Dies ist ein als lesenswert ausgezeichneter Artikel.

Günther Jakobs

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 13. Juni 2007 um 07:41 Uhr durch Trinityfolium (Diskussion | Beiträge) (Artikel ist lesenswert, Glückwunsch!). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Günther Jakobs (* 26. Juli 1937 in Mönchengladbach) ist ein deutscher Rechtswissenschaftler, Philosoph und emeritierter Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie.

Leben

Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Köln, Kiel und Bonn wurde Günther Jakobs 1967 an der Universität Bonn mit einer Dissertation zur strafrechtlichen Konkurrenzlehre promoviert. 1971 habilitierte er sich, ebenfalls in Bonn, bei Hans Welzel mit einer Arbeit über das fahrlässige Erfolgsdelikt und wurde im folgenden Jahr auf seinen ersten Lehrstuhl an der Universität Kiel berufen. 1976 folgte er einem Ruf an die junge Universität Regensburg, deren juristischer Fakultät er im nächsten Jahrzehnt gemeinsam mit Kollegen wie Peter Landau, Dieter Schwab und Udo Steiner zu gefestigtem wissenschaftlichem Ansehen verhalf. 1986 kehrte er an die Universität Bonn zurück, wo er als Direktor des Rechtsphilosophischen Seminars und Mitdirektor des Strafrechtlichen Instituts bis zu seiner Emeritierung im Sommer 2002 lehrte.

Günther Jakobs ist Mitglied der Nordrhein-westfälischen Akademie der Wissenschaften sowie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Mitherausgeber der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW).

Werk

Schwerpunkte des wissenschaftlichen Werks von Günther Jakobs sind die Grundlagen des Strafrechts, speziell die Strafzwecke, die Zurechnungslehre und der Schuldbegriff. Mit einzelnen Straftatbeständen aus dem Besonderen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) hat er sich näher befasst, soweit sie ihm dogmatisch unklar bzw. von der Rechtsprechung widersprüchlich interpretiert erschienen, wie etwa die Nötigung (§ 240 StGB)[1] und die Urkundenfälschung (§ 267 StGB)[2].

In seinem Lehrbuch[3] zum Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs, in Monographien und zahlreichen Aufsätzen entwickelte Jakobs Elemente einer Strafrechtstheorie, die sich als Funktionalismus bezeichnen lässt.[4] Sie geht von der Annahme aus, strafrechtliche Schuld sei nicht ontologisch begründbar oder allein aus einem fiktiven Gesellschaftsvertrag herzuleiten, sondern eine Frage sozialer Notwendigkeit mit dem Ziel, das Recht als verbindliches Orientierungsmuster zu schützen.[5] Während G.W.F. Hegel die Strafe als „Negation der Negation“ des Rechts zwecks dessen Wiederherstellung begriff,[6] wird in Jakobs‘ auf den ersten Blick ähnlichem Modell auch die gesellschaftliche Bedingtheit des Rechts selber (als „Erledigung des Konfliktes durch Zurechnung“[7]) sichtbar. Dies wirft allerdings, ähnlich wie Hans KelsensReine Rechtslehre“, die Frage auf, welchen ethischen Mindestanforderungen das Recht genügen muss, um Geltung beanspruchen zu können.[8]

Eine strafrechtlich relevante Handlung ist nach Jakobs ein objektiviertes Nichtanerkennen der Normgeltung.[9] Die Frage nach der Willensfreiheit des Straftäters sei falsch gestellt, denn: „Das Strafrecht kennt die Kategorie nicht, in die das Problem der Willensfreiheit gehört.“[10] Statt dessen schlägt Jakobs vor, den Schuldvorwurf aus einer „Zuständigkeit“ des Täters für dessen normwidriges Verhalten herzuleiten; hierfür soll es ausreichen, dass kein rechtlich akzeptierter Grund vorlag, der den Täter daran hinderte, sich für ein normgerechtes Verhalten zu entscheiden.[11]

