Dies ist ein als lesenswert ausgezeichneter Artikel.

Isenheimer Altar

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 1. Oktober 2005 um 00:06 Uhr durch AF666 (Diskussion | Beiträge) (→‎Film). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Isenheimer Altar des Antoniterklosters in Isenheim ist das Hauptwerk von Matthias Grünewald, und zugleich ein Hauptwerk deutscher Malerei. Seine Entstehungszeit ist unsicher; Er wurde vermutlich in den Jahren 1506 bis 1515 von Grünewald geschaffen und wird heute in Colmar im Musée d´Unterlinden aufbewahrt.

Der "Isenheimer Altar" mit der ersten Schauseite im Musée d´Unterlinden in Colmar

Hintergrund: Der Antoniter-Orden

Der hl. Antonius, Schutzheiliger der Antoniter, Seitenflügel des ersten Schaubilds

Der Orden der Antoniter war um 1070 in Saint-Antoine en Viennose, einem kleinen Dorf zwischen Valence und Grenoble neu gegründet worden. Es ist ein sogenannter Bettelorden, zu dessen Aufgaben die Krankenpflege gehörte. Die Mönche nahmen sich besonders an der damals weitverbreitenden Mutterkornvergiftungen Erkrankten an. Die Vergiftung mit diesem Pilz, der das Getreide und zwar insbesondere Roggen befiel, löste stark brennende Schmerzen aus, die man zu der damaligen Zeit "Heiliges Feuer" oder Antoniusfeuer nannte. Ziel des Ordens war es, sich der zahlreichen Kranken anzunehmen, um so Heilung oder Schutz vom heiligen Antonius zu erbitten. In Pestzeiten wie beispielsweise während der Zeit des Schwarzen Todes nahmen die Antoniusspitäler auch diese Kranken auf.

Das Antoniterkloster in Isenheim im Elsass lag an der alten Römerstraße Main-Basel, die von Pilgern sowohl auf ihrer Wallfahrt nach Santiago de Compostela als nach Rom genutzt wurde. Der Isenheimer Altar war für die Kapelle des Spitals bestimmt. Kranke wurden zu Beginn ihrer medizinischen Behandlung vor den Altar geführt, da man hoffte, dass entweder der hl. Antonius ein Wunder wirken werde oder der Kranke zumindest geistlichen Trost aus der Betrachtung des Altars gewinnen würde. Nach mittelalterlicher Auffassung waren Meditationsbilder, zu denen auch der Isenheimer Altar zählte, "quasi medicina": vom Bild konnte Heil und Gesundung ausgehen, wenn der Betrachter sich mit den auf den Bildern dargestellten Figuren identifizierte, und dabei eine geistige Kräftigung erfuhr, die ihn körperlichen Schmerzen vergessen ließ.

Die Entstehungsgeschichte des Isenheimer Altars

Das Kloster in Isenheim besaß bereits einen Wandelaltar, den sogenannten "Orliaco-Altar". Dieser Wandelaltar zeigte in geschlossenen Zustand auf den zwei Flügeln die Verkündigungsszene. Auf dem linken Flügel befand sich der Engel, auf dem rechten Maria. Im geöffneten Zustand sah man auf dem linken Flügel, wie Maria das Kind anbetete und auf dem rechten den Heiligen Antonius und Johann de Orliaco (Jean d'Orliaco in französischer Schreibweise) - den Klosterpräzeptor zur Entstehungszeit des Altars. Martin Schongauer hatte 1475 diese vier im Auftrag des Klosterpräzeptors gemalt. Im geöffneten Zustand rahmten die Flügel des Orliaco-Altars eine lebensgroße Schnitzplastik der Heiligen Jungfrau. Diese befindet sich heute im Louvre. Um 1485 beauftragte Orliaco bei Nikolaus Hagenauer die Schaffung neuer Plastiken für einen Altar. Der Kunsthistoriker Ziermann weist daraufhin, dass dies vermutlich deswegen geschah, weil man zu diesem Zeitpunkt den Orliaco-Altar bereits als altmodisch empfand.

Es ist unklar und aufgrund fehlender Dokumente vermutlich auch nicht mehr klärbar, wann Grünewald den Auftrag erhielt, die Gemälde dieses Altars zu schaffen. Ebenso ist bis jetzt rätselhaft geblieben, warum ausgerechnet Grünewald den Auftrag erhielt, für dieses Kloster in den Vogesen den Altar zu schaffen.

