer Handlung sind die Folgen für alle von der Handlung Betroffenen erheblich, wobei die Folgenbewertung unparteilich sein und von allen besonderen Sympathien und Loyalitäten absehen soll (Bentham: „Everyone to count for one and nobody for more than one“). Die Folgen für den Akteur und die ihm Nahestehenden sind in den Gesamtfolgen enthalten, erhalten jedoch kein stärkeres Gewicht als die Folgen für Fremde. Räumliche, zeitliche und soziale Distanz der Betroffenen führen nicht (abgesehen von der erhöhten Unsicherheit der Folgenabschätzung) zu einer Minderung ihrer moralischen Relevanz.

Der Nutzen als einziger Wert

Der Utilitarismus kennt nur einen einzigen Wert: den „Nutzen“ (utility). Dieser wird dabei meist verstanden als das Ausmaß der von einer Handlung bewirkten Lust und des durch sie vermiedenen Leides. Der Utilitarismus ist daher im Kern eine hedonistische Theorie. Träger des Nutzens ist im Utilitarismus dabei immer das Individuum. „Gesamtnutzen“ oder „Gemeinwohl“ werden als Summe der jeweiligen Einzelnutzen aufgefasst. Mit diesem Ansatz entfallen auf der Theorieebene alle Wertkonflikte sowie die Notwendigkeit einer Güterabwägung. Es sind vielmehr nur jeweils homogene Nutzenmengen (positive und negative) miteinander zu verrechnen.

Bei der genaueren Bestimmung des Nutzens sind innerhalb des Utilitatismus’ zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Grundsätzlich ist zwar der Nutzen mit der Gewinnung von Lust gleichzusetzen. Für den klassischen Utilitarismus (Bentham) sind dabei alle Arten von Lust gleichwertig. Die Handlungsalternativen können daher nur anhand quantitativer Gesichtspunkte entschieden werden wie Dauer und Intensität der Lust. Für den Präferenzutilitarismus (Mill, Singer) ergeben sich dagegen auch qualitative Unterschiede der Lust. Die Freuden, an denen höhere Tätigkeiten des Menschen beteiligt sind, verdienen den Vorzug vor anderen; denn

„Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedengestelltes Schwein; es ist besser ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein zufriedener Narr“ (Mill, Der Utilitarismus, S. 18)Vorlage:Ref.
Wertethik

Der Begriff der Wertethik ist ein Sammelbegriff für ethische Theorien, die das Gute als Wert begreifen. Maßgeblich für die Prägung des Begriffs „Wertethik“ war das Buch „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik“ von Max SchelerVorlage:Ref. Er begründete damit die materiale Wertethik, die auf der phänomenologischen Methode Edmund Husserls aufbaut und von Nicolai Hartmann fortgeführt wurde. Daneben gibt es auch eine formale Richtung wertphilosophischer Ethik. Diese wurde von Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert entwickelt.

Die materiale Wertethik (Scheler)

Scheler entwirft seine materiale Wertethik in betonter Abgrenzung von Kant. Er übernimmt zwar Kants apriorisches Vorgehen und seine Kritik an einer Güter- und Zweckethik. Scheler will jedoch an einer materialen Grundlegung der Ethik festhalten. Dies sei möglich durch den Aufweis apriorischer Wertbestimmtheiten, die nicht in intellektuellen, sondern in emotionalen Akten des Wertfühlens gegeben sind. Werte sind dabei für ihn von den konkreten Gütern in ähnlicher Weise unabhängig wie dies Farben von den Dingen sind. Als Methode zur Erkenntnis der Werte übernimmt Scheler die von Husserl entwickelte Phänomenologie.

