Benutzer:Sigma^2/Geschichte der Statistik

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Statistik im 20. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Entwicklung der statistischen Theorie im 20. Jahrhundert ist durch eine zunehmende Formalisierung und Mathematisierung geprägt. Nach der Fundierung der Wahrscheinlichkeitstheorie durch die Axiomatik von Kolmogorow erfolgte in der Grundlegung der statistischen Theorie eine stärkere Verwendung von Konzepten der Maßtheorie, der Integrationstheorie und der Funktionalanalysis. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des Teilgebietes Mathematische Statistik waren die Jahre von 1940 bis 1970, in denen sich die mathematische Statistik stark veränderte und die einschlägigen Publikationen um den Faktor 10 wuchsen.[1] Es erschienen die ersten Standardwerke zur mathematischen Statistik, z. B. von Harald Cramér (1893–1985)[2] und Leopold Schmetterer (1919–2004)[3], und zur multivariaten Statistik von Theodore Wilbur Anderson (1918–2016)[4]. Zur wahrscheinlichkeitstheoretischen Fundierung der Statistik trugen die in den 50-iger Jahren erstmalig erschienenen Standardwerke Stochastic Processes[5] von Joseph L. Doob (1910–2010), An Introduction to Probability Theory and Its Applications[6][7] von William Feller (1906–1970) und Probability Theory[8][9][10] von Michel Loève (1907–1970) nachhaltig bei.

Im deutschsprachigen Raum war die Statistik zu Beginn des 20. Jahrhunderts eng mit der Nationalökonomie verbunden, die etwa seit den 1930-er Jahren zunehmend als Volkswirtschaftslehre bezeichnet wurde. Diese Verbindung kam in Zeitschriften wie den seit 1862 erscheinenden Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, die lange Zeit auch ein wichtiges Publikationsorgan für statistisch-methodische Beiträge waren, und der Zeitschrift für schweizerische Statistik und Volkswirtschaft (1916–1944)[11] zum Ausdruck. Wichtige Lehrstühle für Statistik und Arbeitsbereiche von Statistikern – z. B. die von Étienne Laspeyres (1834–1913), Franz Žižek (1876–1938), Oskar Anderson (1887–1960), Emil Julius Gumbel (1891–1966) – waren an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten angesiedelt. Andererseits beschäftigten sich in der Tradition von Carl Friedrich Gauß (1977–1855) Naturwissenschaftler ausgehend von Messproblemen mit statistischen Grundlagenproblemen, besonders erwähnenswert ist Richard von Mises (1883–1953). Nach der Fundierung der Wahrscheinlichkeitstheorie durch die Axiomatik von Kolmogorow und der folgenden Mathematisierung der Statistik wurden zunehmend Lehrstühle für mathematische Statistik an mathematischen Fakultäten eingerichtet, beispielsweise der von Hermann Witting (1927–2010) in Münster, später Freiburg. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden an den Universitäten Dortmund und München eigenständige Studiengänge und Fakultäten für Statistik aufgebaut. Zugleich nahm die Zahl und die Bedeutung von Statistiklehrstühle an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten ab.

Von historischen Interesse ist ein Methodenstreit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften darüber, ob sich Statistik in diesem Bereich als Sozialwissenschaft verstehen sollte und ob es eine spezielle statistische Theorie und Methodik für sozialwissenschaftliche Anwendungen einerseits und naturwissenschaftliche Anwendungen andererseits geben sollte, siehe dazu Frankfurter Schule der Statistik.

Statistik im 21. Jahrhundert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Folge einer starken Ausdifferenzierung statistischer Ansätze im 20. Jahrhundert kann im 21. Jahrhundert unter Statistik sehr Unterschiedliches verstanden werden:

  • die amtliche Statistik, die durch den statistischen Dienst der Ämter auf kommunaler, regionaler, staatlicher und überstaatlicher Ebene, bereitgestellt wird,
  • die mathematische Statistik als Sammelbegriff für inferenzstatistische Methoden,
  • die mathematische Statistik als spezielles mathematisches Fachgebiet,
  • die Wirtschafts- und Sozialstatistik mit einem starken Anteil deskriptiver statistischer Methoden,
  • die Anwendung statistischer Verfahren zur Analyse empirischer Daten in vielen Wissenschaftsgebieten (Bio-, Psycho-, Ökono-, Sozio-, Kliometrie usw.).

