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Pflegeversicherung (Deutschland)

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Die Pflegeversicherung (PV) ist eine umlagefinanzierte Pflichtversicherung im Rahmen des deutschen Sozialversicherungssystems. Die Versicherung trägt bei nachgewiesenem erhöhtem Bedarf an pflegerischer und hauswirtschaftlicher Versorgung (im Pflegefall) einen Kostenanteil der häuslichen oder stationären Pflege.

Die Pflegeversicherung wurde zum 1. Januar 1995 mit dem Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) als „fünfte Säule“ der Sozialversicherung – nach Krankenversicherung, Berufsunfallversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung – eingeführt („Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherungsgesetz – PflegeVG“). Die Träger der Pflegeversicherung sind die Pflegekassen, die bei den Krankenkassen errichtet werden, ihre Aufgaben jedoch in eigener Verantwortung als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung wahrnehmen. Alle gesetzlich krankenversicherten Personen wurden mit Inkrafttreten des SGB XI in die soziale Pflegeversicherung aufgenommen. Dort nicht Versicherte können freiwillig in die Pflegeversicherung aufgenommen werden (§ 6a SGB XI). Alle Vollversicherten einer privaten Krankenversicherung wurden Mitglieder der privaten Pflegeversicherung (PPV). Damit wurde erstmals ein Versicherungsschutz für praktisch die gesamte Bevölkerung eingeführt.

In Österreich bietet das Bundespflegegeldgesetz BPGG eine vergleichbare Absicherung im Pflegefall. In der Schweiz und in anderen Ländern ist ein solches System nicht vorhanden oder anderen Institutionen zugeordnet.

  •  Eine erschöpfende Darstellung des deutschen Pflegeversicherungsrechts ist auf Grund
seines Umfangs und seiner Komplexität im Rahmen dieses Artikels nicht möglich.
  •  Der aktuelle Rechtsstand ist September 2006.

Antragstellung

Um Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen zu können, stellt die pflegebedürftige Person – oder deren Angehörige – einen Antrag bei ihrer Krankenkasse oder bei der ihrer Krankenkasse angeschlossenen Pflegekasse; das gilt auch bei einer angestrebten Einstufung in eine andere Pflegestufe. Handelt es sich um einen Erstantrag, können die Leistungen frühestens ab Beginn des Antragsmonats gewährt werden, bei einem Höherstufungsantrag wird hiervon abweichend ab dem Vorliegen der höheren Pflegestufe die höhere Leistung übernommen.

Pflegegutachten

Die Kasse lässt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder bei knappschaftlich Versicherten vom Sozialmedizinischen Dienst (SMD) ein Gutachten anfertigen, um die Pflegebedürftigkeit und den Pflegeaufwand dafür im Einzelnen festzustellen. Das geschieht bei einem – zuvor angemeldeten – Hausbesuch eines Gutachters.

Vorteilhaft ist es, zuvor eine Zeit lang ein Pflegetagebuch zu führen; Vordrucke dafür gibt es bei der Krankenkasse.

Der Gutachter stellt – ggf. anhand des Pflegetagebuches – den Zeitbedarf für die persönliche Pflege (Grundpflege: Körperpflege, Ernährung und Mobilität) sowie für die hauswirtschaftliche Versorgung in einem Pflegegutachten fest. Bei Einführung der Pflegeversicherung wurden oftmals die tatsächlich von der jeweils vorhandenen Pflegeperson benötigten Zeiten angesetzt, die stark von deren Fähigkeiten und ihrem Alter abhingen. Im Interesse der in einem Rechtsstaat gebotenen Gleichbehandlung wurde seit dem 1. Juni 1997 für jede einzelne Tätigkeit von dem Zeitbedarf ausgegangen, den ein fiktiver „geübter, gesunder Laie mittleren Alters“ für diese Tätigkeit benötigen würde; d. h. es bleibt unberücksichtigt, ob die aktuell vorgesehene Pflegeperson selbst schon älter oder aus anderen Gründen nicht voll arbeitsfähig ist. Seitdem gelten für jede einzelne Tätigkeit Vorgabezeiten in Form von Zeitkorridoren, die es ermöglichen, individuelle Besonderheiten der zu Pflegenden weitgehend zu berücksichtigen. Erst mit Hilfe der Zeitkorridore sind die Gutachten überprüfbar und untereinander vergleichbar geworden.

Beispiel: Als Zeitkorridor für eine Ganzkörperwäsche sind 20 bis 25 Min. vorgegeben. Liegen erschwerende Faktoren vor – z. B. besonders hohes Körpergewicht oder Abwehrverhalten – kann der Gutachter jedoch hiervon abweichen und einen über 25 Minuten liegenden Wert ansetzen. Entsprechendes gilt für erleichternde Faktoren; so empfiehlt der Gutachter bei besonders niedrigem Körpergewicht einen geringeren Wert als 20 Minuten. Er muss aber bei solchen Abweichungen immer angeben, welche Tatbestände diese Ausnahme rechtfertigen. Vorgegebene Zeitkorridore gelten auch nur für die komplette Tätigkeit; Teilhilfen oder Anleitungen werden geringer bewertet.

Die Begutachtung richtet sich nach den so genannten Begutachtungsrichtlinien[1] der Spitzenverbände der Pflegekassen, die in neuer Fassung ab dem 1. September 2006 bundesweit gelten. Sie regeln detailliert das Verfahren der Begutachtung und definieren im Anhang F (S. 106–113) die genannten Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung – die „Zeitkorridore“. Die Grundlage der Zeitkorridore sind Erfahrungswerte aus der Praxis der Gutachter. Für die Feststellung der Pflegestufe dient letztlich „… allein der aus der konkreten Schädigung und Beeinträchtigung der Aktivitäten resultierende Hilfebedarf in Bezug auf die gesetzlich definierten Verrichtungen …“[2]. Für die in § 14 Abs. 4 SGB XI[3] abschließend definierten Verrichtungen heißt das beispielsweise für das „Treppensteigen“, wenn die zu begutachtende Person im Erdgeschoss lebt und keine Treppen steigen muss, um eine der anderen genannten Verrichtungen auszuüben, kann im Bereich „Treppensteigen“ auch kein Zeitwert berücksichtigt werden.

Für Kinder gelten besondere, nach dem Alter abgestufte Werte zur Bemessung der Pflegezeiten, die sich nur an dem durch Krankheit oder Behinderung usw. bedingten zusätzlichen Pflegebedarf gegenüber normal entwickelten Kindern gleichen Alters orientieren (Seite 56 ff. der Begutachtungsrichtlinien); das führt u. a. dazu, dass im ersten Lebensjahr fast nie eine Pflegestufe erreicht wird.

Der Gutachter empfiehlt der Pflegekasse entsprechend dem von ihm festgestellten Pflegeaufwand eine der Pflegestufen und die Art der Pflege; d. h. ob häusliche Pflege durch ehrenamtliche Pflegepersonen, durch einen ambulantem Pflegedienst oder stationäre Pflege in Betracht kommt. Bei ehrenamtlicher häuslicher Pflege beurteilt und berichtet er der Pflegekasse auch, ob und durch welche Pflegeperson(en) diese gesichert erscheint.

Ist ein nahtloser Übergang aus einer stationären Krankenhausbehandlung in die vollstationäre Pflege notwendig, muss die Begutachtung im Krankenhaus erfolgen. Die im ambulanten Bereich teilweise üblichen mehrwöchigen Wartezeiten auf die Begutachtung sind in diesem Fall unangebracht. Die Kliniken hatten zunächst Vorbehalte gegen eine Begutachtung durch den MDK nach SGB XI im Krankenhaus, weil eine Vermischung mit anderen Aufgaben des MDK nach den §§ 275 ff. SGB V befürchtet wurde, z. B. eine Prüfung der Krankenhausverweildauer „durch die Hintertür“. Das Problem wurde gelöst durch Vereinbarungen der jeweiligen Dachverbände und Interessenvertretungen auf Landesebene nach den Landespflegegesetzen, so z. B. in NRW nach § 3 des Landespflegegesetzes NRW. Auch in den Begutachtungsrichtlinien gelten besondere Regelungen für diese Fälle.

Pflegestufen

Die Entscheidung zur Einstufung trifft die Pflegekasse unter maßgeblicher Berücksichtigung des Pflegegutachtens. Je nach Pflegestufe bestehen für Pflegebedürftige unterschiedliche Leistungsansprüche.