Das Ziel der materialen Wertethik besteht nach Scheler darin, zu einer „von aller positiven psychologischen und geschichtlichen Erfahrung unabhängigen Lehre von den sittlichen Werten“ zu gelangen. Die Werte gelten ihm als „streng apriorische Wesensideen“. Sie sind nicht auf dem Wege einer begrifflichen Rekonstruktion zu gewinnen, sondern müssen aus der „natürlichen Weltanschauung“ herausgelöst werden. Durch die Ausblendung oder Einklammerung (epoche) der besonderen Umstände soll die phänomenologische Schau auf das reine Wesen des untersuchten Gegenstands ermöglicht werden. Diese Schau soll dadurch gelingen, dass sie von den besonderen Bedingungen der historisch-kulturell geprägten Situation absieht, indem sie sich rein auf die „aus der Person, dem Ich und dem Weltzusammenhang herausgelöste Aktintention“ konzentriert. Die materiale Wertethik Schelers geht von einer Rangordnung der Werte aus. Diese könne „in einem besonderen Akte der Werterkenntnis“ erfasst werden. Ein Wert steht umso höher, je weniger er durch andere Werte „fundiert“ ist und je tiefer die durch seine Realisierung vermittelte Befriedigung erfahren wird. Jedem positiven Wert steht dabei ein negativer „Unwert“ gegenüber. Scheler entwickelt eine Hierarchie der Werte, die sich einem jeweils entsprechenden „Fühlen“ erschließen:

  • das Angenehme und das Unangenehme (sinnliches Fühlen)
  • das Edle und das Gemeine (vitales Fühlen)
  • das Schöne und das Hässliche; das Rechte und das Unrechte (geistiges Fühlen)
  • das Heilige und das Unheilige (Gefühl der Liebe)

Deontologische Ansätze

Das griechische Wort „to deon“ bedeutet „das Schickliche, die Pflicht“. Deontologische Ethiken kann man daher mit Sollensethiken gleichsetzen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen den Handlungsfolgen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie in teleologischen Ethiken. Innerhalb der deontologischen Ethiken wird häufig zwischen aktdeontologischen (z.B. Jean-Paul Sartre) und regeldeontologischen Konzeptionen (z.B. Immanuel Kant) unterschieden. Während die Regeldeontologie allgemeine Handlungstypen als verboten, erlaubt oder geboten ausweist (vgl. z.B. das Lügenverbot oder die Pflicht, Versprechen zu halten), bezieht sich den aktdeontologischen Theorien zufolge das deontologische Moralurteil unmittelbar auf spezifische Handlungsweisen in jeweils bestimmten Handlungssituationen.

Kant

Kant stellte den Pflichtgedanken ins Zentrum seiner Ethik

Die Ethik Kants wird allgemein als die erste entfaltete Konzeption einer deontologischen Ethik angesehen. Die von ihm vollzogene deontologische Wende ist in erster Linie durch sein Bemühen motiviert, die durch Humes Kritik am naturalistischen Fehlschluss entstandene Grundlagenkrise im Bereich der Moralphilosophie zu überwinden. Kant ist mit Hume der Auffassung, dass aus vor-moralischen Werturteilen kein Sollensanspruch abgeleitet werden könne und daher eine teleologische Moralbegründung nicht möglich sei.

Formale Ethik

Für Kant stammt der Anspruch des Sittlichen nicht aus der Erfahrung. Seine unbedingte Verbindlichkeit kann nur a priori, also erfahrungsfrei, und deshalb rein formal, nicht material bestimmt sein. Dieses unbedingt verbindliche Sittengesetz nennt Kant den kategorischen Imperativ. Kant kennt verschiedene Formulierungen des kategorischen Imperativs. Die „Grundformel“ lautet in ihrer ausführlichsten Formulierung:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GMS, B 52) Vorlage:Ref.

Der kategorische Imperativ ist für Kant das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“. Er stellt die allgemeine Form eines sittlichen Gesetzes dar. In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ formuliert Kant den kategorischen Imperativ in der sog. „Naturgesetzformel“:

„Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte“ (GMS, B 52) Vorlage:Ref.

Ausgehend von dieser Formulierung zeigt Kant an verschiedenen Beispielen Verstöße gegen dieses Prinzip auf. Entscheidend ist dabei immer die Frage, ob die Maxime, die der entsprechenden Handlung zugrunde liegt, sich verallgemeinert denken lässt. Wenn jemand zugeben muss, dass ein objektiv allgemeingültiges Gesetz vorliegt, für sich aber eine Ausnahme davon machen will, liegt ein unmoralisches Handeln vor. Um also die Moralität einer Handlung zu prüfen, muss ein Naturgesetz (ein naturgesetzlich wirkender Trieb) widerspruchsfrei vorstellbar sein, das ein Lebewesen immer auf diese Weise vorgehen ließe.

