„Hirntod“ – Versionsunterschied

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=== Marlies Muñoz (2013) ===
=== Marlies Muñoz (2013) ===
Am 26. November 2013 kollabierte die 33-jährige, in der 14. Woche schwangere Marlies Muñoz, eine Medizintechnikerin, aufgrund einer schweren [[Lungenembolie]]. Im ''John Peter Smith Hospital'' in [[Fort Worth]], [[Texas]], wurde der Hirntod diagnostiziert. Die Familienangehörigen, einschließlich des Ehemanns, sprachen sich für eine Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen aus, da sich die Betroffene selbst in früheren Gesprächen mit dem Ehemann dagegen ausgesprochen hatte. Dies wurde jedoch vom behandelnden Krankenhaus mit Hinweis auf texanische Gesetze verweigert. Daraufhin klagte der Ehemann gegen das Krankenhaus. Der Fall löste intensive ethische Diskussionen aus. Nach zwei Monaten wurde dem Kläger Recht gegeben und die Patientin samt des ungeborenen Kindes verstarb nach dem Abschalten der lebenserhaltenden medizinischen Versorgung.<ref>J. L. Ecker: ''Death in pregnancy--an American tragedy.'' In: ''N Engl J Med.'' 2014; 370(10), S. 889–891. {{DOI|10.1056/NEJMp1400969}}. PMID 24499176.</ref>
Am 26. November 2013 kollabierte die 33-jährige, in der 14. Woche schwangere Marlies Muñoz, eine Medizintechnikerin, aufgrund einer schweren [[Lungenembolie]]. Im ''John Peter Smith Hospital'' in [[Fort Worth]], [[Texas]], wurde der Hirntod diagnostiziert. Die Familienangehörigen, einschließlich des Ehemanns, sprachen sich für eine Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen aus, da sich die Betroffene selbst in früheren Gesprächen mit dem Ehemann dagegen ausgesprochen hatte. Dies wurde jedoch vom behandelnden Krankenhaus mit Hinweis auf texanische Gesetze verweigert. Daraufhin klagte der Ehemann gegen das Krankenhaus. Der Fall löste intensive ethische Diskussionen aus. Nach zwei Monaten wurde dem Kläger Recht gegeben, und die Patientin samt dem ungeborenen Kind verstarb nach dem Abschalten der lebenserhaltenden medizinischen Versorgung.<ref>J. L. Ecker: ''Death in pregnancy--an American tragedy.'' In: ''N Engl J Med.'' 2014; 370(10), S. 889–891. {{DOI|10.1056/NEJMp1400969}}. PMID 24499176.</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==

Version vom 6. November 2015, 01:44 Uhr

Der Hirntod ist eine Todesdefinition, die 1968 im Zusammenhang mit der Entwicklung der Intensiv- und Transplantationsmedizin eingeführt wurde. Der Begriff bezeichnet das irreversible Ende aller Hirnfunktionen aufgrund von weiträumig abgestorbenen Nervenzellen. Der Hirntod wird oft als sicheres inneres Todeszeichen angesehen. Nach abgeschlossener Hirntoddiagnostik und festgestelltem Hirntod wird ein Totenschein für den intensivmedizinisch behandelten Patienten ausgestellt. Als Todeszeit wird die Uhrzeit registriert, zu der die Diagnose und Dokumentation des Hirntodes abgeschlossen sind.

Geschichte

Im Menschenbild der alten Ägypter wurde das Herz als Zentralorgan des Körpers gesehen und repräsentierte daher auch die Seele des Toten. Diese Sicht prägte für Jahrtausende das kardiozentrische Menschenbild der meisten nachfolgenden Religionen und Kulturen. Das Ausbleiben von Herzschlag, Atmung und spontanen Bewegungen blieb bis zum Zeitalter der Aufklärung das allgemein gültige, allerdings nirgends normativ festgelegte Todeszeichen.

