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Gerrard Winstanley

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Gerrard Winstanley (* 1609; † 10. September 1676) war ein englischer protestantischer religiöser Reformer und politischer Aktivist. Zur Zeit des Protektorats (1649–1658) von Oliver Cromwell führte er die Gruppe der „Wahren Gleichmacher“ (True Levellers) an, die von ihren Gegnern abfällig „Digger“ (Buddler) genannt wurden. Diese besetzten und bearbeiteten öffentliche Ländereien und verteilten die Erträge kostenlos an Bedürftige, um damit für eine umfassende Landreform und das Gemeineigentum zu werben. Dieser Frühkommunismus war aus genuin christlichen Motiven gespeist.

Leben

Winstanley wurde als Sohn eines Krämers in Wigan, Lancashire geboren. Er zog als Jugendlicher nach London und wurde dort Lehrling und schließlich Mitglied der Schneidergilde. Er machte sich 1635 selbstständig, doch sein Geschäft ging 1648 im englischen Bürgerkrieg bankrott. Daraufhin zog er nach Cobham nah seiner Heimat und arbeitete dort als Viehhirte. In dieser Zeit durchlebte er eine intensive religiöse Suche, bei der er sich vorübergehend den Baptisten anschloss. Durch eigenes Bibelstudium und Erlebnisse, die er „Visionen des inneren Lichtes“ nannte, gewann er seine Überzeugungen.

Aufgrund einer solchen Vision begann er 1649, nach Cromwells Sieg über König Charles, mit zunächst nur 12 Freunden – meist arbeits- und besitzlosen Veteranen der New Model Army – brachliegendes Land in Surrey zu besetzen und es zu kultivieren. Sie nannten sich „True Levellers“ im Gegensatz zu den so genannten „Gleichmachern“ (Levellers) unter Führung von John Lilburne, die nicht das Gemeineigentum, sondern nur das individuelle Recht des Bodenerwerbs für jeden Bürger, der es sich leisten konnte, vertraten. Sie griffen aber bewusst kein Privateigentum an, sondern besetzen nur unkultiviertes und gemeinfreies Land und verteilten ihre Ernte, ohne etwas dafür zu verlangen. Ihr Beispiel fand rasch etwa 50 Nachahmer in Buckinghamshire, Kent und Northamptonshire.

Einige örtliche Landbesitzer, die um ihre Gewinne fürchteten, versuchten die Landbesetzer zu vertreiben. Nachdem dies misslang, zeigten sie den Fall in London an. Auf ihr Betreiben ordnete der oberste Richter Lord Fairfax 1650 an, die „Digger“ zu schlagen, ihre Ernte und Werkzeuge zu zerstören. Nachdem dies geschah, war das Experiment nach nur 90 Tagen beendet.

Dieser frühe Versuch einer christlichen Landkommune wurde nur durch Winstanleys Veröffentlichungen der Nachwelt bekannt. Dieser entwickelte in seinen Schriften einen theologisch ausführlich begründeten agrarischen Kommunismus. Er argumentierte ausschließlich mit der Bibel und offenbar ohne Kenntnis anderer radikaler Reformatoren wie John Wyclif oder Jan Hus, denen er inhaltlich nahestand. Er verstand die gewaltlose „Landnahme“ der Besitzlosen, das gemeinsame Bewirtschaften des Bodens und kostenlose Verteilen der Erträge als eigentliche Vollendung der Befreiung der englischen Nation vom „normannischen Joch“ des Königtums und der Leibeigenschaft, die er als importierte Unterdrückung empfand.

Nach vorübergehender Haft schloss er sich 1660 in Cobham der „Gemeinschaft der Freunde“ (Society of Friends) an, aus denen die Quäker hervorgingen. Auch sein früherer Gegner John Lilburne, der lebenslang eingekerkert worden war, wurde in seiner Gefangenschaft Mitglied dieser damals neuen Religionsgemeinschaft.

Über die Spätzeit Winstanleys ist wenig bekannt. Man vermutet, dass er wieder in London als Kleiderhändler arbeitete, wo er 1676 starb.

