Benutzer:Escla/Artikelwerkstatt/Klage Nicaraguas gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof

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Als Nicaragua v. Germany bzw. französisch Nicaragua c. Allemagne, übersetzt etwa „Nicaragua gegen Deutschland“ (oder „Nicaragua vs. Deutschland“[1]), wird ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) bezeichnet, welches die Regierung des mittelamerikanischen Staates Nicaragua gegen Deutschland am 1. März 2024 eingeleitet hatte.[2] Begründet wurde die Einleitung eines Verfahrens wegen „schwerer Verstöße gegen zwingende Grundsätze des Völkerrechts, die nach Ansicht Nicaraguas in den besetzten palästinensischen Gebiete, insbesondere im Gazastreifen“ stattgefunden hätten (in Originaltext auf Englisch: „serious breaches of peremptory norms of international law taking place in the Occupied Palestinian Territory, particularly in the Gaza Strip“).[3]:2 In einer ersten Entscheidung wurden Sofortmaßnahmen vom Gericht abgelehnt.

Dem vorausgegangen war ein verbaler Notenaustausch zwischen beiden Ländern, in dem Nicaragua seine Anschuldigungen formulierte.[4]:Annex 1[4]:Annex 2

Argumentation Nicaraguas[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gestützt auf die Völkermordkonvention und den Beschluss auf vorläufige Maßnahmen vom 26. Januar 2024 im Verfahren Südafrika gegen Israel, in dem der IGH die Behauptung Südafrikas über einen Genozid in Gaza als „plausibel“ anerkannte,[5] :35–38 wirft Nicaragua Deutschland vor, durch seine politische, finanzielle und militärische Unterstützung Israels in seinem Krieg mit Hamas sowie mit dem Zahlungsstopp an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) Beihilfe zu diesem Genozid zu leisten.

Des Weiteren beantragt Nicaragua die Verhängung vorläufiger Maßnahmen gegen Deutschland, wie die Anordnung der Wiederaufnahme der ausgesetzten deutschen Finanzierung der UNRWA und der Einstellung deutscher Militärhilfe an Israel.[3]:101

Nach Ansicht westlicher Geheimdienste hatte Nicaragua das Verfahren auf Druck Russlands eingeleitet. Hierdurch soll nach Einschätzung dieser Geheimdienste die Reputation des Internationalen Gerichtshofes vor allem in Bezug auf Kriegsverbrechen im Russisch-Ukrainischen Krieg untergraben werden.[6]

Nicaragua argumentiert, dass Deutschland von Anfang an von den laut der Klage von Israel begangenen Rechtsverletzungen wusste, einschließlich der angeblichen Absicht Israels, die Zivilbevölkerung Gazas ins Visier zu nehmen, ein klarer Akt der kollektiven Bestrafung.[3]:39–40 Nicaragua behauptet weiter, Deutschland habe die Mittel an die UNRWA eingestellt unter Bezugnahme auf bisher nicht bestätigte israelische Behauptungen, wonach UNRWA-Personal in den Angriff der Hamas vom 7. Oktober verwickelt gewesen sei.[7][8] Des Weiteren macht Nicaragua geltend, dass die Finanzierung des UNRWA für die Fortsetzung seiner Arbeit nicht nur in Gaza, sondern auch in Syrien, Libanon und der Westbank, u. a. in den Bereichen Gesundheitsdienste, Umweltschutz, Schädlingsbekämpfung, Wasserqualität, Bildung und Mikrofinanzierung, unabdingbar sei. Nicaragua beruft sich dabei auf die Warnung des UNRWA, dass eine Aussetzung der Finanzierung zur Einstellung seiner Tätigkeit führen könnte, obwohl nach UN-Berichten in der Bevölkerung des Gazastreifens weit verbreiteter Hunger herrsche.[3]:60–64

Geforderte Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deshalb beantragt Nicaragua eine gerichtliche Entscheidung über folgende Anklagepunkte:[3]:67

  • Deutschland verstößt gegen seine Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention, indem es in voller Kenntnis der Sachlage den andauernden Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifens nicht verhindert.
  • Deutschland hat durch die Aussetzung der Finanzierung des UNRWA gegen seine Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention, dem humanitären Völkerrecht und der Vierten Genfer Konvention verstoßen.
  • Deutschland muss die oben genannten Verstöße einstellen sowie sicherstellen, dass sie sich nicht wiederholen und den Schaden, den seine international unrechtmäßigen Handlungen verursacht haben, in vollem Umfang wiedergutmachen.

