„Nekrophilie“ – Versionsunterschied

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'''Nekrophilie''' bezeichnet eine [[Sexualpräferenz]], die auf [[Leiche]]n gerichtet ist. Nekrophilie ist im [[ICD-10]]-Verzeichnis der psychischen Störungen unter „Sonstige Störungen der Sexualpräferenz“ (F65.8) als [[Paraphilie]] klassifiziert.
'''Nekrophilie''' bezeichnet eine komische [[Sexualpräferenz]], die auf [[Leiche]]n gerichtet ist. Nekrophilie ist im [[ICD-10]]-Verzeichnis der psychischen Störungen unter „Sonstige Störungen der Sexualpräferenz“ (F65.8) als [[Paraphilie]] klassifiziert.


Nekrophilie ist ein neuzeitliches [[Kunstwort]], das sich aus den [[Altgriechische Sprache|altgriechischen]] Wörtern {{lang|el|νεκρός}} ''{{lang|el-Latn|nekrós}}'' ‚Toter‘, ‚[[Leiche]]‘ und {{lang|el|φιλία}} ''{{lang|el-Latn|philía}}'' ‚Zuneigung‘ ableitet. Die Bezeichnung entstammt dem 1886 verfassten Werk ''Psychopathia Sexualis'' von [[Richard von Krafft-Ebing]].<ref>Richard von Krafft-Ebing: ''Psychopathia Sexualis.'' 1886</ref>
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Version vom 24. März 2021, 19:47 Uhr

Klassifikation nach ICD-10
F65.8 Sonstige Störungen der Sexualpräferenz
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Pietro Pajetta: Der Hass (1896)

Nekrophilie bezeichnet eine komische Sexualpräferenz, die auf Leichen gerichtet ist. Nekrophilie ist im ICD-10-Verzeichnis der psychischen Störungen unter „Sonstige Störungen der Sexualpräferenz“ (F65.8) als Paraphilie klassifiziert.

Nekrophilie ist ein neuzeitliches Kunstwort, das sich aus den altgriechischen Wörtern νεκρός nekrós ‚Toter‘, ‚Leiche‘ und φιλία philía ‚Zuneigung‘ ableitet. Die Bezeichnung entstammt dem 1886 verfassten Werk Psychopathia Sexualis von Richard von Krafft-Ebing.[1]

Von Nekrophilien wird in Deutschland selten berichtet.

Davon zu trennen ist Erich Fromms Beschreibung von Nekrophilie als einer Charakterorientierung (siehe unten), die sich nur teilweise mit der vorgenannten Definition der Sexualpräferenz überschneidet.

Nekrophilie nach Erich Fromm

Begriff

In der analytischen Sozialpsychologie von Erich Fromm ist unter Nekrophilie eine Charakterorientierung zu verstehen, die in Verkehrung der biophilen Kräfte des Menschen (Biophilie) im modernen Sozialcharakter eine zunehmende Tendenz zur Zerstörung zeigt. Nekrophilie und Destruktivität sind nach Fromm die „Folge ungelebten Lebens“ (und – im Gegensatz zu Freud – nicht Ausdruck eines biologisch fixierten Destruktions- oder Todestriebes). Fromm wendet diesen Begriff sowohl auf die Charaktere einzelner Personen an als auch auf Züge der westlichen Zivilisation.

Ähnliche Themen sind der autoritäre Charakter bzw. die autoritäre Persönlichkeit.

Herkunft und Entwicklung

Fromm übernahm den Begriff von dem spanischen Philosophen Miguel de Unamuno, welcher 1936 (zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges) Rektor der Universität von Salamanca war.