Die Konzeption des Isenheimer Altars

Der Isenheimer Altar ist ein sogenannter Wandelaltar - im Ablauf des liturgischen Kirchenjahres wurden die Flügel geöffnet, so dass diejenigen Bildteile gezeigt wurden, die zum jeweiligen Kultus passten. Insgesamt besitzt der Altar drei Schauseiten; normalerweise hatten solche Wandelaltäre lediglich zwei Schauseiten. Im Zentrum des Altars befindet sich ein hölzerner Altarschrein. Gekrönt war der Altar mit einem filigran geschnitzten und vergoldeten Maßwerk.

Während bei der Stuppacher Madonna vor allem die Visionen der heiligen Birgitta von Schweden im Bildprogramm eine Rolle spielen, sind es hier die Visionen der Hildegard von Bingen.

Die erste Schauseite

Die erste Schauseite mit der mittlerweile überholten Anordnung des hl. Antonius und des hl. Sebastian

Während der Advent- und Fastenzeit war der Altar geschlossen. Zu sehen war dann die Kreuzigungstafel, die von den Heiligen Antonius und Sebastian flankiert ist, und die Predella mit der Beweinung Christi (gelegentlich auch als "Grablegung Christi" bezeichnet). Dieser Altarzustand wird die erste Schauseite genannt.

Mit einer Höhe von 269 Zentimeter und einer Breite von 307 Zentimeter ist die Kreuzigungstafel die größte Kreuzigung, die in der europäischen Malerei geschaffen wurde. Leicht nach rechts versetzt dominiert das Kreuz die mittlere Tafel; der Querholz des Kreuzes ist leicht gebogen und setzt sich ellipsenförmig in den beiden Heiligenfiguren rechts und links fort. Die Gegenbewegung zur oberen Ellipse bildet in der Predella der Leichnam Christi, dessen Oberkörper von Johannes leicht angehoben wird.

Die Anbringung der beiden Standflügel ist in der Kunsthistorie lange Zeit umstritten gewesen. Die Anbringung des hl. Antonius auf der vom Betrachter linken Seite, die des Sebastian auf der rechten Altarseite war von der ersten Veröffentlichung über das Werk Grünewalds durch Heinrich Alfred Schmid im Jahre 1911 bis in die 1960er Jahre die allgemein akzeptierte. Die Pfeiler wirkten bei dieser Anordnung wie einer Rahmung der Mitteltafel; beide Figuren wendeten sich - wie auf der Abbildung der ersten Schauseite zu sehen - der Kreuzigung zu.

Seit 1965 ist im Musee d'Unterlinden in Colmar die erste Schauseite mit einer anderen Anordnung zu sehen. Zu dieser Veränderungen haben zum einen beigetragen, dass sich die Scharniere an den Standflügeln jeweils an der anderen Seite befanden, und dass Franz Christian Lerse, der im Jahre 1781 als einziger eine umfangreiche Beschreibung des durch die Revolution nicht nicht zerstörten Altars lieferte, gleichfalls diese Anordnung beschrieb. Die Figuren weisen zwar in dieser Aufhängungsweise von der Bildtafel weg, das helle Fenster im Standflügel des hl. Sebastian und der Butzenscheibenteufel im Standflügel befinden sich jedoch nicht mehr in unmittelbarer Nähe zu der dunklen Kreuzigungstafel.

Die zweite Schauseite

Datei:Issenheim altarpiece view 2.jpg
Die zweite Schauseite

Die Predella mit der Beweinung Christi ist auch dann zu sehen, wenn nach der ersten Öffnung der Altarflügel die zweite Schauseite zu sehen war. Sie erinnert dann auch während der festlichen Weihnachtszeit daran, dass der freudigen Geburt der Kreuzestod folgen wird.

Die zwei Heiligenbilder, die im ersten Schaubild die Kreuzigungsszene flankierten, sind von den auseinandergeklappten Flügeln des Mittelteils verdeckt. Der Blick wird dadurch frei auf das Mittelbild, das sogenannte Engelskonzert und die Menschwerdung Christi. Das mittlere Bild kann man, ähnlich wie die Kreuzigungstafel, deren Teilbarkeit für den fernen Betrachter fast unkenntlich ist, als eines betrachten. Grünewald hat diese Mitteltafel so gemalt, dass das Engelskonzert über den Rahmen des Bildes hinausgeht. Ein schwarzer Vorhang bildet den Bezug zum rechten Bild der Mitteltafel.