Mitte des 18. Jahrhunderts gab es die ersten erfolgreichen Beatmungs- und Wiederbelebungsversuche an Ertrunkenen; nach Entdeckung der galvanischen Elektrizität gelang 1774 die erste erfolgreiche Wiederbelebung durch elektrische Herzstimulation.

Das Dogma des Herzstillstandes als endgültiger Tod des Menschen geriet dadurch, aber auch durch die Ergebnisse der seitdem durchgeführten elektrischen Experimente an Gehirnen und Körpern frisch Verstorbener, ins Wanken.

M.-F.-X. Bichat folgerte um 1800 aus seinen ausgedehnten anatomischen, histologischen und physiologischen Untersuchungen, dass die Aufrechterhaltung einer strukturellen zellulären Ordnung ein wesentliches Merkmal des Lebens sei und die Auflösung dieser Ordnung den Tod bedeutet. Er postulierte, dass ein Organismus aus Funktionen auf unterschiedlichen zellulären Ebenen beruhe und dass diese Funktionen nicht zwangsläufig gleichzeitig enden müssen. Er grenzte vegetative Grundfunktionen (Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel) als „organisches Leben“ von dem Komplex höherer Gehirnleistungen (Bewusstsein, Sinneswahrnehmungen) ab.[1] In Konsequenz dieser Ergebnisse prägte er den Begriff „Hirntod“.[2]

Trotz Bichats Erkenntnissen galt in der Medizin weiterhin ein Mensch dann als tot, wenn seine Atmung und seine Herztätigkeit stillstanden. Durch Fortschritte in der Ersten Hilfe, der Beatmung und anderer intensivmedizinischer Techniken gab es jedoch ab etwa den 1950er Jahren immer mehr Fälle, in denen bei schwer Hirngeschädigten Atmung und Herztätigkeit künstlich stimuliert wurden, ohne dass die Hoffnung bestand, dass diese Funktionen jemals wieder selbständig ohne die künstliche Unterstützung aufrechterhalten werden könnten. Man sprach dann von einem „coma dépassé“, einem irreversiblen Koma. Eine Kommission der Harvard Medical School veröffentlichte im Jahre 1968 eine genaue Definition dieses Begriffs und schlug vor, den entsprechenden Zustand als Hirntod zu bezeichnen und als neues Todeskriterium festzulegen.[3] Begründet wurde dies einerseits damit, den Status der komatösen Patienten zu klären und die künstliche Beatmung einstellen zu können, andererseits damit, Kontroversen bei der Beschaffung von Organen zur Transplantation zu vermeiden.

Diese neue Todesdefinition wurde in den folgenden Jahren von vielen Ländern übernommen. In Deutschland definierte 1997 der Wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesärztekammer den Hirntod wie folgt:

„Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten.“

Dritte Fortschreibung der „Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“ des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer vom 9. Mai 1997

Diagnostik und Verfahren

Die Diagnose des Hirntodes kann nur während einer intensivmedizinischen Behandlung mit künstlicher Beatmung, Kreislauftherapie und Hormonersatztherapie im Krankenhaus erfolgen. Durch die maschinellen Unterstützungsmaßnahmen können die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung der Organe langfristig aufrechterhalten werden, wenn keine weiteren Komplikationen auftreten.[4]

Bevor die Untersuchungen zur Hirntodfeststellung eingeleitet werden, müssen folgende Voraussetzungen überprüfbar erfüllt sein:[5]

  1. Vorliegen einer akuten primären oder sekundären Hirnschädigung,
  2. Ausschluss einer anderen Ursache oder Mitursache für einen (eventuell nur zeitweiligen) Ausfall der Hirnfunktionen (z. B. Vergiftung o. a.).

Die zweifelsfreie Feststellung des Hirntodes erfolgt anhand klinischer und optional apparativer Kriterien.