Eine heftige Kontroverse weit über die juristische Fachwelt hinaus entfachte Günther Jakobs mit seiner erstmals 1985[12] formulierten und sodann 1999[13] weiter ausgeführten Unterscheidung zwischen „Bürgerstrafrecht“ und „Feindstrafrecht“.[14] Jakobs stellt fest, das geltende Strafrecht behandle, etwa in Gestalt der Sicherungsverwahrung (§ 61 Nr. 3 und § 66 StGB) und der Strafbarkeit der bloßen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB), Feinde des Rechts anders als seine grundsätzlich rechtstreuen Bürger: „Bürgerstrafrecht erhält die Normgeltung, Feindstrafrecht (...) bekämpft Gefahren.“[15] Dem stimmt Jakobs zu, denn: „Der prinzipiell Abweichende bietet keine Garantie personalen Verhaltens; deshalb kann er nicht als Bürger behandelt, sondern muß als Feind bekriegt werden.“[16] Nachdem diese Argumentation zunächst kaum Beachtung, jedenfalls keinen lauten Widerspruch gefunden hatte,[17] entwickelte sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine Debatte um die Bewahrung rechtsstaatlicher Garantien im Kampf gegen den Terrorismus. Jakobs‘ Position wurde nun in zahlreichen Beiträgen als im Kern totalitär verworfen,[18] da sie auf die „Ersetzung von Recht durch Krieg“[19] hinauslaufe. Die Definition, wer als Feind zu betrachten sei, öffne einer Staatswillkür wie der des Dritten Reiches Tür und Tor. Hiergegen hat Jakobs unter anderem eingewandt, als Feind verstehe er nicht den Andersartigen (hostis) wie der NS-Staatstheoretiker Carl Schmitt, sondern den gefährlichen Verbrecher (inimicus).[20] Dennoch fand Jakobs nur vereinzelt[21] ungeteilte Zustimmung.

Zu der von Günther Jakobs pronociert beantworteten Frage nach den zulässigen Mitteln rechtsstaatlicher Selbstverteidigung hatte der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, im Jahr 1966 festgestellt: „Gegen den Notstand muß Vorsorge getroffen werden; aber das darf nicht so geschehen, daß hierdurch die freiheitlich demokratische Grundordnung, deren Schutz alle Verteidigungsmaßnahmen dienen sollen, verloren geht. Sonst könnte der Rechtsstaat (...) vielleicht nach außen erfolgreich verteidigt werden, würde aber zugleich im Inneren tödlich getroffen werden und müßte so auch dann untergehen (...).“[22] Die Diskussion um Günther Jakobs‘ Thesen ist nicht abgeschlossen. Die Debatte für schlechthin unzulässig zu erklären,[23] wäre schon deshalb nicht überzeugend, weil Jakobs, wie auch seine Gegner einräumen,[24] etwas längst Existierendes beschreibt, dessen ethische Begründung keineswegs klar ist.

Dass Jakobs' Beschreibung des Feindstrafrechts unter anderem in Kolumbien Interesse gefunden hat, mag damit zusammenhängen, dass sich der kolumbianische Staat seit langem in einer kriegsähnlichen Konfrontation mit der Guerrilla-Organisation FARC befindet. Diese hat am 23. Februar 2002 die Präsidentschaftskandidatin Íngrid Betancourt Pulecio entführt und hält sie seitdem, ebenso wie über 50 weitere Personen, gefangen.[25] Auch in Kolumbien werden allerdings rechtsstaatliche Bedenken gegen das Konzept des Feindstrafrechts erhoben.[26]

Als Strafrechtsdogmatiker und Philosoph hat Günther Jakobs ohne Beschränkung auf einzelne Themen die wissenschaftliche Diskussion auch in Spanien und Lateinamerika beeinflusst. Fast alle seine Bücher sowie viele ursprünglich in Aufsatzform erschienene Beiträge sind in spanischen Übersetzungen verfügbar. Seine rechtsphilosophische Studie „Norm, Person, Gesellschaft“ konnte auf spanisch sogar vor der ersten deutschen Ausgabe erscheinen.

Ehrungen

Günther Jakobs‘ internationales Wirken hat in diversen Gastprofessuren Anerkennung gefunden. Anlässlich seines 65. Geburtstags im Jahre 2002 veranstaltete die Universidad Externado de Colombia in Bogotá ein Symposium, dessen Beiträge im folgenden Jahr als Festschrift unter dem Titel „El funcionalismo en derecho penal – Libro Homenaje al Profesor Günther Jakobs“ veröffentlicht wurden, und zeichnete ihn mit dem Titel „Profesor Honorario“ aus. Den gleichen Titel verliehen ihm 2002 die Universidad Inca Garcilaso de la Vega in Lima und die Universidad Nacional de San Antonio Abad del Cusco (beide in Peru). 2005 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universidad de la Barra Nacional de Abogados, México D.F.