Ein Verstoß gegen eine solche geforderte Verallgemeinerungsfähigkeit ist z.B. der Selbstmord. Wenn ich mir nämlich aus Selbstliebe im Fall des Lebensüberdrusses das Leben nehmen will, so müsste ich einen Naturtrieb denken können, der zum Zweck eines angenehmeren Lebens immer dann, wenn das Leben zu viele Übel befürchten lässt, zur Selbsttötung führt. Es wäre aber offensichtlich widersprüchlich, wenn der naturgegebene Antrieb zur Steigerung der Lebensqualität zur Zerstörung des Lebens führen würde. Ein wohlüberlegter Selbstmord aus Lebensüberdruss lässt sich also nur als eine ausnahmsweise Ad-hoc-Entscheidung, aber nicht als ein regelgeleitetes Handeln rekonstruieren und ist darum unmoralisch.

Die Ethik Kants bleibt allerdings nicht rein formal, sie wird auch materiell. So wird in der sog. „Selbstzweckformel“ des kategorischen Imperativs der Mensch als Zweck an sich selbst in den Vordergrund gestellt:

„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GMS, B 66f.) Vorlage:Ref.

Autonome Ethik

Kant vertritt eine autonome, nicht heteronome Ethik. Autonomie ist dabei im doppelten Sinne zu verstehen:

  • als Unabhängigkeit sowohl von empirisch materialen Bedingungen oder Beweggründen des Handelns als auch von der Willkür äußerer Gesetzgebung, weil bloße Heteronomie die sittliche Verbindlichkeit nicht begründen kann, sondern voraussetzen muss
  • als Selbstgesetzgebung der reinen praktischen Vernunft, die sich allein aus sich und durch sich selbst sittlich binden kann.

Diese Autonomie bedeutet aber für Kant nichts weniger als gesetzlose Willkür und Beliebigkeit. Er will nur aufzeigen, dass nichts Empirisches, weder eigene Erfahrung noch äußere Gesetzgebung, die unbedingte Verbindlichkeit als solche konstituieren kann, wenn diese nicht als transzendentale Bedingung jedes konkreten, faktisch empirischen Sollens der reinen praktischen, sich selbst verpflichtenden Vernunft entspringt.

Pflichtethik

Die Ethik Kants steht unter dem Gedanken der Pflicht. Sie ist der höchste Moralbegriff, in dem sich die Unbedingtheit des Sittlichen ausspricht. Da jede Heteronomie ausgeschlossen ist, kann der Ursprung der Pflicht nur in der Würde des Menschen als Person liegen.

Kant unterscheidet scharf zwischen Legalität und Moralität. Wahre Moralität wird erst erreicht, wenn das Gesetz allein um seiner selbst willen erfüllt wird, die Handlungen nur „aus Pflicht und aus Achtung fürs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt“ werden (KpV, A 145)Vorlage:Ref.

Postulate der praktischen Vernunft

Kant unterscheidet zwischen dem Beweggrund (Motiv) und dem Gegenstand (Objekt) des sittlichen Handelns. Das einzig bestimmende Motiv einer nicht nur legalen, sondern wahrhaft moralischen Handlung kann nur das Gesetz als solches sein. Der Gegenstand ist dasjenige, was die sittliche Tat zwar nicht bestimmen kann, von ihr aber bewirkt wird, also nicht der Beweggrund, sondern die Wirkung sittlichen Handelns ist. Dieser Gegenstand ist für Kant - und damit steht er in der klassischen Tradition - das „höchste Gut“ (summum bonum). Dazu gehören notwendig zwei Elemente: „Heiligkeit“ – von Kant verstanden als sittliche Vollkommenheit - und Glückseligkeit. Davon ausgehend erschließt Kant die Postulate Freiheit, Unsterblichkeit und Gott.