Die klinischen Kriterien sind:

  1. der Verlust des Bewusstseins (Koma),
  2. eine Areflexie des Hirnstamms (z. B. mittel- bis maximal weite und lichtstarre Pupillen, fehlende Schmerzreaktion im Trigeminusbereich, fehlender Lidschlussreflex, Puppenkopfphänomen, fehlender Schluck- und Hustenreflex), wobei autonome Reflexe auf Rückenmarksebene erhalten sein können,
  3. der Verlust der Spontanatmung (Apnoe).
Fehlende Hirnperfusion in der Hirnperfusionsszintigrafie

Dass es sich um einen unumkehrbaren Ausfall aller Hirnfunktionen (also um Hirntod) handelt, wird durch eine erneute Untersuchung der klinischen Kriterien nach festgelegter, adäquater Wartezeit (12, 24 beziehungsweise 72 Stunden je nach Alter und Lokalisation der primären Hirnläsion) nachgewiesen, oder durch eine ergänzende apparative Untersuchung.

Zu den apparativen Kriterien gehören:

  1. ein Null-Linien-Elektroenzephalogramm (EEG). Die EEG-Untersuchung soll in Anlehnung an die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie durchgeführt werden. Ergibt die EEG-Ableitung über einen Zeitraum von mindestens dreißig Minuten eine hirnelektrische Stille, also ein sogenanntes Null-Linien-EEG, so ist die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne weitere Beobachtungszeit nachgewiesen. Laut Aussagen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) konnten in Ausnahmefällen EEG-Aktivitäten trotz klinischer Hirntod-Zeichen und nachgewiesenen Durchblutungsstillstandes beobachtet werden. Die Ursache: „sog. Anastomosen (Gefäßverbindungen) in den Randgebieten zwischen der (unterbrochenen) Blutversorgung hirneigener Arterien und dem noch intakten Kreislauf der äußeren Halsschlagader […], welche die Gesichtsweichteile, aber auch die Hirnhäute versorgt. Hierdurch kann es zu einem Überleben umschriebener Nervenzellpopulationen nach Eintreten des Hirntodes kommen.“[6]
  2. ein mittels zerebraler Hirnperfusionsszintigraphie oder Doppler-Sonographie festgestellter Durchblutungsstopp in allen hirnversorgenden Gefäßen. Bei der Perfusionsszintigraphie wird eine schwach radioaktiv markierte Substanz injiziert und ihre Verteilung im Gehirn verfolgt. Bei intakter Hirndurchblutung lässt sich die Markierungssubstanz über Stunden in den durchbluteten Hirnregionen nachweisen. Bei einem Hirntoten hingegen stellt sich die Schädelhöhle infolge eines Abbruchs der gesamten Hirndurchblutung „leer“ dar. Bei der Dopplersonographie werden die Hirnbasisarterien beschallt. Anhand der Reflexion des Schallsignals wird die Blutflussgeschwindigkeit in den Hirngefäßen gemessen. Die Dopplersonographie darf nur von einem hierin erfahrenen Untersucher vorgenommen werden und muss mindestens zweimal im Abstand von wenigstens 30 Minuten erfolgen.
  3. der Ausfall der akustischen oder somatosensiblen evozierten Potentiale bei einer primären Läsion des Großhirns und bei einer sekundären Hirnschädigung (Sauerstoffmangel des Gehirns z. B. nach Wiederbelebung des Herzens). Dabei ist die Reizantwort des Gehirns auf einen peripheren Nervenreiz unumkehrbar aufgehoben. Evozierte Potentiale sind hirnelektrische Potentialschwankungen auf akustische (AEP, akustisch evozierte Potentiale) oder elektrische (SEP, somatosensibel evozierte Potentiale) Reize.

