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Uralische Sprachen

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Uralische Sprachen (dunkelgrün dargestellt) neben den anderen Sprachfamilien der Welt
Geographische Verteilung des Uralischen (Teilgruppen Finno-Permisch (blau), Ugrisch (grün), Samojedisch (gelb)) und des möglicherweise verwandten Jukagirischen (rot).

Die uralische Sprachfamilie umfasst etwa 30 Sprachen, die von rund 25 Mio. Menschen gesprochen werden. Sie erstreckt sich über weite Teile des nördlichen Eurasiens von Skandinavien bis über den Ural auf die Taimyr-Halbinsel. Außerdem gehört das Ungarische als ein nach Westen versprengter Ausläufer zu dieser Familie.

Typologisch haben die uralischen Sprachen eine große Bandbreite. Allerdings sind einige Eigenschaften vorherrschend oder doch weit verbreitet: eine reiche agglutinative Morphologie, insbesondere ein reichhaltiges Kasus-System mit bis zu 20 „Fällen“, die Verneinung erfolgt durch ein flektierbares Hilfsverb, die Kategorie Numerus ist ursprünglich nicht vorhanden, Vokalharmonie ist weit verbreitet. Diese und andere Merkmale werden unten ausführlicher erläutert.

Die Heimat der gemeinsamen Muttersprache aller uralischen Sprachen, also des Proto-Uralischen, lag wahrscheinlich im zentralen oder südlichen Uralgebiet. Diese angenommene Urheimat war bestimmend für die Namensgebung der Sprachfamilie. Der Prozess der Abtrennung einzelner uralischer Gruppen und ihre Einwanderung in die späteren Siedlungsgebiete begann vor mindestens 6000 Jahren.

Die Wissenschaft von den uralischen Sprachen und der damit verbundenen Kultur heißt Uralistik oder – bei der Beschränkung auf einen der beiden Hauptzweige des Uralischen – Finnougristik und Samojedistik.

Hauptsprachen

Die wichtigsten und sprecherreichsten uralischen Sprachen sind:

  • Ungarisch oder Magyar (14,5 Mio Sprecher) Nationalsprache Ungarns
  • Finnisch oder Suomi (6 Mio) Nationalsprache Finnlands
  • Estnisch (1,1 Mio) Nationalsprache Estlands
  • Mordwinisch (1,1 Mio) Russland, Mordwinische Republik (Varietäten Erzya und Moksha)
  • Mari oder Tscheremissisch (600 Tsd) Russland, ASSR Mari
  • Udmurtisch (550 Tsd) Russland, ASSR Udmurtien
  • Komi (400 Tsd) Russland, ASSR Komi (Varietäten Syrjänisch und Permjakisch)

Hauptzweige und Verbreitungsgebiete

Die beiden Hauptzweige

Das Uralische zerfällt in zwei klar definierte Hauptzweige, die sich vor mindestens 6000 Jahren getrennt haben:

  • den größeren westlichen Zweig Finno-Ugrisch mit heute über 99 % der uralischen Sprecher und insgesamt 24 Sprachen
  • den kleineren nördlich und östlich des Urals beheimateten Zweig des Samojedischen mit noch vier lebenden Sprachen, die von nur noch höchstens 30.000 Menschen in riesigen dünn besiedelten Gebieten Nordsibiriens gesprochen werden.

Der sprachliche Abstand zwischen Finnisch und Ungarisch – beide sind Mitglieder des finno-ugrischen Zweigs - kann mit dem zwischen Deutsch und Russisch verglichen werden; die Unterschiede zwischen einzelnen finno-ugrischen und samojedischen Sprachen sind noch erheblich größer.

Die finno-ugrischen Sprachen

Finno-ugrische Sprachen

Die bekanntesten finno-ugrischen Sprachen sind das Ungarische (14,5 Mio Sprecher), das Finnische (6 Mio) und das Estnische (1,2 Mio). Diese drei sind auch die einzigen uralischen Sprachen mit dem Status einer Nationalsprache.

Das Samische (die frühere Bezeichnung „Lappisch“ wird von den Samen abgelehnt; Lappe stammt aus dem Schwedischen und meint Lumpen oder Flicken) bildet eine Gruppe von 10 Sprachen mit rund 35.000 Sprechern, die hauptsächlich in Norwegen und Schweden, aber auch in Finnland und Russland auf der Kola-Halbinsel gesprochen werden. Das Livische ist eine fast ausgestorbene, dem Finnischen eng verwandte Sprache in Lettland. Alle anderen uralischen Sprachen haben ihre Verbreitungsgebiete im heutigen Russland.

Zunächst schließen sich dem Estnischen in Russland in einer breiten Zone bis zur Kola-Halbinsel die Sprachen Wotisch, Ingrisch (beide fast ausgestorben), Wepsisch (8.000 Sprecher) und Karelisch (70.000, Autonome Republik Karelien) an. Im zentralen Wolgagebiet finden wir in eigenen Autonomen Republiken das Mordwinische (mit 1,1 Mio Sprechern die größte uralische Sprache Russlands), das Mari oder Tscheremissische (600.000 Sprecher) und das Udmurtische (600.000). Weiter nördlich schließt sich das Komi mit den Varietäten Syrjänisch und Permjakisch an, die zusammen etwa 500.000 Sprecher haben. Manche Autoren betrachten Syrjänisch und Permjakisch als separate Sprachen.

Östlich des Urals werden im Ob-Gebiet die beiden ob-ugrischen Sprachen Chanty (oder Ostjakisch, 15 Tsd Sprecher) und Mansi (oder Wogulisch, 5 Tsd) in einem eigenen Autonomen Bezirk (Okrug) der Chanten und Mansen gesprochen. Sie sind die nächsten Verwandten des weit nach Westen vorgedrungenen Ungarischen und bilden mit diesem die ugrische Untergruppe.

Die samojedischen Sprachen

Die trotz sowjetischer Ansiedlungspolitik teilweise nomadisch gebliebenen Samojeden bewohnen im Norden Russlands ein riesiges Gebiet vom Weißen Meer bis zur Taimyr-Halbinsel. Die etwa 41.000 Nenzen oder Juraken machen den weitaus größten Teil der Samojeden aus. Sie stellen in drei Autonomen Bezirken die Titularnation (Autonomer Kreis der Nenzen, Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen und der ehemalige Autonome Kreis Taimyr), zudem leben etwa 1.200 Wald-Nenzen im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen und etwa 8.000 in der Oblast Archangelsk. Noch 27.000 Personen, also etwa 70% der Nenzen, sprechen ihre angestammte nenzische Sprache. Die nahverwandten Enzen an der Jenissej-Mündung zählen nur noch etwa 230, von welchen noch rund 100 ältere Stammesmitglieder das Enzische sprechen.

Nördlich und östlich schließen sich die Nganasanen an, von denen etwa 1.000 Ngasanisch sprechen, und die südöstlich im Gebiet des mittlerem Ob lebenden Selkupen mit 2.000 Sprechern des Selkupischen. Die süd-samojedischen Sprachen Mator und Kamas sind ausgestorben. Mator wurde im frühen 19. Jahrhundert von einer Turksprache verdrängt; es wurde jedoch vorher durch intensive linguistische Feldarbeit erschlossen. Der letzte Kamas-Sprecher starb 1989.

Die uralischen Sprachen und ihre Klassifikation

Die Geschichte und aktuelle Diskussion der genetischen Klassifikation der uralischen Sprachen wird unten ausführlich dargestellt. Da die aktuelle wissenschaftliche Diskussion divergierende Ansätze für die innere Gliederung der uralischen Sprachen bietet – insbesondere für den finno-ugrischen Zweig –, wird hier weitgehend die „traditionelle“ Klassifikation zugrunde gelegt, die von den meisten Forschern favorisiert wird.