Geforderte vorläufige Maßnahmen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nicaragua ersucht das Gericht außerdem, folgende vorläufige Maßnahmen gemäß seinen eigenen Verpflichtungen erga omnes zu ergreifen, um die unmittelbare Gefahr einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen abzuwenden:[3]:68,101

  • Die sofortige Aussetzung der deutschen militärischen Unterstützung Israels, soweit diese unter Verletzung der Völkermordkonvention oder des Völkerrechts verwendet werden könnte.
  • Die Wiederaufnahme der deutschen Finanzierung des UNRWA.
  • Deutschland muss unverzüglich alles tun, um seinen Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht nachzukommen.
  • Deutschland muss mithelfen, die schwerwiegenden Verstöße gegen zwingende Normen des Völkerrechts zu beenden.

Argumentation Deutschlands[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Klageerwiderung wurde von der Vertreterin Deutschlands, Tania Freiin von Uslar-Gleichen, im Eröffnungsvortrag dargelegt, dass die Klage weder tatsächliche noch rechtliche Basis habe („no basis in fact or law“).[9]

Keine rechtliche Basis habe die Klage, denn das Gericht könne aufgrund der Monetary-Gold-Doktrin (Prinzip der unverzichtbaren dritten Partei) nicht über Klagen entscheiden, die als zentralen Gegenstand die Rechte eines Staates betreffen, der keine Partei des Verfahrens ist. In dem Fall sei Israel von der Klage direkt betroffen, könne sich aber nicht beteiligen. Nach Ansicht Legal Tribune Online ist hier die entscheidende Frage, „ob diese Regel auch schon im Eilverfahren Anwendung findet“.[10] Als weiteren rechtlichen Einwand gegen die Klage wurde vorgebracht, dass keine Streitigkeit zwischen Nicaragua und Deutschland bestehe, die bloße Verbalnote Nicaraguas an Deutschland dafür nicht ausreiche, es also am dispute-Erfordernis mangelt.[9]

Keine tatsächliche Basis habe die Klage hinsichtlich der Waffenlieferungen, denn es waren im Jahr 2023 bei den Exporten an Rüstungsgütern im Wert von 326 Millionen Euro aber nur 20 Millionen Euro davon für Kriegswaffen. In dem für die Klage relevanten Zeitraum ab dem 7. Oktober 2023 beziehen sich noch weniger, nämlich nur zwei Prozent, der Exportgenehmigungen auf Kriegswaffen. Und von den seit Oktober 2023 gelieferten Rüstungsgütern entfielen 80 Prozent auf den Monat Oktober 2023; im November 2023 wurden nur noch Exportgenehmigungen in Höhe von 23,6 Millionen Euro und im Februar 2024 von einer Million Euro erteilt.[9]

Auch der Vorwurf an mangelnder humanitärer Unterstützung der Palästinenser habe keine Basis, tatsächlich sei Deutschland der wichtigste Geldgeber für Palästina. Zwar habe die Bundesregierung am 27. Januar 2024 die Zahlungen an die UNRWA vorübergehend ausgesetzt, dafür aber Palästina über das Welternährungsprogramm, das Internationale Rote Kreuz und die UNICEF weiter unterstützt. Außerdem habe sich Deutschland an den Hilfslieferungen aus der Luft beteiligt.[9]

Mündliche Verhandlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 8. und 9. April 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor dem IGH statt, in der Nicaragua seine Anklagepunkte bekräftigte, während Deutschland für die Einstellung des Verfahrens plädierte.[11]

Entscheidungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu vorläufigen Maßnahmen