Werke (Auswahl)

Deutschsprachige Ausgaben

Fremdsprachige Ausgaben

Bücher über Günther Jakobs

  • E. Penaranda Ramos/C. Suárez González/M. Cancio Meliá: Un nuevo sistema del derecho penal: consideraciones sobre la teoría de la imputación de Günther Jakobs, Bogotá 1999 ISBN 958-616-388-1
  • E. Montealegre Lynett/J. F. Perdomo Torres: Funcionalismo y normativismo penal. Una introducción a la obra de Günther Jakobs, Bogotá 2006 ISBN 968-710-091-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jakobs, Nötigung durch Drohung als Freiheitsdelikt, in: Festschrift für Peters, 1974, S. 69.
  2. Jakobs, Urkundenfälschung – Revision eines Täuschungsdelikts, 2000.
  3. 2. Aufl. 1991, Studienausgabe 1993 (s. die Rubrik „Werke“).
  4. Vgl. zu dieser Charakterisierung E. Montealegre Lynett/J. F. Perdomo Torres: Funcionalismo y normativismo penal. Una introducción a la obra de Günther Jakobs, Bogotá 2006
  5. Jakobs, Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit? In: Aspekte der Freiheit, Regensburg 1982, S. 74 ff., 81.
  6. „Grundlinien einer Philosophie des Rechts“, Zusatz zu § 97.
  7. Jakobs, Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit? In: Aspekte der Freiheit, Regensburg 1982, S. 73, unter Berufung auf Niklas Luhmann.
  8. Jakobs selbst erwähnt (in: HRRS – Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht, Ausgabe 8-9/2006, S. 291), dass Kelsens Rechtspositivismus immerhin eine „im großen und ganzen wirksame Verfassung“ voraussetzt; vgl. dazu: „Reine Rechtslehre“, 2. Aufl. 1960, S. 204.
  9. Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, München 1992, S. 32 ff.
  10. Jakobs, Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit? In: Aspekte der Freiheit, Regensburg 1982, S. 80.
  11. Jakobs, Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit? In: Aspekte der Freiheit, Regensburg 1982, S. 81.
  12. Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 97 (1985), S. 751-785.
  13. Im Rahmen einer Tagung an der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg; dokumentiert in: Eser/Hassemer (Hg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende, 2000.
  14. Ausführlich: Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS Ausgabe 3/2004, S. 88-95.
  15. Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS Ausgabe 3/2004, S. 90.
  16. Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS Ausgabe 3/2004, S. 90.
  17. Düx, Globale Sicherheitsgesetze und weltweite Erosion von Grundrechten, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2003, S. 194 f.; Prantl, Diabolische Potenz, in: Süddeutsche Zeitung vom 5./6.3.2005.
  18. Statt vieler: Düx, Globale Sicherheitsgesetze und weltweite Erosion von Grundrechten, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2003, S. 189, 194 f.; Prantl, Diabolische Potenz, in: Süddeutsche Zeitung vom 5./6.3.2005; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, Rn. 2/126 ff.; Sauer, Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, S. 1703 ff.
  19. Sauer, Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, S. 1704.
  20. Jakobs, Feindstrafrecht? – Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit, in: HRRS Ausgabe 7-9/2006, S. 294.
  21. So bei Roellecke, Juristenzeitung (JZ) 2006, 265 ff., 268: „Im Verhältnis zu den Terroristen bleibt dem Rechtsstaat nur die stumme Anwendung physischer Gewalt.“
  22. Benda, Die Notstandsverfassung, 1966, S. 11.
  23. So wohl die Tendenz von Prantl, Diabolische Potenz, in: Süddeutsche Zeitung vom 5./6.3.2005.
  24. Sauer, Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, S. 1704.
  25. Pilár Lozano, Criado en la selva por la guerrilla colombiana, in: El País vom 23.5.2007.
  26. Ausführlich: Aponte, Krieg und Feindstrafrecht. Überlegungen über das effiziente Feindstrafrecht anhand der Situation in Kolumbien, Baden-Baden 2004; ders., Krieg und Politik – Das politische Feindstrafrecht im Alltag, in: HRRS Ausgabe 8-9/2006, S. 297-303.