Allerdings muss nach Übereinstimmung der meisten Finnugristen die Einheit Wolgafinnisch (Zusammenfassung von Mordwinisch und Mari) aufgegeben werden. Auch eine früher angenommene finnisch-samische Einheit wird von manchen Forschern nicht mehr vertreten, so das beides separate Gruppen innerhalb des Finno-Permischen darstellen. Man erhält dann folgende Klassifikation:

Strukturübersicht

  • Uralisch
    • Finno-Ugrisch
      • Finno-Permisch
        • Finnisch
        • Samisch
        • Mordwinisch
        • Mari
        • Permisch
      • Ugrisch
        • Ungarisch
        • Ob-Ugrisch
    • Samojedisch
      • Nordsamojedisch
      • Südsamojedisch

Klassifikation der uralischen Sprachen

Fettdruck wird für genetische Einheiten, Normaldruck für Einzelsprachen verwendet; Dialekte und Varietäten werden kursiv dargestellt. Die Sprecherzahlen entstammen ETHNOLOGUE 2005, aktuellen Länderstatistiken und dem unten als Weblink angegebenen Artikel. Ein † kennzeichnet ausgestorbene Sprachen.

  • Uralisch 31 Sprachen, davon 3 †, insgesamt 24 Mio. Sprecher
    • Finno-Ugrisch 25 Sprachen, 1 †, 24 Mio Sprecher
      • Finno-Permisch
        • Finnisch (7 Sprachen, 1 †, 7,2 Mio Sprecher)
          • Finnisch (Suomi) (6 Mio)   Dialekte: Südwest, Häme, Süd-, Mittel-Nord- und Ober-Pohjanmaa, Savo, Südost
          • Karelisch (130.000)   Dialekte: Nord = Viena, Süd, Aunus = Livvi = Olonetsisch, Lüdisch
          • Wepsisch (6.000)
          • Ingrisch (Ishorisch) (300, ethnisch 15.000)
          • Estnisch (1,1 Mio)   Dialekte: Tallinn, Tartu, Mulgi, Vöru, Seto
          • Wotisch (fast †)
          • Livisch (fast †)
        • Samisch (11 Sprachen, 1 † ; 23.000 Sprecher)
          • Westsamisch
            • Nord-Samisch (Norwegisch-Samisch) (20.000, ethnisch 40.000)
            • Lule (2.000)
            • Pite (fast †)
            • Süd-Samisch (600)
            • Ume (fast †)
          • Ostsamisch
            • Inari (300)
            • Skolt (300)
            • Akkala (fast †)
            • Kildin (1.000)
            • Ter (fast †)
            • Kemi †
        • Mordwinisch
          • Mordwinisch (1,1 Mio)   Varietäten: Erzya (700.000), Mokscha (400.000)
        • Mari
          • Mari (Tscheremissisch) (600.000)   Varietäten: Ost-Mari oder Lugovo-Mari, Gorno-Mari
        • Permisch
          • Udmurtisch (Wotjakisch) (550.000, ethnisch 750.000)   Dialekte: Besermyan (Nord), Süd
          • Komi (400.000)   Varietäten: Syrjänisch, Permjakisch, Yaz'va
      • Ugrisch
        • Ob-Ugrisch
          • Chanty (Ostjakisch) (12.000, ethnisch 20.000)   Dialekte: Nord, Ost, Süd, Vach
          • Mansi (Wogulisch) (3.200, ethnisch 8.500)   Dialekte: Nord (Sosva), Süd (Tavdin), West (Pelym, Vagily), Ost (Kondin)
        • Westugrisch
          • Ungarisch (Magyar) (14,5 Mio)
            • Dialekte: West-Ungarisch, Transdanubisch, Süd-Ungarisch, Theiß, Paloczen, Nordost-Ungarisch, Mezöseg, Szekely
    • Samojedisch (6 Sprachen, davon 2 †, 30.000 Sprecher)
      • Nordsamojedisch
        • Nganasan (Tawgy-Samojedisch) (500, ethn. 1.300)   Dialekte: Avam, Khatang
        • Enets (Enzisch, Jenissei-Samojedisch) (100, ethn. 200)   Dialekte: Wald-Enzisch, Tundra-Enzisch
        • Nenets (Nenzisch, Jurak-Samojedisch) (27.000, ethn. 35.000)   Dialekte: Tundra-Nenzisch (25.000), Wald-Nenzisch (2.000)
      • Südsamojedisch
        • Selkup (Ostjak-Samojedisch) (1.600, ethn. 4.000)   Dialekte: Taz, Tym, Narym, Srednyaya Ob-Ket
        • Kamas (Koibalisch) †
        • Mator (Motor; Taigi, Karagas) †

Uralische und finno-ugrische Wortgleichungen

Einen Eindruck vom Verwandtschaftsgrad einzelner uralischer Sprachen liefern die folgenden Tabellen mit ausgewählten uralischen Wortgleichungen. Sie zeigen auf den ersten Blick, dass Finnisch und Estnisch sehr eng verwandt sind und dass das samojedische Nenzisch – trotz erkennbarer Verwandtschaft – davon stark abweicht. Die besondere Nähe des Chanty zum Ungarischen – beides sind ugrische Sprachen – erschließt sich nicht ohne Weiteres aus der Tabelle, sondern tritt erst bei Einsatz subtilerer linguistischer Techniken zutage.

Die Hauptquellen dieser Tabellen sind das Uralische Etymologische Wörterbuch von Károly Rédei (1988) sowie der unten angegebene Weblink. In der zweiten Zeile sind die häufig verwendeten alternativen Sprachnamen bzw. deren Abkürzungen angegeben. Die Angabe „(FU)“ hinter der rekonstruierten Form bedeutet, dass diese Wortgleichung nur im Finno-Ugrischen, aber nicht im Samojedischen belegt ist, es sich also um eine rekonstruierte proto-finno-ugrische Form handelt. Gesamt-uralische Wortgleichungen sind relativ selten; dennoch ist die Zugehörigheit der samojedischen Sprachen zum Uralischen unbestritten.

Uralische Wortgleichungen I: Substantive

Bedeutung Finn. Estn. Sami Mordw. Mari Udmurt Komi Chanty Mansi Ungar. Nenets Selkup Proto-
altern. Suomi   Lapp.   Tscher. Wotjak Syrjän. Ostjak Wogul Magyar Jurak   Ural.
Ader,Sehne suoni soon suodma san šün sen sen jan tεn ín ten čen *sene
Auge silmä silm čalbme sel'me činca . sin sem šäm szem sew sai *silmä
Herz sydän süda tšade sedej šüm sulem selem šem šäm szív sej sid' *sidä-mз
Kopf pää pea . . puŋ pom . päŋ fej,fö . . *päŋe (FU)
Hand käsi käsi gietta ked kit ki ki köt,ket kät kéz . . *käte (FU)
Blut veri veri varra ver wər ver vir wer wür vér . . *wire (FU)
Fuß,Bein jalka jalg juolge jalgo jal . . . . g-yalog . . *jalka (FU)
Schoß;Faden syli süli salla säl šəl sul syl jöl täl öl . . *sila (FU)
Fisch kala kala guolle kal kol . . kul kol hal χale kel *kala
Laus täi täi dik'ke . ti tej toj tögtəm täkəm tetü . . *täje (FU)
Maus hiiri hiir . čejer . šir šyr jönkər täŋker egér . . *šiŋer (FU)
Baum,Holz puu puu . . pu pu pu . -pe fa pa po *puwe
Eis jää jää jieegŋa ej ij je ji jöŋk jöŋk jég . . *jäŋe (FU)
Wasser vesi vesi . ved wət vu va . wit víz wit yt *wete
Haus,Hütte kota koda goatte kudo kuδə ka,ko ka,ko kat . ház . . *kota (FU)