Durch ein besseres Verständnis der Vorgänge im Sterbeprozess lässt sich seit Anfang der 2000er Jahre die Erfolgsquote bei der Reanimation von Herztoten steigern.[7] Im Gehirn von sterbenden Ratten beobachteten Forscher 2013 während eines kurzen Zeitraums nach einem Herzstillstand ein extrem intensives Aktivitätsmuster, das auf eine ähnliche kurzzeitige neuronale Aktivitätssteigerung beim Menschen vor dem Eintritt des Hirntods schließen lässt.[8]

Rechtssichere Todesfeststellung

Um den Hirntod rechtssicher festzustellen, müssen in der Bundesrepublik Deutschland zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Ärzten die klinischen Kriterien zum Nachweis des unumkehrbaren Ausfalls der Hirnfunktion bestätigt werden. Nach den Kriterien der Bundesärztekammer müssen diese Ärzte über „eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen“ verfügen. Sollen dem Patienten nach der Feststellung Organe entnommen werden, so muss die Feststellung des Hirntods durch Ärzte erfolgen, die nicht an der Organentnahme oder der Transplantation beteiligt sind. Eine zusätzliche apparative Untersuchung ist nur in den Fällen zwingend erforderlich, in denen die primäre Schädigung im Bereich des Hirnstamms oder des Kleinhirns lag (primär infratentorielle Hirnschädigung). Die apparative Zusatzuntersuchung kann jedoch als Beweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome die Wartezeit verkürzen.

Das für die Schweiz gültige Verfahren der Todesfeststellung findet sich in den medizinisch-ethischen Richtlinien zur Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW).[9]

In der Informationsbroschüre Kein Weg zurück … des Arbeitskreis Organspende wird folgende Aussage gemacht:[10]

„Es ist richtig, dass die unübersehbare Vielzahl von Hirnfunktionen nicht durch klinische oder apparative Untersuchungen in ihrer Gesamtheit erfasst werden kann. Dies ist aus medizinischer Sicht auch unnötig. Vielmehr soll durch die Hirntoddiagnostik die Vollständigkeit und Endgültigkeit einer Schädigung des Gehirns als funktionierendes Ganzes festgestellt werden. Die Gültigkeit dieses Konzepts ist empirisch begründet, d. h. durch Erfahrung an vielen Tausend von Hirntod-Fällen belegt. Es erhebt nicht den Anspruch, den Tod jeder einzelnen Hirnzelle nachzuweisen.“

Bedeutung hinsichtlich Organspende

Spätestens mit der Feststellung des Hirntodes entfällt die Pflicht (und das Recht) des Arztes, therapeutisch ausgerichtete Maßnahmen zu ergreifen.[11] Daher können sich die organprotektive Intensivtherapie und die Vorbereitungen zur Organentnahme und Transplantation nur mit Zustimmung zur Organspende anschließen. Falls einer Organspende nicht zugestimmt wurde, wird die medizinische Therapie in der Regel beendet und das Beatmungsgerät abgestellt. Eine Ausnahme könnte eine bestehende Schwangerschaft sein.

Nach § 3 des deutschen Transplantationsgesetzes (TPG) ist die Hirntodfeststellung zusätzlich zur Todesfeststellung nach den Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, Voraussetzung zur Organentnahme. Die dem Stand der Erkenntnisse entsprechenden Regeln sind derzeit mit dem Hirntod identisch, so dass dieser juristisch als Todeskriterium z. B. im Erbrecht oder im Personenstandsrecht akzeptiert wird. Der Würdeschutz zu Lebzeiten ende hingegen mit dem Absterben des Menschen als lebender Organismus, also mit dem Herztod.[12] „Erst“ hirntote Menschen seien todgeweihte Personen und noch keine Leichname.[13] Daher wird die Einwilligung in die Entnahme von Organen nach dem Hirntod für die Zulässigkeit gefordert (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG).