Die „Pflegestufen“ sind:

  • I   – erhebliche Pflegebedürftigkeit,
d. h. Hilfebedarf mindestens 90 Minuten pro Tag. Auf die Grundpflege müssen dabei mehr als 45 Minuten täglich entfallen.
  • II  – schwere Pflegebedürftigkeit,
d. h. Hilfebedarf mindestens 180 Minuten pro Tag mit einem Grundpflegebedarf von mindestens 120 Minuten täglich.
  • III – schwerste Pflegebedürftigkeit,
d. h. Hilfebedarf mindestens 300 Minuten pro Tag. Der Anteil an der Grundpflege muss dabei mindestens 240 Minuten täglich betragen.

Wenn der Pflegeaufwand das Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, kann ein so genannter Härtefall vorliegen. Die Pflegekasse kann in diesem Fall im Rahmen der Pflegesachleistung und der vollstationären Pflege weitere Leistungen gewähren (s. u.).

Die Bezeichnung „Pflegestufe 0“ existiert von ihrer Wirkung her de facto, sie wird im Gesetz allerdings nur negativ geregelt: „Darunter (d. h. unterhalb 90 Minuten etc.) gibt es keine Leistung.“ Umgangssprachlich wird der Ausdruck allerdings oft sachlich richtig verwendet (gesprochen: Pflegestufe Null), um auszudrücken, dass der Betreuungsbedarf einer Person zwar besteht, aber unterhalb der Zeitaufwandsschwelle liegt, die von der Pflegeversicherung als Voraussetzung für Leistungen der Pflegestufe I mindestens verlangt wird. Das heißt nicht, dass keine Pflege oder hauswirtschaftliche Unterstützung nötig wäre. Der Begriff hat nichts mit dem objektiven Pflegebedarf zu tun, sondern nur mit den gesetzlichen Zeitgrenzwerten. Pflegebedürftige der „Pflegestufe 0“ sollten prüfen, ob ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe – Hilfe zur Pflege besteht, die allerdings nur einkommens- und vermögensabhängig gewährt wird.

Rechtsmittel

Wer glaubt, in seinen Rechten verletzt worden zu sein, kann gegen die Entscheidungen der Pflegekasse Widerspruch einlegen (§§ 78 ff. Sozialgerichtsgesetz). Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift innerhalb eines Monats einzulegen. Nach Erlass des Widerspruchsbescheids kann Klage erhoben werden, sofern dem Widerspruch nicht abgeholfen wurde. Zuständig für Streitigkeiten in Angelegenheiten der Pflegeversicherung - auch der privaten Pflegeversicherung - sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 Abs.  1 Nr.  2 SGG). Auch für Streitigkeiten zwischen den sogenannten Leistungserbringern und den Pflegekassen sind die Sozialgerichte zuständig.

Grund für einen Widerspruch kann u. a. sein:

  • die bewilligte Pflegestufe entspricht nicht der erwarteten Pflegestufe;
  • eine beantragte Leistung wurde hinsichtlich des Umfangs oder der Art der Leistung abgelehnt;
  • der Versicherte glaubt, dass seine Rechte bezüglich Verfahrens-, Mitgliedschafts-, Beitrags- oder Zuständigkeitsentscheidungen der Pflegekasse verletzt seien.

Ein Widerspruch sollte begründet werden. Hilfreich ist im Zusammenhang mit Einstufungs- und Leistungsangelegenheiten die Anforderung des dazugehörigen MDK- bzw. SMD- Gutachtens. Die Begutachtungsrichtlinien enthalten in Abschnitt C 2.8.3 besondere Aussagen zur Begutachtung im Widerspruchsverfahren.

Im Widerspruchsverfahren ist auch eine Entscheidung für eine Verschlechterung möglich, daher sollte vor einem Widerspruch Beratung eingeholt werden, auch z.  B. bei der Pflegekasse, die nach § 7 SGB XI[4] und allgemein nach § 14 SGB I zur Beratung verpflichtet ist.

Widerspruch und Klage haben im allgemeinen aufschiebende Wirkung (§ 86a SGG), was bedeutet, dass z. B. bei Widerspruch gegen die Einstellung einer Leistung diese für die Dauer des Verfahrens zunächst unter einem Rückerstattungsvorbehalt weiter gewährt wird.

Leistungen der Pflegeversicherung

Es gibt viele, unten genauer beschriebene Leistungen; die wichtigsten sind

Bei häuslicher Pflege:
- Pflegegeldzahlungen für die häusliche Pflege durch selbst beschaffte Pflegepersonen
(monatliche Geldleistungen für private und privat organisierte häusliche Pflege z. B. durch Angehörige)
- Häusliche Pflegehilfe durch einen ambulanten Pflegedienst – Pflegesachleistung –
(ein vom Pflegebedürftigen ausgesuchter ambulanter Pflegedienst kommt zur Pflege ins Haus)
- Kombinationsleistung aus den beiden vorgenannten Möglichkeiten
- Teilstationäre Pflege (Tages- oder Nachtpflege)
Bei Unterbringung in einem Heim:
- Leistungen für die Dauerpflege (vollstationäre Versorgung)

Leistungen bei häuslicher Pflege (häusliche Pflegehilfe)

Im Jahr 2003 entschied sich etwa zwei Drittel der Leistungsempfänger für die ambulante, häusliche Pflege. In der gewohnten häuslichen Umgebung fühlt sich der überwiegende Teil der Pflegebedürftigen geringeren psychischen Belastungen ausgesetzt als bei einem Heimaufenthalt. Es besteht aber eine zunehmende Tendenz zugunsten stationärer Leistungen (Quelle: VDAK, „Zahlen, Daten, Fakten“, s. u.).

Laufende Pflegeleistungen

Pflegegeldzahlungen für die häusliche Pflege durch selbst beschaffte Pflegepersonen

Politisch ist diese Unterstützung ein Ausdruck der Anerkennung privater Hilfe, die als „ehrenamtliche“ Tätigkeit gilt. Pflegepersonen stehen also nicht in einem Arbeitsverhältnis. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Familienangehörige oder Familienfremde handelt und ob diese für die persönliche Grundpflege oder die hauswirtschaftliche Versorgung tätig sind. Sie bedürfen also keiner Meldung z. B. als Minijob und keiner Arbeitserlaubnis oder irgendwelcher sonstiger für Arbeitsverhältnisse nötigen Genehmigungen oder Anmeldungen. Voraussetzung für diese Art der Pflege ist nur, dass sie hinreichend sichergestellt ist, was zunächst der Gutachter feststellt und dann bei den Qualitätssicherungsbesuchen bestätigt wird (vgl. den folgenden Abschnitt). Für diese häusliche Pflege werden dem Pflegebedürftigen „Geldleistungen“ gewährt. Diese betragen in Pflegestufe

  I   205 €,
 II   410 €,
III   665 €.

Eine Härtefallregelung gibt es bei dieser „Geldleistung“ nicht. Die Pflege und das Pflegegeld kann der Pflegebedürftige auch auf mehr als eine Person aufteilen (z. B. persönliche Pflege durch den Ehepartner und die zur Pflege gehörige hauswirtschaftliche Versorgung durch eine familienfremde Person). Der Pflegebedürftige muss die Verwendung der Gelder nicht im Einzelnen nachweisen.

Während einer vollstationären Krankenhausbehandlung oder Rehabilitationsmaßnahme wird das Pflegegeld bis zu vier Wochen weiter gezahlt, danach ruht der Anspruch. Während vorübergehender Auslandsaufenthalte von bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr wird das Pflegegeld ebenfalls weiter gezahlt (§ 34 SGB V).

Qualitätssicherungsbesuch

Eine zur „Geldleistung“ gehörige Dienstleistung der Pflegeversicherung sind obligatorische, regelmäßige „Qualitätssicherungsbesuche“ daheim (§ 37 Abs. 3 SGB XI[5]). Sie dienen zur Beratung und Sicherstellung einer ausreichenden pflegerischen Versorgung durch die Angehörigen (Laienpflege). Die pflegenden Angehörigen vereinbaren den Besuch mit einem ambulanten Pflegedienst ihrer Wahl. Bei dem Einsatz steht die Beratung und nicht die Kontrolle im Vordergrund (BT-Drs. 14/6949 S. 13)[6]. Fragen, die gestellt werden bzw. werden können: „Wie mache ich dies oder das leichter? Woher bekomme ich Hilfsmittel? Wie verabreiche ich Getränke? Welche Kosten entstehen, wenn Teile der Pflege von Profis übernommen werden? Wie oft sollte die Person anders gelagert werden? …“. Im „Gemeinsamen Rundschreiben“ der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10. Oktober 2002 werden Ziele, Inhalte und die Durchführung des Qualitätssicherungsbesuchs umrissen.[7]

Die Häufigkeit solcher Pflichtbesuche richtet sich nach der Pflegestufe. Bei Pflegestufe I und II findet alle 6 Monate, bei Pflegestufe III alle 3 Monate ein Besuch statt. Pflegebedürftige mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung nach § 45a SGB XI sind berechtigt, den Beratungseinsatz innerhalb der genannten Zeiträume zweimal in Anspruch zu nehmen. Die Kosten für den Einsatz werden von der Pflegekasse übernommen.