  • Freiheit

Das Gesetz wendet sich an den Willen, setzt also die Fähigkeit freier Selbstbestimmung zu sittlichem Handeln, d. h. Freiheit des Willens, voraus. Die Freiheit ist für Kant nicht unmittelbar gegeben, erst recht nicht psychologisch, durch innere Wahrnehmung, erfahrbar: dann wäre sie ein empirischer, d. h. sinnlich erscheinender Inhalt. Unmittelbar als „Faktum der reinen praktischen Vernunft“ gegeben ist allein das sittliche Gesetz. Bedingung der Möglichkeit seiner Verwirklichung ist die Freiheit des Willens. Sie wird von Kant streng transzendental gedacht: als Bedingung der Möglichkeit sittlichen Handelns. Als solche steht sie in notwendigem Zusammenhang mit dem Gesetz, kann daher als Postulat der reinen Vernunft aufgewiesen werden.

  • Unsterblichkeit

Das Sittengesetz gebietet die Verwirklichung der „Heiligkeit“. Dazu ist aber „kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig“. Sie kann daher nur in einem „unendlichen Progressus“ erreicht werden, der „nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich“ ist (KpV, A220)Vorlage:Ref. Als Postulat der praktischen Vernunft ergibt sich die Unsterblichkeit der Seele, welche Kant als unendlichen Prozess approximativer Verwirklichung sittlicher Vollkommenheit versteht.

  • Gott

Das sittliche Handeln verlangt, nicht als Motiv, nur als Wirkung, die Erreichung der Glückseligkeit. Damit nimmt Kant den seit der griechischen Antike durchgehenden Grundgedanken der „eudaimonia“ als Ziel sittlichen Handelns auf, nur mit dem Unterschied, dass sie nach Kant niemals Motiv, sondern immer nur zu bewirkender Gegenstand moralischen Tuns sein darf. „Glückseligkeit“ bedeutet für Kant die Übereinstimmung zwischen dem Naturgeschehen und unserem sittlichen Wollen. Diese können wir selbst nicht bewirken, weil wir nicht die Urheber der Welt und des Naturgeschehens sind. Daher ist eine höchste Ursache erfordert, die uns und der Natur überlegen, selbst von sittlichem Wollen bestimmt ist und die Macht hat, die Übereinstimmung des Naturgeschehens mit dem sittlichen Wollen zu bewirken. Glückseligkeit setzt daher als Postulat der praktischen Vernunft die Existenz Gottes voraus. Gott ist der letzte Grund der unbedingt gültigen Sinnhaftigkeit alles sittlichen Strebens und Handelns.

Diskursethik

Die Diskursethik ist der derzeit wohl prominenteste Vertreter einer Sprachethik. Sie steht hinsichtlich ihrer transzendentalen Methodik in der Tradition Kants, erweitert aber dessen Ansatz um die Erkenntnisse der Sprachphilosophie – v.a. der Sprechakttheorie. Der Diskurs, als der Austausch von Argumenten in einer Sprachgemeinschaft, steht dabei in zweifacher Hinsicht im Vordergrund.

Er wird zum einen als Mittel zur Begründung einer allgemeinen Ethik angesehen. Die Diskursethik will aufweisen, dass jede Person, die an einem Diskurs teilnimmt und dort beispielsweise Behauptungen aufstellt, bestreitet oder in Frage stellt, bestimmte Moralprinzipien implizit immer schon als verbindlich anerkannt hat.

Zum anderen wird der Diskurs als Mittel angesehen, um konkrete ethische Streitfälle schlichten zu können. Eine konkrete Handlungsweise sei moralisch dann richtig, wenn ihr alle - insbesondere die von dieser Handlungsweise Betroffenen - als Teilnehmer eines zwanglos geführten argumentativen Diskurses zustimmen könnten.

Innerhalb der Diskursethik unterscheidet man eine transzendentalpragmatische Variante, die eine Letztbegründung ihrer Prinzipien anstrebt (Karl-Otto Apel, Wolfgang Kuhlmann) und eine universalpragmatische Variante (Jürgen Habermas), die eine grundsätzliche Fehlbarkeit ihrer Theorie einräumt.

Der transzendentalpragmatische Ansatz

Das Apriori der Argumentation

Das zentrale Anliegen der transzendentalpragmatischen Ethikbegründung, deren vorrangiger Vertreter Karl-Otto Apel ist, ist die Letztbegründung ihrer zugrunde gelegten ethischen Prinzipien. Zu diesem Zweck strebt Apel eine „Transformation der Kantischen Position“ in Richtung einer „transzendentalen Theorie der Intersubjektivität“ an. Von dieser Transformation erhofft er sich eine einheitliche philosophische Theorie, die eine Überbrückung des Gegensatzes von theoretischer und praktischer Philosophie leisten kann.