Ethische Standpunkte

Christliche Kirchen

Im Jahre 1990 verabschiedeten die beiden großen Kirchen die gemeinsame Erklärung „Organtransplantationen – Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD“. Darin heißt es: „Die meisten zu übertragenden Organe werden nicht lebenden, sondern hirntoten Spendern entnommen. Der äußere Unterschied zwischen Herztod und Hirntod kann irrtümlich so gedeutet werden, als ob Gewebe und Organe schon vor und nicht erst nach dem Tod des Spenders entnommen würden. Daher ist für das Vertrauen in die Transplantationsmedizin nicht nur die ärztlich selbstverständliche sichere Feststellung des Todes vor der Organspende entscheidend wichtig, sondern auch die allgemeine Kenntnis des Unterschieds zwischen Herztod und Hirntod.“

Weiter heißt es darin: „Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt.“[14]

Aus Sicht der römisch-katholischen Kirche gilt die Hirntod-Definition, nach der das Ausbleiben messbarer Hirnströme über einen Zeitraum von mindestens sechs Stunden den Tod des Menschen anzeigt.[15]

Islam

Die Haltung zum Hirntod ist in der islamischen Religion uneinheitlich.[16] Laut Aussage des Zentralrats der Muslime in Deutschland entspricht die Festlegung des Hirntodes als Todeskriterium seiner Empfehlung und decke sich mit der Meinung der meisten islamischen Gelehrten.[17] Das kuwaitische Religionsministerium legte dagegen 1981 fest, dass ein Mensch nicht als tot angesehen werden kann, solange seine Herz- und Kreislaufaktivitäten – wenn auch künstlich – vorhanden sind: „Es ist nicht möglich, diese Person aufgrund des Hirntodes als tot zu betrachten, wenn in seinem Kreislauf- und Atmungsapparat Leben ist, wenn auch apparativ.“[18]

Deutscher Bundestag

Im Rahmen der Gesetzgebung zum Transplantationsgesetz hat sich auch der Deutsche Bundestag wiederholt mit dem Thema auseinandergesetzt. Die derzeit geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind 2013 durch eine Kleine Anfrage zum Thema Hirntod[19] und die Antwort der Bundesregierung[20] in erneute Diskussion geraten, da erhebliche Zweifel an den zugrunde liegenden Definitionen bestehen und die Frage, ob Hirntote nicht eher als Sterbende denn als Tote zu bezeichnen wären, nicht abschließend geklärt scheint.[21]

Kontroversen

Verschiedene Mediziner und Wissenschaftler üben Kritik an der Hirntod-Definition als endgültigen Tod des Menschen.

So meint etwa der Alternativmediziner und Kardiologe Paolo Bavastro, dass der Begriff des „hirntoten Menschen“ eine „arglistige Täuschung“ sei, da ein Mensch mit Hirnversagen zwar „ein Mensch“ sei, dessen „Gehirn einen erheblichen Schaden“ habe und „ein schwerstkranker, sterbender Mensch“ sei, aber eben „noch kein Toter“. Ärzte könnten bei hirntoten Menschen trotzdem einen Herzschlag wahrnehmen, sie würden ihre Körpertemperatur selbst regulieren, Urin und Stuhl ausscheiden, sie könnten schwitzen, auf Schmerzreize reagieren und sogar Antikörper bilden, Männer könnten Erektionen bekommen und Frauen schwanger werden und gesunde Kinder gebären. Die Vorstellung, dass „nur die Hirnaktivität den Menschen zum Menschen“ mache und „der Tod des Hirns auch den Tod des Menschen bedeute“, sei überholt, so Bavastro.[22][23]

Der US-amerikanische Arzt Alan Shewmon, welcher früher ein bekannter Befürworter des Hirntod-Konzeptes war, vertritt die Auffassung, dass „das Gehirn nicht als zentraler Integrator aller menschlichen Körperfunktionen“ wirke. Der Neurologe hatte bis 1998 über 170 dokumentierte Fälle gefunden, in denen zwischen Feststellung des Hirntodes und Eintritt des Herzstillstands viel Zeit vergangen war. Die Spannen reichten dabei von mindestens einer Woche bis zu 14 Jahren. Der US-amerikanische „President’s Council on Bioethics“ (Ethikrat der USA) schloss sich dieser Einschätzung an. Die Vorstellung von der Gleichsetzung von Hirntod und Tod sei nach Auffassung des Rates „nicht mehr aufrechtzuhalten“. Das Gehirn sei „nicht der Integrator der verschiedenen Körperfunktionen“, vielmehr sei „die Integration eine emergente Eigenschaft des ganzen Organismus“.[24][25]

