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Strange Fruit

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Strange Fruit (deutsch in etwa: sonderbare Frucht) ist ein Song, der seit dem Auftritt der schwarzen amerikanischen Sängerin Billie Holiday 1939 im Café Society in New York City weltweit bekannt wurde. Das von Abel Meeropol komponierte und getextete Lied gilt als eines der stärksten künstlerischen Statements zu Lynchmorden in den Südstaaten der USA und als ein früher Ausdruck der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der Ausdruck Strange Fruit hat sich als Symbol für Lynchmorde etabliert.

Die im Lied angesprochene Strange Fruit ist der Körper eines Schwarzen, der an einem Baum hängt. Der Text gewinnt seine emotionale Schlagkraft vor allem dadurch, dass er das Bild des ländlichen und traditionellen Südens aufgreift und mit der Realität der Lynchjustiz konfrontiert. In der zweiten Strophe heißt es beispielsweise: Idyllische Szene des galanten Südens/ die herausquellenden Augen, der verdrehte Mund/ der Duft von Magnolien süß und frisch/ dann ein plötzlicher Geruch von brennendem Fleisch.


Southern trees bear strange fruit
Blood on the leaves
Blood at the root
Black bodies swinging in the southern breeze
Strange fruit hanging from the poplar trees

Bäume im Süden tragen eine sonderbare Frucht
Blut auf den Blättern
Blut an der Wurzel
Schwarze Körper schaukeln in der Brise des Südens
Sonderbare Frucht hängt von den Pappeln

Hintergrund

"... for the sun to rot/ for the tree to drop/ Here is a strange and bitter crop."

Auch nach dem Ende der Sklaverei und der Reconstruction-Ära war Rassismus noch eine alltägliche Begebenheit in den USA. Das oberste Gericht der USA hatte Rassentrennung unter dem Grundsatz Getrennt, aber gleich zugelassen, was in der Praxis nur sehr selten auf ein aber gleich hinaus lief. Nach eher konservativen Annahmen des Tuskegee Institute wurden in den Jahren 1889 bis 1940 insgesamt 3.833 Menschen gelyncht; 90% dieser Morde fanden in den Südstaaten statt, vier Fünftel der Opfer waren Afroamerikaner. Oft war nicht einmal ein Verbrechen als Anlass des Mordes nötig; wie im Fall Emmett Till reichte manchmal damit die Schwarzen nicht zu aufmüpfig werden als Begründung. 1939 hatte es bereits drei Lynchmorde gegeben, eine Umfrage in den Südstaaten ergab, dass sechs von zehn Weißen die Praxis des Lynchens befürworteten.

Die Sängerin: Billie Holiday

Die Sängerin Holiday hatte sich 1939 bereits aus dem Elend ihrer Jugend herausgearbeitet. Sie hatte Produktionen mit Count Basie, Glenn Miller und Artie Shaw aufgenommen und galt als verkaufsträchtige Jazz-Sängerin und ausgezeichnete Unterhaltungsmusikerin. Die damals 24-jährige hatte zu dieser Zeit neu im Café Society angefangen; vorher war sie in einem New Yorker Hotel gezwungen worden, den Frachtaufzug zu benutzen - bezeichnenderweise in einem, dass nach Abraham Lincoln benannt war. Sie selbst war in ihrem Leben selbst zahlreichen Formen des Rassismus ausgesetzt. Ihr Vater war 1937 gestorben, vor allem deshalb weil sich alle Krankenhäuser der Gegend weigerten, einen Afroamerikaner zu behandeln. Sie selbst sagte dazu: Nicht die Lungenentzündung tötete ihn, Dallas tötete ihn. Der Song sticht auch im Repertoire Holidays heraus. Während sie sowohl als elegante Jazz-Sängerin wie auch als ausdrucksstarke Blues-Interpretin bekannt war, erreichte sie vor allem mit Strange Fruit Weltruhm. Das öffentliche Bild von Billie Holiday und dem Song verschmolzen miteinander: sie war nicht mehr nur die Frau, die ihr Publikum verführen und rühren konnte, sie war in der Lage es regelrecht zu erschüttern. Einige ihrer Bekannten behaupten, dass sie intellektuell nicht fähig gewesen sei, auf dem Abstraktionsniveau des Songs überhaupt zu begreifen, wovon der Song handelte. Das erscheint jedoch unglaubwürdig - zum einen aufgrund ihres Vortrags, aber auch weil Lynchjustiz damals derart gegenwärtig war, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Schwarze nicht hätte begreifen können, worum es geht. Holiday selbst wollte, dass ihre Autobiographie die letzten beiden Worte des Lieds, Bitter Crop (dt: Bittere Ernte), im Titel enthielt, der Verlag sah aber keine Möglichkeit dazu.