Flankiert wird dieses weihnachtliche Mittelbild von der Verkündigung und von der Auferstehung, die beide ikonographisch ungewöhnlich sind.

Die dritte Schauseite

Datei:Grunewald Isenheim3.jpg
Die dritte Schauseite mit den Schnitzplastiken

Nach der zweiten Öffnung wird der Kern des Wandelaltars freigelegt; die Schreinsplastik, die vermutlich von Nikolaus von Hagenau stammt. Er zeigt in vergoldeten Skulpturen die Heiligen Antonius, Augustinus und Hieronymus. Hieronymus ist mit dem Löwen dargestellt, den er heilte, und wendet sich Antonius zu, der in der Mitte des Schreines thront. An den Seiten des Antonius erscheint ein barhäutiger Bürger, der einen Hahn opfert und ein Bauer, der ein Schwein darbringt. Augustinus erscheint im linken Feld des Schreins, weil auf ihn die Kloster-Regeln der Antoniter zurückgehen. Wie auf dem Orliaco-Altar ist auch hier Johann de Orliaco abgebildet, der diese 1505 vollendeten Plastiken stiftete.

In der Pedrella sind dann ebenfalls als Schnitzplastiken Christus und die Aposteln zu sehen. Diese sogenannte dritte Schauseite ist fast völlig der Verehrung des heiligen Antonius gewidmet, und zeigt auf den beiden Altarflügeln Szenen aus dem Leben des Antonius. Links ist das Wunder, das sich bei der Begegnung des Heiligen Antonius mit Paulus Eremita ereignete und rechts die Versuchung des Antonius. Auf diese Darstellung spielte schon der Seitenflügel der ersten Schauseite an, auf der hinter Antonius ein kleiner weiblicher Teufel zu sehen ist.

Diese dritte Schauseite wurde nur am 17. Januar, dem Namensfest des Heiligen Antonius aufgeschlagen.

Die Predrella der ersten und zweiten Schauseite

Die Beweinung - Predella der ersten und zweiten Schauseite

Die von Grünewald gemalte Predella, die 67 Zentimeter hoch und 341 Zentimeter lang ist, ist bei den ersten zwei Öffnungen des Wandelaltars sichtbar. Sie wird in der Kunstgeschichte meist als "Beweinung Christi" bezeichnet, weil hier eine Figur auftaucht, die keines der vier Evangelien während der Grablegung des toten Christus nennt: Der Jünger Johannes beugt sich hier zu dem toten Christus und hebt den Oberkörper des auf ein weißes Leintuch gebetten Leichnams leicht an. Tief verschleiert und mit ineinander verschlungenen Händen sieht Maria dem Geschehen zu. Hinter ihr ist Maria Magdalena zu sehen .

Die Gemälde der ersten Schauseite

Der Heilige Antonius und der Heilige Sebastian - die Standflügel der ersten Schauseite

Detail des Standflügels des hl. Sebastian

Die zwei Standflügel, die die beiden Heiligen Antonius und Sebastian zeigen, sind zwei Rahmentiefen hinter der Mitteltafel rückversetzt, um bei der Öffnen des Altars ausreichend Raum für die dann zurückgeschlagenen Altarflügel zu bieten. Beide Personen stehen jeweils auf einem steinernen Sockel, um die sich Pflanzen ranken. Wie der Kunsthistoriker Ziermann zeigen konnte, gab es für solch eine Darstellungsweise Vorläufer. Sowohl auf dem Genter Altar als auch bei Rogier van der Weyden gibt es vergleichbare Positionierungen von Heiligen. Bei diesen Malern handelt es sich jedoch um Grisaillen, gemalte Skulpturen.

Als Patron des Ordens war die Wahl des Antonius für einen der Seitenflügel naheliegend. Er trägt hier einen karmesinroten Mantel, in seiner Hand einen Stab, den ein Tau-Kreuz krönt. Rechts hinter ihm ist ein kleiner, weiblicher Teufel zu sehen, der die Butzenscheibe einschlägt. Es ist eine Anspielung auf die Versuchung des hl. Antonius. Ein Bildtypus, der auf der dritten Schauseite wieder aufgegriffen wird. Antonius selber ist von dem Geschehen hinter ihm ungerührt. Dargestellt als würdiger Patriarch mit langem weißen Bart blickt er über den Betrachter hinweg in die Ferne.