Die neurologische Fachgesellschaft der Vereinigten Staaten mahnt außerdem an, dass „die Kriterien für die Feststellung des Hirntodes nicht wissenschaftlich untermauert“ seien. Beispielsweise seien die (auch in Deutschland) „vorgeschriebenen Wartezeiten zwischen der ersten und zweiten neurologischen Untersuchung“ nur „grobe Erfahrungswerte und nicht zuverlässig“. Kritisiert wird auch, dass „apparative Zusatzuntersuchungen“, wie die „Messungen der elektrischen Aktivität und der Durchblutung des Gehirns“, nicht „zum obligatorischen Standard“ gehören. Unter Umständen könnten „neurologisch unerfahrene Ärzte deshalb einen Komapatienten für tot erklären“, obwohl „seine Hirnrinde noch bei Bewusstsein“ sei.[26]

Zudem sei die Feststellung des Hirntods mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet, so Joseph Verheijde, Mohamed Rady und Joan McGregor von der Non-Profit-Organisation Mayo Clinic. Sie bezweifeln, dass die etablierten Richtlinien geeignet seien, einen „irreversiblen Schaden des Gehirns mit hinreichender Sicherheit zu konstatieren“. Gehirne von für hirntot erklärten Patienten wiesen nicht alle die erwarteten schweren Schäden auf. In Deutschland gelten für die Hirntoddiagnostik die Kriterien der Bundesärztekammer. Eine apparative Untersuchung sei nur bei Kindern bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr vorgesehen. Die in den übrigen Fällen als ausreichend erachtete klinische Diagnostik „erfasse nur Teilbereiche des Gehirns“. Funktionen des Mittelhirnes, des Kleinhirns und der Großhirnrinde würden gar nicht untersucht werden, gibt die deutsche Physikerin und Philosophin Sabine Müller von der Charité in Berlin zu bedenken. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie der Positronenemissionstomographie oder der funktionellen Magnetresonanztomographie an Patienten mit schweren Bewusstseinsstörungen ließen an der Behauptung des irreversiblen Ausfalles aller Hirnfunktionen zweifeln.[27]

Hirntote Schwangere

Gaby Siegel (1991)

Gaby Siegel war in der 17. Woche schwanger, als sie am 4. Juli 1991 aus ungeklärter Ursache bewusstlos zusammenbrach. Ein Spaziergänger fand sie. Ihr Herz schlug nicht. Sie wurde erfolgreich reanimiert und in die Klinik gebracht. Dort wurde am 14. Juli der Hirntod festgestellt. Um das Kind zu retten, wurde Gaby Siegel in der anthroposophischen Filderklinik weiter medizinisch mit allem versorgt. Am 26. September 1991 setzten – nach 84 Tagen Versorgung auf der Intensivstation – vorzeitige Wehen ein. Max Siegel wurde lebend geboren.[28]

Erlanger Baby (1992)

Im Fall des Erlanger Babys wurde bei den Vorbereitungen zur Organentnahme einer hirntoten Frau eine Schwangerschaft in der 15. Woche festgestellt. Daraufhin wurde die Organentnahme abgesagt und entschieden, die Schwangerschaft auszutragen. Die Frau wurde intensivmedizinisch mit Beatmung, Kreislauftherapie und Hormonersatz weiterbehandelt, so dass ihr Körper und damit auch der Uterus in seiner Grundfunktion erhalten blieben. Der Fetus wuchs normal, bis es durch eine Infektion in der 20. Schwangerschaftswoche zu einer Frühgeburt kam, die das Kind nicht überlebte. Am Tag der Geburt wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen für die hirntote Mutter abgestellt, zu diesem Zeitpunkt war eine Organentnahme nicht mehr möglich.

