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Thukydides

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Thukydides

Thukydides (* zwischen 460 und 455 v. Chr., † ca. 400 v. Chr.) war ein griechischer Historiker. Gesichert zugeschrieben wird ihm nur Der Peloponnesische Krieg (der Originaltitel ist nicht überliefert). Dieses Werk, mit dem er die wissenschaftliche Geschichtsschreibung begründete, machte ihn zum bedeutendsten Geschichtsschreiber der Antike.

Leben

Wenig ist über das Leben des Thukydides bekannt. Er stammte aus einer vornehmen Familie aus Athen und war entfernt mit Kimon und Miltiades verwandt. Sein Vater war Oloros, ein Athener aus dem Demos Halimus; die Familie unterhielt auch verwandtschaftliche Beziehungen nach Thrakien, wo sie über reiche Besitzungen (Goldbergwerke) verfügte. Politisch stammte er damit aus eher konservativen Kreisen, die der Politik des Reformers/Demokraten Perikles eher misstrauisch gegenüberstanden.

Bei Ausbruch des Peloponnesischen Krieges 431 v. Chr. war Thukydides ca. 30 Jahre alt. Da er dessen Bedeutung schon früh erkannte, begann er, Aufzeichnungen darüber anzufertigen. Als im Jahr 430 v. Chr. die Pest in Athen ausbrach, erkrankte Thukydides an dieser Krankheit, deren Verlauf er ausführlich in seinem Werk schildert.

Im Jahre 424 v. Chr. bekleidete er das Amt eines Strategos und war in Thrakien stationiert. Den Verlust der strategisch wichtigen Stadt Amphipolis an den spartanischen General Brasidas konnte er nicht verhindern – er kam mit seiner Flotte wenige Stunden zu spät. Er wurde für diese Niederlage, obwohl unverschuldet, abgesetzt und auf Vorschlag Kleons von der Volksversammlung aus Athen verbannt.

Das Exil verbrachte er vor allem auf den Besitzungen seiner Familie in Thrakien. Dort schrieb er auch sein berühmtes Werk nieder. Mit den Aufzeichnungen begann er zwar schon bei Kriegsbeginn, jedoch deuten Bemerkungen über das Kriegsende im Werk darauf hin, dass die eigentliche Niederschrift erst nach Kriegsende 404 v. Chr. erfolgte. Die teilweise recht detaillierten Ortsbeschreibungen lassen die Vermutung zu, dass er einige Schauplätze des Krieges zu Recherchezwecken selbst bereiste, z.B. Sizilien. Auch in Sparta hat er sich zeitweise aufgehalten.

Das genaue Datum seines Todes ist nicht bekannt, genauso wenig wie die Todesursache.

Werk

Aufbau

Thukydides bezog in seine Darstellung zahlreiche Quellen ein, zu denen er Zugang hatte, wobei freilich die Gefahr besteht, dass die mündlichen Berichte eine teils verzerrte Sichtweise wiedergeben. Das Werk läßt sich in fünf Teile gliedern (insgesamt 8 Bücher/Kapitel; die Einteilung selbst stammt jedoch nicht von Thukydides selbst, sondern wurde nachträglich vorgenommen):

  1. Einleitung (Vorgeschichte, Methodologie, Ursachen des Krieges): Buch I.
  2. archidamischer Krieg (431-421 v. Chr): Buch II-V.
  3. der faule Frieden (Nikiasfrieden, 421-416 v. Chr.): Buch V, VI.
  4. Sizilische Expedition (415-413 v. Chr.): Buch VI, VII.
  5. der dekeleisch-ionische Krieg (414/13-411 v. Chr. Ende des Werkes; der Krieg selbst dauerte noch bis 404 v. Chr. an): Buch VIII.

Das VIII. Buch bricht abrupt im Jahre 411 v.Chr. ab, der Historiker Xenophon setzte es in seiner Hellenika fort, der damit eine antike historiographische Tradition begründete. Auch wirken Teile des Werkes unfertig, sodass davon auszugehen ist, dass der Tod Thukydides von einer gründlichen Überarbeitung des letzten Teils abgehalten hat.

Die so genannte Thukydideische Frage, nämlich ob das Werk in Etappen oder als Ganzes entstanden ist, ist in der Forschung bis heute umstritten.