Nach Apels Ansicht setzt jeder, der argumentiert, immer schon voraus, dass er im Diskurs zu wahren Ergebnissen gelangen kann, dass also Wahrheit grundsätzlich möglich ist. Eine ebensolche Wahrheitsfähigkeit setzt der Argumentierende von seinem Gesprächspartner voraus, mit dem er in den Diskurs eintritt. Dies bedeutet in der Sprache Apels, dass die Argumentationssituation für jeden Argumentierenden unhintergehbar ist. Jeder Versuch ihr zu entfliehen ist letztlich inkonsistent. Apel spricht in diesem Zusammenhang von einem „Apriori der Argumentation“:

„Wer nämlich überhaupt an der philosophischen Argumentation teilnimmt, der hat die soeben angedeuteten Voraussetzungen bereits implizit als Apriori der Argumentation anerkannt, und er kann sie nicht bestreiten, ohne sich zugleich selbst die argumentative Kompetenz streitig zu machen“ (Transformation der Philosophie, Bd. 1, S. 62) Vorlage:Ref

Selbst derjenige, der die Argumentation abbricht, will nach Ansicht Apels damit etwas zum Ausdruck bringen:

„Auch wer im Namen des existenziellen Zweifels, der durch Selbstmord sich verifizieren kann … das Apriori der Verständigungsgemeinschaft zur Illusion erklärt, bestätigt es zugleich dadurch, daß er noch argumentiert“ (a.a.O.) Vorlage:Ref.

Jemand, der auf eine argumentative Rechtfertigung seiner Handlung verzichten will, zerstört sich letztlich selbst. In theologischen Begriffen gesprochen könnte man daher sagen, dass selbst „der Teufel nur durch den Akt der Selbstzerstörung von Gott unabhängig gemacht werden kann“ (a.a.O., Bd.2, S. 414) Vorlage:Ref.

Reale und ideale Kommunikationsgemeinschaft

Nach Ansicht Apels wird mit der Unhintergehbarkeit der rationalen Argumentation auch eine Gemeinschaft der Argumentierenden anerkannt. Die Rechtfertigung einer Aussage sei nämlich nicht möglich, „ohne im Prinzip eine Gemeinschaft von Denkern vorauszusetzen, die zur Verständigung und Konsensbildung befähigt sind. Selbst der faktisch einsame Denker kann seine Argumente nur insofern explizieren und überprüfen, als er im kritischen ‚Gespräch der Seele mit sich selbst’ (Platon) den Dialog einer potentiellen Argumentationsgemeinschaft zu internalisieren vermag" (a.a.O., S. 399) Vorlage:Ref. Das setze aber die Befolgung der moralischen Norm voraus, dass alle Mitglieder der Argumentationsgemeinschaft sich als gleichberechtigte Diskussionspartner anerkennen.

Diese notwendig vorauszusetzende Argumentationsgemeinschaft kommt nun bei Apel in zwei Gestalten ins Spiel:

  • als reale Kommunikationsgemeinschaft, deren Mitglied man „selbst durch einen Sozialisationsprozess geworden ist“ (a.a.O., S. 429) Vorlage:Ref
  • als ideale Kommunikationsgemeinschaft, „die prinzipiell imstande sein würde, den Sinn seiner Argumente adäquat zu verstehen und ihre Wahrheit definitiv zu beurteilen“ (a.a.O.) Vorlage:Ref.

Aus der notwendig vorausgesetzten Kommunikationsgemeinschaft in ihren beiden Varianten leitet Apel zwei regulative Prinzipien der Ethik ab:

„Erstens muss es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen. Das erste Ziel ist die notwendige Bedingung des zweiten Ziels; und das zweite Ziel gibt dem ersten seinen Sinn, - den Sinn, der mit jedem Argument schon antizipiert ist" (a.a.O., S. 431) Vorlage:Ref.