Dort hielt der nationalistische General Millán Astray am 12. Oktober 1936 eine Rede. Das Lieblingsmotto des Generals war „¡Viva la Muerte!“ (deutsch: „Es lebe der Tod!“). Von einem Anhänger Astrays wurde dieses Motto im Rahmen der Veranstaltung gerufen. Unamano bezeichnete dies daraufhin als „nekrophilen und sinnlosen Ruf“ und als abstoßendes Paradoxon. Astray sei nach Unamano „ein Krüppel, dem die geistige Größe eines Cervantes fehlt“. Auch suche sich der General „gewöhnlich dadurch eine fragwürdige Erleichterung, dass er alles rings um sich her verstümmelt.“[2][3]

Nach eigenen Angaben hat Fromm seine „theoretischen Auffassungen [...] in der Hauptsache aus der Beobachtung von Personen in der Analyse“ und anderen empirischen Daten gewonnen. Jedoch sei der „entscheidende Impuls“ für seinen Nekrophiliebegriff „von Freuds Theorie des Lebens- und Todestriebes“ ausgegangen. Er habe das „Phänomen der charakterologischen Nekrophilie seit 1961 studiert“ und weist auf einen „vorläufigen Bericht“ in seiner Schrift The Heart of Man[4] von 1964 hin.[5]

Definition

Die Nekrophilie im charakterologischen Sinne Fromms wird von ihm wie folgt definiert:

„[...] als das leidenschaftliche Angezogenwerden von allem, was tot, vermodert, verwest und krank ist; sie ist die Leidenschaft, das, was lebendig ist, in etwas Unlebendiges umzuwandeln; zu zerstören um der Zerstörung willen; das ausschließliche Interesse an allem, was rein mechanisch ist. Es ist die Leidenschaft, lebendige Zusammenhänge zu zerstückeln.“

Nekrophilie nach Erich Fromm[6]

Nach Fromm existieren zwei Formen der Nekrophilie: Eine, die mit Sexualität gemischt sei, und eine, bei der dies „anscheinend nicht“ zutreffe. Letzte äußere „sich in Handlungen reinen Zerstörungsdranges“. Bei beiden Arten bezieht er sich u. a. auf Fälle aus der Kriminologie.[7]

Merkmale

Die meisten Menschen hätten Fromm zufolge eine Mischung aus biophilen als auch nekrophilen Tendenzen in sich. Wenn die nekrophilen Leidenschaften vorherrschen, könne man nach Fromm von einem nekrophilen Charakter sprechen. Er warnt jedoch vor Vereinfachungen und davor, voreilige Schlüsse zu ziehen: „Die Feststellung von einem oder zwei Charakterzügen genügt nicht zur Diagnose eines nekrophilen Charakters.“ Nur eine „relativ kleine Minderheit“ sei „völlig nekrophil“.[8]

„Man braucht kaum zu betonen, daß schwer nekrophile Personen sehr gefährlich sind. Es sind die Hasser, die Rassisten, die Befürworter von Krieg, Blutvergießen und Destruktion. Sie sind nicht nur dann gefährlich, wenn sie politische Führer sind, sondern auch als die potentiellen Kohorten eines diktatorischen Führers. Aus ihnen rekrutieren sich die Henker, die Terroristen und Folterer; ohne sie könnte kein Terrorsystem errichtet werden.“

Erich Fromm über Nekrophilie[9]

Auffällig an Menschen mit starken nekrophilen Tendenzen ist nach Fromm zum Beispiel eine Vorliebe für schlechte Gerüche – ursprünglich für den Geruch von verfaulendem oder verwesendem Fleisch. Die nekrophile Sprache benutzt vorwiegend Worte, die sich auf Zerstörung, auf Exkremente und Toiletten beziehen.[10]

Außerdem zeige sich die Charakterorientierung an der „Überzeugung, daß sich Probleme und Konflikte nur mit Gewalt und Gewalttätigkeit lösen lassen.“[11] Gleichsam zählten das Zufügen von Verletzungen und Sachbeschädigung dazu. Auch „marginale Verhaltensweisen“ wie die Angewohnheit, Gegenstände und Lebewesen zu „zerbrechen und zu zerpflücken“ weisen gemäß Fromm auf nekrophile Tendenzen hin.[12] Auch am „auffälligen Interesse an Krankheit in allen ihren Formen und am Tod“ zeige sich die Nekrophilie.[13]

Der nekrophile Charakter habe eine eigene „Einstellung zur Vergangenheit und zum Besitz.“ Sein Leben werde von „Institutionen, Gesetzen, Eigentum und Besitztümern“ beherrscht.[14]

Fromm nennt zudem „[k]linisch-methologische Prinzipien“, mit denen man einen nekrophilen Charakter erkennen könne.[15]

Der entgegengesetzte Charakterpol ist die Biophilie.

