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Stadtkirche Murrhardt

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Stadtkirche Murrhardt

Die Stadtkirche Murrhardt ging aus der Klosterkirche St. Januarius des im 9. Jahrhundert gestifteten Klosters in Murrhardt hervor und besteht in ihrer heutigen Form seit dem 15. Jahrhundert. Die um 1230 an die Stadtkirche angebaute Walterichskapelle gilt als eines der bedeutendsten Beispiele für spätromanische Architektur in Südwestdeutschland.

Geschichte

Um das Jahr 817 wurde von Ludwig dem Frommen ein Kloster in Murrhardt gestiftet, zu dem auch eine Klosterkirche gehörte, die auf den Fundamenten von römischen Steinhäusern aus dem 2. Jahrhundert errichtet wurde. Die Klosterkirche wurde der heiligen Maria, der heiligen Dreifaltigkeit und dem heiligen Januarius geweiht. Der erste Abt des Klosters war der fränkische Hochadlige Walterich, der zuvor schon Hausherr des Kronguts Murrhardt gewesen war.

Die karolingische Kirche wurde um 1020 abgebrochen und durch eine romanische doppelchörige Kirche ersetzt. Der Westchor wurde zwischen 1050 und 1080 umgestaltet, und eine Krypta eingebaut. Der Ostteil der Kirche wurde um 1150 umgebaut, wobei die beiden Türme der Kirche entstanden. An den Nordturm wurde um 1230 die Walterichskapelle angebaut. Nachdem 1304 Graf Albrecht von Löwenstein im Ostchor vor dem Marienaltar bestattet worden war, wurde der Ostchor um 1325 unter Nikolaus von Löwenstein vollends zu einer frühgotischen Grablege umgestaltet.

Im Mittelalter sind bis zu 12 Altäre in der Kirche nachgewiesen. Zwischen 1430 und 1450 wurden der Westchor und das Querschiff, anschließend das Langhaus im Stil der Gotik neu errichtet, womit die Kirche in etwa ihre heutige Form erhielt. Der Nordturm wurde nach Beschädigungen im 16. und im 18. Jahrhundert größtenteils neu erbaut. Im 15. Jahrhundert war das Deckengewölbe rötlich ausgemalt, 1682 erfolgte eine graue Übermalung.

Auch nachdem die Kirche 1552 unter Herzog Christoph von Württemberg reformiert worden war, blieb das (nun evangelische) Kloster weiterhin bestehen. Ab 1766 war der umstrittene Theologe Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) Stadtpfarrer in Murrhardt und gleichzeitig Abt und Prälat des Klosters. Nach der Säkularisierung wurde 1807 anstelle der Prälatur eine Pfarrstelle eingerichtet, doch war zunächst die nahe Walterichskirche die Pfarrkirche der Stadt. 1867 wurde die Klosterkirche zur Pfarrkirche der Stadt erhoben. Die Kirchengemeinde Murrhardt gehört heute zum Kirchenbezirk Backnang.

Bedeutende Renovierungen der Neuzeit fanden in den 1870er-Jahren (Einbau der neogotischen Kanzel, des steinernen Altars und des Taufsteins), 1968 bis 1970 (Außenerneuerung unter Professor Hannes Mayer) und 1973 bis 1975 (Innenerneuerung unter Peter Haag und Architekt Laichinger) statt. Bei der Erneuerung des Innenraumes ab 1973 entschied man sich für eine zweifarbige Bemalung (rötlich und grau), um beiden historischen Anstrichen gerecht zu werden. Gleichzeitig wurden Wandgemälde aus der Zeit um 1500 freigelegt.

Beschreibung

Grundriss der Kirche

Hauptschiff des Langhauses

Die Stadtkirche Murrhardt ist eine kreuzförmige dreischiffige Basilika mit westlichem Querschiff, vieleckigem Ostchor und rechteckigem Westchor. Die Kirche ist seit den 1870er-Jahren nach Osten ausgerichtet, zuvor befanden sich Kanzel und Altar westlich im Vierungsbereich. Die Kirche ist nur lose bestuhlt, so dass die Bestuhlung für spezielle Feiern auch gedreht werden kann. Zu beiden Seiten des Hauptschiffs verlaufen jeweils fünf Arkadenbögen mit drei darüber gespannten Gewölbejochen. Die Säulen im Kirchenschiff tragen insgesamt zwölf aufgemalte Kreuze. Diese Kreuze markieren die Stellen, die bei der Weihe der Kirche durch den Bischof mit Salböl berührt wurden, ihre Anzahl wird auch in Verbindung mit den zwölf Aposteln gesehen, weswegen sie als Apostelkreuze bezeichnet werden.