Sofern festgestellt wird, dass die häusliche Pflege nicht hinreichend sichergestellt ist oder Pflegeschäden aufgetreten sind oder sogar eine so genannte gefährliche Pflegesituation vorliegt, verliert der Pflegebedürftige den Anspruch auf das Pflegegeld, mit der Konsequenz, dass die Pflege entweder von einem ambulanten Pflegedienst übernommen werden muss oder voll-/teilstationäre Pflege erforderlich wird (siehe die folgenden Abschnitte), wofür die Pflegekasse aufkommen muss. Praktisch machen die Pflegekassen aber von dieser Möglichkeit kaum Gebrauch.

Häusliche Pflegehilfe durch einen ambulanten Pflegedienst (Pflegesachleistung)

Der Begriff „Sachleistung“ ist möglicherweise missverständlich, denn von der PV wird dabei ein ambulant tätiger Pflegedienst bezahlt, der die Pflege zu Hause durchführt. Der Pflegedienst wird von der zu pflegenden Person ausgesucht. Die Pflegedienste rechnen direkt mit der Pflegekasse ab, eine Auszahlung an die gepflegte Person oder deren Angehörige erfolgt nicht. Pflegebedürftige können solche „Sachleistungen“ der Pflegekasse von ambulanten Pflegediensten in Anspruch nehmen bis zu einem monatlichen Maximalbetrag, in Pflegestufe

  I   384 €,
 II   921 €,
III 1432 €.

In besonderen Härtefällen kann die Pflegekasse Pflegeeinsätze im Gesamtwert von bis zu 1918 € übernehmen (§ 36 Abs. 4 SGB XI[8]. Ein Härtefall liegt vor, wenn der Pflegeaufwand das Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, z. B. im Endstadium einer Krebserkrankung, bei schwerer Ausprägung der Demenz oder bei Patienten im Wachkoma. Die Kriterien für die Anerkennung eines Härtefalls sind in Anlage 3 der Begutachtungsrichtlinien (s. u. unter Quellen) festgelegt. Die Kriterien wurden neu gefasst, nachdem das Bundessozialgericht 2001 festgestellt hat, dass die bestehenden Härtefallrichtlinien „deutlich zu eng gefasst sind und deshalb überarbeitet werden müssen.“ (Urteil vom 30. Oktober 2001, B 3 P 2/01 R[9]). Nach den neuen Kriterien muss u. a. die Hilfe bei der Grundpflege mindestens sechs Stunden täglich, davon mindestens dreimal in der Nacht erforderlich sein.

Kombinationsleistung

Hierbei können sowohl Pflegeleistungen der Pflegedienste für die häusliche Pflege als „Sachkosten“ abgerechnet werden als auch der dabei nicht verbrauchte Anteil am Höchstbetrag als „Geldleistung“ für Pflegepersonen beansprucht werden (§ 38 SGB XI). Wird z. B. 80 % des Höchstbetrages der „Sachleistung“ verbraucht, stehen daneben noch 20 % des Pauschalbetrages der Pflegegeldes der jeweiligen Pflegestufe zur Verfügung. So kann z. B. die persönliche Pflege durch einen Pflegedienst erfolgen (dafür gelten alle Details zur Pflegesachleistung) und die hauswirtschaftliche Versorgung durch einen Familienangehörigen (dafür gelten alle Details zu Pflegegeldzahlung… und zu Soziale Absicherung der Pflegeperson).

  • Berechnungsbeispiele[10]
Teilstationäre Pflege (Tages- oder Nachtpflege)

Teilstationäre Pflege ist die zeitweise Betreuung im Tagesverlauf in einer Einrichtung. Teilstationäre Pflege kann als Tages- oder Nachtpflege konzipiert sein. Die Pflegekasse übernimmt die Pflegekosten, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Kosten der medizinischen Behandlungspflege jeweils abhängig von der Pflegestufe. Die Leistung beträgt nach § 41 SGB XI[11] in Pflegestufe

  I   384 €,
 II   921 €,
III 1432 €.

Aufgrund des Nachrangs[12] der stationären Leistungen der Pflegeversicherung wird teilstationäre Pflege nur gewährt, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist, weil z. B. häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden kann.

  • Beispiel: Die Pflegeperson (Tochter) entschließt sich, wieder berufstätig zu werden. Die pflegebedürftige Mutter kann aber nicht acht Stunden unbeaufsichtigt zu Hause bleiben und verbringt diese Zeit in einer „Tagespflege“.

Wird der oben genannte Betrag für diese Leistung nicht ausgeschöpft, besteht in Höhe der Differenz zum Höchstbetrag in der jeweiligen Pflegestufe ein Restanspruch auf Pflegesachleistung. Wird neben der teilstationären Pflege Pflegegeld beansprucht, gilt die Regelung der Kombinationsleistung entsprechend. Es lassen sich auch alle drei verschiedenen Leistungen kombinieren, es muss dann der verbrauchte Geldbetrag der teilstationären Pflege und der Pflegesachleistung addiert werden, hieraus errechnet sich der Restanspruch auf anteiliges Pflegegeld.

Wird der oben genannte Betrag für diese Leistung ausgeschöpft, besteht kein Anspruch mehr auf Pflegegeld und Pflegesachleistung nach SGB XI (§ 41 Abs. 3 SGB XI). In der Praxis führt das zu dem Problem, dass keine Mittel der Pflegeversicherung mehr für die häusliche Versorgung zur Verfügung stehen. Diese sind aber regelmäßig erforderlich, weil die pflegebedürftige Person jeweils für den Rest des Tages oder der Nacht und an den Wochenenden zu Hause versorgt werden muss, von der Pflegeperson und/oder von einem Pflegedienst. Sofern diese Mittel nicht privat aufgebracht werden können, kann Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) beantragt werden, die im Rahmen der Auffangfunktion der Sozialhilfe die fehlenden Leistungen übernehmen muss, sofern die wirtschaftlichen Voraussetzungen zum Bezug von Sozialhilfe erfüllt sind.

Zusätzliche laufende Leistungen

Neben allen vorgenannten Leistungen der häuslichen Pflege können für Pflegepersonen (in der Definition des § 19 SGB XI[13]) Leistungen zur sozialen Sicherung und Wiedereingliederung in das Berufsleben übernommen werden (§ 44 SGB XI[14]. Diese Leistungen sind nicht an den Bezug von Pflegegeld gebunden, z. B. wenn die laufenden Zahlungen für die Leistungen professioneller Pflegeleistungen ausgeschöpft sind, aber darüber hinaus private häusliche Pflegeleistungen erfolgen (vgl. das obige Beispiel in „Teilstationäre Pflege“). Maßgeblich ist allein, ob und in welchem Umfang häusliche Pflegehilfe erforderlich ist und auch tatsächlich von der (den) Pflegeperson(-en) erbracht wird. Der MDK hat im Rahmen der Begutachtung dazu Stellung zu nehmen.

Unfallversicherung für Pflegepersonen

Pflegepersonen sind während der Pflegetätigkeit in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen (§ 44 SGB XI). Versichert sind alle Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und Hauswirtschaft, sofern diese überwiegend der pflegebedürftigen Person zugute kommen. Auch die Wege von und zur Pflegestelle sind in den Unfallversicherungsschutz einbezogen. Der Unfallversicherungsschutz gilt auch für Pflegepersonen, die mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig sind. Kein Unfallversicherungsschutz gilt für Personen, die im Rahmen der Delegation gelegentliche Hilfstätigkeiten für die Pflegeperson übernommen haben, weil sie nicht als Pflegeperson im Sinne des § 19 SGB XI gelten.

Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für Pflegepersonen

Pflegepersonen haben Anspruch auf Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Letzteres gilt aber nicht für Pflegepersonen, die Altersrente oder Pension beziehen und nicht für Erwerbstätige, die neben der Pflege mehr als 30 Wochenstunden versicherungspflichtig tätig sind. Die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge richtet sich nach § 166 Abs. 2 SGB VI. Es werden fiktive beitragspflichtige Einnahmen festgelegt, die von der Anzahl der wöchentlichen Pflegestunden (mindestens 14 Std.), der Pflegestufe sowie der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV abhängen. Die Bezugsgröße wird jährlich neu festgelegt.

