„Schenken (Gedicht)“ – Versionsunterschied

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'''Schenken''' ist ein Gedicht von [[Joachim Ringelnatz]], das 1928 im Lyrikband ''Allerdings'' veröffentlicht wurde. Der Sprecher richtet sich darin an ein lyrisches Du, dem er Ratschläge erteilt, wie man schenken soll: Es komme nicht darauf an, wie groß die Gabe ist, sondern dass man mit Bedacht und von Herzen schenkt. Weil das Gedicht leicht verständlich ist und ein beinahe alltägliches [[Sujet]] aufgreift, wird es der [[Gebrauchslyrik]] zugerechnet.
'''Schenken''' ist ein Gedicht von [[Joachim Ringelnatz]], das 1928 im Lyrikband ''Allerdings'' veröffentlicht wurde. Der Sprecher richtet sich darin an ein lyrisches Du, dem er Ratschläge erteilt, wie man schenken soll: Es komme nicht darauf an, wie groß die Gabe ist, sondern dass man mit Bedacht und von Herzen schenkt. Weil das Gedicht leicht verständlich ist und ein alltägliches Thema behandelt, wird es der [[Gebrauchslyrik]] zugerechnet.


== Veröffentlichung ==
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== Form ==
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Das Gedicht hat drei Strophen mit insgesamt 15 Versen. Strophen- und Verslängen variieren. Jede Strophe wird eingeleitet durch den „appellierenden, [[Adhortativ|adhortativen]] [[Imperativ (Modus)|Imperativ]] ‚Schenke‘“,<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Karl Hotz |Titel=Joachim Ringelnatz – Schenken |Hrsg=ders. |Sammelwerk=Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Interpretationen |Auflage=3., veränderte |Verlag=C. C. Buchners Verlag |Ort=Bamberg |Datum=1993 |ISBN=3-7661-4311-5 |Seiten=218}}</ref> auf den jeweils eine zweifache [[Adverbiale Bestimmung#Untergruppe: Situationsadverbiale|adverbiale Bestimmung]] der Art und Weise folgt, die das Geschenk und die Haltung des Schenkenden näher bezeichnet: „groß oder klein“ (V.&nbsp;1), „herzlich und frei“ (V.&nbsp;6) sowie „mit Geist ohne List“ (V.&nbsp;12). Der Adressat wird durch [[Personalpronomen|Personal-]] und [[Possessiv]]pronomen fünf Mal direkt angesprochen. Alle Gedichtabschnitte enthalten jeweils einen [[Reim#Umarmender Reim, Blockreim|umarmenden Reim]], der in V.&nbsp;8–11 und V.&nbsp;12–15 regelgerecht umgesetzt wurde. In der ersten Strophe umschließt dieser a-b-b-a-Reim eine [[Waise (Verslehre)|Waise]] in V.&nbsp;3, einen Vers, der sich mit keinem anderen Vers reimt, so dass „ die Bedachten“ förmlich ‚umarmt‘ werden. Eine herausgehobene Stellung nimmt auch „Was in dir wohnt“ (V.&nbsp;8) ein: Der Vers steht genau in der Mitte. Die [[Accumulatio]] „Meinung, Geschmack und Humor“ (V.&nbsp;9) nennt drei Unterbegriffe zum übergeordneten „Geist“ (V.&nbsp;12). Durch das viermalige „Schenke“ sowie die Wörter „Gaben“ in der ersten und „Geschenk“ in der letzten Strophe erscheint das Thema des Gedichts „in sechsmaliger Wiederholung und Variation“.