Der hl. Sebastian ist die Figur, die auf der zweiten Schauseite dargestellt wird. Auch diese Wahl war für einen Orden, der sich der Krankenpflege widmete, naheliegend. Ihm wurde zugeschrieben, dass er Schutz vor der Pest gewährte, und Pestkranke gehörten zu den Personen, die in den Hospitälern der Antoniter gepflegt wurden. Sebastian war Offizier der kaiserlichen Leibwache im Dienste des römischen Kaisers Diokletian. Er stand seinen christlichen Glaubensgenossen in den Kerkern bei und bekehrte viele Römer zum Christentum. Nachdem er beim Kaiser denunziert wurde, wurde er an einen Baum gebunden und von numidischen Bogenschützen mit Pfeilen beschossen. Ungewöhnlich ist an dieser Darstellung des Heiligen, dass sich hinter Sebastian ein Pfeiler befindet und nicht der Baum, an den Sebastian gebunden wurde, bevor die Bogenschützen auf ihn zielten. Kunsthistoriker wie Ziermann weisen darauf hin, dass die Darstellung der Säulen - die sich im Standflügel des Antonius als Pfeiler wiederholt - ein bewusstes Bildprogramm war; mit den zwei Säulen wird auf die Säulen Boas und Jachin im Salomonischen Tempel hingewiesen. Der Pfeiler, der hinter Antonius zu sehen ist, verweist auf Boas, die als Baum der Erkenntnis gilt, und somit ein Zeichen der Weisheit ist. Bei Sebastian weist die Säule mit dem Renaissance-Kapitel auf Jachin, die den Lebensbaum symbolisiert.

Die Kreuzigung

Die Kreuzigungstafel
Detail der Kreuzigungstafel

Die Darstellung der Kreuzigungsszene war ein häufiger Bildtopos gotischer Andachtsbilder. Matthias Grünewalds Darstellung hebt sich von dem seiner Vorgänger und Zeitgenossen dadurch ab, dass niemals zuvor der Vorgang auf dem Golgota derart schmerzhaft und schockierend als Ereignis von Not und Qual dargestellt wurde. Vier Personen sind Zeugen des Sterbens auf Golgota: Die Gottesmutter Maria, der Jünger Johannes, Maria Magdalena und Johannes der Täufer.

Die Darstellung des Jesus Christus

Von Schmerz verkrampft öffnen sich die Hände des Christus gen Himmel; der ungewöhnlich groß dargestellte Nagel, der die Füße an das Kreuz befestigt, zerreißt das Fleisch des Spanns, Blut tropft von den Zehen und der Fußunterseite auf das Kreuz hinab.

Der Kopf Jesu ist von einer ungewöhnlich großen Dornenkrone gekrönt, und voller Blut und Wunden. Die Lippen sind blau angelaufen; Zunge und Zähne sind sichtbar. Stacheln stecken im Oberkörper und in den Armen als Hinweis auf die erlittene Geißelung. Der Körper weist eitrige Schwären auf und der gesamte Körper ist in einer grün-gelblichen Färbung gemalt. Die grausame detailgetreue Darstellung der Leiden war bewusstes Bildprogramm. Es sollte zur "Compassio", zum Mitleiden, auffordern.

Die ohnmächtig zusammengebrochene Maria

Wie für Bilder der Kreuzigungsszene üblich, steht links vom Kreuz Maria. Sie ist ohnmächtig zusammengebrochen, und bildet mit ihrem abgeknickten Oberkörpers eine Parallele zu den ausgestreckten Armen Jesus. Untersuchungen am Bild haben gezeigt, dass Matthias Grünewald die Figur der Maria mehrfach überarbeitet und übermalt hat. Ursprünglich stand sie aufrecht, den Blick auf ihren toten Sohn gerichtet, und die Hände gefaltet. Diese Position hat Grünewald verändert und damit eine Bildsprache gefunden, die auch schon bei Roger van der Weyden auftaucht. Auch auf dessen Gemälde Kreuzabnahme greift die Armhaltung der ohnmächtig zusammengebrochenen Maria die Armhaltung ihres toten Sohnes auf.

Die Augen der Maria sind geschlossen. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass sie auch in ihrem zusammengebrochenen Zustand ursprünglich ihren Blick auf ihren toten Sohn richtete. Unter den Augenlidern sind noch heute die gemalten Augäpfel samt Iris und Pupillen zu sehen.