Nach Apel sind also sowohl die ideale als auch die reale Kommunikationsgemeinschaft a priori zu fordern. Für Apel stehen die ideale und reale Kommunikationsgemeinschaft in einem dialektischen Zusammenhang. Die Möglichkeit, ihren Widerspruch zu überwinden, ist a priori vorauszusetzen. Die ideale Kommunikationsgemeinschaft ist als das Ziel, auf das es hinzuarbeiten gelte, in der realen Kommunikationsgemeinschaft schon als deren Möglichkeit präsent.

Vertragstheorien

Als Vertragstheorien bezeichnet man Konzeptionen, die die moralischen Prinzipien menschlichen Handelns und die Legitimationsbedingungen politischer Herrschaft in einem hypothetischen, zwischen freien und gleichen Individuen geschlossenen, Vertrag sehen. Die allgemeine Zustimmungsfähigkeit wird damit zu einem fundamentalen normativen Gültigkeitskriterium erklärt.

Den Hintergrund der Vertragstheorien bildet die seit der Neuzeit verbreitetete Überzeugung, dass moralisches Handeln nicht mehr durch Rekurs auf den Willen Gottes oder eine objektive natürliche Wertordnung gerechtfertigt werden kann. Gesellschaft wird nicht mehr wie in der aristotelischen Tradition als Folge der sozialen Natur des Menschen („zoon politikon“) verstanden. Das einzige ethische Subjekt ist in dieser Konzeption das autonome, allein auf sich gestellte Individuum, das in keinerlei vorgegebenen Natur- oder Schöpfungsordnungen mehr steht. Gesellschaftliche und politische Institutionen lassen sich demnach nur dann noch rechtfertigen, wenn sie den Interessen, Rechten und Glücksvorstellungen der Individuen dienen.

Thomas Hobbes: Naturzustand und Legitimation von Herrschaft

Für Hobbes ist das Ziel die Überwindung des Krieges aller gegen alle

Vertragsmotive finden sich zwar bereits im Denken der Sophisten und im Epikureismus; erst in der Neuzeit wurde jedoch der Vertrag in den Rang eines theoretischen Legitimationskonzepts erhoben. Als Begründer der Vertragstheorie gilt Thomas Hobbes. Die von ihm entwickelten Konzepte prägten das gesamte sozialphilosophische Denken der Neuzeit. Sie stellen die ethische Grundlage des Liberalismus dar.

Hobbes AusgangspunktVorlage:Ref ist der Gedanke eines unerträglichen Naturzustandes. Der Naturzustand ist ein Zustand, in dem alle staatlichen Ordnungs- und Sicherheitsleistungen fehlen und jeder seine Interessen mit allen ihm geeignet erscheinenden und verfügbaren Mitteln verfolgen würde. Dieser vorstaatlich-anarchische Zustand sei für die Individuen aufgrund seiner Konfliktträchtigkeit unerträglich. Die Ursache der Konflikte stellen die endlosen Begierden der Menschen und die Knappheit der Güter dar. Dies führe zu einer Situation, in der jeder zum Konkurrent des anderen werde und eine tödliche Gefahr darstelle („Homo homini lupus“), die in der Konsequenz zu einem Krieg aller gegen alle führe („Bellum omnium contra omnes“). Dieser Zustand, in der es kein Recht, kein Gesetz und kein Eigentum gebe, sei letztlich für jedermann unerträglich. Es liege also im fundamentalen Interesse eines jeden, diesen gesetzlosen vorstaatlichen Zustand zu verlassen, die absolute Ungebundenheit aufzugeben und eine mit politischer Macht ausgestattete Ordnung zu etablieren, die ein friedliches Miteinander garantiert. Die zur Einrichtung des staatlichen Zustandes notwendige individuelle Freiheitseinschränkung ist allerdings nur möglich auf der Basis eines Vertrags, in dem die Naturzustandsbewohner sich wechselseitig zur Aufgabe der natürlichen Freiheit und zu politischem Gehorsam verpflichten und zugleich für die Einrichtung einer mit Gewaltmonopol ausgestatteten Vertragsgarantiemacht sorgen. Der Vertrag ist nicht kündbar, außer mit Billigung des Souveräns. Dieser verfügt über eine unumschränkte Staatsgewalt (Hobbes bezeichnet nennt ihn daher auch als „Leviathan“), da er nur so in der Lage sei, Frieden, Ordnung und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Rawls

Ausgangspunkt

John Rawls Hauptwerk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ zählt zu den meistdiskutierten ethischen Werken der Gegenwart. Es führt die Linie der Vertragstheorien fort und wendet sich gegen den ebenfalls die zeitgenössische Diskussion beherrschenden Utilitarismus.

