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Matthias Lackas

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Matthias Lackas, 1938

Matthias Lackas (* 28. November 1905 in Merzig an der Saar; † 29. Mai 1968 in München) war Buchhändler, Verlagsvertreter, während des Zweiten Weltkriegs zeitweiliger Geschäftsführer der Versandbuchhandlung Arnold (ein Tochterunternehmen des ehemaligen Ullstein Konzerns), in dieser Position sowie als nachmaliger Mitarbeiter im Deutschen Archiv Verlag zentral in den Korruptionsskandal verwickelt, in den 1943/44 Heeres- und Luftwaffenstellen hineingezogen wurden. Nach dem Krieg machte er eine zweite Karriere als erfolgreicher Verleger. Sein 1949 gegründeter Perlen-Verlag, Marbach am Neckar, dann München, erzielte mit dem von Karlheinz Graudenz unter Mitarbeit von Erica Pappritz verfassten Buch der Etikette einen der größten Geschäftserfolge der fünfziger und sechziger Jahre. Das Unternehmen besteht, 1963 mit Gewinn verkauft und umfirmiert, heute im Südwest-Verlag fort. Lackas unterhielt daneben eine eigene Buchgemeinschaft, die er mit großem geschäftlichen Erfolg Mitte der fünfziger Jahre im Bertelsmann Lesering aufgehen ließ. Seiner Gründung verdankt sich schließlich die Matthias Lackas-Stiftung, die sich heute in der Krebsforschung engagiert.

Ausbildung und erste berufliche Tätigkeiten

Bereits Lackas' Vater, Nikolaus, war verlegerisch tätig; als Volksschullehrer politisch engagiert publizierte er patriotisch saarländische Schriften, zum Teil im Selbstverlag. 1911 zog die Familie nach Trier, Lackas brach das Gymnasium aufgrund schwächlicher Gesundheit ab. Er machte eine Berufsausbildung zum Buchhändler, scheiterte aber beim Versuch, sich als Lehrmittelvertreter selbständig zu machen.

Verschuldet verließ er Trier. Ab 1931 arbeitete er als Vertreter bei einem Lehrmittelvertrieb in Berlin. 1933 bei der Lehrmittel- und Globusfabrik Räth in Leipzig, 1935 durch Vermittlung seines Bruders beim Aichacher Kurier. Erst 1939 erlangte er größere Sicherheit durch eine Anstellung als Korrespondent im Deutschen Verlag, Berlin, dem ehemaligen Haus Ullstein. Auf eine Aushilfsvertretung in Hamburg folgte die Übertragung der Generalvertretung für das Rheinland. Sie wurde das Karrieresprungbrett. Lackas brachte seinen Bezirk auf den zweiten Platz in der unternehmensinternen Rangskala und wurde schließlich 1941 in die Zentrale nach Berlin berufen, um dort eine Verluste einfahrende Unternehmenstochter, die Versandbuchhandlung Georg Arnold, zu sanieren.

Angestellter des Deutschen Verlags (Ullstein) und Mittelsmann des Frontbuchhandels