<ref name=":0" /> Karl Hotz beobachtet einen „sprachliche[n] Wohlklang des Gedichts“, der auch durch „die ‚wie von selbst sich einstellenden‘ Reimbindungen“<ref name=":0" /> entstehe. Ähnlich urteilt [[Alfred Polgar]] in seiner Rezension zu ''Allerdings'': „Seine Verse, auch die knütteligsten noch, sind so glatt und rund, als wären sie auf der Töpferscheibe gedreht.“<ref>{{Literatur |Autor=Alfred Polgar |Titel=Ringelnatz. Zu seinem neuen Gedichte-Buch Allerdings, erschienen bei Ernst Rowohlt |Hrsg=Walter Pape |Sammelwerk=Joachim Ringelnatz. Das Gesamtwerk in sieben Bänden |Band=2 |Verlag=Henssel |Ort=Berlin |Datum=1985 |ISBN=3-87329-122-3 |Seiten=419}}</ref>
Das Gedicht hat drei Strophen mit insgesamt 15 Versen. Strophen- und Verslängen variieren. Jede Strophe wird eingeleitet durch den „appellierenden, [[Adhortativ|adhortativen]] [[Imperativ (Modus)|Imperativ]] ‚Schenke‘“,<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Karl Hotz |Titel=Joachim Ringelnatz – Schenken |Hrsg=ders. |Sammelwerk=Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Interpretationen |Auflage=3., veränderte |Verlag=C. C. Buchners Verlag |Ort=Bamberg |Datum=1993 |ISBN=3-7661-4311-5 |Seiten=218}}</ref> auf den jeweils eine zweifache [[Adverbiale Bestimmung#Untergruppe: Situationsadverbiale|adverbiale Bestimmung]] der Art und Weise folgt, die das Geschenk und die Haltung des Schenkenden näher bezeichnet: „groß oder klein“ (V.&nbsp;1), „herzlich und frei“ (V.&nbsp;6) sowie „mit Geist ohne List“ (V.&nbsp;12). Der Adressat wird durch [[Personalpronomen|Personal-]] und [[Possessiv]]pronomen fünf Mal direkt angesprochen. Alle Gedichtabschnitte enthalten jeweils einen [[Reim#Umarmender Reim, Blockreim|umarmenden Reim]], der in V.&nbsp;8–11 und V.&nbsp;12–15 regelgerecht umgesetzt wurde. In der ersten Strophe umschließt dieser a-b-b-a-Reim eine [[Waise (Verslehre)|Waise]] in V.&nbsp;3, einen Vers, der sich mit keinem anderen Vers reimt, so dass „die Bedachten“ förmlich ‚umarmt‘ werden. Auch „Was in dir wohnt“ (V.&nbsp;8) wird besonders hervorgehoben: Der Vers steht genau in der Mitte des Gedichts. Er wird näher erläutert durch die [[Accumulatio]] „Meinung, Geschmack und Humor“ (V.&nbsp;9), die außerdem dem übergeordneten „Geist“ (V.&nbsp;12) zugeordnet werden kann. Durch das viermalige „Schenke“ sowie die Wörter „Gaben“ in der ersten und „Geschenk“ in der letzten Strophe erscheint das Thema des Gedichts „in sechsmaliger Wiederholung und Variation“.<ref name=":0" /> Karl Hotz beobachtet einen „sprachliche[n] Wohlklang des Gedichts“, der auch durch „die ‚wie von selbst sich einstellenden‘ Reimbindungen“<ref name=":0" /> entstehe. Ähnlich urteilt [[Alfred Polgar]] über die Gedichte in ''Allerdings'': „Seine Verse, auch die knütteligsten noch, sind so glatt und rund, als wären sie auf der Töpferscheibe gedreht.“<ref>{{Literatur |Autor=Alfred Polgar |Titel=Ringelnatz. Zu seinem neuen Gedichte-Buch Allerdings, erschienen bei Ernst Rowohlt |Hrsg=Walter Pape |Sammelwerk=Joachim Ringelnatz. Das Gesamtwerk in sieben Bänden |Band=2 |Verlag=Henssel |Ort=Berlin |Datum=1985 |ISBN=3-87329-122-3 |Seiten=419}}</ref>