Rawls versteht unter Gerechtigkeit in erster Linie soziale Gerechtigkeit. Diese definiert er als „die Art, wie die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen Grundrechte und –pflichten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen“ (TG, S. 23)Vorlage:Ref. Er kritisiert dabei am Utilitarismus, dass dieser die Gerechtigkeit im Sinne des „größten Glücks der größten Zahl“ nur als eine Funktion des gesellschaftlichen Wohlergehens gesehen habe. Dies werde den Freiheitsrechten der einzelnen Individuen nicht gerecht. Jedem Individuum müsse man „eine auf der Gerechtigkeit - oder wie manche sagen, dem Naturrecht - beruhende Unverletzlichkeit“ zusprechen, „die auch im Namen des Wohles aller anderen nicht aufgehoben werden kann. Es ist mit der Gerechtigkeit unvereinbar, dass der Freiheitsverlust einiger durch ein größeres Wohl aller gutgemacht werden könnte“ (TG, S. 46) Vorlage:Ref.

Der Urzustand und der „Schleier der Unwissenheit“

Auf der Suche nach den legitimen Gerechtigkeitsprinzipien, entwirft Rawls - wie die Vertragstheoretiker vor ihm - das Gedankenexperiment des Urzustandes. In ihm sollen faire Bedingungen herrschen, die niemanden benachteiligen oder bevorzugen. Jedes Individuum ist dabei mit einem „Schleier der Unwissenheit“ (veil of ignorance) umgeben. In diesem Zustand kennt

„niemand seinen Platz in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status; ebensowenig seine natürlichen Gaben, seine Intelligenz, Körperkraft usw. Ferner kennt niemand seine Vorstellung vom Guten, die Einzelheiten seines vernünftigen Lebensplanes, ja nicht einmal die Besonderheiten seiner Psyche wie seine Einstellung zum Risiko oder seine Neigung zu Optimismus oder Pessimismus. Darüber hinaus setze ich noch voraus, daß die Parteien die besonderen Verhältnisse in ihrer eigenen Gesellschaft nicht kennen, d.h. ihre wirtschaftliche und politische Lage, den Entwicklungsstand ihrer Zivilisation und Kultur. Die Menschen im Urzustand wissen auch nicht, zu welcher Generation sie gehören“ (TG, S. 160) Vorlage:Ref.

Erst diese totale Unwissenheit über die eigenen Fähigkeiten und Interessen garantiert für Rawls, dass die Menschen die zur Wahl stehenden Gerechtigkeitsprinzipien „allein unter allgemeinen Gesichtspunkten beurteilen“ (TG, S. 159) Vorlage:Ref.

Die beiden Gerechtigkeitsprinzipien

Unter den von Rawls als Gedankenexperiment angenommenen Bedingungen des Urzustandes würden die Menschen sich nun auf zwei Gerechtigkeitsprinzipien einigen:

„1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.
2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen“ (TG, S. 81) Vorlage:Ref.

Das erste Gerechtigkeitsprinzip bezieht sich auf die „Grundfreiheiten“, zu denen Rawls politische und individuelle Freiheiten zählt. Diese sind für alle gleich zu verteilen. Anders sieht es mit den im zweiten Grundprinzip angesprochenen wirtschaftlichen und sozialen Gütern aus. Hier kann eine Ungleichverteilung dann gerechtfertigt sein, wenn sie von allgemeinem Interesse ist. Im Falle eines Konfliktes zwischen beiden Gerechtigkeitsprinzipien hat der Schutz der Freiheit Vorrang. Eine Verletzung der Grundfreiheiten kann selbst dann nicht in Kauf genommen werden, wenn dadurch „größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile“ (TG, S. 82)Vorlage:Ref entstehen könnten.