Der Komponist und Texter: Abel Meeropol

Abel Meeropol war russisch-jüdischer Lehrer aus der Bronx und Mitglied der kommunistischen Partei der USA. Er sah ein Foto des Lynchmords an Thomas Shipp und Abram Smith, dass ihn nach eigenen Aussagen für Tage verfolgte und nicht schlafen ließ. Daraufhin schrieb er das Gedicht Bitter Fruit und veröffentlichte es unter dem Pseudonym Lewis Allan im Magazin New York Teacher und der kommunistischen Zeitung New Masses. Später schrieb er das Gedicht in den Song Strange Fruit um. Die Erstaufführung erfolgte durch Meeropols Frau bei einer Versammlung der New Yorker Lehrergewerkschaft. Strange Fruit gewann eine gewisse Popularität innerhalb der US-amerikanischen Linken. Barney Josephson, der Inhaber des Café Internationals, hörte davon und stellte Meeropol und Holiday einander vor. Obwohl Meeropol später noch andere Songs schrieb, darunter auch einen Hit für Frank Sinatra, hing sein Herz immer besonders an diesem Stück. Um so verletzter war er, als Holiday in ihrer Autobiographie behauptete, dass Strange Fruit zusammen von ihr mit ihrem Klavierspieler Sonny White geschrieben worden sei.

Café Society

Das Café Society war ein Club der linken und liberalen Intellektuellen und der New Yorker Bohème im Greenwich Village. Obwohl überwiegend von Weißen besucht, fand sich doch ein gemischtes Publikum ein - es war der einzige New Yorker Club außerhalb Harlems, der überhaupt Weißen und Schwarzen gleichzeitig offenstand. Der Betreiber Barney Josephson war sowohl ein vehementer Anhänger der "Rassenintegration" wie von gutem Jazz und guter Unterhaltung.

Aufführung

Holiday zögerte erst, Strange Fruit in ihr Programm aufzunehmen - zu sehr wich er von ihrem sonstigen Repertoire ab. Nach der ersten Aufführung herrschte Stille im Café Society. Erst nach einiger Zeit begann zögernder, sich steigernder Applaus. Was bis dahin in den gesungenen Versionen entweder als linkes Kampflied oder als (oft überpathetisch vorgetragenes) Stück des Mitleids aufgeführt wurde, verwandelte sich. Ein Biograph von Holiday bemerkte dazu: Bei vielen Coverversionen hat man das Gefühl, eine hervorragende Aufführung eines hervorragendes Songs zu hören; wenn Billie sang, hatte man das Gefühl direkt am Fuß des Baumes zu stehen. Der Vortrag mit seiner Unmittelbarkeit und Intensität sprach so ein weit größeres Publikum an, als es durch kämpferische oder mitleidige Interpretationen möglich gewesen wäre. Er schaffte es, auch außerhalb der ohnehin schon interessierten Kreise seine Bahn zu ziehen und so den Horror, den die schwarz-weißen Beziehungen für viele darstellten, von einer durch die große Mehrheit der Bevölkerung hingenommenen Tatsache wieder in ein gesellschaftlich wahrgenommenes Problem zu verwandeln. Strange Fruit wurde im Café Society Holidays Abschlusssong. Sämtliche Lichter bis auf ein Spotlight auf Holiday wurden ausgeschaltet, sie selbst hielt die Augen während der Einleitung geschlossen. Nach der Aufführung ging sie ab und verschwand, normalerweise gefolgt von Stille ohne eine anschließende Musik und als klares Zeichen, dass jetzt das Ende erreicht sei. In ihrem Repertoire benutzte sie den Song sowohl, um ihn mit einem ihr sympathischen Publikum zu teilen als auch als direkte Herausforderung an ein Publikum, von dem sie ihrer Meinung nach keinen Respekt bekam. Holiday selbst schrieb in ihrer Autobiografie: "Dieses Lied schaffte es, die Leute die in Ordnung sind, von den Kretins und Idioten zu trennen." Holiday, die ohnehin selten in den Südstaaten tourte, spielte das Lied dort noch seltener, da es als fast sicher galt, dass es Ärger provozieren würde. Dies bestätigte sich bei einem Auftritt in Mobile, Alabama, wo sie aus der Stadt gejagt wurde, nur weil sie versucht hatte, das Lied zu singen.