  • Berechnungsbeispiel für die Bezugsgröße (West) 2006, Pflegestufe III, mindestens 28 Stunden wöchentliche Pflegezeit: Bezugsgröße = 2450 EUR, davon 80% = 1960 EUR fiktives Einkommen, davon 19,5 %RV-Beitrag = 382,20 EUR Beitrag zur Rentenversicherung.

Für 2006 gelten somit folgende Beiträge:

 Pflegestufe  wöchentlich    € mtl.   € mtl.
    mind. Std.   West    Ost
      I      14   127,40   107,38
      II      14   169,87   143,17
      II      21   254,80   214,76
      III      14   191,10   161,07
      III      21   286,85   241,61
      III      28   382,20   322,14

Bei der Rentenberechnung werden die dem Rentenversicherungsträger gemeldeten Pflegezeiten wie Zeiten einer versicherten Beschäftigung auf die Rente angerechnet und wirken sich somit wesentlich günstiger aus als eine Berechnung auf Basis des tatsächlich erhaltenen Pflegegeldes. Es handelt sich hierbei um eine echte Rentenversicherungspflicht, die Pflegekasse muss daher die notwendigen Daten der Pflegeperson erfragen.

Zusätzliche Leistungen bei Bedarf

Verhinderungspflege

Bei einer häuslichen Pflege, die bereits länger als 12 Monate andauert, ist die Inanspruchnahme einer „Verhinderungspflege“ (bei Verhinderung der Pflegeperson infolge Krankheit oder Urlaub; auch Ersatzpflege genannt) durch eine Ersatzkraft möglich (§ 39 SGB XI)[15]. Die Kosten werden für eine Dauer von bis zu insgesamt 4 Wochen jährlich bis zu einem Höchstbetrag von 1432 € übernommen. Bei der Ersatzkraft kann es sich auch um einen professionellen Pflegedienst handeln. Ist die Ersatzkraft mit der pflegebedürftigen Person bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert oder lebt sie im gleichen Haushalt, ist die Leistung auf den Betrag des Pflegegeldes der jeweiligen Pflegestufe begrenzt. Tatsächliche höhere Aufwendungen müssen nachgewiesen werden, z. B. für die Reinigung der Pflegekleidung, Fahrtkosten, Kosten für die anderweitige Unterbringung eines Kindes während der Pflegetätigkeit, Verdienstausfall. Kosten, die der Pflegeperson durch den Arbeitsausfall im eigenen Haushalt entstehen, sind nicht erstattungsfähig (BSG, Urteil vom 6.6.2002, B 3 P 11/01 R).

Während der Dauer des Bezugs der Verhinderungspflege ruht der Bezug von Pflegegeld. Am ersten und letzten Tag der Verhinderungspflege wird Pflegegeld gezahlt.

Ist die Pflegeperson weniger als 8 Stunden verhindert, handelt es sich um so genannte „stundenweise Verhinderungspflege“. Dabei wird das Pflegegeld nicht gekürzt und der Zeitraum wird nicht auf die zeitliche Höchstdauer von 28 Tagen angerechnet (Gemeinsames Rundschreiben zu den leistungsrechtlichen Vorschriften vom 10. Oktober 2002).

Kurzzeitpflege

Bei der Kurzzeitpflege werden im Bedarfsfall die Kosten für eine stationäre Unterbringung in einem Pflegeheim bis zu 4 Wochen im Kalenderjahr bis zu einem Betrag von 1432 € übernommen. Übernahmefähig sind dabei die pflegebedingten Kosten. Die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten sind selbst aufzubringen. Leistungsgründe können z. B. Urlaub der Pflegeperson oder eine kurzfristig erhöhte Pflegebedürftigkeit sein (diese Kurzzeitpflege ist also keine selbständige Leistung der Pflegeversicherung, sondern eine zusätzliche Leistung bei bestehender häuslicher Pflege). Kurzzeitpflege ist gegenüber der teilstationären Pflege nachrangig (§ 42 Abs. 1 SGB XI [16] ), d. h. die Pflegekasse kann im Einzelfall durch den MDK prüfen lassen, ob teilstationäre Pflege ausreicht, um den Pflegebedarf zu decken.

Zusätzliche Betreuungsleistungen

gibt es „für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf“ z. B. bei an Demenz erkrankten Versicherten aller Pflegestufen; diese zusätzliche Förderung beläuft sich auf maximal 460 € pro Kalenderjahr; siehe: Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz, PflEG). Die Abrechnung mit der Pflegekasse erfolgt im Rahmen der Kostenerstattung bei Sachleistungen (siehe oben). Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Leistungen ist ein gesonderter Antrag und die Beurteilung durch den Medizinischen Dienst. Zusätzliche Betreuungsleistungen können sein:

  • Tagespflege
  • Nachtpflege
  • besondere Betreuungsangebote, z. B. von Pflegediensten oder speziellen Betreuungsgruppen.
Pflegehilfsmittel

Pflegehilfsmittel und technische Hilfen werden unabhängig von der jeweiligen Pflegestufe zur Verfügung gestellt, und zwar in der Regel leihweise (§ 40 SGB XI)[17]. Für „zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel“ wie z. B. Einmalhandschuhe und Einmal-Bettschutzeinlagen werden auf Antrag und gegen Beleg der Ausgaben bis 31 € monatlich übernommen. Für technische Hilfsmittel besteht eine Zuzahlungspflicht von 10 %, höchstens jedoch 25 € je Hilfsmittel. Im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung sind unter den Nummern 50 bis 54[18] die Pflegehilfsmittel aufgelistet. Pflegehilfsmittel sind in der stationären Pflege von der Pflegeeinrichtung bereit zu stellen (s. u.)

Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung

Für die Verbesserung des Wohnumfeldes (z. B. Anbringen von Handläufen und Haltegriffen, Beseitigung von Schwellen und Stufen durch Einbau von Rampen, Einbau von unterfahrbaren Küchenschränken, Einbau eines behindertengerechten Bades, Treppenlift) können von der Pflegeversicherung Kosten bis zur Obergrenze von 2557 € je Maßnahme bewilligt werden. Der Pflegebedürftige hat einen Eigenanteil von 10 % der Kosten der Umbaumaßnahme zu leisten. Der Eigenanteil darf dabei aber 50 % seiner monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt nicht übersteigen. Verfügt er über keine eigenen Einkünfte, entfällt der Eigenanteil. Die Einnahmen anderer im Haushalt lebender Personen (z. B. Ehegatte) bleiben grundsätzlich unberücksichtigt.

Sind gleichzeitig verschiedene Um- bzw. Einbauten nötig (z. B. Türverbreiterungen und Rollstuhlrampe und Treppenlift), so gelten diese einheitlich als eine Umbaumaßnahme. Ein erneuter Zuschuss für Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes ist nur möglich, wenn eine zwischenzeitlich eingetretene Veränderung der Pflegesituation dies erfordert. Alternativ zu nötigen Umbaumaßnahmen kann auch ein Umzug in eine den Anforderungen des Pflegebedürftigen entsprechende Wohnung bezuschusst werden. Sofern auch hier weitere Aufwendungen zur Wohnumfeldverbesserung nötig sind, können diese ebenfalls bezuschusst werden. Insgesamt darf aber auch in dieser Kombination der Höchstzuschuss von 2557 € nicht überschritten werden. Ein Katalog der das Wohnumfeld verbessernden Maßnahmen aus dem gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10. Oktober 2002 ist zu finden in [19].

Leistungen auch ohne Einstufung in eine Pflegestufe

Pflegekurse

Die Kosten für Pflegekurse für Angehörige und andere ehrenamtliche Pflegepersonen werden bei Bedarf von der PV übernommen. Das Vorliegen einer Pflegestufe ist hierfür nicht erforderlich. Teilnehmen können hier sowohl Pflegepersonen, die einen Fall in „Pflegestufe 0“ betreuen als auch Personen, die sich lediglich auf einen Pflegefall vorbereiten wollen.