In einer ersten Entscheidung lehnte das Gericht am 30. April 2024 die Eilanträge Nicaraguas mit 15:1 Stimmen ab (die Gegenstimme kam von dem entsprechend den Statuten des Gerichts von Nicaragua als Ad-hoc-Richter benannten ehemaligen Ministerpräsidenten Jordaniens, Aun Schaukat al-Chasauneh), denn die Voraussetzungen zum Erlass von Sofortmaßnahmen seien aus tatsächlichen Gründen nicht erfüllt.[12] Das Gericht erklärte aber, dass es „tief besorgt über die katastrophalen Lebensbedingungen der Palästinenser im Gaza-Streifen“ ist.[13]

Zum Hauptverfahren

Über die Zulässigkeit der Klage wurde in der Entscheidung vom 30. April 2024 über die vorläufigen Maßnahmen noch nicht befunden.[12]

Öffentliche Sitzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die öffentliche Anhörung war für den 8. und 9. April 2024 angesetzt. Am ersten Tag zur Klage Nicaraguas und am zweiten Tag zur Erwiderung Deutschlands.[14]
  • Die Verkündung einer ersten Entscheidung des Gerichts im Verfahren wurde für Dienstag, 30. April 2024, ab 15 Uhr MESZ angesetzt.[15] Die öffentliche Sitzung wurde aufgezeichnet und auf der Webseite des Gerichts und auf UN Web TV gestreamt.[16]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Nicaragua vs. Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof. In: Deutschlandfunk. Abgerufen am 4. Mai 2024.
  2. Sämtliche Dokumente des Verfahrens. 1. März 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  3. a b c d e f Klage Nicaragua gegen Deutschland. 1. März 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  4. a b Note verbale Nicaragua an Deutschland. 1. März 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  5. Beschluss zum Antrag Südafrikas auf einstweilige Maßnahmen. 26. Januar 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  6. Matthew Karnitschnig: Moscow pressured Nicaragua to file genocide case against Germany, intel sources say, Politico vom 24. April 2024
  7. Abschlussbericht der unabhängigen Überprüfung der Mechanismen und Verfahren zur Gewährleistung der Einhaltung des humanitären Grundsatzes der Neutralität durch das UNRWA. 21. April 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  8. Laut Colonna-Bericht hat Israel noch keine Beweise für terroristische Verbindungen der Unrwa-Mitarbeiter vorgelegt. 22. April 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  9. a b c d Deutschland verteidigt sich gegen Nicaragua: Alles nur Test­waffen und Helme? In: Legal Tribune Online. 9. April 2024, abgerufen am 1. Mai 2024.
  10. Nicaragua begründet Klage gegen Deutschland "Humani­täre Hilfe leisten, aber gleich­zeitig Waffen lie­fern". In: Legal Tribune Online. 8. April 2024, abgerufen am 1. Mai 2024.
  11. Nicaragua gegen Deutschland: Mündliche Verhandlung am 8. und 9. April 2024. 9. April 2024, abgerufen am 26. April 2024 (englisch).
  12. a b Verfahren um Beihilfe zum Völkermord in Gaza: Wieso der IGH den Eil­an­trag gegen Deut­sch­land abge­lehnt hat. In: Legal Tribune Online. 30. April 2024, abgerufen am 30. April 2024: „Die Entscheidung erging mit 15 zu einer Stimme – dagegen stimmte nur der von Nicaragua nominierte jordanische Ad-hoc-Richter Aun Schaukat al-Chasauneh.“
  13. ICJ rules it will not halt German arms to Israel. In: www.bbc.com. 30. April 2024, abgerufen am 30. April 2023: „Presiding Judge Nawaf Salam said the ICJ - which ruled 15-1 - remains "deeply concerned about the catastrophic living conditions of the Palestinians in the Gaza Strip"“
  14. Public hearings to be held on Monday 8 and Tuesday 9 April 2024. In: www.icj-cij.org. 15. März 2024, abgerufen am 30. April 2024.
  15. Top UN Court To Rule On Germany/Nicaragua Gaza Genocide Case. 26. April 2024, abgerufen am 29. April 2024.
  16. Alleged Breaches of Certain International Obligations in respect of the Occupied Palestinian Territory (Nicaragua v. Germany) | Request for the indication of provisional measures | The Court to deliver its Order on Tuesday 30 April 2024 at 3 p.m. In: www.icj-cij.org. 26. April 2024, abgerufen am 29. April 2024.

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