Die Leitung der Versandbuchhandlung Georg Arnold nutzte Lackas zu einer Sanierung, die ihn selbst zum faktischen Alleinunternehmer machte: Mit 50 Angestellten und einem Jahresumsatz von rund RM 500.000 schrieb die Filiale rote Zahlen. Der Umsatz ließ sich 1941 auf RM 1.500.000 steigern und erreichte 1942 die exorbitante Höhe von RM 8.500.000 (etwa mit 5 zu multiplizieren für einen heutigen Wert in Euro) – bei einer Belegschaft, unter der letztlich drei Personen und eine Sekretärin die Aktivposten waren. Lackas sprach bei den Wehrmachtsstellen vor, die Bücher für Feldlazarette und deren Bibliotheken einkauften, und brachte hier sein Unternehmen in die lukrative Stellung eines organisatorisch tätigen, Kontingente ausschöpfenden Zwischenhändlers: Mit dem Krieg wurde Papier rationiert. Um die Soldaten mit gedruckter Ware zu versorgen, erhielten die einzelnen Waffengattungen, die Parteiverbände und die größeren Organisationen, wie die Organisation Todt, vierteljährlich Papierkontingente zugesprochen. Für das bewilligte Papierquantum konnten sie bei Verlagen Bücher erwerben. Um den Handel vor Korruption zu schützen, wurden Direktbestellungen so gut wie ausgeschlossen. Versandbuchhandlungen wurden als Zwischenhändler attraktiv. Das von Lackas geführte Unternehmen genoss hier als Unterabteilung des Medienkonzerns der Partei (Ullstein war 1937 „arisiert“ und im Verlauf des Verfahrens dem Zentralverlag der NSDAP angegliedert worden) eine günstige Stellung. Lackas bot an, die Belieferung mit Büchern für Wehrmachtsabteilungen, die dies wollten, komplett zu organisieren. Er ließ sich mitteilen, wie viel Papier im Quartal zu verdrucken war, und knüpfte die Kontakte zu Verlagen, die in diesem Umfang liefern konnten. Das Verfahren wurde durch die Vergabe von Papierschecks überwacht und bürokratisiert: Jeder Auftrag an einen Verlag war im Verlauf auf einem Formular samt dem erforderlichen Papiervolumen zu notieren. Alle am Handel Beteiligten vom Papierlieferanten über den Verlag zum Endabnehmer notierten ihre Teilnahme, bevor zwei Behörden den Papierscheck und den mit ihm ergehenden Auftrag unabhängig voneinander überprüften.

Für die Wehrmachtsstellen war das Verfahren problematisch, da sie kaum über die nötigen Beziehungen zum Buchhandel verfügten, um Papierschecks rasch in das Genehmigungsverfahren zu bringen. Schöpften sie Kontingente nicht aus, so wurden diese absehbar zusammengestrichen. Lackas modifizierte das Verfahren, indem er sich die Papierschecks aushändigen ließ und sich mit ihnen an Verlage seiner Wahl wandte. Von ihnen ließ er sich Unterschriften der verantwortlichen Verlagsrepräsentanten blanko in die Formulare einsetzen – die Aufträge, die Papiervolumina und die Kosten blieben offen. Am Quartalsende konnte er mit den auf diese Weise vorab unterzeichneten Schecks bei den Wehrmachtsbestellern vorsprechen und nun die zu vergebenden Papiervolumina und Aufträge punktgenau einsetzen, so dass die Zuteilungen restlos ausgeschöpft würden. Das Verfahren war für die Verlage wie die Kunden der Wehrmacht interessant; es degradierte die Genehmigungsbehörden jedoch zu Institutionen, die die fertigen Schecks nur noch nachgeschalteten abzeichnen konnten.

Im nächsten Schritt verselbständigte sich der Handel: Die Verlage begannen den Druck, bevor die Schecks von den Behörden genehmigt zurückkamen. Das schien wenig problematisch, da die Papiervolumina ja bereits den Bestellern in Armee- und Parteiorganisationen zugestanden waren.

Ein komplexes Bestechungswesen schmierte den gesamten Handel: Verlage zahlten Lackas Provisionen, die er über zwei Mittelsmänner im eigenen Unternehmen abschöpfen ließ – sein eigenes Gehalt war fixiert. Er selbst bestach mit „Mangelwaren“ aus Frankreich und den Niederlanden, Gütern, die im Krieg nicht mehr zu erhalten waren, die Personen in den Heeresämtern, die ihn mit Aufträgen und mit Sicherheiten ausstatteten (amtlichen Schreiben, die ihm Türen öffneten, und ihn selbst vor der Einziehung zum Kriegsdienst schützten).