Uralische Wortgleichungen II: Verben, Zahlwörter, Pronomina

Bedeutung Finn. Estn. Sami Mordw. Mari Udmurt Komi Chanty Mansi Ungar. Nenets Selkup Proto-
altern. Suomi   Lapp.   Tscher. Wotjak Syrjän. Ostjak Wogul Magyar Jurak   Ural.
gehen mene mine manna . mije min mun men min mën min men-da *mene
fühlen,wissen tunte tunde dow'da . . todi ted . . tud tumta (tymne) *tumte
geben anta anda . ando . ud ud . . ad . . *amta (FU)
eins yksi üks ok'ta vejke ik(te) ok et it ük ëgy (?) . . *ikte (FU)
zwei kaksi kaks guokte kavto kok kik kik kät kit két . . *kakta (FU)
drei kolme kolm golbma kolmo kəm kwin kujim koləm korəm három . . *kolme (FU)
vier neljä neli njaelje nile nəl nil nol nelə nili négy . . *neljä (FU)
fünf viise viis vitta vete wəc vit vit wet ät öt . . *witte (FU)
sechs kuusi kuus gut'ta koto kut kwat' kvat kut kat hat . . *kutte (FU)
hundert sata sada čuotte sado šüδə su so sat šat száz . . *sata (FU)
wer ken ke(s) gi,kä ki ke,kü kin kin . . ki . . *ke,ki (FU)

Auf eine außeruralische Verwandtschaft weisen folgende proto-uralische Formen hin:

  • *kwala Fisch, germanisch *hwala
  • *kota Hütte, indogermanisch *kata
  • *sene Sehne, Ader, germanisch *sinwo
  • *wete Wasser, germanisch *watar, indogermanisch *wedor
  • *ki wer, lateinisch qui
  • *sata hundert, indogermanisch *satem

Uralische Lautgesetze

Die angegebenen Etymologien lassen einige uralische Lautgesetze erkennen, z. B. bei einem Vergleich der finnischen und ungarischen Wörter einer Wortgleichung:

  • anlautendes finnisches /p-/ entspricht ungarischem /f-/ (z. B. puu:fa)
  • anlautendes finnisches /k-/ entspricht vor /a/ und /o/ ungarischem /h-/ (z. B. kala:hal), sonst ungarischem /k-/ (z. B. käsi:kéz)
  • inlautendes finnisches /-t-/ entspricht ungarischem /-z/ (z. B. sata:száz)
  • inlautendes finnisches /-nt-/ entspricht ungarischem /-d-/ (z. B. tunte:tud)
  • anlautendes finnisches /s-/ entspricht ungarischem /sz-/ oder /Ø-/ (z. B. silmä:szem, syli:öl), was darauf hindeutet, dass das finnische /s/ von zwei verschiedenen s-Lauten stammt, deren Unterschied im Ungarischen noch deutlich wird.

Aus diesen und weiteren Beobachtungen lassen sich die Phoneme des Proto-Uralischen weitgehend rekonstruieren. Die Uralistik geht davon aus, dass das Finnische im Wesentlichen die proto-uralischen Konsonanten erhalten hat – die des Ungarischen also Neuerungen darstellen, während die originalen Vokale am ehesten in den samischen Sprachen zu finden sind.

Älteste Belege und Schriftsprachen

Das Ungarische ist die uralische Sprache mit den ältesten schriftlichen Belegen. Nach ersten verstreuten Einzelwörtern in anderssprachigen Texten ist eine Leichenrede aus dem Ende des 12. Jahrhunderts der früheste Textbeleg. Er besteht aus 38 Zeilen und hat einen Umfang von 190 Wörtern. Es folgt um 1300 eine altungarische Marienklage, eine künstlerisch wertvolle Nachdichtung eines lateinischen Textes, gewissermaßen das erste ungarische Gedicht.

Das älteste karelische Sprachdenkmal stammt aus dem 13. Jahrhundert und ist ein sehr kurzer auf Birkenrinde geschriebener Text. Altpermisch, eine frühe Form des Komi, erhielt im 14. Jahrhundert durch den Missionar Stephan ein eigenes Alphabet, das auf dem griechischen und kyrillischen Alphabet basiert. Das älteste estnische Buch wurde 1525 gedruckt, blieb aber nicht erhalten; der erste erhaltene estnische Text sind 11 Seiten eines 1535 gedruckten religiösen Kalenders. Die finnische Literatur beginnt 1544 mit den Rukouskirja Bibliasta des Mikael Agricola, 1548 folgt seine Übersetzung des Neuen Testaments. Die ältesten samischen Texte stammen aus dem 17. Jahrhundert.

Außer den erwähnten Sprachen mit relativ frühen Sprachdenkmälern haben inzwischen fast alle uralischen Sprachen eine schriftliche Form gefunden, wenn auch eine eigentliche literarische Produktion nur bei den größeren Sprachen stattgefunden hat. Die uralischen Sprachen in Russland benutzen geeignete Modifikationen des kyrillischen Alphabets, die westlichen Sprachen das lateinische Alphabet.

Beziehungen zu anderen Sprachgruppen

Ural-Altaisch – eine aufgegebene Hypothese

Es gibt zahlreiche Versuche, die Verwandtschaft der uralischen Sprachen mit anderen Sprachgruppen wie dem Indogermanischen und Altaischen, aber auch einzelnen kleineren sibirischen Sprachfamilien nachzuweisen. Längere Zeit wurde die Hypothese einer ural-altaischen Sprachfamilie diskutiert. Sie findet heute in dieser Form (als binäre Verwandtschaft) keine Anhänger in der Fachwissenschaft, ist aber in populären Darstellungen und Schulbüchern noch weit verbreitet, zumal Sprachen der beiden Gruppen teilweise auffallende morphologische Ähnlichkeiten (Vokalharmonie, agglutinierender Sprachbau) aufweisen.

Uralisch im Kontext von Nostratisch und Eurasiatisch

Allerdings wird intensiv an Hypothesen gearbeitet, die das Uralische und Altaische zusammen mit dem Indogermanischen und weiteren Gruppen zu sogenannten Makrofamilien zusammenfassen. Diese Aufgabe ist nicht einfach, da sich schon die Rekonstruktion des Proto-Uralischen wegen seines hohen Alters als äußerst schwierig gestaltet. Zu nennen sind hier die Arbeiten von Aharon Dolgopolsky zur nostratischen Makrofamilie, die neben Indogermanisch, Altaisch und Uralisch auch noch das Drawidische und Afroasiatische umfasst, und Joseph Greenberg zur Eurasiatischen Makrofamilie, die sich auf Indogermanisch, Uralisch, Altaisch, Japanisch, Koreanisch, einige paläosibirische Sprachen und Eskimo-Aleutisch „beschränkt“. Die meisten Uralisten erkennen diese Makrofamilien nicht als genetische Einheiten an, sondern sehen die zweifellos vorhandenen Gemeinsamkeiten als Folge des über Jahrtausende reichenden arealen Kontakts zwischen diesen Gruppen an (loser Sprachbund).