Leistungen bei vollstationärer Pflege

Vollstationäre Pflege ist gegenüber der der häuslichen und teilstationären Pflege nachrangig (§ 43 Abs.1 SGB XI)[20]. Die Pflegekasse kann die Notwendigkeit der vollstationären Pflege vom MDK prüfen lassen. Bei Pflegebedürftigen mit der Pflegestufe III ist die Überprüfung nicht erforderlich (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien 4.3[21]), die Notwendigkeit der vollstationären Pflege wird vorausgesetzt. Die Pflegekasse zahlt eine Pauschale an das Pflegeheim; bei Pflegestufe

  I   1023 €,
 II   1279 €,
III   1432 €,

in Härtefällen bis zu 1688 €. Näheres zur Härtefallregelung siehe unter Pflegesachleistung. Die Geldleistungen sind nur für den Pflegeaufwand und die soziale Betreuung im Heim bestimmt. Die betreute Person muss also die darüber hinaus anfallenden Kosten für Unterbringung und Verpflegung, Investitionskosten und eventuelle besondere Komfortleistungen (siehe Pflegesatz) selbst bezahlen. Außerdem darf der von der Pflegekasse zu übernehmende Betrag 75 % des tatsächlichen Heimentgeltes (bestehend aus Pflegesatz, Unterkunfts- und Verpflegungskosten sowie den gesondert berechenbaren Investitionskosten) nicht übersteigen.

Falls das Einkommen, auch unter Berücksichtigung der unterhaltspflichtigen Angehörigen nicht ausreicht, die verbleibenden Kosten der stationären Pflege zu decken, kann „Hilfe zur Pflege“ beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden. Die Zuständigkeit liegt im Regelungsbereich der Bundesländer und kann beim örtlichen Sozialamt erfragt werden. Dort müssen Anträge auch entgegengenommen und weitergeleitet werden (§ 18 Abs. 2 SGB XII).

Problematisch bei der vollstationären Pflege kann die Abgrenzung der Zuständigkeit - Pflegeeinrichtung oder Krankenkasse - für die Bereitstellung der notwendigen Hilfsmittel sein. Die Pflegekassen sind aufgrund der Zuordnung des § 40 SGB XI zu den Leistungen der häuslichen Pflege nicht für die Bereitstellung von Hilfsmitteln im stationären Bereich zuständig. Die Spitzenverbände der Kranken- und Pflegekassen haben aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Richtlinien[22] verabschiedet, die die Zuständigkeit für die verschiedenen Hilfsmittelgruppen festlegen.

Pflege in vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe

Die Regelung in § 43a SGB XI[23] wurde im ersten SGB XI-Änderungsgesetz auf Druck der Interessensvertretungen der Behinderten, der Behindertenhilfe und der Bundesländer eingefügt (zur Begründung der Vorschrift siehe auch Bt-Drs. 13/4521[24]). Die Einrichtungen der vollstationären Behindertenhilfe wie z. B. Wohnheime für psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen waren ursprünglich aus dem Kreis der Leistungserbringer der Pflegeversicherung ausgeschlossen, obwohl auch in diesen Einrichtungen Pflegeleistungen erbracht werden bzw. deren Bewohner eine Pflegestufe haben können. Zum (schwachen) Ausgleich dieser Ausgrenzung übernimmt die Pflegekasse 10 %des Pflegesatzes, im Einzelfall aber höchstens 256 € monatlich. Die Leistung entlastet in der Regel nur den Träger der Sozialhilfe, der im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem SGB XII die Kosten des Aufenthalts in der Einrichtung trägt. Die Begutachtungs-Richtlinien definieren in Abschnitt D 5.2.4 Besonderheiten bei der Begutachtung in Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Behandlungspflege nach § 37 SGB V neben Pflegeversicherung

Die „häusliche Krankenpflege“ nach § 37 SGB V[25] als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse kann in der häuslichen Pflege neben den Leistungen der Pflegeversicherung gewährt werden, in der Mehrzahl der Fälle als Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung nach § 37 Abs. 2 SGB V. Leistungen der Grundpflege können nicht mit der Krankenkasse abgerechnet werden (§ 37 Abs. 2 Satz 4 SGB V). Die Behandlungspflege kann auf ärztliche Verordnung grundsätzlich zeitlich unbegrenzt gewährt werden, zum Beispiel wenn regelmäßig Injektionen verabreicht werden müssen, und weder der Patient selbst noch eine andere im Haushalt lebende Person dazu in der Lage ist.

Häusliche Krankenpflege kann auch als sogenannte Krankenhausersatzpflege nach § 37 Abs. 1 SGB V gewährt werden. In diesen, bei pflegebedürftigen Personen eher seltenen Fällen umfasst die Leistung der Krankenkasse auch die Grundpflege. Während der Krankenhausersatzpflege ruhen die Leistungen der Pflegeversicherung (§ 34 Abs. 2 SGB XI)[26]

In der stationären Pflege ist die Behandlungspflege Teil der Leistung der Pflegekasse an die Pflegeeinrichtung, ein gesonderter Anspruch an die Krankenkasse besteht nicht (§ 41 Abs. 2 SGB XI[27], § 42 Abs. 2 SGB XI[28], § 43 Abs. 2 SGB XI[29]).

Kritische Anmerkungen zu den Leistungen

Mit Einführung der Pflegeversicherung hat das „Pflegefallrisiko“ Anerkennung als ein allgemeines Lebensrisiko gefunden. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein „Bedarfsdeckungssystem“, sondern um ein „Budgetierungssystem“. Das bedeutet, dass es je nach Pflegestufe einen festen Betrag gibt, der als Unterstützung von der Versicherung bezahlt wird, unabhängig davon, wie hoch die Preise für solche Dienstleistungen, z. B. durch Inflation, im Lauf der Jahre ansteigen sollten.

Sozialhilfe in Form von „Hilfe zur Pflege“ wird deshalb auch künftig, und zwar mit steigender Tendenz notwendig werden.

Einige wichtige Faktoren werden bei der Ermittlung des Zeitbedarfs für die Pflege prinzipiell nicht berücksichtigt:

  • Betreuung von Menschen, die an Demenz (Altersverwirrtheit) leiden und auf ständige Anwesenheit einer zur Hilfe bereiten Person angewiesen sind,
  • Unterstützung in sozialen Bereichen des Lebens,
  • Hilfe zur Bewältigung von Krisen und bei Vereinsamung,
  • Umgang mit Sterben und Tod.

Auch Pflegefälle von kürzerer Dauer als einem halben Jahr bewirken keine Leistungen aus der Pflegeversicherung (z. B. eine 4-monatige Pflegebedürftigkeit nach einem schwerem Unfall; die häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege nach § 37 SGB V deckt in diesem Fall den Bedarf an Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens gleichfalls nicht ab, es sei denn als Krankenhausersatzpflege für höchstens vier Wochen oder wenn die Satzung der Krankenkasse die Grundpflege einschließt.

Ferner fassen Pflegende die Erstattungsbeträge für die einzelnen Leistungspakete als vorgegebene Zeitwerte für jede einzelne Hilfe auf. Der Gesetzgeber hat das so nicht vorgesehen, sondern betrachtet die Erstattungsbeträge als einen Durchschnittswert, der mal unter- aber auch nach den individuellen Gegebenheiten überschritten werden muss. Der Zeitdruck für professionelle Pflegekräfte in schwierigen Pflegesituationen geht auch zu Lasten der gepflegten Personen. Die Pflegeversicherung wollte und will nicht alle entstehenden Kosten, sondern nur einen festgelegten Anteil daran tragen. Durch die Inflation sinkt der Anteil im Laufe der Jahre immer etwas weiter ab. Die pflegebedürftigen Personen müssen privat für weitere (auch für erforderliche) Dienste zuzahlen (siehe hierzu die statistischen Angaben in „Pflegesatz“ aus dem Jahre 2001).

Beiträge

Gesetzlich Versicherte

Für die gesetzlich Versicherten beträgt der Beitragssatz derzeit (2006) 1,7 % vom Bruttobetrag des Arbeitsentgelts oder der Rente – jedoch nur bis zum Höchstbetrag für die Krankenversicherung, derzeit monatlich 3562,50 € – (siehe Sozialgesetzbuch XI § 55). Familienangehörige sind beitragsfrei mitversichert, wenn in der Krankenkasse ein Anspruch auf Familienversicherung besteht.

Rentnerinnen und Rentner tragen seit dem 1. April 2004 den Beitrag zur Pflegeversicherung allein; davor erhielten sie 50 % Beitragszuschuss vom Träger der Rentenversicherung.

Der Bezug von Leistungen aus der Pflegeversicherung entbindet nicht von der Beitragszahlung.