== Interpretation ==
== Interpretation ==
Die Sprecherinstanz richtet sich mit Ratschlägen zur richtigen Art und Weise des Schenkens an ein lyrisches Du. Der Text stellt die [[Rezeption (Kunst)|Rezipienten]] vor keine besonderen Verständnisschwierigkeiten. Mit Hotz lässt er sich auf „die Maxime ‚Schenke mit Herz‘“ reduzieren, die „nicht nur vor den ‚Hochzeiten des Schenkens‘ wie Weihnachten zum billigen Werbespot verkommen“ sei.<ref name=":0" /> Gleichwohl stelle „der leichte Ton, das Spielerische“ eine besondere Leistung dar. Die Schenkenden und die Beschenkten werden – auch durch die formale Gestaltung – auf nahezu innige Weise miteinander verbunden, was am Ende in die Feststellung mündet, „daß dein Geschenk / Du selber bist.“ Hotz rechnet die leicht zugänglichen Zeilen der Gebrauchslyrik zu: Sie eignen sich „zum Vorlesen, als Anlaß für Gespräche, als Mitschrift für das Poesiealbum.“<ref name=":0" />
Die Sprecherinstanz richtet sich mit Ratschlägen zur richtigen Art und Weise des Schenkens an ein lyrisches Du. Der Text stellt die Leser und Hörer vor keine besonderen Verständnisschwierigkeiten. Mit Hotz lässt er sich auf „die Maxime ‚Schenke mit Herz‘“ reduzieren, die „nicht nur vor den ‚Hochzeiten des Schenkens‘ wie Weihnachten zum billigen Werbespot verkommen“ sei.<ref name=":0" /> Gleichwohl stelle „der leichte Ton, das Spielerische“ eine besondere Leistung dar. Die Schenkenden und die Beschenkten werden – auch durch die formale Gestaltung – auf nahezu innige Weise miteinander verbunden, was am Ende in die Feststellung mündet, „daß dein Geschenk / Du selber bist.“ Hotz rechnet die leicht zugänglichen Zeilen der Gebrauchslyrik zu: Sie eignen sich „zum Vorlesen, als Anlaß für Gespräche, als Mitschrift für das Poesiealbum.“<ref name=":0" />


== Rezeption ==
== Rezeption ==
Obwohl das Gedicht keinen ausdrücklichen Bezug zu Weihnachten aufweist, wird es vorwiegend in diesem Kontext rezipiert: Zum Beispiel eröffnet die Schauspielerin [[Michaela May]] damit ihren 2009 erschienenen Tonträger ''Weihnachtsgeschichten''<ref>{{Internetquelle |url=https://www.discogs.com/release/22315672-Michaela-May-Plätzchen-Backen-Und-Zuhören-Weihnachtsgeschichten-Erzählt-Von-Michaela-May |titel=Michaela May - Plätzchen backen und zuhören. Weihnachtsgeschichten |sprache=de |abruf=2022-12-04}}</ref>, die Schlagersängerin [[Uta Bresan]] beendet mit ihm ihr Album ''Mein Weihnachten''<ref>{{Internetquelle |autor=Daniela Jäntsch |url=https://www.openpr.de/news/371459/Uta-Bresan-Mein-Weihnachten.html |titel=Uta Bresan - Mein Weihnachten - openPR |datum=2009-11-17 |sprache=de |abruf=2022-12-04}}</ref> aus dem gleichen Jahr, der Sprecher [[Johannes Steck]] liest ihn auf dem 2018 veröffentlichten Hörbuch ''Frohe Weihnachten.''<ref>{{Literatur |Titel=Frohe Weihnachten. Die Weihnachtsgeschichte, gelesen von Johannes Steck |Verlag=Griot Hörbuch |Datum=2018-10-02 |ISBN=978-3-95998-025-8 |Online=https://www.isbn.de/hoerbuch/9783959980258_frohe-weihnachten.htm |Abruf=2022-12-04}}</ref> Im Gegensatz dazu steht die Auswahl der [[Frankfurter Anthologie]], die in ihren 40 Bänden insgesamt achtzehn Ringelnatz-Gedichte präsentiert, nicht aber ''Schenken''.<ref>{{Literatur |Autor=Hubert Spiegel |Titel=Verzeichnis der interpretierten Gedichte |Hrsg=ders. |Sammelwerk=Frankfurter Anthologie |Band=40 |Verlag=S. Fischer |Ort=Frankfurt am Main |Datum=2017 |ISBN=978-3-10-397268-9 |Seiten=311}}</ref> Dies zeigt, dass der Text von Literaturkritik und Literaturwissenschaft nicht zu den bedeutenden Gedichten des Schriftstellers gerechnet wird.
Obwohl das Gedicht keinen ausdrücklichen Bezug zu Weihnachten aufweist, wird es vorwiegend in diesem Zusammenhang [[Rezeption (Kunst)|rezipiert]]: Zum Beispiel eröffnet die Schauspielerin [[Michaela May]] damit ihren 2009 erschienenen Tonträger ''Weihnachtsgeschichten''<ref>Michaela May: ''Plätzchen backen und zuhören. Weihnachtsgeschichten.'' Steinbach Sprechende Bücher, Schwäbisch Hall 2009, ISBN 978-3-86974-004-1, Track 1.</ref>, die Schlagersängerin [[Uta Bresan]] beendet mit dem Text ihr Album ''Mein Weihnachten''<ref>Uta Bresan: ''Mein Weihnachten.'' Palm Records and Songs, Hamburg 2009, Track 15.</ref> aus dem gleichen Jahr, der Sprecher [[Johannes Steck]] liest ihn auf dem 2018 veröffentlichten Hörbuch ''Frohe Weihnachten.''<ref>Johannes Steck: ''Frohe Weihnachten. Die Weihnachtsgeschichte.'' Griot Hörbuch, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-95998-025-8, Track 5.</ref> Im Gegensatz dazu steht die Auswahl der [[Frankfurter Anthologie]], die in ihren 40 Bänden insgesamt achtzehn Ringelnatz-Gedichte präsentiert, nicht aber ''Schenken''.<ref>{{Literatur |Autor=Hubert Spiegel |Titel=Verzeichnis der interpretierten Gedichte |Hrsg=ders. |Sammelwerk=Frankfurter Anthologie |Band=40 |Verlag=S. Fischer |Ort=Frankfurt am Main |Datum=2017 |ISBN=978-3-10-397268-9 |Seiten=311}}</ref> Der Text wird demnach von Literaturkritik und Literaturwissenschaft nicht zu den bedeutenden Gedichten des Schriftstellers gerechnet.