Geheimprozess vor dem Zentralgericht des Heeres und Todesurteil

In eine prekäre Lage geriet Matthias Lackas, als er Ende 1942 mit dem Deutschen Verlag brach. Ziel der provozierten Aktion war die geschäftliche Selbstständigkeit. Die von Lackas geführte Unternehmenstochter machte den größten Teil des Gewinnes, den der ehemalige Ullstein-Konzern jetzt einfuhr. Theoretisch musste es möglich sein, direkt als Zwischenhändler für die Wehrmacht tätig zu werden. Ein Mitarbeiterstab von zwei Mann würde dazu ausreichen.

Praktisch bedeutete der Ausstieg aus dem Mutterkonzern das Ende der Protektion durch den Parteiverlag der NSDAP. Lackas wurde unverzüglich nach dem Bruch Anfang Dezember 1942 zum Kriegsdienst einberufen und konnte sich nur noch dank seines wichtigsten Auftraggebers in der Luftwaffe retten. Dieser vermittelte ihn an einen Kleinverlag, den Deutschen Archiv Verlag, der sich vor allem mit Reiterliteratur hervortat.

In einem komplexen Arrangement handelte die Luftwaffe die Modalitäten aus, unter denen sie weiterhin über Lackas bestellen könnte – die Konflikte mit dessen ehemaligem Arbeitgeber beendete das nicht. Die Vorgesetzten des Deutschen Verlages sahen sich die Geschäfte des ehemaligen Untergebenen entgehen und sorgten im Verlauf des Jahres 1943 für die Vorbereitung des Korruptionsskandals, mit dem Lackas und die beteiligten Armeestellen Ende 1943 in das Fadenkreuz geheimer Korruptionsermittlungen gerieten. Das Ende des lancierten Verfahrens war der im vom 14. März bis zum 22. April 1944 verhandelte Geheimprozess gegen Lackas und seine zwei wichtigsten Mitarbeiter, in dessen Verlauf sich am 12. April das Zentralgericht des Heeres konstituierte.

Die auf seiten der Wehrmacht inhaftierten Dienststellenleiter begingen im Lauf des Verfahrens, so die Aktenvermerke, in ihren Zellen Selbstmord. Lackas wurde am 31. Mai 1944 zum Tode verurteilt. Unter den Unternehmen, die mit ihm arbeiteten, befanden sich der S. Fischer Verlag, Berlin; der Wolfgang-Krüger-Verlag, Berlin; der Wilhelm Frick-Verlag, Wien; der C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh; der Verlag Karl Rauch, Dessau; der Societäts-Verlag, Frankfurt (Eher-Konzern); der Stufen-Verlag, Leipzig, die Verlagsbuchhandlung Ludwig Kicheler, Darmstadt; der Verlag H. Goverts, Hamburg; der Willibald-Keller-Verlag, Leipzig; der Völkischen Verlag, Düsseldorf; Piper Verlag, München; die Saarpfälzische Druckerei- und Verlagsgesellschaft, Kaiserslautern, der Eugen Händle-Verlag, Mühlacker. Der Prozessschwerpunkt wurde jedoch auf Bertelsmann, den Hauptkonkurrenten des Medienkonzerns der NSDAP gelegt. Bertelsmann sollte, so die Planung des Jahres 1944, der Anschlussprozess gemacht werden.

