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BMW R 27

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BMW R 27, 18 PS, mit Hochlenker und Doppelsitzbank, Lackierung nicht original

Das Modell R 27 ist ein von 1960 bis 1966 von BMW hergestelltes Motorrad mit Einzylinder-Viertaktmotor und das letzte, höchstwertige Baumuster der klassischen Einzylinder-BMWs mit Kardanantrieb.

Mit ihr endete die Ära deutschen Motorradbaus, in der ein Motorrad noch wahlweise das Hauptfortbewegungsmittel war. Die aufkommende Konkurrenz von preiswerten Autos einerseits und sportlichen japanischen Motorrädern für den Freizeiteinsatz andererseits ließ den Markt für diese Art aufwändig gebauter Motorräder zu Ende gehen. Ihre besonderen Eigenschaften machen die BMWs nach Art der R 27 zu ausgezeichneten Reisemaschinen, mit denen sich ermüdungsarm lange Strecken zurücklegen lassen.

Siehe auch den Artikel zu den Vollschwingen-BMW.

Vorgängerversion

Der Vorgänger der R 27 war das Modell BMW R26 mit 11 kW/15 PS und dem im wesentlichen gleichen Vollschwingenrahmen mit Kardanwellenantrieb. Von dieser unterscheidet sich die R 27 mit einem auf 13 kW/18 PS erstarkten Viertakt-Motor, um der damaligen Konkkurrenz der NSU Max-Motorräder gewachsen zu sein.

Konstruktionsmerkmale

Der Rahmen ist aus Stahlrohr geschweißt und wegen seiner großen Stabilität für den Beiwagenbetrieb sehr gut geeignet. In seiner Bauart ist er den weit schnelleren Zweizylinder-BMWs fast gleichwertig. Lediglich die aufwendigen, oval gezogenen Unterrohre der Zweizylinder waren an den kleineren R 26 und R 27 nicht zu finden.

Nicht alle R 27-Motorräder hatten jedoch die seitlich angebrachten Kugelköpfe für den Beiwagenbetrieb serienmäßig. Bei Behördenmotorrädern ließ man diese Kugelköpfe meist aus Kostengründen weg. Der Seitenwagen S 250 von Steib war ein passendes Beiwagenmodell. Der Beiwagenbetrieb erfordert eine spezielle Zahnradübersetzung des Kardanantriebes, die bei BMW optiert werden konnte: mit einer kürzeren Untersetzung verringert sich die Höchstgeschwindigkeit, jedoch bleiben Zugkraft und Beschleunigungsvermögen weitenteils erhalten.

Die Schutzbleche und der Tank sind aus Stahlblech, Felgen und Naben aus Aluminium. Der Motorblock ist wie das Getriebe und das Kardangetriebegehäuse aus Aluminiumguss. Während die Vormodelle, die BMW R 25/3 und die BMW R 26, lediglich Gummibuchsen zur Lagerung des Motors im Gehäuse für zwei Steckachsen hatten, war die Antriebsaufhängung der R 27 nach einem völlig anderen Prinzip konstruiert. Der Motor steht auf zwei Gummi-Metallelementen (Elastomerlagern), desgleichen das Getriebe auf zwei weiteren Elementen. Der Motor hat am Zylinderkopf einen fünften Haltepunkt mit einem weiteren Gummi-Metallelement. Somit ist die Motor-Getriebeeinheit komplett in Gummi gelagert. Auch der Auspufftopf ist elastisch gelagert, um Vibrationen vom Rahmen abzuhalten. Mechanische Geräusche und Vibrationen von Motors und Getriebe werden somit nicht auf das Fahrwerk und den Fahrer übertragen. Dadurch wurde die R 27 zu einem für die damalige Zeit äußerst leisen und schwingungsarmen Motorradtyp. Diese Eigenschaft der Schwingungsarmut macht alle BMWs nach diesem Bauprinzip zu großartigen Reisemaschinen.