[[Datei:Wurzen Ringelnatzwand.JPG|mini|''Ich habe dich so lieb'' – Gedichtanfang auf einer Hauswand in Wurzen]]
[[Datei:Wurzen Ringelnatzwand.JPG|mini|''Ich habe dich so lieb'' – Gedichtanfang auf einer Hauswand in Wurzen]]
== Trivia ==
== Trivia ==
Schon im ersten Gedicht des Bandes ''Allerdings'' geht es um das Schenken: In ''Ich habe dich so lieb'' bekundet der Sprecher, er würde der Geliebten „ohne Bedenken / Eine Kachel aus meinem Ofen / Schenken.“ [[Peter Horst Neumann]] bescheinigt diesem Gedicht zwar nur einen „soliden melancholischen Gebrauchswert“, hebt aber diese Anfangsstrophe heraus: „In der ersten ist ein Geschenk ganz Poesie, und Poesie ist ein hübsches Geschenk.“<ref>{{Literatur |Autor=Peter Horst Neumann |Titel=Für den sentimentalen Hausgebrauch |Hrsg=Marcel Reich-Ranicki |Sammelwerk=Frankfurter Anthologie. Gedichte und Interpretationen |Band=6 |Auflage=3 |Verlag=Insel |Ort=Frankfurt am Main/Leipzig |Datum=1993 |Seiten=143}}</ref> Fasste man die Ofenkachel im wörtlichen Sinn als ein Geschenk auf, entspräche diese Gabe wohl vollkommen den Empfehlungen aus dem Gedicht ''Schenken''. Die Verse stehen in Ringelnatz’ Geburtsstadt [[Wurzen]] an einer Hauswand.
Schon im ersten Gedicht des Bandes ''Allerdings'' geht es um das Schenken: In ''Ich habe dich so lieb'' bekundet der Sprecher, er würde der Geliebten „ohne Bedenken / Eine Kachel aus meinem Ofen / Schenken.“ [[Peter Horst Neumann]] bescheinigt diesem Gedicht zwar nur einen „soliden melancholischen Gebrauchswert“, hebt aber diese Anfangsstrophe heraus: „In der ersten ist ein Geschenk ganz Poesie, und Poesie ist ein hübsches Geschenk.“<ref>{{Literatur |Autor=Peter Horst Neumann |Titel=Für den sentimentalen Hausgebrauch |Hrsg=Marcel Reich-Ranicki |Sammelwerk=Frankfurter Anthologie. Gedichte und Interpretationen |Band=6 |Auflage=3 |Verlag=Insel |Ort=Frankfurt am Main/Leipzig |Datum=1993 |Seiten=143}}</ref> Als Gabe entsprächen das Gedicht und die Ofenkachel selbst wohl vollkommen den Empfehlungen aus dem Gedicht ''Schenken''. Die Verse stehen in Ringelnatz’ Geburtsstadt [[Wurzen]] an einer Hauswand.