Der hirntoten Schwangeren war ein rechtlicher Betreuer bestellt worden, um über die weitere medizinische Behandlung zu entscheiden. In dem Beschluss des Amtsgerichtes Hersbruck[29] heißt es:

„Die Bestellung eines vorläufigen Betreuers für die genannten Aufgabenkreise erschien erforderlich, ungeachtet der Tatsache, daß die Betroffene tot im Sinne des Gesetzes ist… Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, daß die Entscheidung des vorläufigen Betreuers über das Abschalten der funktionserhaltenden Apparate vor Entbindung oder Tod der Leibesfrucht im Mutterleib einer Genehmigung durch das Gericht bedarf. Nach diesem Zeitpunkt ist eine Genehmigung nicht mehr erforderlich.“

Es stellte sich die Frage, ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, die hirntote Mutter solange künstlich zu beatmen und zu ernähren, bis der Fetus per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden kann, und ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, einen Fetus in einer hirntoten Mutter bis zur Geburt wachsen zu lassen.

Marlies Muñoz (2013)

Am 26. November 2013 kollabierte die 33-jährige, in der 14. Woche schwangere Marlies Muñoz, eine Medizintechnikerin, aufgrund einer schweren Lungenembolie. Im John Peter Smith Hospital in Fort Worth, Texas, wurde der Hirntod diagnostiziert. Die Familienangehörigen, einschließlich des Ehemanns, sprachen sich für eine Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen aus, da sich die Betroffene selbst in früheren Gesprächen mit dem Ehemann dagegen ausgesprochen hatte. Dies wurde jedoch vom behandelnden Krankenhaus mit Hinweis auf texanische Gesetze verweigert. Daraufhin klagte der Ehemann gegen das Krankenhaus. Der Fall löste intensive ethische Diskussionen aus. Nach zwei Monaten wurde dem Kläger Recht gegeben, und die Patientin samt dem ungeborenen Kind verstarb nach dem Abschalten der lebenserhaltenden medizinischen Versorgung.[30]