Stil und Darstellung

In klarer Abgrenzung zu Herodot, der nicht strikt zwischen Mythen und Realem unterschied, wollte Thukydides nur das berichten, was auch wirklich vorgefallen ist. Sein Ziel ist Klarheit und Gegenwartsbezug. Thukydides schrieb, modern ausgedrückt, Zeitgeschichte, was sehr ungewöhnlich war. Der wissenschaftliche Bezug des Werkes wird vor allem in der Einleitung deutlich, wo er seine wissenschaftliche Methodik erläutert. Großen Einfluss auf die Geschicke der Menschen wies Thukydides der Tyché, dem Zufall zu (wobei er jedoch menschliches Versagen nie auf das Wirken der Götter zurückführte); die Pest und das Fiasko der Sizilienexpedition können hierfür als Beispiele dienen.

Bei der Auswahl des Quellenmaterials ging Thukydides nach eigenen Aussagen systematisch und nach dem Grundsatz der Genauigkeit vor (Thuk. I. 22,2 f.). Das Werk selbst ist klar strukturiert, in einem nüchternen, knappen Stil verfasst, wobei sich in den (stilisierten) Reden der Einfluss der sophistischen Rhetorik bemerkbar macht. Die Reden stellen ohnehin ein Herzstück des Werkes dar, wobei diese Art der Darstellung sich teilweise an die Tragödiendichtung anlehnt. Die geschichtsphilosophischen Erwägungen heben das Geschichtswerk deutlich von Herodots Werk ab: Thuykdides analysiert sowohl innenpolitische Konflikte (wie die stasis in Kerkyra) als auch die Verzahnung der Innen- mit der Außenpolitik (exemplarisch kann dafür das Wirken des Alkibiades angeführt werden). Allerdings ist seine Darstellung der griechischen Frühgeschichte (Archailogia) weitgehend wertlos, und auch die Darstellung der Pentekontaetaia weist schmerzhafte Lücken auf, wohingegen die Schilderung des Krieges mit großer Ausfühlichkeit erfolgt - freilich nicht ohne Selektion und immer auch mit der Intention verbunden, uns die Sicht der Dinge so nahezubringen, wie sie Thukydides verstand. Dies ist denn auch das große Problem bei der Beschäftigung mit seinem Werk.

Thukydides wollte nicht nur den gewaltigen Krieg zwischen den Bündnissystemen Athens und Spartas beschreiben, er suchte auch nach den anthropologischen Ursachen und ging der Frage nach, wie eine Hegemonialmacht zu Grunde gehen kann. Sein Hauptaugenmerk galt dabei der Macht, die er als Triebfeder des Politischen erkannte. Nirgends wird dies deutlicher als im berühmten Melierdialog (Thuk V. 85 ff.). Dieser gipfelt in der zynischen Feststellung der Athener, dass Recht und Gerechtigkeit nur zwischen Gleichstarken gelten könnten, und dass moralische Entrüstung über die Unterwerfung der Schwachen (hier also der Insel Melos) durch die Starken (Athen) unangebracht sei. Dabei weist Thukydides auch auf die Verrohung der Sitten hin, zu die der Krieg geführt habe, ähnlich wie bei der Beschreibung des Bürgerkriegs in Kerkyra.

Thukydides trennte vorgeschobene Anlässe von den (seiner Meinung nach) wahren Ursachen des Konflikts, der die Geschichte des klassischen Griechenlands nachhaltig verändern sollte. Die wahre Ursache für den Ausbruch des Krieges sah Thukydides im Großmachtstreben Athens, dem sich die alte Hegemonialmacht Sparta widersetzte. Für Thukydides ist dabei der Athener Perikles der Prototyp eines großen Staatsmannes, auch wenn er Athen in den Krieg steuerte; allerdings scheint Thukydides die Meinung vertreten zu haben, dass die Strategie des Perikles die erfolgversprechendste für einen Sieg Athens gewesen wäre.

Bei der Darstellung der Kriegsereignisse verfährt Thukydides nach dem chronologischen Muster von Jahreszeiten - eine Neuerung für die Griechen, die eine einheitliche Jahreszählung noch nicht kannten. Dabei werden manche Ereignisse recht knapp, andere hingegen sehr ausführlich behandelt, wobei gerade in den Reden teilweise eine beeindruckende Argumentationskette aufgebaut wird.

Die wissenschaftliche Haltung eint Thukyidides mit seinem Zeitgenossen Hippokrates, der die empirische und vernunftbasierte Herangehensweise in die Medizin einführte. Dies wird vor allem in seiner Analyse der Pestepidemie deutlich.