Die Schlusssteine des Gewölbes zeigen das Lamm mit der Siegesfahne (Lamm Gottes), drei Männchen im Dreieck (Dreifaltigkeit), das Schweißtuch der Veronika mit dem Christusgesicht, den Reichsadler als Zeichen der Reichsunmittelbarkeit des Klosters, die drei Löwen (Wappen der Staufer), einen einzelnen Löwen (Wappen derer von Löwenstein) sowie im 1975 erneuerten Gewölbe des südlichen Querschiffs das heutige Murrhardter Stadtwappen.

Ostchor

Blick durch das Mittelschiff zum Ostchor

Der Ostchor enthält vor dem großen Kunstfenster von Walter Kohler aus dem Jahr 1930, das den auferstandenen Christus zeigt, neben der neogotischen hölzernen Kanzel von um 1870 den ebenfalls zu dieser Zeit entstandenen steinernen Hauptaltar und den ebenso alten Taufstein. Im Chor sind drei Sakramentshäuschen erhalten, die von der künstlerischen Ausführung her auf die Jahre 1230, 1330 und 1450 datiert werden. In der Ostwand des nördlichen Querschiffs befinden sich die Überreste einer weiteren Sakramentsnische. Es wird angenommen, dass jeder der einst zwölf Altäre über eine solche Nische verfügte.

Der historische Hochaltar aus der Zeit um 1500 wurde restauriert und rechts vom Hauptaltar im südlichen Seitenschiff aufgestellt. Der Altar zeigt drei Heiligenfiguren (Sebastian, Maria und Veit), die linke Altartür zeigt oben die Ausgießung des heiligen Geistes und unten Papst Leo den Großen mit Johannes dem Täufer, sowie die Heiligen Laurentius und Stefanus. Auf der rechten Türtafel sind oben die heiligen Jungfrauen dargestellt, darunter befindet sich ein Bild mit Franziskus und Jakobus. Auf der Predella des Hochaltars beweinen Maria und Johannes die Wunden Jesu. Links kniet ein Murrhardter Abt, rechts ist das Stifterwappen zu sehen.

Westchor

Orgel im Westchor

Im ursprünglichen Westchor befindet sich heute die dreimanualige Orgel aus dem Jahr 1977. Die Orgel wurde vom Heidenheimer Kirchenmusikdirektor Prof. Helmut Bornefeld entworfen und von der Firma E. F. Walcker erbaut. Die Vorderansicht der Orgel wird von den mächtigen Holzpfeifen bestimmt, der Großteil der insgesamt 3202 Pfeifen besteht jedoch aus Metall. Dass für die großen Pfeifen Holz verwendet wurde, hat auch finanzielle Gründe; außerdem sollen sich Holzpfeifen akustisch für ein langes Kirchenschiff besonders gut eignen.

Die Orgel weist drei Manuale und ein Pedal auf. Die 37 Register werden durch elektropneumatische Schleifladen ein- und ausgeschaltet. Der Organist sitzt mit dem Rücken zur Gemeinde; hinter seinem Rücken befindet sich Rückpositiv, also ein Gehäuse mit aus der eigentlichen Orgel ausgelagerten Pfeifen, die aus klanglichen Gründen besonders nahe bei den Zuhörern stehen.

Seitenschiffe und Querschiff

Zwei Wappenschilde (württembergische Hirschstangen und Wappen des Abtes Paul von Leuzenbronn) mit der Jahreszahl 1434 weisen im Querschiff auf das Datum der Fertigstellung des Bauteils hin. Im Querschiff befinden sich zahlreiche historische Grabsteine und Denkmale, die sich bis 1972 an verschiedenen Stellen der Kirche befunden haben. Der älteste Grabstein zeigt lediglich ein Kreuz und stammt aus der Zeit um 1050, es könnte sich hierbei um das Grabmal des Abts handeln, unter dem die Kirche damals im Stil der Romanik neu erbaut wurde. Weitere Grabplatten von um 1250 bzw. 1300 können ebenfalls keinen Personen zugeordnet werden. Auf der Grabplatte von Nikolaus von Löwenstein von 1340 ist noch deutlich dessen Name zu erkennen. Das schmuckvollste Grabmal ist das des Abts Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782).