Der Jünger Johannes

Aufgefangen wird Maria durch den Jünger Johannes. Auch diese Figur ist im Laufe der Entstehung des Altars von Grünewald übermalt und korrigiert worden. Die Korrekturen waren notwendig, da Johannes mit der Überarbeitung der Figur der Maria hier auch die neue Funktion als Person zugeordnet bekam, die diese auffing.

Maria Magdalena

Maria Magdalena

Ebenfalls aus der Blickrichtung des Betrachters links vom Kreuz ist Maria Magdalena, die mit einem für sie typischen Attribut, dem Salbgefäß, dargestellt ist. Auf diesem Salbgefäß ist die Zahl 1515 zu erkennen, weshalb dies als Entstehungszeitpunkt des Altares gilt. Sie hat ihr Gesicht in Richtung des Gesichtes Jesu gewandt und ihre Hände mit den im flehenden Gebet verschränkten Fingern nach oben gerichtet.

Johannes der Täufer

Als einzige Person auf der rechten Seite des Gemäldes ist Johannes der Täufer zu sehen. Nach der biblischen Überlieferung war er zum Zeitpunkt des Kreuzestodes Christus bereits tot. Dargestellt ist er hier als Wegbereiter Christus. Er weist mit dem Zeigefinger auf den toten Christus und hinter ihm ist eine Inschrift zu sehen. Dort steht:

Illum opportet crescere me autem minui.

Es ist eine Stelle aus dem Johannes-Evangelium (3.30), die übersetzt lautet Jenem gebührt zu wachsen, mir aber, kleiner zu werden. Der Kunsthistoriker Ewald Maria Vetter hat in diesem Zusammenhang auf einen Predigttext Augustinus verwiesen, der den Tag der Geburt Christi als den dunkelsten Tag des Jahres erläutert, und danach das Licht wächst. Als Tag der Geburt Johannes des Täufers gilt dagegen der 24. Juni, ein Zeitpunkt, zu dem das Licht des Tages wieder abnimmt.

Die Gemälde der zweiten Schauseite

Die Verkündigung - linker Standflügel der zweiten Schauseite

Die Verkündigung

An zwei Stellen verweist der linke Standflügel der zweiten Schauseite, die sogenannte "Verkündigung" auf den Propheten Jesaja und die Textstelle des Alten Testaments, die die jungfräuliche Geburt ankündigt (Jesaja, 7,14-15). Dort heißt es:

Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und wird dessen Namen Emanuel nennen. Butter und Honig wird er essen, dass er Böses und Gutes zu unterscheiden wisse

Dies ist der Text, den das vor Maria liegende aufgeschlagene Buch zeigt, und auch der Prophet Jesaja selbst, der in der oberen linken Bildecke dargestellt ist, hält ein Buch mit eben dieser Textstelle empor. Jesaja steht auf einer Wurzel, deren Ausläufer bis in das Gewölbe des Langhauses der Kirche hineinragen, in der diese Szene dargestellt ist. Sie symbolisiert die sogenannte "Wurzel Jesse".

Grünewald hat für die Verkündigungsszene einen in der Kunstgeschichte bis dahin selten dargestellten Ort für die Verkündigung gewählt. Maria kniet nicht in einem privaten Raum wie beispielsweise bei Rogier van der Weyden, der 1460 noch das Schlafgemach als Szene für seinen Altar wählte, sondern in einer Kirche. Dies bezieht sich auf eine Überlieferung aus den Apokryphen, die in der Legenda aurea aufgegriffen und ausgeweitet wurde. Nach dieser Überlieferung verbrachte Maria ihre Kindheit im Tempel, um dort in den Schriften über die Ankunft des Messias zu lesen. So befindet sich Maria auf Grünewalds Gemälde in einer gotischen Kapelle.

Die Verkündigungsszene, in der der Erzengel Gabriel Maria ihr besonderes Schicksal verkündet, wird seit dem 3. Jahrhundert in der bildenden Kunst dargestellt. In der Altarkunst des 14. und 15. Jahrhunderts war sie ein häufig gewähltes Motiv. Häufig ist auf solchen Gemälden auch die Madonnenlilie als Symbol der Jungfräulichkeit dargestellt. Grünewald hat auf diese Symbolik verzichtet, und ein Gemälde von bis dahin selten dargestellter Dynamik geschaffen. Der Kunsthistoriker Ziermann hat Gabriel als einen „hereinstürmenden“ Erzengel beschrieben. Dieser Eindruck entsteht, weil der Engel über dem Boden schwebt und sein Mantel wie von einem Windstoß aufgewirbelt scheint. Die Hand ist eher befehlend ausgestreckt, denn grüßend und Maria scheint sich mit ihrem Oberkörper fast ängstlich zurückzuneigen, ihr Kopf ist abgewandt. Ihr Blick ist dagegen ist zum Engel gerichtet, und auch ihr Ohr. Auch dies deutet auf eine Lehre des Augustinus hin, nach dem Maria durch den Glauben an Gottes Wort empfangen habe. In der Malerei des 15. Jahrhunderts ist dies gelegentlich angedeutet, in dem von einer Taube des Heiligen Geistes ein Strahl zum Ohr Marias geht. Auch auf Grünewalds Gemälde ist eine Taube zu sehen. Sie schwebt aus der Tiefe der gotischen Kapelle heran.