Personengruppe Beitragssatz 2006
Versicherte Arbeitgeber/Träger
Arbeitnehmer u. ä. im Freistaat Sachsen 1.35 % 0.35 %
Arbeitnehmer u. ä. (restliches Bundesgebiet) 0.85 % 0.85 %
Familienversicherte 0.00 % 0.00 %
Rentner 1.70 % 0.00 %
Freiwillig Versicherte (z. B. selbständig Tätige u. a.) 1.70 % 0.00 %
Studenten bei Nebenverdienst, wenn der Krankenkassenbeitrag dafür 47,53 € mtl. überschreitet (sonst: siehe Anmerkung unten) 1.70 % 0.00 %
Seit dem 1. Januar 2005: Zusatzbeitrag für kinderlose Jahrgänge ab Vollendung des 23. Lebensjahres, aber nicht vor dem 1. Januar 1940 Geborene. 0.25 % 0.00 %

Anmerkung für Studenten: Bis zum Alter von 25 Jahren sind Studenten bei den Eltern mitversicherbar (ggf. zuzüglich einer Dienstzeit bei der Bundeswehr); danach gilt ein eigener Beitrag von 7,92 € bzw. 9,09 € für Kinderlose.

Anmerkung für Beihilfeberechtigte (z. B. Beamte): Es gelten die halben Beitragssätze und die halben Leistungssätze; die andere Hälfte der Leistungen übernimmt der Träger der Beihilfe.

Zusatzbeitrag für Kinderlose

Die Pflegeversicherung verteilt massiv von Kinderhabenden zu Kinderlosen um. Denn die Systematik der Pflegeversicherung führt dazu, dass die Gruppe der heutigen Kinder in der Zukunft nicht nur für die Pflege der Gruppe ihrer eigenen Eltern, sondern zusätzlich auch für die immer größer werdende Gruppe der Kinderlosen aufkommen muss. Eltern ziehen zwar die nächste Generation an Pflegeversicherungszahlern auf, erhalten aber bei Alterspflegebedürftigkeit nur die gleichen Pflegeleistungen wie die ehemals Kinderlosen, obwohl die Pflegeversicherung auf künftige Beitragszahler, also Kinder angewiesen ist.

Zur Entlastung von Eltern bei der Einzahlung in die Pflegeversicherung zur Honorierung ihrer mit der Erziehung der Kinder übernommenen gesellschaftlichen Verantwortung wurde ein Kinderlosigkeitsmalus eingeführt, der allerdings aus Sicht von Familienverbänden völlig unzureichend ist.

Danach müssen kinderlose Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung seit 1. Januar 2005 einen um 0,25 % höheren Beitragssatz zahlen als bisher, wenn sie über 23 Jahre alt, aber nicht vor dem 1. Januar 1940 geboren sind. Damit zahlen sie statt der bisherigen 0,85 % künftig einen Beitrag in Höhe von 1,1 % ihres Bruttoeinkommens. Der Arbeitgeberanteil in Höhe von 0,85 % bleibt unverändert.

Pflegeversicherte, die Kinder erziehen oder erzogen haben, sind von der Zahlung des Zusatzbeitrags befreit, wenn sie dem Arbeitgeber einen Nachweis über die Elterneigenschaft vorlegen. Bezieher von Sozialleistungen (z. B. Arbeitslose, Rentner) müssen den Elternstatus dem zuständigen Sozialleistungsträger gegenüber belegen.

Kritische Anmerkungen zu den Beiträgen

Eine relative Entlastung der Familien, wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt, wurde durch die Einführung des Zusatzbeitrags nur mittelbar, nämlich durch die Mehrbelastung Kinderloser erreicht. Dabei sind auch nachweislich (z. B. erfolglose künstliche Befruchtung) ungewollt Kinderlose betroffen; eine gesellschaftliche Diskussion der ungewollten Kinderlosigkeit als Behinderung, die vom Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes in Artikel 3 Absatz 3 erfasst würde, hat bisher nicht stattgefunden.

Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, den Beitragssatz bis 2015 stabil zu halten. Wegen der demografischen Veränderungen einerseits und der durch die Massenarbeitslosigkeit geminderten Einnahmen andererseits erscheint aber schon die Finanzierung der jetzigen Leistungen langfristig fraglich. Die laufenden Defizite könnten die anfänglichen Rücklagen in wenigen Jahren aufgezehrt haben (siehe unten „Statistiken“). Wenn sich die Pflege wie bisher hin zu mehr professioneller Pflege im ambulanten Bereich und zu mehr stationärer Pflege entwickelt[30] [31], sind weitere finanzielle Mittel erforderlich, ebenso für die absehbar notwendige Ausweitung der Leistungen (z. B. für Demenzkranke). Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass die Leistungen der Pflegeversicherung seit deren Einführung noch nicht an die lfd. Kostensteigerung angepasst wurden.

Private Pflegezusatzversicherung

Von vielen Krankenkassen und Versicherungsgesellschaften werden für gesetzlich Pflegeversicherte private Pflegezusatzversicherungen angeboten, die das Risiko von privaten Zuzahlungen abfangen oder abmildern sollen.

Privat Versicherte

Für die Mitglieder der „privaten Pflegepflichtversicherung“ gelten altersabhängige Beiträge. Die Beitragsregelungen für Familienangehörige, für privat krankenversicherte Rentner, für Selbständige, etc. sind komplex (siehe Weblinks). Die privaten Pflegeversicherungen arbeiten auf der Basis des Anwartschaftsdeckungsverfahrens, d. h. es müssen Altersrückstellungen gebildet werden. Die „Leistungen“ sind denen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertig. An die Stelle der Sachleistungen tritt jedoch die Kostenerstattung.

Statistiken

Pflegebedürftige 2003

Anzahl der Pflegebedürftigen nach Pflegestufen und Versorgungsformen
Anzahl der der dafür tätigen Pflegepersonen, Pflegedienste, Pflegeheime und professionellen Pflegekräfte (2003)
Quelle: Statistisches Bundesamt

Die statistische Quelle enthält keine Hinweise, ob bei der häuslichen Pflege die sowohl familiär als auch durch Pflegedienste betreuten Pflegebedürftigen doppelt gezählt wurden. In anderen Angaben des statistischen Bundesamtes (vgl. nächste Tabelle) sind jedoch nur 1.895.000 Leistungsempfänger der Pflegeversicherung für 2003 ausgewiesen; die Differenz von 185.000 zur hier genannten Gesamtzahl von 2.080.000 Pflegefällen lässt den Schluss zu, dass diese 185.000 sowohl von Angehörigen als auch von Pflegediensten betreut wurden, das sind etwa 10 % aller Leistungsempfänger oder knapp 15 % der häuslich Gepflegten.

Ferner sind die Härtefälle nicht gesondert ausgewiesen, die wohl in Pflegestufe III (in der mittleren und rechten Spalte) enthalten sind.

Ausgaben der PV (gezahlte Beträge) lassen sich aus dieser Statistik nicht errechnen: In der linken und mittleren Spalte gibt es die schon angesprochenen Fälle, die anteilig sowohl familiär als auch durch Pflegedienste gepflegt wurden; in der mittleren Spalte gibt es keine Pausch-, sondern Höchstbeträge; in der rechten Spalte (stationäre Heimpflege) gibt es zwar Paschalbeträge, aber es fehlen die Härtefälle.

Einnahmen und Ausgaben der PV

Gesetzliche Pflegeversicherung 2003 2004 2005
  Basisdaten: Statistisches Bundesamt S
 1 Versicherte in 1000 (incl. Familienversicherte) S 70457 70293 70586
 2 Beitragszahler in 1000 (rd.) 50000 50000 50000
 3 Einnahmen in Mio. Euro S 16844 16817 17493
 4 Ø Einnahmen je Versichertem in Euro S 239,07 239,24 247,83
 5 Leistungsempfänger/-innen in 1000 S 1895 1926 1952
 6 Ausgaben in Mio. Euro S 17468 17605 17858
 7 Ø Ausgaben je Leistungsempfänger in Euro 9217,94 9140,71 9148,57
 8      das sind monatlich 768,16 761,73 762,38
 9 Auf wie viele Beitragszahler kam ein Pflegefall? 27,4 27,2 26,1
10 Fehlbeträge in Mio. Euro 624 788 365
11      in % der Einnahmen 3,70 4,69 2,09
12       das wäre von wie viel weiteren Beitragszahlern gedeckt gewesen 1852 2343 1043
13       oder von wie viel mehr Beitrag (Euro / Beitragszahler und Jahr) 12,48 15,76 7,30
14       bzw. wie hoch hätte der Beitrag sein müssen (Euro / Jahr) 349,36 352,10 357,16
15       dto. in % (anstelle 1,7 %) 1,763 1,780 1,735
16       oder durch welche mtl. Einsparung an den Leistungen je Pflegefall 27,44 34,09 15,58

Die vom statistischen Bundesamt übernommenen Zahlen sind mit „S“ gekennzeichnet. Aus der Versicherungsstruktur der Krankenkassenmitglieder stammt die Zahl der Beitragszahler mit (rd.) 50 Mio. – diese Zahl bezieht sich aber wohl nicht auf 2003–2005. Die Berechnungen in den Zeilen 11–16 beziehen sich hierauf, nicht auf die Anzahl der Versicherten. Aufgrund der uneinheitlichen statistischen Grundlagen sind alle Zahlen mit entsprechenden Unsicherheiten behaftet. Die in Zeile 15 verwendete Beitragsbezugsgröße von 1,7 % gibt in Anbetracht unterschiedlicher Beitragssätze auch nur ungefähre Anhaltspunkte für die theoretisch nötige Erhöhung aufgrund des Fehlbetrages.