== Literatur ==
== Literatur ==

Version vom 7. Dezember 2022, 21:46 Uhr

Schenken ist ein Gedicht von Joachim Ringelnatz, das 1928 im Lyrikband Allerdings veröffentlicht wurde. Der Sprecher richtet sich darin an ein lyrisches Du, dem er Ratschläge erteilt, wie man schenken soll: Es komme nicht darauf an, wie groß die Gabe ist, sondern dass man mit Bedacht und von Herzen schenkt. Weil das Gedicht leicht verständlich ist und ein alltägliches Thema behandelt, wird es der Gebrauchslyrik zugerechnet.

Veröffentlichung

Einband von Allerdings (1928) mit einem Ringelnatz-Porträt von Rudolf Großmann
Gedicht Schenken in der Erstausgabe von Allerdings

Schenken erschien erstmals im Gedichtband Allerdings, der in der letzten Juniwoche des Jahres 1928 herauskam. Darin sind Texte aus den Jahren 1922 bis 1928 versammelt.[1] Wann genau Schenken entstand, ist nicht bekannt. Ringelnatz nahm den Text 1934 in Gedichte, Gedichte. Von Einstmals und Heute, seinen letzten Lyrikband, erneut auf. Nach dem Tod des Schriftstellers erschien Allerdings 1935 in einer um zwölf Gedichte gekürzten Neuausgabe. Die Kürzungen seien auf „Verlagspolitik und Rezeption im Dritten Reich“ zurückzuführen gewesen und darauf, „daß den prüden Barbaren jeglicher Anflug von Unzucht ebenso zuwider war wie Ringelnatzens Plädoyer für eine Abschaffung der Todesstrafe in Hinrichtungen.“[1] Schenken galt offenbar als unverfänglich und blieb in dieser und den folgenden Auflagen Teil der Gedichtsammlung.

Text

Schenken

Schenke groß oder klein,
Aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
Die Gaben wiegen,
Sei dein Gewissen rein.

Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei
Was in dir wohnt
An Meinung, Geschmack und Humor,
So daß die eigene Freude zuvor
Dich reichlich belohnt.

Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
Daß dein Geschenk
Du selber bist.

Form

Das Gedicht hat drei Strophen mit insgesamt 15 Versen. Strophen- und Verslängen variieren. Jede Strophe wird eingeleitet durch den „appellierenden, adhortativen Imperativ ‚Schenke‘“,[2] auf den jeweils eine zweifache adverbiale Bestimmung der Art und Weise folgt, die das Geschenk und die Haltung des Schenkenden näher bezeichnet: „groß oder klein“ (V. 1), „herzlich und frei“ (V. 6) sowie „mit Geist ohne List“ (V. 12). Der Adressat wird durch Personal- und Possessivpronomen fünf Mal direkt angesprochen. Alle Gedichtabschnitte enthalten jeweils einen umarmenden Reim, der in V. 8–11 und V. 12–15 regelgerecht umgesetzt wurde. In der ersten Strophe umschließt dieser a-b-b-a-Reim eine Waise in V. 3, einen Vers, der sich mit keinem anderen Vers reimt, so dass „die Bedachten“ förmlich ‚umarmt‘ werden. Auch „Was in dir wohnt“ (V. 8) wird besonders hervorgehoben: Der Vers steht genau in der Mitte des Gedichts. Er wird näher erläutert durch die Accumulatio „Meinung, Geschmack und Humor“ (V. 9), die außerdem dem übergeordneten „Geist“ (V. 12) zugeordnet werden kann. Durch das viermalige „Schenke“ sowie die Wörter „Gaben“ in der ersten und „Geschenk“ in der letzten Strophe erscheint das Thema des Gedichts „in sechsmaliger Wiederholung und Variation“.[2] Karl Hotz beobachtet einen „sprachliche[n] Wohlklang des Gedichts“, der auch durch „die ‚wie von selbst sich einstellenden‘ Reimbindungen“[2] entstehe. Ähnlich urteilt Alfred Polgar über die Gedichte in Allerdings: „Seine Verse, auch die knütteligsten noch, sind so glatt und rund, als wären sie auf der Töpferscheibe gedreht.“[3]

Interpretation

Die Sprecherinstanz richtet sich mit Ratschlägen zur richtigen Art und Weise des Schenkens an ein lyrisches Du. Der Text stellt die Leser und Hörer vor keine besonderen Verständnisschwierigkeiten. Mit Hotz lässt er sich auf „die Maxime ‚Schenke mit Herz‘“ reduzieren, die „nicht nur vor den ‚Hochzeiten des Schenkens‘ wie Weihnachten zum billigen Werbespot verkommen“ sei.[2] Gleichwohl stelle „der leichte Ton, das Spielerische“ eine besondere Leistung dar. Die Schenkenden und die Beschenkten werden – auch durch die formale Gestaltung – auf nahezu innige Weise miteinander verbunden, was am Ende in die Feststellung mündet, „daß dein Geschenk / Du selber bist.“ Hotz rechnet die leicht zugänglichen Zeilen der Gebrauchslyrik zu: Sie eignen sich „zum Vorlesen, als Anlaß für Gespräche, als Mitschrift für das Poesiealbum.“[2]