Für die adäquate Anwendung statistischer Methoden bei der Datenauswertung ist die Art der gewonnenen Daten von Bedeutung. Dabei wurden zunächst Experimentdaten (engl. experimental data) und Beobachtungsdaten (engl. observational data) unterschieden.

Experimentdaten sind Messergebnisse aus naturwissenschaftlichen Experimenten und Daten aus geplanten Zufallsstichproben. Für Experimentdaten kommt in der Regel das Paradigma der mathematischen Stichprobe zur Anwendung kommt, bei dem beobachtete Werte als Messwerte oder Stichprobenwerte bezeichnet werden und als Realisierungen stochastisch unabhängiger und identisch verteilter Zufallsvariablen aufgefasst werden.

Beobachtungsdaten sind durch statistische Erhebungen und Befragungen gewonnene Daten in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, auch Daten aus der amtlichen Statistik. Bei Beobachtungsdaten ist das das Konzept der Zufallsstichprobe nur eingeschränkt anwendbar und es kommen vorwiegend deskriptive und explorative statistische Methoden zum Einsatz. Es kommt zunehmend zur Anwendung statistischer Verfahren in früher eher nicht quantitativ ausgerichteten Fachgebieten: z. B. die statistische Auswertung umfangreicher Textcorpora in den Literaturwissenschaften und die Anwendung in der Kliometrie als quantitativ-analytischer Richtung der Geschichtswissenschaft.

Die zunehmende Verfügbarkeit großer Datensätze (engl. big data) und die Möglichkeit zu deren Auswertung jenseits des Paradigmas der Stichprobe führt zu neuen Teilgebieten zwischen den Gebieten Informatik, Informationstheorie und klassischer Statistik statistischer Inferenzmethodik (Maschinelles Lernen, Statistisches Lernen).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Johann Pfanzagl: Mathematical Statistics – Essays on History and Methodology. Springer, Berlin, Heidelberg 2017, ISBN 978-3-642-31083-6, S. 1, doi:10.1007/978-3-642-31084-3.
  2. Harald Cramér: Mathematical Methods of Statistics. Almqvist and Wiksells, Uppsala 1945 (19th printing. Princeton University Press, Princeton NJ 1999, ISBN 0-691-00547-8).
  3. Leopold Schmetterer: Einführung in die Mathematische Statistik. Springer, Wien 1956 (2. Aufl. 1966).
  4. T. W. Anderson: An Introduction to Multivariate Statistical Analysis. Wiley, 1958 (3. Auflage, 2003, ISBN 0-471-360-910).
  5. Joseph L. Doob: Stochastic Processes. Wiley, New York 1953, ISBN 978-0-471-52369-7.
  6. William Feller: An introduction to probability theory and its applications, Band 1 (= Wiley Series in Probability and Statistics). 3., überarbeitete Auflage. Wiley, New York / Chichester / Brisbane [usw.] 1968, ISBN 0-471-25708-7 (1. Auflage: 1950).
  7. William Feller: An introduction to probability theory and its applications, Band 2 (= Wiley Series in Probability and Statistics). 2. Auflage. Wiley, New York 1971, ISBN 0-471-25709-5 (1. Auflage:1957).
  8. Michel Loève: Probability Theory. D. Van Nostrand, Princeton 1955.
  9. Michel Loève: Probability Theory I (= Graduate Texts in Mathematics. Band 45). 4. Auflage. Springer, New York 1977, ISBN 978-0-387-90210-4, doi:10.1007/978-1-4684-9464-8.
  10. Michel Loève: Probability Theory II (= Graduate Texts in Mathematics. Band 46). 4. Auflage. Springer, New York 1978, ISBN 978-0-387-90262-3.
  11. ZDB-ID 200232-2, ab 1945 fortgesetzt als Swiss Journal of Economics and Statistics, ISSN 2673-2777, ZDB-ID 200233-4