Die folgende Tabelle zeigt einige konsonantische Formantien (in der Regel Suffixe), die sowohl in den uralischen Sprachen, im Jukagirischen als auch in den altaischen Sprachen (Turkisch, Mongolisch, Tungusisch) verbreitet sind (nach Marcantonio 2002 und Greenberg 2000). Hier stellt sich die Frage, ob es sich um „ererbte“ Gemeinsamkeiten handelt – was ein Beleg für nostratische und eurasiatische Hypothesen wäre –, oder ob lediglich langfristige Kontakte zu diesen Gemeinsamkeiten geführt haben.

Verbreitung konsonantischer Formantien im Uralischen, Jukagirischen und Altaischen

Konsonant Bedeutung Finn. Sami Perm. Ungar. Ob-Ug. Samoj. Jukag. Turk. Mong. Tung. Anzahl
m mein x x x x x x x x x x 10
n Lokativ x x x x x x x x x - 9
m Gerundiv x x x - x x x x x x 9
n Genitiv x x x - - x x x x x 8
t Plural x x x - x x - x x x 8
t Ablativ x x x - - x x x x x 8
t Lokativ - - - x x x x x x x 7
m Akkusativ x x x - x x - - - x 6
l Plural - - x - x x - x x x 6
k Lativ x x x - - - x x - x 5
n Lativ x - x - x x x - - - 5
t dein x x x x - - - - - x 5
s sein x x x x - - - x - - 5
s Lativ x x x - - - - - x x 5
k Plural - x x x - x - x - - 5
k Imperativ x x - - - x - x x - 5

Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die rekonstruierten protosprachlichen Personal- und Possessivendungen in einigen eurasischen Sprachfamilien.

Rekonstruierte Personal- und Possivendungen in eurasischen Sprachfamilien

Num. Pers. Proto-
Uralisch
Proto-
Turkisch
Proto-
Tungusisch
Proto-
Indogerm.
Sing. 1 m m m m
. 2 t ng t s
. 3 s(V) s(V) n t
Plural 1 m+PL m+PL m+PL me(n)
. 2 t+PL ng+PL t te
. 3 s+PL Ø t ent

Die indogermanischen Formen betreffen die Verbalendungen der athematischen Konjugation. PL steht für Pluralmarker, (V) für einen optionalen Vokal. Alle Endungen sind historisch-komparativ gewonnene Rekonstruktionen in den einzelnen Sprachfamilien. Nach Greenberg (2000) kann diese Tabelle noch um die Personalendungen etlicher anderer eurasischer Sprachgruppen erweitert werden.

Uralisch und Jukagirisch

Eine ernst zu nehmende Hypothese ist die der Verwandtschaft des Uralischen mit der sonst als isoliert eingestuften paläosibirischen Sprache Jukagirisch. Jukagirisch wird von einigen hundert Menschen in Nordost-Sibirien gesprochen. Nach Ruhlen (1987) beweisen Arbeiten von Collinder (1965) und Harms (1977) jenseits jeden Zweifels die Verwandtschaft des Jukagirischen mit den uralischen Sprachen. Collinder stellt fest: „Die Gemeinsamkeiten des Jukagirischen und Uralischen sind so zahlreich und charakteristisch, dass sie Überreste einer ursprünglichen Einheit sind. Das Kasus-System des Jukagirischen ist fast identisch mit dem des Nord-Samojedischen. Der Imperativ wird mit den selben Suffixen gebildet wie im Süd-Samojedischen und den konservativsten finno-ugrischen Sprachen. Jukagirisch hat ein halbes Hundert gemeinsamer Wörter mit dem Uralischen, und zwar ohne die Lehnwörter. Man sollte bemerken, dass alle finno-ugrischen Sprachen in der Kasus-Flexion mehr vom Samojedischen abweichen als das Jukagirische.

Es wäre danach durchaus möglich, von einer uralisch-jukagirischen Sprachfamilie zu sprechen. Man erhält für diesen Fall die folgende Klassifikation:

  • Uralisch-Jukagirisch
    • Jukagirisch
    • Uralisch
      • Samojedisch
      • Finno-Ugrisch
        • Ugrisch
        • Finno-Permisch

Geschichte und aktuelle Diskussion der Klassifikation

Frühe Ansätze

Die frühesten Wahrnehmungen verwandtschaftlicher Beziehungen von Sprachen, die wir heute als uralisch bezeichnen, gehen bereits auf das Ende des 9. Jhdts. zurück. Der Wikinger Othere berichtet von der Ähnlichkeit des Karelischen und Samischen. Im 15. Jhdt. werden Beziehungen zwischen dem Ungarischen und dem Chanty-Mansi erkannt, allerdings wohl weniger auf linguistischer Basis als vielmehr durch die Namensähnlichkeit 'Ugria' und 'Hungaria'. Weitere wichtige Stationen: 1671 bemerkt der Schwede G. Stiernhielm die enge Verwandtschaft des Estnischen, Samischen und Finnischen, außerdem erkennt er eine entferntere Beziehung dieser Gruppe zum Ungarischen. 1717 konstatiert J.G. von Eckhart in Leibniz' Sammelwerk Collectanea Etymologica darüber hinaus die Relation des Samojedischen zu den finnischen und ugrischen Sprachen.

Strahlenberg und Schlözer

1730 klassifiziert der Schwede Philip Johan von Strahlenberg die finnisch-ugrischen Sprachen bis auf das Samische, 1770 ergänzt der deutsche Historiker August Ludwig von Schlözer Strahlenbergs Klassifikation um die samische Komponente. Somit ist die im wesentlichen heute noch akzeptierte Gliederung der finno-ugrischen Sprachfamilie bereits sechs Jahre vor William Jones' berühmter Rede vorhanden, die die Grundlage für eine indogermanische Sprachwissenschaft legt.

Sajnovics und Gyarmathi

Weitere konsolidierende Schritte sind die Arbeiten der Ungarn J. Sajnovics 1770 und S. Gyarmathi 1799. Sie zeigen, dass das Ungarische der nächste Verwandte des Chanty und Mansi ist und diese drei einen eigenen Zweig, das Ugrische, ausmachen; sie belegen durch gültige Wortgleichungen die Beziehungen des Ugrischen zu den finnischen Sprachen und fassen die damals bekannten samojedischen Sprachen zu einer eigenen Gruppe zusammen.

Castrén und Halasz

1840 erschließt der Finne Matthias Alexander Castrén durch Feldstudien das Samojedische systematisch, klärt die interne Nord-Süd-Gliederung des Samojedischen und etabliert die Zweiteilung der Gesamtfamilie in einen samojedischen und finno-ugrischen Zweig. Die Arbeiten Castréns werden durch den Ungarn I. Halasz 1893 durch 245 gesamt-uralische Wortgleichungen endgültig auf sicheren Boden gestellt. (Heute geht man von etwa 150 akzeptierten gesamt-uralischen Wortgleichungen aus.)

Neuere Gliederungsthesen

Trotz dieser frühen Klassifikationsleistungen sind auch heute keineswegs alle Probleme der internen Gliederung des Uralischen gelöst. Gerade in den letzten Jahren wurden scheinbar sichere Erkenntnisse – wie die Zweiteilung des Finnisch-Ugrischen in eine finnisch-permische und ugrische Komponente – in Frage gestellt. Ein weiteres Problem ist die Einordnung des Samischen. Als allgemein akzeptiert können folgende Aussagen gelten:

  • Das Uralische bildet eine Sprachfamilie, die primär in einen finno-ugrischen und einen samojedischen Zweig zerfällt.