Gerade die rationale und kühle Analyse der Politik - sein Werk sollte schließlich, in didaktischer Absicht, ein "Besitz für alle Zeit" (ktéma eis aeí, wobei Thukydides feststellt, das sich das Wesen der Menschen nicht grundlegend ändere) sein und den Zynismus der Handelnden aufdecken - macht dieses Werk so bedeutend, trotz vieler Kritikpunkte. Es geht in seiner das geschichtliche Wirken tief durchdringenden Weise weit über eine bloß aufzählende Kriegs-Chronik hinaus.

Problematik

Thukydides baute zahlreiche Reden in sein Werk ein (ca. ein Viertel des Gesamtwerks), die aber – wie er selbst betont – nicht den genauen Wortlaut wiedergeben, denn:

Die wörtliche Genauigkeit wiederzugeben war schwierig sowohl für mich, wo ich selber zuhörte, wie auch für meine Gewährsleute von anderwärts. Wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage sprechen musste, so stehen die Reden da - in möglichst engem Anschluss an den Gesamtsinn des in Wirklichkeit Gesagten.“ (Thuk I. 22, übersetzt von G.P. Landmann)

Durch solcherlei Abstraktion ist es schwierig, die Intention des Thukydides vom eigentlichen Zeitgeschehen zu trennen, vor allem, wenn manchem Redner die Meinung des Thukydides in den Mund gelegt wird (wie die berühmte Grabrede des Perikles [II. 34 ff.], die wohl so nie gehalten wurde), auch wenn sich die Reden so nah wie möglich am tatsächlich Gesagten orientieren. Zudem arrangierte Thukydides sein Werk derart, dass vor allem seine Betrachtungsweise der Realpolitik deutlich wurde - was ihn freilich dazu verleiten konnte, manche Ereignisse stilisiert wiederzugeben oder manche überhaupt nicht anzusprechen, wie etwa den so genannten Kalliasfrieden: Thukydides erwähnt den Frieden nicht, obwohl es ihn wahrscheinlich gegeben hat (zu diesem Punkt siehe Forschungsproblematik des Kalliasfriedens).

Thukydides tritt nicht vollständig hinter die Handlung zurück, er orientiert sich jedoch weitgehend am Grundsatz der größtmöglichen Objektivität. Daran besteht auch in der modernen Forschung wenig Zweifel: zwar lassen sich nicht alle Angaben des Thukydides verifizieren, aber doch ein guter Teil (wie Vergleiche mit Inschriften oder die Methodik der Prosopographie belegen). Dass uns allein Thukydides als Hauptquelle für einen wichtigen Zeitabschnitt der antiken Geschichte zur Verfügung steht und wir seine persönlichen Auswahlkriterien nicht immer kennen, muss in diesem Kontext stets mitbedacht werden.

Nachwirkung und Bedeutung

So zu schreiben wie Thukydides, mit scharfer Urteilskraft und (freilich nicht völlig uneingeschränkter) Objektivität, war das Ziel vieler antiker Autoren - wenn sie sich denn für politische Geschichte interessierten (teils Xenophon und Polybios, teils spätere Autoren der römischen Kaiserzeit). In Byzanz blieb er oft Vorbild (siehe Prokopios von Caesarea). Dennoch war Thukydides, der in seinem Werk Themen wie Frauen und Kulte etc. weitgehend aussparte, in der Antike nicht so beliebt wie Herodot. Im Westen kannte man Thukydides während des Mittelalters nur in Auszügen und in indirekter Überlieferung aus Byzanz, während er in der Renaissance wieder Verbreitung fand.

In der Moderne wurde er als 'Vater der politischen Geschichtsschreibung' gefeiert und seine Objektivität gerühmt. Macchiavelli, Thomas Hobbes (stark von ihm beeinflusst), David Hume, Immanuel Kant, Hegel und Nietzsche (um nur einige Beispiele zu nennen) priesen ihn, ebenso wie viele Historiker der Neuzeit.