Differenzprinzip und demokratische Gleichheit

Die im zweiten Gerechtigkeitsprinzip erlaubte sozioökonomische Ungleichheit ist nach Rawls nur dann zulässig, wenn sie zur Verbesserung der Aussichten der am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft beiträgt. So ist z.B. die Ungleichheit zwischen Unternehmer- und Arbeiterklasse nur dann zu rechtfertigen, „wenn ihre Verringerung die Arbeiterklasse noch schlechter stellen würde“ (TG, S. 98f.) Vorlage:Ref . Rawls bezeichnet die durch das Differenzprinzip charakterisierte Ordnung als „System der demokratischen Gleichheit“. Dieses ist den „gesellschaftlichen und natürlichen Zufälligkeiten“ (TG, S. 95)Vorlage:Ref entgegenzusetzen, so dass „unverdiente Ungleichheiten ausgeglichen werden“ (TG, S. 121)Vorlage:Ref.

Siehe auch

Literatur

Vorlage:Philosophiebibliographie1

Einführungen, Hilfsmittel

Systematische Darstellungen

  • Arno Anzenbacher: Einführung in die Ethik. 3. Aufl. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69028-5
Gut lesbare Einführung mit vielen Graphiken u. Zusammenfassungen. Die einzelnen Kapitel stehen sich allerdings manchmal etwas zusammenhangslos gegenüber.
  • Dieter Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik. De Gruyter, Berlin u.a. 2003, ISBN 3-11-017625-4
Systematische Darstellung der normativen Ethik eines Philosophen aus der Analytischen Philosophie. Bietet einen klaren Überblick über Begründungsprobleme der Ethik und Prinzipien deontologischer und teleologischer Ethikansätze. Moderne Ansätze stehen im Vordergrund, während die klassischen Entwürfe der Antike nur kursorisch behandelt werden.
Derzeit das Standardhandbuch zur Ethik. Enthält einen historischen u. einen begrifflichen Teil. Der aktuellen Diskussion wird ein breiter Raum gegeben. Zum Teil sehr anspruchsvolle Artikel.
Das Standardlexikon zur Einführung in die Begriffe der Ethik
Vielzitierte Einführung in Ethik, klar und verständlich aufgebaut. Behandelt eine Fülle von Themen, worunter allerdings die Geschlossenheit und Systematik der Darstellung etwas leidet.
  • Michael Quante: Einführung in die allgemeine Ethik, Darmstadt 2003 ISBN 3534154649
Lehrbuchartig aufgebautes Werk mit Zusammenfassungen, Lektürehinweisen und Übungen am Ende jedes Kapitels. Ist rein systematisch aufgebaut und geht ausführlich auf metaethische und Begründungsfragen ein. Starker Fokus auf Autoren der Neuzeit und der Gegenwart. Wird allgemein viel gelobt, behandelt aber einige zentrale Fragen der Ethik gar nicht (das Böse) oder nur sehr oberflächlich (das Glück).
Sehr fundiert und anspruchsvoll. Geht systematisch auf eine Vielzahl ethischer Grundprobleme ein, ohne an der Oberfläche zu verweilen. Versucht eine Synthese aus Aristotelischen und Kantischen Ansätzen mit Anleihen aus der sprachanalytischen Philosophie.

Zur Geschichte der Ethik

  • Michael Hauskeller: Geschichte der Ethik. 2 Bde. dtv, München 1997ff., ISBN 3-423-30727-7
  • Jan Rohls: Geschichte der Ethik. 2. Aufl. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-146706-X
Standardwerk zur Geschichte der Ethik. Ist klar struktiert und arbeitet auf vorbildliche Weise die wesentlichen Entwicklungslinien der Geschichte der Ethik heraus.

Textsammlungen

  • Dieter Birnbacher, Norbert Hoerster (Hrsg.): Vorlage:Fußnote
  • Rudolf Ginters: Typen ethischer Argumentation. Zur Begründung sittlicher Normen. Patmos, Düsseldorf 1976, ISBN 3-491-77661-9
Kleines Bändchen, das auf Grundlage zentraler Texte der Geschichte der Ethik, die unterschiedlichen Begründungsansätze deontologischer und teleogischer Ethikentwürfe darstellt. Die ausgewählten Texte werden dabei kritisch kommentiert und systematisch miteinander verknüpft.

Klassische Werke

Einflussreiche neuere Abhandlungen

Sonstige Quellen

Weblinks

Wikiquote: Ethik – Zitate
Wiktionary: Ethik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen