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Codex Manesse

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Fol. 127r (Werke Walthers von der Vogelweide)

Der Codex Manesse (auch Manessische Liederhandschrift, Manessische Handschrift, Große Heidelberger Liederhandschrift oder Pariser Handschrift) ist die umfangreichste und berühmteste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters. Heute wird sie in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt (Signatur: UB Heidelberg, Cod. Pal. Germ. bzw. cpg 848). Sie besteht aus 426 Pergamentblättern im Format 35,5 x 25 cm. Die Germanistik nennt die Sammlung auch kurz "C".

Die "Manessische Liederhandschrift" enthält ausschließlich dichterische Werke in mittelhochdeutscher Sprache. Sie entstand um 1300 in Zürich, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit der Zürcher Patrizierfamilie Manesse, nach der sie auch ihren heutigen Beinamen trägt. Der Kodex gilt als repräsentative Summe des mittelalterlichen Laienliedes und bildet für den "nachklassischen" Minnesang die Haupt- und weithin die einzige Quelle. Die insgesamt 138 Miniaturen, welche die Dichter der Werke in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten darstellen, gelten als bedeutendes Dokument oberrheinischer gotischer Buchmalerei.

Inhalt und Aufbau

Autorbild Konrads von Altstetten

Die in gotischer Buchschrift geschriebene Handschrift überliefert die mittelhochdeutsche Lyrik in ihrer gesamten Gattungs- und Formenvielfalt (Lieder, Leichs, Sangsprüche) von den Anfängen weltlicher Liedkunst (der Kürenberger um 1150/60) bis zur Zeit der Entstehung der Handschrift (Hadloub um 1300). Melodienotationen zu den Texten fehlen. Der Kodex enthält 140 Dichtersammlungen, die jeweils durch ganzseitige Autorbilder (oft mit Wappen und Helmzier, vgl. Abb.) eingeleitet werden und, geordnet nach Tönen, insgesamt rund 6000 Strophen umfassen. Die Anordnung der Liedkorpora orientiert sich, wie in der Weingartner Liederhandschrift und in der (verlorenen) gemeinsamen Vorlage *BC, am Stand der Autoren: An der Spitze thronen, als vornehmste Sänger, die staufischen Herrscher Kaiser Heinrich VI. und König Konrad IV., es folgen Fürsten, herren (unter anderen Walther von der Vogelweide) und schließlich meister.

Schon vom Äußeren her stellt sich C als Resultat eines komplexen, nie abgeschlossenen Sammelvorgangs dar: Weder die Texte noch die 138 Bilder sind in einem Zuge eingetragen, und manches ist umgeordnet worden; innerhalb der Autorenkorpora sind Lücken geblieben, etwa ein Sechstel der Seiten ist für Nachträge freigelassen. Unterschieden werden der Grundstock von etwa 110 Autoren (Beginn des 14. Jahrhunderts) und mehrere Nachtragsschichten, die bis zur Mitte des Jahrhunderts weitere 30 Autoren hinzufügten. Unverkennbar ist die Intention, die Liedkunst, auch die zeitgenössische, möglichst vollständig zu sammeln, jedenfalls, soweit sie mit Namen verbunden war oder sich verbinden ließ.

Entstehung

Einblick in die Vorstufen bzw. in die Entstehung der Handschrift gibt der Zürcher Dichter Johannes Hadloub (Hauskauf: 4. Januar 1302; † 16. März, vermutlich vor 1340). Er gehörte zu dem durch antiquarische Vorliebe für den staufischen Minnesang und durch Interesse an literarischer Artistik und Formalisierung geprägten Kreis um die Patrizierfamilie Manesse.

In seinem ebenfalls in der Handschrift enthaltenen "Lobpreis der Manessen" (fol. 372r) besingt der Dichter die auf Vollständigkeit angelegte Sammlung von Liederbüchern durch Rüdiger Manesse d. Ä. (volljährig 1252, † 1304), eines der einflussreichsten Zürcher Ratsmitglieder, und durch dessen Sohn Johannes, den Kustos der Propstei († 1297). Wenn auch eine unmittelbare Beteiligung Rüdiger Manesses an der Herstellung der "Manessischen Handschrift" nicht explizit bezeugt ist, so dürften doch die von Hadloub erwähnten liederbuochen der Manesse die Grundlage des berühmten Kodex darstellen.

Möglicherweise hat Hadloub selbst maßgeblich an der Vorbereitung und Ausführung des Grundstocks mitgewirkt. Hierauf deutet die exponierte Stellung seines Oeuvre in C hin, die durch eine Prunkinitiale und Doppelminiatur markiert wird.

Hadloub erwähnt in anderen Liedern mehrere führende Zürcher Stadtbürger, so die Fürstäbtissin Elisabeth von Wetzikon, den Graf von Toggenburg, den Bischof von Konstanz und die Äbte von Einsiedeln und Petershausen. Man nahm früher an, daß ein Interesse an Literatur oder ihre Teilnahme am "literarischen Leben" es erlauben würde, diese Gruppe als eine Art Förderzirkel im Umfeld der Manessefamilie anzusehen, der bei der Entstehung der Sammlung eine Rolle gespielt haben könnte. Inzwischen weiß man, daß dieser sog. "literarische Manessekreis" eine Fiktion ist. Nach Max Schiendorfer fingiert Hadloub idealtypische Lyrik-Situationen und benutzt die prominenten politischen Namen, um seinen Liedern einen Anschein von Realität zu verleihen.

"Habent sua fata libelli"

"Bücher haben ihr eigenes Schicksal" - dieser lateinische Satz bestätigt sich auch beim Codex Manesse. Seine Bedeutung spiegelt sich in seiner späteren wechselvollen Geschichte.

In wessen Besitz die Handschrift bis zum Beginn der frühen Neuzeit war, ist nicht bekannt. Möglicherweise befand sie sich schon in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht mehr in Zürich, sonst hätte damals im Elsass kaum eine (Gesamt?-)Kopie angefertigt werden können. Wenn Gottfried Keller 1877 in der Novelle Der Narr auf Manegg eine mögliche Gefahr für die Handschrift beim Brand der Burg Manegg von 1409 schildert, ist dies eine reine literarische Fiktion.

Spätestens im 16. Jahrhundert kam der Codex Manesse - evtl. auf Betreiben des Schweizer Humanisten Melchior Goldast - nach Heidelberg. Goldast war sein erster "wissenschaftlicher" Benutzer, er gab 1604 mehrere didaktische Stücke heraus. 1622 während des Dreißigjährigen Krieges konnte die Handschrift vor der Eroberung Heidelbergs durch die Truppen der Liga unter Tilly in Sicherheit gebracht werden. Seit 1657 befand sie sich im Besitz der königlichen Bibliothek in Paris (heutige Bibliothèque Nationale de France).

1888 kehrte die berühmteste deutsche Handschrift durch Vermittlung des Straßburger Buchhändlers Karl Ignaz Trübner unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nach Heidelberg zurück, wo sie bis heute verwahrt wird. Der Original-Kodex kann aus konservatorischen Gründen nur sehr selten im Rahmen von Ausstellungen gezeigt werden. Das Faksimile von 1925-27, erschienen in 320 Exemplaren in Leipzig, wird ständig im Foyer des Obergeschosses der Universitätsbibliothek präsentiert.

Literatur

  • Codex Manesse, Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift, hrsg. und erläutert von Ingo F. Walther, Frankfurt a. M. 1989; ISBN 3458143858
  • Codex Manesse, Katalog zur Ausstellung vom 12. Juni bis 4. September 1988, Universitätsbibliothek Heidelberg, hrsg. von Elmar Mittler u. a., Heidelberg 1988
  • Gisela Kornrumpf, Die Heidelberger Liederhandschrift C, in: K. Ruh (Hrsg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters (Verfasserlexikon), 2. Aufl., Bd. 3 (1981), Sp. 584-597
  • Max Schiendorfer, Ein regionalpolitisches Zeugnis bei Johannes Hadlaub (SMS 2), in: Zeitschrift für deutsche Philologie 112 (1993), S. 37-65 (zum sog. Manessekreis)
  • Weitere Literaturhinweise: Universitätsbibliothek Heidelberg

Siehe auch: Inhaltsverzeichnis des Codex Manesse | Kleine Heidelberger Liederhandschrift | Weingartner Liederhandschrift

Weblinks