Motor

Der Motor ist wie bei den Vorgängermodellen BMW R 25/3 und BMW R 26 ein längslaufender Einzylinder Viertaktmotor mit seitlich halbhoch gelagerter Nockenwelle und außen neben dem Zylinder in Chromrohren geführten Stößelstangen. Diese betätigen die Kipphebel im Zylinderkopf, welche ihrerseits die hängenden Ein- und Auslassventile betätigen (OHV-Motor). Die Kipphebel sind wie das Pleuellager in Bronzebuchsen gelagert, die Kurbelwelle in Kugellagern. Die Nockenwelle wird über eine im Ölbad laufende Simplexkette von der Kurbelwelle angetrieben. Die Ölpumpe, eine einfache Zahnradpumpe, befindet sich in der Ölwanne. Sie wird über einen Schneckentrieb (Untersetzung) von der Nockenwelle angetrieben.

Auf dem vorderen Kurbelwellenstumpf sitzt hinter dem Aluminiumdeckel die weitgehend wasserdicht gekapselte Lichtmaschine. BMW hatte mit der R 27 den Fliehkraftregler und den Zündkontakt für die Zündsteuerung vor die Nockenwelle ausgelagert. Die Lichtmaschine ist eine 6 Volt-Gleichstrom-Lichtmaschine, deren Laderegler unter dem Tank sitzt.

Auf dem hinteren Kurbelwellenstumpf sitzt die schwere Schwungscheibe, die im Schauloch die Zündeinstellmarkierungen zeigt. Die Schwungscheibe nimmt die Einscheibentrockenkupplung auf. Die Kupplung wird mit einem Axiallager über eine Druckstange betätigt, die durch die hohle Getriebehauptwelle verläuft.

Der Vergaser ist ein klassischer 26er Bing-Schwimmerkammervergaser mit konischer Düsennadel im Rundschieber. Das Trockenluftfilterelement befindet sich am rechten Seitendeckel. Der Luftfilter kann mit Druckluft gereinigt werden, muss aber später ausgetauscht werden, da er nicht wie bei den Vorgängermodellen R 25/3 und R 26 ein waschbarer Nassluftfilter ist. Der linke Seitendeckel auf der Kickstarter-Seite nimmt die 6 Volt-Bleibatterie auf.

Durch die vergrößerten Kühlrippen des Zylinders und des Zylinderkopfes traten die Kühlprobleme, die bei den Vorgängern teilweise im Seitenwagenbetrieb beobachtet wurden, nicht mehr auf.

Antrieb

Die R27 hat wie die Vorgängermodelle ein fußgeschaltetes Vierganggetriebe mit Klauenschaltung, Leerlaufanzeige und Kickstarter. Ein bei den BMW-Motorrädern früher oft zu findender zusätzlicher Handschalthebel war zuvor schon bei der R 26 entfallen. Der Antriebsstrang erfordert am Getriebeausgang ein (wegen der beweglichen Schwinge) elastisches Drehmomentübertragungselement. Dazu ist eine elastomere Vierlochscheibe (Hardyscheibe) am Zweifingerflansch des Getriebes aufgeschoben, die das Drehmoment der Getriebeausgangswelle auf die Zweifingeraufnahme der Kardanwelle überträgt. Eine Alukappe, die am Getriebe befestigt ist, umschließt die Hardyscheibe, um diese gegen Staub und Regenwasser zu schützen. Die Kardanwelle zum Hinterrad läuft trocken im Stahlrohr der Hinterrad-Schwinge, die am Ende das Aluminium-Winkelgetriebe mit Hypoidverzahnung (90° Umlenkung) aufnimmt. Die Hypoidzahnräder des Umlenkgetriebes laufen in einem speziellen Schwergetriebeöl für hohe Flankenpressungen (Hypoidöl).

Der gesamte Antriebsstrang ist komplett gegen Verschmutzungen und Feuchtigkeit gekapselt und bis auf seltenen Ölwechsel nahezu wartungsfrei, sehr im Gegensatz zu den damalig anzutreffenden Kettenantrieben.