Rezeption

Obwohl das Gedicht keinen ausdrücklichen Bezug zu Weihnachten aufweist, wird es vorwiegend in diesem Zusammenhang rezipiert: Zum Beispiel eröffnet die Schauspielerin Michaela May damit ihren 2009 erschienenen Tonträger Weihnachtsgeschichten[4], die Schlagersängerin Uta Bresan beendet mit dem Text ihr Album Mein Weihnachten[5] aus dem gleichen Jahr, der Sprecher Johannes Steck liest ihn auf dem 2018 veröffentlichten Hörbuch Frohe Weihnachten.[6] Im Gegensatz dazu steht die Auswahl der Frankfurter Anthologie, die in ihren 40 Bänden insgesamt achtzehn Ringelnatz-Gedichte präsentiert, nicht aber Schenken.[7] Der Text wird demnach von Literaturkritik und Literaturwissenschaft nicht zu den bedeutenden Gedichten des Schriftstellers gerechnet.

Ich habe dich so lieb – Gedichtanfang auf einer Hauswand in Wurzen

Trivia

Schon im ersten Gedicht des Bandes Allerdings geht es um das Schenken: In Ich habe dich so lieb bekundet der Sprecher, er würde der Geliebten „ohne Bedenken / Eine Kachel aus meinem Ofen / Schenken.“ Peter Horst Neumann bescheinigt diesem Gedicht zwar nur einen „soliden melancholischen Gebrauchswert“, hebt aber diese Anfangsstrophe heraus: „In der ersten ist ein Geschenk ganz Poesie, und Poesie ist ein hübsches Geschenk.“[8] Als Gabe entsprächen das Gedicht und die Ofenkachel selbst wohl vollkommen den Empfehlungen aus dem Gedicht Schenken. Die Verse stehen in Ringelnatz’ Geburtsstadt Wurzen an einer Hauswand.

Literatur

  • Hotz, Karl: Joachim Ringelnatz – Schenken. In: ders. (Hrsg.): Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Interpretationen. 3., veränd. Auflage. C. C. Buchners Verlag, Bamberg 1993, ISBN 3-7661-4311-5, S. 218.

Weblinks

Wikisource: Schenken – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. a b Walter Pape: Anhang. In: ders. (Hrsg.): Joachim Ringelnatz. Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 2. Henssel, Berlin 1985, ISBN 3-87329-122-3, S. 416.
  2. a b c d e Karl Hotz: Joachim Ringelnatz – Schenken. In: ders. (Hrsg.): Gedichte aus sieben Jahrhunderten. Interpretationen. 3., veränderte Auflage. C. C. Buchners Verlag, Bamberg 1993, ISBN 3-7661-4311-5, S. 218.
  3. Alfred Polgar: Ringelnatz. Zu seinem neuen Gedichte-Buch Allerdings, erschienen bei Ernst Rowohlt. In: Walter Pape (Hrsg.): Joachim Ringelnatz. Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 2. Henssel, Berlin 1985, ISBN 3-87329-122-3, S. 419.
  4. Michaela May: Plätzchen backen und zuhören. Weihnachtsgeschichten. Steinbach Sprechende Bücher, Schwäbisch Hall 2009, ISBN 978-3-86974-004-1, Track 1.
  5. Uta Bresan: Mein Weihnachten. Palm Records and Songs, Hamburg 2009, Track 15.
  6. Johannes Steck: Frohe Weihnachten. Die Weihnachtsgeschichte. Griot Hörbuch, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-95998-025-8, Track 5.
  7. Hubert Spiegel: Verzeichnis der interpretierten Gedichte. In: ders. (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Band 40. S. Fischer, Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-10-397268-9, S. 311.
  8. Peter Horst Neumann: Für den sentimentalen Hausgebrauch. In: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Gedichte und Interpretationen. 3. Auflage. Band 6. Insel, Frankfurt am Main/Leipzig 1993, S. 143.