Werk

1649 publizierte Winstanley einen ersten großen Traktat über seine Anschauungen: „Das neue Gesetz der Gerechtigkeit“. Darin bezog er sich auf die Schöpfungsgeschichte des „Alten“ und die Apostelgeschichte des „Neuen Bundes“, vor allem auf Apg 2, 44–45:

Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Auch verkauften sie Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem einer in Not war.

Er sah diese Beschreibung der Urgemeinde als Auftrag an die Politik und versuchte sie, beispielhaft in seiner Heimatgegend zu realisieren. Er begründete dies mit dem ursprünglichen Willen des Schöpfers:

Am Anfang der Zeit schuf Gott die Erde. Kein einziges Wort wurde anfangs davon gesagt, dass ein Zweig der Menschheit über einen anderen herrschen solle. Aber selbstsüchtige Einbildungen stellten einen Mann lehrend und herrschend über einen anderen.

Bestätigung dafür, dass alle Menschen ohne Vorrechte von derselben Art abstammten, fand er auch in den Büchern Samuels, die das Königtum skeptisch beurteilen (z. B. 1. Sam 8), und bei Paulus. So lautet Galaterbrief 3,28:

Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht noch Freier, nicht Mann noch Weib; denn ihr seid alle Einer in Christus Jesus.

Dies kommentierte Winstanley so: Gott beurteile den Einzelnen nicht nach sozialen, nationalen oder geschlechtsspezifischen Unterschieden, sondern wolle deren Aufhebung.

Von diesen und ähnlichen Bibeltexten aus forderte er die Abschaffung von Grundbesitz und Aristokratie (Adelsherrschaft): Dies wurde später „Kommunismus“ genannt. Dabei griff er auf eine Tradition zurück, die in England spätestens seit den Bauernrevolten von 1381 unter Führung von Wat Tyler bekannt war. Schon damals kursierte im Volksmund der Spruch:

Als Adam flocht und Eva spann, wer war dann der Adelsmann?

Winstanley hielt auch nach der gewaltsamen Vertreibung der True Levellers an seiner visionären Idee der Neuverteilung des Landes fest und publizierte 1652 erneut einen Traktat mit dem Titel „Das neue Gesetz der Freiheit“. Dort argumentierte er wiederum auf christlicher Basis für eine Gesellschaft ohne Eigentum und Löhne und sprach die Adeligen direkt an:

Die Macht, Land einzugrenzen und Boden zu besitzen, wurde von euren Vorfahren mit dem Schwert in die Schöpfung gebracht. Dieses ermordete zuerst ihre Mitgeschöpfe, Menschen, und plünderte oder raubte ihnen sodann ihr Land. Sie hinterließen es erfolgreich euch, ihren Kindern. Und darum, obwohl ihr nicht tötet oder stehlt, haltet ihr dennoch diese verbrecherische Sache in euren Händen mit der Macht des Schwertes. Und damit rechtfertigt ihr die gemeinen Taten eurer Väter; und diese Sünde eurer Väter wird an euren Häuptern und denen eurer Kinder heimgesucht werden bis in die dritte oder vierte Generation und länger: solange, bis eure blutige und räuberische Macht von diesem Land ausgerottet sein wird.

Wirkung

Das Vorbild der „Digger“ wurde von US-amerikanischen Künstlern in San Franzisko wiederentdeckt und inspirierte im Zuge der frühen 1960er Jahre viele kalifornische Landkommunen, aber auch anarchistische Gegenkultur in den Städten, die etwa kostenlose Nahrung für Obdachlose verteilten und medizinische Versorgung aufbauten. Es wird nicht nur im Marxismus, sondern auch in der Kirchengeschichte als erster frühneuzeitlicher Versuch eines libertären Kommunismus gewürdigt.

Siehe auch

Werke

  • Gleichheit im Reiche der Freiheit: sozialphilosophische Pamphlete und Traktate; Auswahl. – Frankfurt/M. : Fischer, 1988. – ISBN 3-596-24393-9

Literatur

  • Bradstock, Andrew: Winstanley and the Diggers: 1699–1999. Cass, London, 2000, ISBN 0-7146-5105-2
  • Mulder, David: The alchemy of revolution: Winstanley's occultism and the 17th century English communism. Lang, New York, 1990, ISBN 0-8204-1173-6

Weblinks