Bemerkenswert ist außerdem das Kenotaph für Ludwig den Frommen († 840), auf dessen Deckplatte der Kaiser in gotischer Tracht dargestellt ist. Das Leergrab wurde vermutlich um 1440 errichtet. Auf einem Eckpfeiler des Querschiffs befindet sich die ebenfalls wohl um 1440 entstandene Statue des Kirchenpatrons Januarius. Im nördlichen Seitenschiff ist eine hölzerne Gedenktafel für den 1752 verstorbenen Prälaten Berg angebracht.

Ein vermauertes Rundbogenportal führte einst in den Kreuzgang des Klosters. Die gotische Pforte am anderen Ende des südlichen Seitenschiffs war von 1870 bis 1973 zugemauert. An der benachbarten Säule berichtet eine lateinische Inschrift von einer Begebenheit aus dem Dreißigjährigen Krieg, als 1643 protestantische Truppen den von den Kaiserlichen eingesetzten katholischen Abt Emmerich gefangen nahmen. Zwischen dem südlichen Querschiff und dem Westchor ist der so genannte Treffraum abgeteilt, der nach 1400 vermutlich als Marienkapelle angebaut wurde und bis 1972 als Sakristei gedient hat. Die neue Sakristei ist im Erdgeschoss des Nordturms.

Glocken

Die Kirche besitzt vier Glocken, deren größte sich im Nordturm befindet, die drei kleineren hängen im Südturm. Die heutigen Glocken stammen aus den Jahren 1951 und 1976, eine frühere Glocke aus dem 15. Jahrhundert wurde nach Anschaffung der letzten neuen Glocken 1976 in die Walterichskirche umgehängt.

Die größte Glocke ist die 1976 von Anna Meyer gestiftete Betglocke, sie hat den Ton es' und trägt die Inschrift „Der Herr ist mein Hirte“. Die zweitgrößte Glocke ist die 1951 von der Gemeinde angeschaffte Friedensglocke mit dem Ton f', sie trägt die Inschrift „Herr Gott, du bist unsere Zuflucht“. Die Ruferglocke mit dem Ton as' wurde 1951 von Friedrich Gampper gestiftet, ihre Inschrift lautet „Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“ Die Taufglocke, die kleinste der Glocken mit dem Ton b', wurde 1976 von Mathilde Ehrmann gestiftet und trägt die Inschrift „Dienet einander als gute Haushalter Gottes“.

Walterichskapelle

Die Walterichskapelle ist an die Stadtkirche angebaut

Die Walterichskapelle wurde um 1230 im Stil der Romanik erbaut. Da sich das Grab Walterichs in der nahen Walterichskirche befindet, ist die Kapelle vermutlich eine Gedächtniskapelle. Auf den annähernd würfelförmigen Grundkörper des Gebäudes ist ein steilgiebliges Dach mit rautenförmigen Dachflächen aufgesetzt. Das schmuckvolle Portal ist vierfach getreppt. Im Tympanon befindet sich eine Christusfigur. Die Portalbögen und Halbsäulen sind mit Tierfiguren und Knospen ausgeschmückt. Das Ostfenster ist an der Außenseite ebenfalls mit einem sehr schmuckvollen Rahmen aus Wülsten und Kehlungen mit Rank- und Blattwerk verziert und von einem Löwenkopf bekrönt.

Im Inneren der Kapelle befindet sich ein ähnlicher schmuckvoller Rundbogenfries mit Halbsäulen, an einem der Kapitelle rechts ist ein Männerkopf, vermutlich der Kopf des Klostergründers Walterich, zu sehen. Weiterhin weist das Kapelleninnere vier Kleeblattbögen auf, unter denen sich steinerne Sitzbänke für jeweils drei Personen befinden.

Literatur

  • Richard Eisenhut: Stadtkirche Murrhardt. Evang. Kirchengemeinde Murrhardt, Murrhardt 1978 (Neubearbeitung von Hermann Maurer 2005)

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