Insgesamt sind aber die Fehlbeträge nicht so dramatisch und die Zahlen nicht so ungünstig, wie manche Kommentare glauben machen möchten. Die Anzahl der Leistungsempfänger ist von 2003 auf 2004 um 31.000 angestiegen, im Folgejahr um 26.000. Eindeutige finanzielle Trends sind aus diesen drei Jahren nicht ablesbar. Die höheren Beiträge der Kinderlosen ab 2005 haben sich nur geringfügig ausgewirkt. Das konjunkturell voraussichtlich günstigere Jahr 2006 lässt mit höheren Beiträgen und mehr Beschäftigten eher keinen Fehlbetrag erwarten.

Kleiner Vergleich: Das jährliche Finanzvolumen der Pflegeversicherung liegt mit 17 Mrd. € in der ähnlichen Größenordnung wie die Einnahmen aus der Tabaksteuer einschließlich der darauf entfallenden MwSt. mit rd. 16 Mrd. €.

Pflegeversicherung und Einkommensteuer

Für die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen

  • die in einem inländischen Haushalt des Steuerpflichtigen oder
  • im Haushalt der gepflegten oder betreuten Person erbracht werden,

für Personen,

  • bei denen ein Schweregrad der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 des Elften Buches Sozialgesetzbuch besteht oder
  • die Leistungen der Pflegeversicherung beziehen,

ermäßigt sich die Einkommensteuer auf Antrag um 20 %, höchstens aber um 1200 Euro im Jahr. Leistungen der Pflegeversicherung sind jedoch hierbei anzurechnen, mit der Folge, dass nur diejenigen Aufwendungen zu einer Steuerermäßigung führen, die nicht aus Leistungen der Pflegeversicherung finanziert werden.

Beiträge zur PV gehören zu den Sonderausgaben und sind im Rahmen der Sonderausgabenhöchstbeträge steuermindernd wirksam; häufig sind die entsprechenden Höchstbeträge aber bereits durch andere Beiträge (Kranken-, Unfall-, Haftpflicht-, Arbeitslosenversicherung) ausgeschöpft.

Empfangenes Pflegegeld gehört nicht zum Einkommen im steuerlichen Sinne.

Für Pflegebedürftige kommt in der Regel ein Behindertenpauschbetrag in Betracht, der unabhängig von Leistungen der Pflegeversicherung gewährt wird und das steuerliche Einkommen mindert. Die Höhe des Pauschbetrags ist vom Grad der Behinderung abhängig. Anträge auf eine entsprechende Einstufung sind beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen.


Entstehungsgeschichte der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung wurde eingeführt, weil durch die Erosion traditioneller, familienorientierter Lebensformen und der damit wegfallenden Bereitschaft oder Fähigkeit, Familienangehörige innerhalb der Familie zu versorgen, immer mehr Menschen im Alter im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit auf Hilfe von außen angewiesen waren, die sie aus eigenen Mitteln nicht finanzieren konnten.

Vor Einführung der Pflegeversicherung mussten die Pflegekosten zunächst aus Eigenmitteln (Renten- oder Pensionseinnahmen sowie eigene Rücklagen) gedeckt werden. Wenn diese Mittel nicht (mehr) ausreichten, musste Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) in Anspruch genommen werden. Eine wesentliche Motivation für die Einführung der Pflegeversicherung war daher auch die Entlastung der Kommunen von den steigenden Ausgaben für Sozialhilfe. Im Jahr 1991 erhielten 543000 Pflegebedürftige Leistungen der Hilfe zur Pflege, die Gesamtkosten für die Sozialhilfeträger betrugen 1991 etwa 12,7 Mrd. Deutsche Mark, dieser Betrag entsprach mehr als einem Drittel der gesamten Sozialhilfeausgaben. Von diesem Betrag entfielen etwa 80–90 % auf die stationären Leistungen [32]. Die Sozialhilfe musste ein allgemeines Lebensrisiko abdecken, für das die Solidargemeinschaft der Versicherten nicht eintrat. Dies entsprach nicht der Funktion der Sozialhilfe, nur die außergewöhnlichen Lebensrisiken abzudecken. Auch das programmatische Ziel „Die Hilfe soll … soweit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben …“ in § 1 des damaligen BSHG war in der Regel nicht für die in den Heimen versorgten pflegebedürftigen Menschen zu erreichen. Für einen sehr eng gefassten Kreis der Schwerpflegebedürftigen hatte der Gesetzgeber ab 1991 in die Krankenversicherung eine Sachleistung (bis zu 25 Stunden, bis zu 750 DM) und alternativ eine Geldleistung (400 DM) aufgenommen (§ 53 ff. SGB V alte Fassung). Die Regelung führte zu zahlreichen Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Leistungen der Sozialhilfe. Der vermutete Anreiz zum Ausbau der ambulanten Dienste blieb weitgehend aus, weil ca. 90% der Pflegebedürftigen die Geldleistung in Anspruch nahmen (Quelle wie oben).

Die Sozialhilfe-Ausgaben drohten zu einer immer größeren Belastung der Haushalte der Kommunen zu werden. Mit Einführung der Pflegeversicherung wurden also sowohl die Privatmittel der Pflegebedürftigen als auch besonders die kommunalen Haushalte entlastet. Zudem soll die Pflegeversicherung alte oder kranke Menschen davor bewahren, im Pflegefall von der Sozialhilfe abhängig zu werden und sich somit als mittellos wahrzunehmen.

Um der Pflegeversicherung ausreichende Geldmittel zu verschaffen, begann die Beitragspflicht am 1. Januar 1995, während die ersten Leistungen erst ab 1. April 1995 beansprucht werden konnten. Seitdem gewährte die Pflegeversicherung Leistungen für die „häusliche“ Pflege, ab 1. Juli 1996 auch Leistungen für die „stationäre“ Pflege. Der Beitragssatz lag zwischen Einführung und Juni 1996 bei 1,0 % und stieg zum 1. Juli 1996 auf 1,7 % des Bruttoeinkommens (je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu tragen). Zur Entlastung der Arbeitgeber und zur Teilfinanzierung der von ihnen zu leistenden Beiträge wurde deutschlandweit 1995 der Buß- und Bettag als Feiertag abgeschafft. Nur das Land Sachsen bildet eine Ausnahme, denn dort wurde der Feiertag beibehalten, allerdings zahlen die Arbeitnehmer mit 1,35 % einen höheren Eigenanteil.

Die Einführung der Versicherung und ihre Ausgestaltung als konventionell umlagefinanzierte Pflichtversicherung ist maßgeblich auf Norbert Blüm als verantwortlichen Bundesminister und Karl Jung als Staatssekretär, dem „Vater der Pflegeversicherung“, zurückzuführen.

Diskussionen vor Einführung der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung war vor ihrer Einführung heftig umstritten. Da Kritik aus unterschiedlichen Richtungen kam, stießen gegensätzliche Standpunkte aufeinander. Diskutiert wurden im Einzelnen:

Kapitaldeckungsverfahren contra Umlageverfahren

  • Ökonomen, Demografen und Politiker der jüngeren Generation forderten eine kapitalgedeckte Versicherung anstelle der vorgesehenen Umlagefinanzierung, denn
    • die demographischen Risiken und Probleme der bestehenden Sozialversicherungen (insbesondere der Rentenversicherung) würden bei einer Umlagefinanzierung auch zu Problemen der Pflegeversicherungen;
    • das Prinzip der Umlageversicherung führe auch zu der Ungerechtigkeit, dass Menschen, die zum Zeitpunkt der Einführung der Pflegeversicherung pflegebedürftig waren, Leistungen erhielten, ohne vorher jemals mehr als für die drei Vorlaufmonate Beiträge eingezahlt zu haben.
Für die Pflegeversicherung wurde jedoch das Umlageverfahren beschlossen, denn nur mit dieser Methode waren ein schneller Start und somit die (beabsichtigte) sofortige und nachhaltige Entlastung der für die Sozialhilfe zuständigen Gemeinden möglich.