Flucht auf dem Weg an die Front

Sein Überleben verdankte Lackas am Ende dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und der Größe des Verfahrens, das er auslöste. Sein Prozess wurde vor dem Hintergrund des politischen Zusammenbruchs als Verfahren der Selbstreinigung der Wehrmacht vor einem Großaufgebot regimeinterner Öffentlichkeit „geheim“ veranstaltet – vor dem im Rahmen dieses Prozesses eingerichteten Sondergericht, vor dem im September 1944 noch gegen Wolfgang Borchert verhandelt wurde. Das Zentralgericht des Heeres ging im Herbst 1944 im Volksgerichtshof auf, vor dem die Attentäter des 20 Juli standen. Die Vollstreckung des Urteils gegen Lackas schob sich durch das Gnadengesuch, das er am 12. Juni 1944 einreichte, und dann in Folge der fortgesetzten Ermittlungen gegen Bertelsmann auf. Lackas blieb als möglicher Zeuge des Anschlussprozesses am Leben. Die führenden Bertelsmann-Mitarbeiter wurden Ende 1943, Anfang 1944 inhaftiert und zu seinem Prozess nach Berlin verbracht. Die Verlagerung des gegen sie selbst anlaufenden Verfahrens nach Westfalen gab ihren Anwälten im März 1945 glücklich die Chance, vor Ort ein Arrangement für den Gütersloher Verlag auszuhandeln. Matthias Lackas war von diesem Arrangement nicht mehr betroffen. Heinrich Himmler lehnte sein Gnadengesuch am 4. September 1944 ab (milderte aber die Strafmaße für die Mitangeklagten von Riewel und Moldt). Im Frühjahr 1945 wurde das noch immer nicht vollstreckte Urteil in die „Bewährung an der Front“ umgewandelt. Das Todeskommando erreichte der Sammeltransport aus dem Gefängnis Berlin Moabit nicht mehr. Als der Zug vor Pilsen, das soeben bombardiert wurde, zum Stillstand kam, ließ das Zugpersonal die Gefangenen frei. Lackas schlug sich in den Westen durch, kam vorübergehend in amerikanische Gefangenschaft, gelangte nach Aichach zu seinem Bruder Joseph. Sein weiterer Weg führt ihn nach Marbach am Neckar, wo der ehemalige Druckereibesitzer Cantz eine Anlaufstelle gestrandeter Verlagsbuchhändler war.

Nachkriegskarriere

Gemeinsam mit Kollegen aus der Verlagsbranche und Johannes Hoffmann, dem späteren Ministerpräsidenten des Saarlands, erhielt Lackas am 21. Februar 1946 die Lizenz für die Gründung des Saar-Verlags, Saarbrücken. Das Unternehmen entwickelt sich jedoch wegen irregulärer Geschäftspraktiken, in die vor allem Lackas involviert war, desaströs. Lackas musste den Saar-Verlag wenig später im Eklat verlassen.

Am 14. Juli 1949 gründete er als seinen eigenen Verlag den Perlen-Verlag mit Sitz in Marbach. Eine eigene Buchgemeinschaft unter dem Titel „Bücher für alle“ rundete das Unternehmen ab. Lackas gewann für sie, soweit ersichtlich, ab 1950 800.000 Mitglieder, die die Abnahme eines Romans pro Monat zusicherten. „Bücher für alle“ ging Mitte der fünfziger Jahre im Bertelsmann-Lesering auf, Lackas erhielt für die Mitglieder, die er dem ehemaligen Konkurrenten zuführte, eine dauerhafte Pacht. Der Perlen-Verlag feierte Ende der 1950er Jahre seinen herausragenden Geschäftserfolg mit Graudenz' Buch der Etikette, das zur wichtigsten Benimm-Fibel der Nachkriegsrepublik wurde.

Am 30. Juni 1958 zog der Perlen-Verlag von Marbach nach München um. Am 12. März 1963 wurde er in Südwest-Verlag, München, umbenannt und unter diesem Namen verkauft. Am 29. Mai 1968 starb Matthias Lackas in München an Lungenkrebs. Sein Vermögen blieb vorläufig gesichert zur Versorgung seiner Frau. Seit ihrem Tod in den 1980ern steht es der heute von seinem ehemaligen Wirtschaftsprüfer geleiteten Matthias Lackas-Stiftung zum Einsatz in Projekten der Krebsforschung zur Verfügung.

Literatur

  • Hans-Eugen Bühler/ Olaf Simons, Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas. Korruptionsermittlungen in der Verlagswelt des Dritten Reichs (Köln: Pierre Marteau, 2004). ISBN 3-00-013343-7

Weblinks