Siehe auch

Literatur

  • Johann S. Ach, Michael Quante (Hrsg.): Hirntod und Organverpflanzung. Ethische, medizinische, psychologische und rechtliche Aspekte der Transplantationsmedizin. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1999, ISBN 3-7728-1992-3.
  • Karim Akerma: Lebensende und Lebensbeginn. Philosophische Implikationen und mentalistische Begründung des Hirn-Todeskriteriums. Lit, Münster u. a. 2006, ISBN 3-8258-9744-3.
  • Alberto Bondolfi (Hrsg.): Hirntod und Organspende. Schwabe, Basel 2003, ISBN 3-7965-1968-7.
  • Johannes Hoff, Jürgen in der Schmitten (Hrsg.): Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und "Hirntod"-Kriterium. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-19991-2.
  • Ludger Honnefelder: Hirntod und Todesverständnis. Das Todeskriterium als anthropologisches und ethisches Problem. In: Ludger Honnefelder, Christian Streffer (Hrsg.): Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik. Band 3, Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-016394-2, S. 56–78.
  • Klaus Schäfer: Hirntod. Medizinische Fakten – diffuse Ängste – Hilfen für Angehörige. topos, Regensburg 2014, ISBN 978-3-8367-0879-1.
  • Frank Schadt: Zum Lebend-Status des Menschen im Zustand des isolierten Hirnfunktionsausfalles (dissoziierter Hirntod). Anlage zur Verfassungsbeschwerde gegen § 4 des Transplantationsgesetzes. Schadt, Dinslaken 1999, ISBN 3-934039-32-4 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3DWi8XAwAAQBAJ~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D).
  • Hans-Peter Schlake, Klaus Roosen: Der Hirntod als der Tod des Menschen. 2. Auflage. Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu-Isenburg 2001, ISBN 3-9807327-0-3.
  • Ralf Stoecker: Der Hirntod. Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation. Alber, Freiburg u. a. 2006, ISBN 3-495-48181-8.
  • Hartwig Wiedebach: Hirntod als Wertverhalt. Medizinische Bausteine aus Jonas Cohns Wertwissenschaft und Maimonides’ Theologie. Lit, Münster u. a. 2003, ISBN 3-8258-7098-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. M.-F.-X. Bichat: Physiological Researches Upon Life and Death. Smith & Maxwell, Philadelphia 1809.
  2. G. Sutton: The Physical and Chemical Path to Vitalism: Xavier Bichat's Physiological Researcheson Life and Death. In: Bull. Hist. Med. 58 (1984), S. 53–71.
  3. A definition of irreversible coma. Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death. In: Journal of the American Medical Association. (JAMA) Aug. 1968, Band 205, Nr. 6, S. 85–88.
  4. D. A. Shewmon: Chronic "brain death": meta-analysis and conceptual consequences. In: Neurology. 1998 Dec; 51(6), S. 1538–1545.
  5. Hirntod und Hirntoddiagnostik bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (dso.de); abgerufen am 8. Dezember 2012.
  6. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO): Der Hirntod als der Tod des Menschen. 1. A.30.12/95, S. 36.
  7. Sam Parnia: Der Tod ist umkehrbar vom 22. Juli 2013
  8. Antoine Lutz, Richard Davidson et al.: Long-term meditators self-induce high-amplitude gamma synchrony during mental practice, published November 8, 2004
  9. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Richtlinien: Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen (2005); PDF-Dateien mit Richtlinien, Literatur und Protokollanhang; abgerufen am 27. Juli 2008.
  10. Arbeitskreis Organspende: Kein Weg zurück … Informationen zum Hirntod. 1. A.100.8/99, S. 29.
  11. Hirntod und Entscheidung zur Organspende (BT-Drs. 18/4256, S. 40)
  12. Herdegen in Maunz/Dürig Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 56 2014.
  13. Höfling in Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 1, Rn. 63; Maurer, DÖV 1980, 7 (9).
  14. Organtransplantationen – Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD. Bonn / Hannover 1990
  15. Radio Vatikan: Wie tot ist hirntot? 4. September 2008.
  16. Vgl. Omar Samadzade: Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht. Bauz, Traugott 2009, ISBN 978-3-88309-542-4, S. 11.
  17. ZDM: „Organverpflanzung und Hirntod“, vom 2. Juli 1997
  18. Zit. nach Martin Kellner: Islamische Rechtsmeinungen zu medizinischen Eingriffen an den Grenzen des Lebens. Ein Beitrag zur kulturübergreifenden Bioethik. Ergon, Würzburg, 2010, S. 135.
  19. Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Heidrun Dittrich, Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion Die Linke vom 23. Juli 2013 zum Thema Hirntod, abgerufen am 20. Mai 2015
  20. Antwort der Bundesregierung vom 9. August 2013, abgerufen am 20. Mai 2015
  21. Wie tot sind Hirntote? Alte Frage – neue Antworten auf www.bpb.de
  22. Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen. In: Deutschlandradio Kultur. 14. Juli 2011.
  23. „Heftige Kontroverse: Wann ist ein Mensch tot?“, Ärzte-Zeitung, vom 22. Februar 2012.
  24. Wie tot sind Hirntote? Alte Frage – neue Antworten. In: Das Parlament. 2011.
  25. Neue Zweifel am Hirntod. In: TAZ. 5. November 2010.
  26. Wann ist ein Mensch wirklich tot? In: Der Tagesspiegel. 28. September 2010.
  27. Ist die Organspende noch zu retten? In: FAZ. 14. Oktober 2010.
  28. Bernhard Albrecht: Aus einer Leiche geboren. In: Der Spiegel. Nr. 25, 2011, S. 112–116 (online20. Juni 2011).
  29. Beschluss des Amtsgerichts Hersbruck vom 16. Oktober 1992 – XVII 1556/92, NJW 1992, 3245 = FamRZ 1992, 1471.
  30. J. L. Ecker: Death in pregnancy--an American tragedy. In: N Engl J Med. 2014; 370(10), S. 889–891. doi:10.1056/NEJMp1400969. PMID 24499176.