Die Geschichte des Thukydides ist das Werk eines großen und scharfsinnigen Geistes. Vielleicht ist es sogar das größte und bedeutendste Geschichtswerk, welches jemals geschrieben wurde. Es entwickelte (trotz seiner Komplexität, die es nicht gerade leicht machte, das Werk zu erfassen) eine ungeheure Breitenwirkung bis in unsere heutige Zeit hinein (siehe den berühmten Melierdialog; Thukydides Worte über die Demokratie standen - vor ihrer Streichung - als Motto des Textentwurfs zur EU-Verfassung; siehe die politische Geschichtsschreibung als solche).

Trotzdem muss gesagt werden, dass gerade die Wirkungsmächtigkeit seines Werkes die modernen Historiker dazu verleiten kann, seine Darstellung unreflektiert zu übernehmen. Thukydides verfährt in Teilen recht selektiv, von der Problematik der Reden ganz zu schweigen (siehe oben).

Und dennoch ist sein Geschichtsverständnis einmalig gewesen, denn er unterschied streng zwischen Ursache und Anlass, womit er den Schritt zur wissenschaftlichen Beurteilung eines Geschehens machte. So kritisch man im Einzelnen verfahren kann, so bleibt doch der Gesamteindruck eines intelligenten und scharfsinnigen Autors bestehen, der mit seiner Monographie über den Peloponnesischen Krieg ein einmaliges Werk geschaffen hat.

Zitate zu Thukydides

  • Von der jämmerlichen Schönfärberei der Griechen in's Ideal, die der "klassisch gebildete" Jüngling als Lohn für seine Gymnasial-Dressur in's Leben davonträgt, kurirt Nichts so gründlich als Thukydides. (Friedrich Nietzsche, "Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt", 1888)
  • . . the first page of Thucydides is, in my opinion, the commencement of real history. All preceding narrations are so intermixed with fable, that philosophers ought to abandon them, to the embellishments of poets and orators. (David Hume, "Of the Populousness of Ancient Nations")

Literatur

Übersetzungen

  • Thukydides: Der Peloponnesische Krieg (Reclam), hrsg. von H. Vrestka und W. Rinner, Stuttgart 2000. Dort auch weiterführende Literatur und Angaben zu anderen Ausgaben des Werks. ISBN 3-150-01808-0 Diese Ausgabe ist näher am Text als Landmanns Übersetzung.
  • Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges (Bücherei Tusculum), gr.-dt. von Georg Peter Landmann, 2 Bde., Darmstadt 1993. Leider z.Z. nicht lieferbar.
  • Thukydides: Der Peloponnesische Krieg (Bibliothek der alten Welt), übersetzt von G. P. Landmann, Düsseldorf 2002. ISBN 3-7608-4103-1

Sekundärliteratur (in Auswahl)

  • Simon Hornblower: A Commentary on Thucydides, Oxford 1991 ff. ISBN 0198150997 (Bd. 1) Der beste Kommentar zum Werk des Thukydides.
  • Ders.: Thukydides aus Athen. I. Herkunft und Leben. II. Werk. A. Inhalt. B. Methode. C. Probleme der Forschung. III. Würdigung, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hrsg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider, Bd. 12 (2002), S. 506-511. Knappe Diskussion des Forschungsstandes und Angaben zur neueren Literatur.
  • Hartmut Leppin: Thukydides und die Verfassung der Polis. Ein Beitrag zur politischen Ideengeschichte des fünften Jahrhunderts vor Christus, Berlin 1999. ISBN 3050034580 Ideengeschichtliche Abhandlung, die Thukydides im Zusammenhang mit seiner Zeit betrachtet.
  • Wolfgang Schadewaldt: Die Anfänge der Geschichtsschreibung bei den Griechen, Bd. 2, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1990. ISBN 3-518-27989-0 Zur Einführung.
  • Holger Sonnabend: Thukydides (Studienbücher Antike 13), Hildesheim 2004. ISBN 3-487-12787-3 Hervorragende Gesamtdarstellung.
  • Thukydides, hrsg. von H. Herter, Wege der Forschung Bd. 98, Darmstadt 1968. Sammlung von teils älteren Spezialaufsätzen zum Thema; dort findet sich auch eine Auflistung eines Großteils der älteren Literatur.
  • Wolfgang Will: Thukydides und Perikles. Der Historiker und sein Held (= Antiquitas. Abhandlungen zur Alten Geschichte, Bd. 51), Bonn 2003. ISBN 3-7749-3149-6 Intelligente Abhandlung über das Geschichtsbild des Thukydides; das Buch ist dabei fast schon eine Doppelbiographie der beiden berühmten Athener.

Weblinks

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