Weitere gültige genetische Untereinheiten des Finno-Ugrischen sind

  • Ostseefinnisch (mit Finnisch, Estnisch, Karelisch, Wepsisch, Ingrisch, Wotisch, Livisch)
  • Samisch (mit 10 Sprachen oder Dialekten)
  • Permisch (mit Udmurtisch und Komi) und
  • Ugrisch (mit Ungarisch und Ob-Ugrisch mit Chanty und Mansi)

Der linguistische Nachweis der ugrischen Einheit hat sich dabei als äußerst schwierig herausgestellt und wird neuerdings von Marcantonio 2002 wieder bestritten.

Häufig – aber nicht von allen Forschern – wurden Mari und Mordwinisch zu einer Einheit Wolgaisch und das Ostseefinnische mit dem Samischen zu Samisch-Finnisch zusammengefasst. Die finno-ugrischen Sprachen, die nicht zu den ugrischen gehören, wurden und werden von den meisten Forschern als eine genetische Einheit Finno-Permisch betrachtet. Solche Klassifikationen gehen also von folgender Grundstruktur des Uralischen aus:

  • Uralisch
    • Finno-Ugrisch
      • Finno-Permisch
      • Ugrisch
    • Samojedisch

Sie unterscheiden sich nur durch die Feingliederung der finno-permischen Gruppe. So ziemlich alle möglichen Varianten sind vorgeschlagen worden, wichtige Arbeiten zur Gliederung des Finno-Permischen kamen zu folgenden Ergebnissen:

Collinder, Austerlitz, Voegelin und Harms

  • Finno-Permisch   (nach Collinder 1965)
    • Ostseefinnisch
    • Samisch
    • Mordwinisch
    • Mari
    • Permisch
  • Finno-Permisch   (nach Austerlitz 1968)
    • Samisch-Finnisch
    • Wolgaisch
      • Mordwinisch
      • Mari
    • Permisch
  • Finno-Permisch   (nach Voegelin 1977)
    • Finno-Wolgaisch
      • Samisch-Finnisch
      • Wolgaisch
        • Mordwinisch
        • Mari
    • Permisch
  • Finno-Permisch   (nach Harms 1998)
    • West-Finno-Permisch
      • Samisch-Finnisch
      • Mordwinisch
    • Mari
    • Permisch

Janhunen und Abondolo

Janhunen 2003 berücksichtigt die Reihenfolge der Abspaltungen vom Finno-Ugrischen, was auf einen binären Stammbaum führt, der nur zweigliedrige Verzweigungen besitzt. Er geht von der Abspaltungsfolge 1. Ugrisch, 2. Permisch, 3. Mari, 4. Mordwinisch und 5. Samisch aus. Als Rest bleibt 6. das Ostseefinnische.

  • Finno-Ugrisch (Janhunen 2003)
    • Ugrisch
    • Finno-Permisch
      • Permisch (Udmurtisch und Komi)
      • Mari-Mordwinisch-Finnisch-Samisch
        • Mari
        • Mordwinisch-Finnisch-Samisch
          • Mordwinisch
          • Samisch-Finnisch
            • Samisch
            • Ostseefinnisch

Dagegen nimmt Abondolo 1998 gerade das umgekehrte Abspaltungsszenario an und verneint damit die Existenz einer genetischen Einheit Finno-Permisch gegenüber dem Ugrischen. Er sieht folgende Abspaltungsfolge vom Finno-Ugrischen: 1. Samisch-Finnisch, 2. Mordwinisch, 3. Mari, 4. Permisch. Übrig bleibt als Kern das Ugrische.

Mehrheitskonsens und neue Thesen

Als „Mehrheitsmeinung“ der teilweise divergierenden aktuellen Auffassungen ergibt sich die folgende Klassifikation: Das Finno-Ugrische zerfällt in das Ugrische und Finno-Permische, welches aus den gleichrangigen Gruppen (Ostsee-)Finnisch, Samisch, Mordwinisch, Mari und Permisch gebildet wird. Die traditionelle Einheit Wolgaisch oder Wolgafinnisch entfällt. Man erhält damit die Struktur der oben in diesem Artikel dargestellten Klassifikation.

Die künftige Forschung wird zeigen, ob die hier gegen Abondolo 1998 traditionell aufgenommene Untereinheit Finno-Permisch linguistisch relevant ist. Wolgaisch als Einheit von Mordwinisch und Mari findet in der neueren Diskussion kaum noch Anhänger.

Die Klassifikation des Uralischen ist neuerdings wieder sehr in der Diskussion (vgl. A. Marcantonio 2002), im Extremfall bis hin zur Aufgabe der genetischen Einheiten Ugrisch, Finno-Ugrisch und Uralisch insgesamt. Auch wird die Frage diskutiert, ob das Uralische überhaupt durch ein Stammbaummodell beschreibbar ist. Gegen diese sehr weitreichenden Thesen hat sich aber die Mehrheit der uralistischen Forscher ausgesprochen.

Urheimat und Ausbreitung der uralischen Sprachen

Wie gerade gezeigt, korrespondiert eine bestimmte Klassifikationsvariante eng mit einer Hypothese über die Ausbreitung der jeweiligen Sprachgruppe von einer angenommenen Urheimat in ihren heutigen geographischen Raum. Die Festlegung der Urheimat des Proto-Uralischen ist wegen des hohen Alters der Protosprache eine schwierige Aufgabe. Man nimmt allgemein an, dass sie im zentralen oder südlichen Uralgebiet mit einem Zentrum westlich des Gebirgszuges zu lokalisieren ist. Als erste trennten sich die Vorfahren der heutigen Samojeden und zogen ostwärts. Diese Trennung erfogte vor mindestens 6000, wenn nicht 7000 Jahren, was aus der relativ geringen Zahl (ca. 150) gesamt-uralischer Wortgleichungen zu schließen ist. Die Aufspaltung des Samojedischen in die heutigen Sprachen begann wohl erst vor etwa 2000 Jahren.

Die finno-ugrische Gruppe war von Anfang an die bei weitem größere. Erste Aufspaltungen dieser Gruppe gehen mindestens auf das 3. Jt. v. Chr. zurück. Wie schon oben erwähnt, ist die Reihenfolge der Abspaltungen und damit der Verlauf der Ausdehnung der finno-ugrischen Sprachen inzwischen (seit etwa 1970) strittig. Seit Donner 1879 wurde allgemein angenommen, dass sich das Ugrische als erste Gruppe vom Finno-Ugrischen trennte und als Rest die finno-permische Einheit zurückließ. Die neueren Resultate (Sammallahti 1984 und 1998, Viitso 1996) sehen dagegen die samisch-finnische Gruppe als eine periphere Einheit an, die zuerst und zwar schon im 3. Jt. v. Chr. vom finno-ugrischen Kern abrückte. Es folgten das Mordwinische und das Mari (etwa um 2000 v. Chr.) und schließlich das Permische in der Mitte des 2. Jts. v. Chr. Als Kern blieben die Sprachen zurück, aus denen sich das Ugrische entwickelte. Wohl bereits 1000 v. Chr. kann man die Trennung des Ungarischen von den ob-ugrischen Sprachen ansetzen. Die Ungarn (Selbstbezeichnung Magyaren) zogen seit 500 n. Chr. zusammen mit türkischen Stämmen westwärts und erreichten und eroberten das schwach besiedelte Karpatenbecken 895 n. Chr. (Der Name Ungar stammt aus dem Tschuwaschischen oder Bolgar-Turkischen von on-ogur = zehn Ogur-Stämme).