Das Engelskonzert

Das weihnachtliche Mittelbild des Isenheimer Altars
Detail des Tempels des Engelskonzertes. Zu sehen ist links der Prophet Ezechiel und rechts Jeremias

Ebenso wie das Gemälde der Verkündigung ikonographisch ausgefallen ist, ist auch das sogenannte Engelskonzert, die Mitteltafel der zweiten Schauseite ungewöhnlich.

Ein ähnliches Bild gibt es in der vorhergehenden deutschen Malerie nirgends, es fällt völlig aus dem Rahmen deutscher Ikonographie (Ziermann, S. 122)

schreibt Ziermann.

Gezeigt werden Engel, die sich offenbar in einem Tempel zusammen gefunden haben, um der Madonna aufzuspielen. Diese erscheint auf der Mitteltafel zwei Mal. Der Blick des Betrachters fällt zuerst auf die Madonna, die auf der rechten Seite in einer Landschaft sitzt und ihr Kind anlächelt, dass ihr den Rosenkranz entgegenhält. Auf der linken Seite befindet sich die Madonna ein zweites Mal. Hier ist sie wesentlich kleiner dargestellt, von Licht umfangen und mit einer Krone gekrönt. Die Engel im Tempel scheinen sich ihr zuzuwenden. Lediglich der große Engel, der vor dem Tempel sitzend die Bass-Viola spielt, scheint seinen Blick auf die Madonna im Garten gerichtet zu haben.

Ähnlich wie auf der Verkündigung im Maßwerk der Prophet Jesaja zu sehen ist, erscheinen auch hier auf den goldenen Säulen Personen der Bibel. Links am Bildrand ist Moses zu erkennen, der die Gesetzestafeln in den Händen hält. Am rechten Bildesrand ist Johannes der Täufer zu sehen. Auf den zwei Säulen steht recht Jeremias und links neben ihm der durch den spitzen Hut der Juden kenntlich gemachte Ezechiel. Ezechiel gehörte im Mittelalter aufgrund seiner Vision vom verschlossenen Tor zu den beliebtesten Mariensymbolen. So kann die Bewegung seiner Hände sowohl als Deutung auf das geschlossene Tor gedeutet werden, dass auf der rechten Bildseite, der „Menschwerdung Christi“, auftaucht, als auch auf die Darstellung der Madonna mit dem Kind gelesen werden.

Unterhalb von ihnen steht der Patriarch Jakob, dessen Gesicht der Madonna mit dem Kinde zugewandt ist.

Nachwirkung

Inspiriert von dem Isenheimer Altar hat Paul Hindemith 1935 eine Symphonie geschrieben, die den Titel "Mathis der Maler" trägt.

Das Vorspiel, das Hindemith zu diesem Werk schrieb, bezieht sich auf das Engelskonzert des Isenheimer Altars.

Bilder des Altars - Bitte stehen lassen, werden mit zunehmender Erweiterung in den Text eingebaut


Weiterführende Informationen zu Grünewald und seinem Werk

Vorlage:Commons2

Weblinks

Weiterführende Literatur

  • Armin-Ernst Buchrucker; Anmerkungen zur theologischen und symbolischen Deutung des Isenheimer Altars in: Das Münster, (39 - 42), 1986 -1989
  • Horst Ziermann, Erika Beissel; Matthias Grünewald, Prestel Verlag München, 2001, ISBN 15584-X
  • Berta Reichenauer; Grünewald, Kulturverlag Thaur, 1992, ISBN 3-85395-159-7

Film

  • Mathias Gruenewald und der Isenheimer Altar (WDR, 1967) - Regisseurin: Georgia van der Rohe (Tochter von Mies van der Rohe)