Fahrwerk

Bei dem Fahrwerk handelt es sich um einen geschweißten Doppelrohrrahmen aus Stahl. Er entspricht, bis auf die geänderte Motorlagerung, dem der BMW R 26. Am Vorderrad dient eine geschobene Langarmschwinge mit zwei Federbeinen und Öldruckstoßdämpfern der Radführung. Das Hinterrad führt eine gezogene Langschwinge, ebenfalls mit je zwei Federbeinen und Öldruckstoßdämpfern ausgerüstet. Die hintere Federvorspannung kann auf den Betrieb mit Sozius umgestellt werden. Das Fahrwerk erwies sich gegenüber der Konkurrenz bis zum Bauende als ebenbürtig. Eine Besonderheit ist die bis ins Detail vorbereitete Beiwagen-Betriebsmöglichkeit: Die vordere Langschwinge kann mit einer zweiten Gewindelagerpaarung auf kurzen Nachlauf zwecks leichter Lenkbarkeit im Gespannbetrieb umgestellt werden. Mittels zweier zusätzlicher Bolzenaugen können andere Anlenkpunkte der Federbeine für eine größere Bodenfreiheit genutzt werden.

Diese Art der Vorderradführung ist für den Beiwagenbetrieb bis heute, fünfzig Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen, ungeschlagen. Auch Umbauten moderner, weit stärkerer Motorräder verwenden für den Gespannbetrieb genau das gleiche Bauprinzip der geschobenen Langschwinge. Für den Betrieb zum Solo-Motorrad hingegen wurde an der vorderen Langschwinge immer kritisiert, dass man zu hohe Massen um die Lenkachse bewegen muss, was eine verringerte Handlichkeit bedeutet. Die großen Nachfolgemodelle hatten statt der Schwinge dann wieder eine Telegabel. Konsequenterweise gab BMW die Nachfolgemaschinen dann auch zum Gespannbetrieb gar nicht mehr erst frei.

Bauende

Die BMW R 27 wurde zu einer für die deutsche Motorradbranche schwierigen Zeit produziert. Die Motorradfirmen suchten ihr Heil in anderen Produkten oder in der Produktion von Maschinen bis 50 cm³. Gleichzeitig drängten, zunächst oftmals unterschätzt, japanische Hersteller auf den deutschen Markt, insbesondere Honda. Dies führte zu einer Neuorientierung des Marktes. Das Motorrad entwickelte sich vom reinen Transportmittel zu einem Hobby, das neben dem Autobesitz betrieben wurde. Zum Stichtag 1. Januar 1965 waren in der BRD noch etwa 29.000 Motorräder angemeldet, davon jedoch bereits etwa fünf Prozent von Honda. Zu diesem Zeitpunkt sah sich die R 27 mit der Honda CB 250 und Yamaha YDS-2 mit 22 PS respektive 24 PS einer leistungsfähigeren und von einem sportlichen Image geprägten Konkurrenz gegenüber. Die R 27 litt unter den hohen Herstellungskosten, die nicht wesentlich unter denen der Zweizylinder-Boxermaschinen lagen.

Für die R 27 gab es daher bei BMW keinen Nachfolger in der Klasse bis 250 cm³ mehr. Eine geplante Erneuerung namens R 28 (mit Teleskopgabel der späteren BMW /5er Reihe) wurde vor Markteinführung gestoppt und die R 27 noch etwa drei Jahre weitergebaut, bis die /5er Serie der Zweizylinder erschien und die Vollschwingenmotorräder komplett vom Neumaschinen-Markt verschwanden. Ein letztes Facelift bescherte wenigen hundert R 27-Motorrädern noch die neue Teleskop-Gabel der /5er Serie im Export nach den USA ab 1965, parallel zur gleichen Maßnahme bei den Zweizylinder-Modellen R 50/2, R 60/2 und R 69 S.

Insgesamt wurden 15.364 Einheiten gefertigt, von denen noch eine erstaunliche Anzahl betriebsbereit scheint und in Sammlerhand gehegt wird.

Der offizielle letzte Verkaufspreis belief sich im Jahr 1966 auf 2670 DM.