Sprachliche Charakteristik der uralischen Sprachen

Typologische Merkmale

Typologisch haben die uralischen Sprachen eine große Bandbreite. Allerdings sind einige Eigenschaften vorherrschend oder doch weit verbreitet: eine reiche agglutinative Morphologie mit monosemantischen Suffixen, insbesondere ein reichhaltiges Kasus-System mit bis zu 20 „Fällen“, Wortstellung SOV (in den westlichen uralischen Sprachen durch Fremdeinfluss oft SVO), Negation durch ein flektierbares Hilfsverb, ursprünglich eine geringe Neigung zur Numerus-Markierung, Vokalreichtum, Vokalharmonie und Konsonantenstufung. Diese Merkmale werden im Folgenden ausführlicher erläutert.

Rekonstruktion des Proto-Uralischen

Das Proto-Uralische konnte mit den Methoden der vergleichenden Sprachwissenschaft bis zu einem gewissen Grade rekonstruiert werden. Besondere Schwierigkeiten macht dabei der große Abstand des Finno-Ugrischen vom Samojedischen, also letztlich das hohe Alter des Proto-Uralischen, das auf mindestens 7.000 Jahre geschätzt wird, das weitgehende Fehlen gemeinsamer morphologischer Marker (Kasussuffixe, Pluralmarker, Verbalendungen) in den heutigen uralischen Sprachen und das Fehlen älterer überlieferter Texte (siehe oben). Selbst die verbleibenden Gemeinsamkeiten der uralischen Sprachen können nicht alle als Erbgut aus dem Proto-Uralischen angesehen werden: einige spiegeln Sprachuniversalien wieder, andere den Einfluss benachbarter nicht-uralischer Sprachgruppen. Hier kommen vor allem das Indogermanische (insbesondere Iranisch, Germanisch, Baltisch und Slawisch) aber auch die altaischen Sprachen (Turkisch, Mongolisch und Tungusisch) in Frage.

Die Rekonstruktion der ursprünglichen proto-uralische Morpheme für die Kasusbildung, Pluralmarkierung, Numerus, Possessivesuffixe u.a. ist wegen ihrer relativ geringen Verbreitung in den heutigen uralischen Sprachen nicht unproblematisch. Darüber hinaus zeigt sich, dass diese Formantien auch außerhalb der uralischen Sprachen im eurasischen Raum weithin verwendet wurden und werden (vgl. den obigen Abschnitt „Externe Beziehungen der uralischen Sprachen“).

Im folgenden werden ausgewählte linguistische Merkmale uralischer Sprachen zusammengestellt, die im Vergleich zu indogermanischen Sprachen besondere Aufmerksamkeit verdienen. Eine umfassende Darstellung des Proto-Uralischen enthält Hajdú 1987.

Phonologie

Phoneme

Für die Darstellung des rekonstruierten Konsonanten- und sehr reichhaltigen Vokalsystems des Proto-Uralischen wird auf die weiterführende Literatur (Abondolo 1998, Hajdú 1987) verwiesen. Als Beispiel sei das Phoneminventar des Finnischen herangezogen:

Die Konsonanten des Finnischen (nach Abondolo 1998)

Typ Labial Dental Alveolar Velar Glottal
Nasal m n . ŋ .
Okklusiv -v p t . k ?
Okklusiv +v b d . g .
Frikativ +v v . . h .
Frikativ -v f s š . .
Lateral . l . . .
Vibrant . r . . .
Halbvokal . j . . .

Die Kennzeichnung +v bzw. -v (bei Okklusiven und Frikativen) bedeutet die stimmhafte bzw. stimmlose Form des Konsonanten.

Die Vokale des Finnischen sind /i, ü, u; e, ö, o; ä, a/. Sie kommen in kurzer und langer Form vor; dieser Unterschied ist phonemisch bedeutsam, siehe die Beispiele. Die Vokallänge wird im Finnischen durch Doppelsetzung (zB. /uu/), im Ungarischen durch einen Akzent (z.B ház) ausgedrückt.

  • Finnisch: tulen „des Feuers“ vs. tuulen „des Windes“
  • Ungarisch: szel „schneiden“ vs. szél „Wind“

Ob der Kurz-Lang-Kontrast bei Vokalen aus dem Proto-Uralischen stammt, lässt sich nicht eindeutig festlegen: in einigen Gruppen – Mordwinisch, Mari, Permisch – ist er nicht nachweisbar.

Vokalharmonie und Vokalassimilation

Vokalharmonie ist die qualitative Abhängigkeit eines Suffixvokals vom Wurzelvokal, im weiteren Sinne die qualitative Angleichung zwischen den Vokalen eines Wortes. Beides ist in den uralischen Sprachen weit verbreitet. Ob es sich um ein proto-uralisches Merkmal handelt, ist umstritten: hier könnte turkischer Einfluss vorliegen. Der Suffixvokal richtet sich nach der Qualität des Wurzelvokals; hierbei bilden /a, o, u/ einerseits und /ä, ö, ü/ andererseits disjunkte Klassen:

Beispiele aus dem Finnischen:

  • tallo „Haus“, tallo-ssa „im Haus“
  • kynä „Feder“, kynä-ssä „in der Feder“

Aus dem Ungarischen:

  • asztal „Tisch“, asztal-ok „Tische“
  • föld „Land“, föld-ök „Länder“

Ähnliche Regeln gelten nicht nur im Finnischen und Ungarischen, sondern auch in manchen Dialekten des Mordwinischen, Mari, den ob-ugrischen Sprachen und dem samojedischen Kamas. In anderen uralischen Sprachen fehlt dagegen die Vokalharmonie völlig.

Streng genommen von der Vokalharmonie zu trennen ist die Vokalassimilation. Z.B. assimiliert unbetontes Suffix-e im Finnischen zum vorhergehenden Vokal:

  • talo+hen > taloon „in das Haus“ (das h entfällt zusätzlich)
  • talo+i+hen > taloihin „in die Häuser“

Im Ungarischen assimiliert der Suffixvokal der Endung -hez qualitativ (in seiner Rundung) zum vorhergehenden Vokal:

  • ház-hoz „zum Haus“
  • kéz-hez „zur Hand“
  • betu-höz „zum Brief“

Konsonantenstufung (Stufenwechsel)

Im Samisch-Finnischen werden „harte“ Konsonanten durch stimmhafte, frikative oder liquide Varianten ersetzt, Doppelkonsonanten zu Einfachkonsonaten entschärft, wenn die folgende Silbe durch ein Suffix geschlossen wird (z.B. beim Genitiv-Suffix -n). Diesen Vorgang nennt man Konsonantenstufung oder Stufenwechsel.

Beispiele aus dem Finnischen:

  • mato „Wurm“ > madon „des Wurmes“
  • matto „Decke“ > maton „der Decke“
  • poika „Junge“ > pojan „des Jungen“
  • lintu „Vogel“ > linnun „des Vogels“

Im Finnischen gelten allgemein folgende Übergangsregeln:

  • pp > p, tt > t, kk > k; mp > mm; t > d, p > v, k > ?

Ob auch in den samojedischen Sprachen Spuren der Konsonantenstufung zu finden sind, ist umstritten. Die meisten Forscher gehen von einer samisch-finnischen Innovation aus.