Private Versicherung contra Sozialsystem

  • Liberale Ökonomen und führende Wirtschaftsverbände forderten eine private Pflichtversicherung (wie z. B. bei der Kfz-Haftpflicht), deren Beiträge ausschließlich durch die Versicherten getragen werden,
  • Gewerkschaften und Sozialverbände forderten dagegen eine Ausgestaltung als paritätisch finanzierte Sozialversicherung,
Eine rein privat finanzierte Versicherung hatte politisch keine Chancen, aber auch eine vollkommen paritätische Lösung kam nicht zustande:

Paritätische Finanzierung contra höherer Beteiligung der Versicherten

  • Die Unternehmer(verbände) argumentierten, das Verursacherprinzip würde nicht eingehalten (das Pflegerisiko sei weitgehend unabhängig vom Arbeitsverhältnis) und eine Steigerung der Lohnnebenkosten sei nicht hinnehmbar.
  • Gewerkschaften und Sozialverbände waren gegen einen völligen Ausstieg aus dem Prinzip der paritätischen Finanzierung der Pflegekosten:
Nach heftigem Ringen wurde letztlich ein Kompromiss gefunden: Es erfolgt zwar eine paritätische Finanzierung, aber die Arbeitgeber werden hierfür durch Streichen des Buß- und Bettags als Feiertag kompensiert. Nur in Sachsen bleibt der Feiertag, es gilt aber ein höherer Arbeitnehmerbeitrag.

Diskussionen bei Einführung der Pflegeversicherung

Der gefundene Kompromiss wurde weiterhin kritisiert

  • von den Unternehmerverbänden, weil die Steigerung der Lohnnebenkosten nur teilweise kompensiert und insbesondere künftige Steigerungen des Beitragssatzes anteilig auch die Arbeitgeber treffen würden;
  • von den Kirchen, die den Buß- und Bettag erhalten wollten;
  • von den Verbänden der Altenpflege, die eine Ausweitung der Leistungen forderten;
  • von den Gewerkschaften und Sozialverbänden,
    • weil diese Finanzierungsform der Pflegeversicherung zu einer Umverteilung von Arm zu Reich führe.
Während bisher Vermögende ihre Pflegekosten aus eigenem Vermögen und Arme ihre Pflegekosten aus der Sozialhilfe zahlten, erfolge die Finanzierung nun für alle aus allgemeinen Beitragsleistungen. Während sich für die Armen nichts ändere, würden die Reichen ihr Vermögen schonen; die Pflegeversicherung sei daher eine „Erbschutzversicherung“.
    • weil diese Finanzierungsform der Pflegeversicherung nun doch ein Ausstieg aus dem Prinzip der paritätischen Finanzierung der Sozialkosten bedeute:
Bei der Pflegeversicherung wird erstmals das Prinzip der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungen nicht mehr angewendet:
In allen Bundesländern außer Sachsen gibt es zwar eine nominelle Halbteilung der Beitragszahlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern; durch die gleichzeitige Streichung des gesetzlichen Feiertags „Buß- und Bettag“ wurde aber bewirkt, dass die Arbeitgeber durch die Arbeitnehmer mit dem Wert der Produktion dieses Tages finanziell entlastet werden; die Pflegeversicherung wird also faktisch überwiegend arbeitnehmerseitig finanziert. In Sachsen ist zwar der Feiertag erhalten geblieben, dafür werden die Pflegeversicherungsbeiträge aber von den Arbeitnehmern mit 1,35 % und den Arbeitgebern mit 0,35 % getragen.
Die gesetzliche Pflegeversicherung unterscheidet sich von den anderen Zweigen der Sozialversicherung also im Wesentlichen dadurch, dass es sich um eine fast einseitig arbeitnehmerfinanzierte Pflichtversicherung handelt, während die Kranken-, die Renten- und die Arbeitslosenversicherung paritätisch finanziert werden. Der Abschied von der paritätischen Finanzierung bei der Einführung der Pflegeversicherung wird im Allgemeinen von Sozialversicherungsexperten als Wendepunkt angesehen, der den Abschied von der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Lebensrisiken der Arbeitnehmer markiert.
    • weil diese Finanzierungsform der Pflegeversicherung den privat Krankenversicherten die Möglichkeit gebe, auch das Pflegerisiko privat zu versichern.
Das wurde als ungerecht kritisiert, denn die privaten Pflegekassen seien nicht nur in der Lage, günstigere Beiträge anzubieten, sondern könnten durch die Kapitaldeckung die Leistungen auch sicherer anbieten.

Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

Das Bundesministerium für Gesundheit hat den gesetzlichen Auftrag[33], im Abstand von drei Jahren dem Deutschen Bundestag einen Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland und die Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge des Ausschusses für Fragen der Pflegeversicherung vorzulegen. Am 4. November 2004 wurde der dritte und bisher letzte Bericht vorgelegt [34], zu den vorhergehenden Berichten [35][36]. Der Bericht nennt die demographische Entwicklung als wesentlichen Bestimmungsfaktor für die zukünftige Ausgaben- und Beitragssatzentwicklung. Er geht davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in der sozialen Pflegeversicherung bis zum Jahr 2040 auf 3,4 Millionen ansteigt, stellt in Abschnitt XVII jedoch fest, dass eine längerfristige Finanzprognose nicht möglich sei. Damit vermeidet der Bericht eine Stellungnahme zu der grundsätzlichen Problematik der umlagebasierten Sozialversicherung, wie sie unter Generationenvertrag, Rentenproblematik und Generationengerechtigkeit beschrieben ist, und überlässt Schlussfolgerungen und Konsequenzen der Politik.

Siehe auch

Literatur

  • Klie, Thomas: Pflegeversicherung. Vincentz, Hannover. 2005. 7. Auflage. ISBN 387870125X . 812 Seiten.
  • König, Jutta: 100 Fehler bei der MDK-Prüfung und was Sie dagegen tun können. Schlütersche VB. 2005. ISBN 389993427X : 88 Seiten.
  • Udsching, Peter: Sozialgesetzbuch (SGB XI), Soziale Pflegeversicherung. Kommentar, Beck Juristischer Verlag. 2000. ISBN 3-406-46432-7

Quellen

  1. Begutachtungsrichtlinien (PDF 870 kB)
  2. Begutachtungsrichtlinien D 4.0
  3. § 14 SGB XI
  4. § 7 SGB XI
  5. § 37 SGB XI
  6. Bundestags-Drucksache 14/6949 S.13 zur Änderung des § 37 Abs. 3 SGB XI (Qualitätssicherungsbesuch)
  7. Auszug zu § 37 SGB XI aus dem „Gemeinsamen Rundschreiben“
  8. § 36 SGB XI)
  9. BSG Urteil zur Härtefallregelung vom 30.10.2001
  10. Berechnungsbeispiele zur Kombinationsleistung nach § 38 SGB XI (PDF)
  11. § 41 SGB XI
  12. § 3 SGB XI
  13. § 19 SGB XI Begriff der Pflegepersonen
  14. § 44 SGB XI Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen
  15. § 39 SGB XI
  16. § 42 Abs.1 SGB XI
  17. § 40 SGB XI
  18. Hilfsmittelverzeichnis
  19. Katalog wohnumfeldverbessernder Maßnahmen (PDF)
  20. § 43 SGB XI
  21. Pflegebedürftigkeits-Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen
  22. Hilfsmittelversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen (PDF)
  23. § 43a SGB XI
  24. Bundestags-Drucksache 13/4521 zur Begründung des § 43a SGB V (PDF)
  25. § 37 SGB V
  26. § 34 SGB XI
  27. § 41 SGB XI
  28. § 42 SGB XI
  29. § 43 SGB XI
  30. Grafik des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen zur Entwicklung der Leistungsarten der PV
  31. Zahlen, Daten und Fakten zur Entwicklung der PV
  32. Birk, Ulrich Arthur: Lehr- und Praxiskommentar LPK-BSHG, 4. Aufl., Nomos 1994
  33. § 10 Abs. 4 SGB XI
  34. BT-Drs. 15/4125 Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung (PDF 1,8 MB)
  35. BT-Drs. 13/9528 Erster Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung (PDF 4,7 MB)
  36. BT-Drs. 14/5590 Zweiter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung (PDF 1,4 MB

Weblinks