BMW als Behördenmotorrad

Das Modell R 27 wurde auch für die Bundeswehr in Bundeswehr-Standardlackierung, beim Roten Kreuz in cremefarbener Lackierung und bei den Polizeibehörden in Polizei-grün (das alte dunkle Polizei-grün) beschafft und zumeist zu Ausbildungszwecken verwendet. Zehntausende von Soldaten der 1960er und 1970er Jahre erlernten das Motorradfahren auf BMW R 26 und R 27.

R 27 als Oldtimer-Maschine

Die R 27 ist ein wertstabiles Oldtimer-Motorrad. Die in den letzten Jahren stark gestiegenen Preise für die Vollschwingen-Zweizylinder sichern auch den Wiederverkaufswert der R 27. Die Preise für fahrbereite zulassungsfähige R 27 bewegen sich bei 3.500 Euro (3/2006), etwa dem vierfachen früheren Neupreis. Für neuwertige Spitzenexemplare mit Beiwagen hingegen werden teils Preise von 8.000 bis 10.000 Euro verlangt.

Die Anschaffung einer alten R 27 ist aufgrund der überschaubaren Technik eine unbedenkliche Angelegenheit. Probleme gibt es mit der Ersatzbeschaffung von Lichtmaschinen und bei ausgeschlagenen Vergasern. Kardanantrieb und Rahmen sind problemlos.

Sonstiges

Die Ambivalenz von BMW in jener Zeit und die Suche nach vermarktbaren Fahrzeuglösungen erkennt man auch an der Verwendung dieses gleichen Einzylinder-Triebwerkstyps im Kleinwagen BMW Isetta. In der Isetta werkelte das im Prinzip gleichgebliebene Einzylinder-Basistriebwerk, lediglich um eine Gebläseluftkühlung ergänzt und mit einer speziellen Lichtmaschine ausgerüstet, die auch als Elektrostarter dient. Leistungshungrige Einzylinder-Motorrad-Besitzer nutzten teils die optionalen größeren Motorenbauteile der 300er Isetta (Kurbelwelle, Kolben und Zylinder), um ihren R 26 und R 27 zu ein wenig mehr Hubraum und Leistung zu verhelfen. Sogar ganze Isetta-Motoren samt Gebläsekühlung und Elektrostarter fanden vereinzelt den Weg in das Motorrad-Vollschwingenfahrwerk: Möglichkeiten des Baukastenprinzips und der ambitionierten Bastelei. Wer zu jener Zeit Motorrad fuhr, erledigte in aller Regel auch sämtliche Reparaturen und Wartungsarbeiten selbst.


Die BMW R 27 war das letzte BMW-Einzylinder-Modell vor Erscheinen der komplett neu konzipierten und in Italien gefertigten 650er BMW-Enduro. Ihre Bauzeit fiel in die 60er Jahre und damit in den großen Abschwung des deutschen Motorrad-Marktes. Siehe auch den übergreifenden Artikel Vollschwingen-BMW

Technische Daten der R 27

  • Einzylinder-Viertaktmotor
  • Hubraum 247 ccm
  • Leistung 13kW (18 PS)
  • Viergang-Fußschaltgetriebe
  • Vollschwingenrahmen mit Aufhängung der Motor-Getriebeeinheit in Elastomerlagern
  • Hardyscheibe und Kardanwelle zum Hinterrad
  • Leergewicht 158 kg
  • max. zul. Gewicht 345 kg, mit Seitenwagen 450 kg
  • Tankvolumen 15 l
  • Verbrauch ca. 3,5l/100 km, Vollgasverbrauch Solo bei 130 km/h etwa 6l/100 km
  • Höchstgeschwindigkeit ca. 130 km/h, mit Seitenwagen 95 km/h

Literatur

  • Helmut Krackowizer: Schrader Motor-Chronik, Bd.11, BMW Motorräder Einzylinder R 24 bis R 27 1949-67, Motorbuch Verlag, 1999
  • Tragatsch: Alle Motorräder, ISBN 3879434107
  • Motorrad Classic 3/88
  • Hans-Joachim Mai, 1000 Tricks für schnelle BMWs, 11. Aufl. 1988, Motorbuch-Verlag, Stuttgart
  • Ernst Leverkus, Die tollen Motorräder der 60er Jahre

Weblinks