Aufnahmen

Holidays damalige Plattenfirma, Columbia Records, weigerte sich, Strange Fruit auf Platte zu produzieren. Da die Firma kein offizielles Statement herausgab, kann heute nur gemutmaßt werden, warum dies der Fall war. Zum einen wohl, weil das Lied insbesondere für das weiße Publikum der Südstaaten als politisch zu anstößig und geschäftsschädigend aufgefasst worden wäre, zum anderen aber wohl auch, weil es stilistisch einen zu großen Bruch mit dem Standard-Repertoire von Holiday bedeutet hätte, das größtenteils aus typischer Nachtclubmusik bestand. Immerhin erhielt sie die Freigabe, das Lied für Commodore Records, eine kleine jüdische New Yorker Plattenfirma aufzunehmen.

Obwohl der Song zum Standardrepertoire der US-amerikanischen Musikgeschichte gehört und beliebt ist, wird er doch vergleichsweise selten gehört oder gespielt. Insbesondere die Version von Billie Holiday wird von vielen Hörern als psychisch verstörend oder gar physisch schmerzhaft beschrieben. Die Herausforderung für einen Interpreten den Song selbst aufzuführen - und damit in direkten Vergleich zu den Holiday-Versionen zu treten - gilt als enorm, daher weichen viele dieser Herausforderung aus.

Andere berühmte Versionen des Songs wurden von Josh White, Carment McRae, Eartha Kitt, Cassandra Wilson, Nina Simone, Tori Amos, Pete Seeger, Diana Ross und Sting gesungen, Tricky hat einen Remix angefertigt. Joel Katz drehte 2002 eine Dokumentation über den Song.

Bille Holiday selbst hat das Lied mehrfach aufgenommen, er findet sich auf unzähligen ihrer Compilations, wie auf Samplern. Die erste Aufnahme findet sich auf The Commodore Master Takes, eine Version in besonderer Umgebung in Dead and Gone 2. Death Songs, des deutschen Trikont-Labels.

Wirkung

In seiner Symbolkraft gilt Strange Fruit als ähnlich wichtig für die Bürgerrechtsbewegung wie die Aktion von Rosa Parks. Neben We Shall Overcome und vielleicht noch Bob Dylans The Murder of Emmett Till ist kein anderes Lied derart mit dem politischen Kampf um schwarze Gleichberechtigung verwoben. Bei seiner Einführung noch als Schwarze Marseillaise gefeiert, beziehungsweise als Propagandastück bekämpft, wurde er im Laufe der Zeit immer mehr als überpolitisch wahrgenommen: als musikalische Einforderung der Menschenwürde und Gerechtigkeit. Besonders einflussreich in der Rezeption war Angela Davis' Buch: Blues Legacies and Black Feminism - während Holiday oft als "bloße Unterhaltungssängerin", die quasi als Medium für den Song diente, porträtiert wurde, zeichnete Davis auf dem Hintergrund ihrer Untersuchungen das Bild einer selbstbewussten Frau, die sich der Wirkung und des Inhalts von Strange Fruit sehr bewusst war. Oft genug setzte Holiday ihn gezielt ein. Obwohl er zu ihrem Standardrepertoire gehörte, variierte sie ihn wie keinen anderen in der Art der Vorführung. Das Lied selbst interpretierte Davis als maßgeblich für die Wiederbelebung der Traditon von Protest und Widerstand in der afroamerikanischen und US-amerikanischen Musik und Kultur. Das Time Magazine bezeichnete Strange Fruit 1939 als Musikalische Propaganda, kürte das Lied aber knapp 70 Jahre später zum Song des 20. Jahrhunderts. Strange Fruit war lange Zeit in den USA im Radio unerwünscht, die BBC weigerte sich anfangs das Lied zu spielen, im südafrikanischen Radio war das Lied in der Zeit der Apartheid offiziell verboten.

Literatur

  • Clarke, Donald: Billie Holiday. Wishing on the Moon. München, Piper 1995. ISBN 3492037569 (Mit ausführlichen Interviews von Freunden und Bekannten Holidays zur Entstehung und Aufführung).
  • Davis, Angela: Blues Legacies and Black Feminism. Diverse Ausgaben, z. B. Vintage Books 1999 ISBN 0679771263 (Mit einflussreichstem Essay zur Interpretation des Songs).
  • Margolick, David and Hilton Als: Strange Fruit. Billie Holiday, Café Society and an Early Cry for Civil Rights. Running Press, 2000. ISBN 0762406771 (Vorwort von Cassandra Wilson. Mit einer Discographie der verschiedenen Aufnahmen bis 2000.)
  • Margolick, David und Hilton Als: Strange Fruit. The Biography of a Song., Ecco 2001. ISBN 0060959568

Weblinks