Agglutinative Morphologie

Die uralischen Sprachen benutzen zur Bildung der Formen der Nomina und Verben die Agglutination (lat. „Anleimung“). Jedem Morphem (Wortbildungselement) entspricht dabei eindeutig ein Bedeutungsmerkmal (z.B. Kasus, Numerus, Tempus oder Person), die einzelnen Morpheme werden – unter Berücksichtigung der Vokalharmonie (siehe oben) – unmittelbar aneinandergereiht. Die Morpheme sind also monosemantisch (Träger nur einer Bedeutung) und juxtaponierend (anneinanderreihend). Bei flektierenden Sprachen tragen die Endungen in der Regel mehrere Bedeutungen, z.B. deutsch lieb-t: hier weist die Endung -t sowohl auf die 3. Person, den Singular als auch das Tempus Präsens hin. (Beispiele zur Agglutination unter Nominalbildung und Verbalbildung.)

Es gibt keinen Zweifel, dass bereits das Proto-Uralische vom agglutinierendem Sprachtyp war. Allerdings gibt es in den heutigen uralischen Sprachen nur wenige gemeinsame morphologische Marker. Die meisten Kasussuffixe, Pluralmarker und Verbalendungen sind Innovationen, die sich unabhängig voneinander in den einzelnen uralischen Sprachen gebildet haben. Diesen Prozess kann man teilweise noch historisch verfolgen, etwa bei der Bildung der ungarischen Kasussuffixe aus ihren altungarischen Vorgängern. Im Gegensatz zum Indogermanischen lässt sich für das Uralische somit keine umfassende gemeinsame Morphologie rekonstruieren, die man proto-uralisch nennen könnte. Dies hat zu der Frage geführt, ob man die „komparativ-historische Methode“ überhaupt auf die uralischen Sprachen anwenden könne (Marcantonio 2002).

Nominalbildung

Kasus

Die Kasus des Nomens werden in den uralischen Sprachen ausschließlich durch Suffixe gebildet, nie durch Präfixe. Adjektiv-Attribute, Demonstrativa und Zahlwörter zeigten ursprünglich keine Kongruenz in Kasus und Numerus mit dem zugeordneten Nomen, wurden also nicht 'mitdekliniert'.

  • Ungarisch: a négy nagy ház-ban „in den vier großen Häusern“
(a bestimmter Artikel, négy „vier“, nagy „groß“, nur das Substantiv ház wird dekliniert, hier durch die Lokativendung -ban.)

Allerdings ist die finnisch-samische Gruppe unter dem Einfluss ihrer indogermanischen Umgebung zur Kongruenz übergegangen, wie folgende Beispiele aus dem Finnischen zeigen:

  • pieni poika „kleiner Junge“
  • piene-t poja-t „kleine Jungen“ (Plural, pojat mit Konsonantenstufung)
  • neljä-ssä iso-ssa talo-ssa „in den vier großen Häusern“ (mit Vokalharmonie bei der Lokativendung -ssa)

Das Proto-Uralische besaß mindestens einen Nominativ (unmarkiert), Akkusativ, Ablativ, Lokativ und Lativ (Richtungsfall). Diese proto-uralischen Kasus werden als „Primärkasus“ bezeichnet, alle Neubildungen in den einzelnen modernen Sprachen als „Sekundärkasus“. Die Anzahl der Fälle reicht in den modernen uralischen Sprachen von drei beim Chanty, über sechs bei den samischen Sprachen, 15 im Finnischen bis zu 16 (oder gar 21) im Ungarischen. Die folgende Tabelle zeigt einige typische Kasusbildungen in vier uralischen Sprachen:

Finnisch Komi Ungarisch Nenets Fall Deutsch
talo-ssa kerka-yn ház-ban xarda-xa-na Lokativ im Haus
talo-i-ssa kerka-yas-yn ház-ak-ban xarda-xa-?-na Lokativ in Häusern
talo-sta kerka-ýs ház-ak-ból xarda-xa-?-d Ablativ vom Haus weg

Wie schon diese wenigen Beispiele zeigen, sind die meisten Kasussuffixe – hier im Beispiel für Lokativ und Ablativ – offensichtlich kein uralisches Gemeinsgut, sondern sie haben sich individuell erst in späteren Sprachphasen herausgebildet.

Proto-uralische Primärkasus

Die folgende Tabelle zeigt die uralischen Kasusendungen, die in der Uralistik als proto-uralische Gemeinsamkeiten betrachtet werden. Sie haben heute – mit Ausnahme des endungslosen Nominativs, Genitivs und Akkusativs – nur noch eine periphere Bedeutung in den modernen uralischen Sprachen. Allerdings sind viele „moderne“ Kasussuffixe aus ihnen gebildet worden.

Proto-uralische Primärkasus nach Hajdú 1987 und Marcantonio 2002

Nr Kasus Suffix Bedeutung heutige Verbreitung und Spuren
1 Nominativ wer oder was? gemeinuralisch
2 Genitiv -n wessen? Finn., Sami, Mari, Mordw., Selkup
3 Akkusativ -m wen oder was? Sami, Mari, Mansi, Samojed.
4 Lokativ I -na /-nä wo? als Formans neuer Fälle weitverbreitet
5 Lokativ II -t wo? (FU) Mansi, Spuren im Ugrischen
6 Ablativ -ta/ -tä woher? nur Spuren
7 Lativ I/Dativ -ŋ/ -n wohin? wem? Mansi, Mordw.
8 Lativ II -k wohin? Spuren im Sami, Ingrisch

Abondolo 1998 zeigt im wesentlichen dasselbe Schema wie Hajdú, fasst aber einige der ähnlich lautenden Formantien zusammen. Marcantonio 2002 erweitert diese Liste noch um zwei Lative /-a, -ä/ und /-s/ und einen Ablativ /-l/, die allerdings nur in einzelnen Untergruppen des Uralischen vertreten sind. Zu beachten ist, dass fast alle konsonantischen Formantien für uralische Primärkasus auch in außeruralischen eurasischen Sprachen in derselben oder einer ähnlichen Funktion vorkommen (siehe die Tabelle konsonatischer Formantien im obigen Abschnitt „Externe Beziehungen“).

Sekundäre uralische Kasus

Die meisten Kasusendungen der modernen uralischen Sprachen sind nicht von einer gemeinsamen Protosprache ererbt, sondern im Gegenteil relativ junge einzelsprachliche Neubildungen. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Prozesse. Erstens die Verwendung primärer Formantien zur Bildung komplexerer neuer Endungen, zweitens die Verwendung und Umformung von Nomina zu Postpositionen und schließlich zu Kasusendungen. Beide Prozesse sollen an einigen Beispielen gezeigt werden.

So haben sich im Finnischen aus primären Formantien mit lokativen Funktionen * /-s/, /-na/, /-ta/, /-l/ und /-n/ folgende Fälle gebildet:

Kasus Beispiel Bedeutung Suffix entstanden aus
Inessiv kala-ssa im Innern des Fisches -ssa < * -s-na
Elativ kala-sta aus dem Innern des Fisches -sta < * -s-ta
Adessiv kala-lla auf dem Fisch -lla < * -l-na
Ablativ kala-lta vom Fisch weg -lta < * -l-ta

Der Artikel Finnische Sprache gibt eine umfassende Übersicht über das finnische Kasusschema. Aus dem Ungarischen stammen die folgenden Beispiele für die Verwendung und Umgestaltung von Nomina zu Postpositionen und Kasusmarkern:

Postposition Bedeutung stammt von Bedeutung
ala-tt, al-á, al-ól unter, nach unten, von unten < ural. *ala Raum unter etwas
mögö-tt, mög-é, mögü-l hinter, nach hinten, von hinten < finn-ugr. *miŋä Platz hinter etwas
közö-tt, köz-é, közü-l zwischen, zwischen-raus, zwischen-hinein < ungar. köz Zwischenraum

Numerus und Genus

Der Numerus (Singular, Plural und Dual) ist keine proto-uralische Kategorie, was man daran erkennen kann, dass in den modernen uralischen Sprachen die Pluralmarker (Morpheme zur Kennzeichnung des Plurals) außerordentlich vielfältig sind. Einen Dual gibt es heute in den samischen, ob-ugrischen und samojedischen Sprachen. Die Kategorie Genus (grammatisches Geschlecht) existiert in den uralischen Sprachen nicht.

Possessivendungen

Die uralischen Sprachen drücken durch Possessivsuffixe den Bezug auf ein Person aus (im Deutschen „mein“, „dein“, etc.). Dieselben Endungen werden häufig auch für die Konjugation von Verben verwendet (siehe unten). Die folgende Tabelle zeigt die proto-uralisch rekonstruierten Formen, die Possessivsuffixe des Finnischen und die Personalpronomen im Ungarischen.

Personal- und Possessivsuffixe in uralischen Sprachen

Num. Pers. Proto-
Uralisch
Finnisch
Poss.Suff.
Ungarisch
Pers.Pron.
Sing. 1 *-m -ni én
. 2 *-t -si te
. 3 *-s(V) -nsa/-nsä ö
Plural 1 *-m+PL -emme mi
. 2 *-t+PL -nne ti
. 3 *-s+PL -nsa/-nsä ök

Nominalketten

Komplexere Nominalphrasen (Nominalketten) werden in den uralischen Sprachen nach sehr unterschiedlichen Prinzipien gebildet, die Regeln dafür liegen aber in jeder Sprache fest. Als Beispiel sei hier wieder das Finnische herangezogen. Im Finnischen hat eine Nominalkette die Struktur: Stamm + [Pluralmarker] + Kasusmarker + [Possessivmarker].

  • Finnisch: talo-i-ssa-ni
Haus-PLURAL-INESSIV-POSS 1.sg.
Haus-mehrere-in-mein (lit.)
„in meinen Häusern“
  • Finnisch: talo-i-sta-si „aus deinen Häusern“

Gesamturalisch gilt bei Possessiv-Konstruktionen die Reihenfolge 'Besitzer vor Besitz':

  • Finnisch: isä-n talo „Vaters Haus“, „das Haus des Vaters“
  • Ungarisch: János ház-a „Janos Haus-sein“ (lit.): „Janos’ Haus“

Verbalbildung

Die uralischen Kategorien des Verbums sind

Die Diathese (Aktiv, Passiv, Medium) ist keine gesamt-uralische Kategorie. Konstruktionen mit Hilfsverben sind – z. B. im Finnischen – erst unter dem Einfluss germanischer Sprachen entstanden. Einige Beispiele zur Verbalbildung aus dem Finnischen:

Das finnische Verb laula „singen“ im Präsens Indikativ:

Person Singular Plural
1 laula-n ich singe laula-mme wir singen
2 laula-t du singst laula-tte ihr singt
3 laula-a er,sie,es singt laula-vat sie singen

Das Imperfekt wird durch Präsensstamm + i + Personalendung gebildet. Dabei kommt es zu Kontraktionen und Assimilationen, z.B.

  • laula-i-n > laulo-i-n „ich sang“
  • laula-i-a > laula-i „er, sie es sang“

Perfekt und Plusquamperfekt werden mit dem konjugierten Hilfsverb ole + Partizip Perfekt laula-nut konstruiert:

  • ole-n laula-nut „ich habe gesungen“
  • ol-i-n laula-nut „ich hatte gesungen“

Durch Einfügung von -isi- zwischen Verbstamm und Endung wird der Konditionalis markiert:

  • puhu-isi-n „ich würde sprechen“

Negativ-Verb

Die Negation wird durch ein konjugierbares Negativ-Verb ausgedrückt, vergleichbar mit der Umschreibung im Englischen I do not go. Z.B. im Finnischen:

  • mene-n „ich gehe“
  • e-n mene „ich-tue-nicht gehen“ (lit.) → „ich gehe nicht“
  • mene-t „du gehst“
  • e-t mene „du gehst nicht“

Umschreibung für „haben“

„Haben“ wird durch das Hilfsverb „sein“ mit dem Lokativ ausgedrückt.

  • Finnisch: isä-llä on tallo „Vater-bei ist Haus“ (lit.) → „Vater hat ein Haus“
  • Ungarisch: János-nak van egy ház-a „Janos-bei ist ein Haus-sein“ (lit.) → „Janos hat ein Haus“
(hier zusätzlich ein Rückbezug auf den Besitzer durch die Possessivendung -a)

Wortstellung

Die ursprüngliche uralische Wortstellung im Satz ist SOV (Subjekt – Objekt – Prädikat oder Verb). Sie ist nach wie vor bei den samojedischen und ob-ugrischen Sprachen die Regel, bei den zentralen finno-ugrischen Sprachen in Russland und im Ungarischen üblich, wenn auch nicht obligatorisch. In den ostseefinnischen Sprachen hat sie sich unter dem Einfluss des Indogermanischen in die Stellung SVO geändert.

Literatur

Uralische Sprachfamilie

  • Abondolo, David (ed.): The Uralic Languages. Routledge, London und New York 1998.
  • Collinder, Björn: An Introduction to the Uralic Languages. Berkeley, Calif. 1965.
  • Hajdú, Péter und Péter Domokos: Die uralischen Sprachen und Literaturen. Buske, Hamburg 1987.
  • Harms, Robert T.: Uralic Languages. In: Encyclopedia Britannica, 15. Auflage 1998.
  • Janhunen, Juha: Uralic Languages. In: William F. Frawley (ed.): International Encyclopedia of Linguistics. Oxford University Press 2003.
  • Marcantonio, Angela: The Uralic Language Family. Facts, Myths and Statistics. The Philological Society, Oxford und Boston 2002.

Wörterbücher

  • Rédei, Károly: Uralisches Etymologisches Wörterbuch. Harrassowitz, Wiesbaden 1988 (Band I und II) und 1991 (Band III).
Band I: Uralische und finnisch-ugrische Schicht. Band II: Finnisch-permische und finnisch-wolgaische Schicht. Band III: Register.

Klassifikation, externe Beziehungen

  • Austerlitz, Robert: L'ouralien. In: André Martinet: Le langage. Paris 1968.
  • Castrén, Matthias Alexander: Grammatik der samojedischen Sprachen. St. Petersburg 1854.
  • Greenberg, Joseph: Indoeuropean and Its Closest Relativs. The Eurasiatic Language Family. Volume 1 Grammar. Stanford University Press 2000.
  • Gyarmathi, Sámuel: Affinitas linguae Hungaricae cum linguis fennicae originis grammatice demonstrata. Göttingen 1799.
  • Harms, Robert: The Uralo-Yukaghir Focus System: A Problem in Remote Genetic Relationship. In: Paul J. Hopper (ed.): Studies in Descriptive and Historical Linguistics. Amsterdam 1977.
  • Leibniz, Gottfried Wilhelm (ed.): Collecteana etymologica. Hannover 1717
  • Ruhlen, Merritt: A Guide to the World’s Languages. Volume I: Classification. Edward Arnold, London 1987. Postscript 1991.
  • Sajnovics, J.: Demonstratio idioma Ungarorum et Lapponum idem esse. Kopenhagen 1770.
  • Strahlenberg, Philip Johan von: Das nord- und östliche Theil von Europa und Asia. Stockholm 1730.
  • Voegelin, C. F. and F. M. Voegelin: Classification and Index of the World's Languages. New York 1977.

Weblinks