Untersuchungen

In seinem Werk Anatomie der menschlichen Destruktivität lieferte Fromm eine Analyse der Nekrophilie und porträtierte Adolf Hitler als klinischen Fall von Nekrophilie.[16]

Auf Grundlage ihrer Beobachtungen haben Fromm und Michael Maccoby einen interpretativen Fragebogen entwickelt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass biophile und nekrophile Tendenzen messbar seien und stark mit politischen und sozialen Einstellungen korrelierten.[17][18][19] So zeige sich ein dominant nekrophiler Charakter unter anderem anhand des Eintretens für „eine verstärkte Militärmacht“, strengeren Kontrollen und „Unterdrückung von Abweichlern“.[18]

Empirische Untersuchungen in artverwandtem Zusammenhang sind (Auswahl):

Modernere Ausprägungen

Kennzeichen der Nekrophilie der modernen Zeit ist nach Fromm auch eine Vergötterung der Technik. Symbole des Nekrophilen sind „Fassaden aus Beton und Stahl“, die Megamaschine (Technophilie), die Vergeudung von Ressourcen im Konsumismus und die Art, wie der Bürokratismus Menschen als Dinge behandelt.[21]

Nekrophilie in den Medien

Mit der Nekrophilie beschäftigen sich auch diverse Medien. So ist die Liebe zu Leichen beispielsweise Thema in den Filmen Nekromantik (1987) und Nekromantik 2 (1991) des deutschen Underground-Regisseurs Jörg Buttgereit sowie in Kissed (1996) von Lynne Stopkewich. In H. P. Lovecrafts Erzählung Die geliebten Toten (1924) wird ein Bestatter zum Serienmörder, um seiner unstillbaren Nekrophilie zu frönen.[22] Eine bekannte filmische Umsetzung der Nekrophilie-Thematik ist Alfred Hitchcocks Vertigo – Aus dem Reich der Toten (1958), wenn auch den Konventionen der Zeit und Hitchcocks komplexem Regiestil gemäß allenfalls kunstvoll verschlüsselte Hinweise und Andeutungen erfolgen. Eine weitere cineastische Annäherung an die Liebe zu Toten bis hin zur Besessenheit ist François Truffauts La chambre verte (Das grüne Zimmer) von 1978. Das Werk ist reich an interfilmischen Anspielungen, so auch auf Vertigo. In dem Thriller Der Vogelmann (The Birdman) von Mo Hayder wird die Geschichte eines Nekrophilen erzählt, der Prostituierte zu sich einlädt, sie tötet, um sich dann an ihnen zu befriedigen. In der Videoproduktion Visitor Q von Regisseur Takashi Miike gipfelt die Überforderung des Vaters einer problemüberladenen Kleinfamilie im Geschlechtsverkehr mit seiner zuvor im Affekt erwürgten Arbeitskollegin.[23]

Darüber hinaus handeln Texte einzelner Bands von Nekrophilie: Die Rock-Band Rammstein behandelt die Thematik in dem Song Heirate mich; die Böhsen Onkelz im Lied Nekrophil, Insane Clown Posse in dem Lied Cemetery Girl, und die Dark-Metal-Band Eisregen mit den Liedern Blass-Blaue Lippen und Meine tote russische Freundin (welche indiziert wurden). Von Subway to Sally stammt das Lied Schwarze Seide um Carl von Cosel, der durch Nekrophilie bekannt wurde.

Siehe auch

Literatur

Fußnoten

  1. Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia Sexualis. 1886
  2. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Rowohlt-Verlag, Hamburg, 25. Auflage, November 2015. ISBN 978-3-499-17052-2. S. 371 f.
  3. Fromm bezieht sich auf "H. Thomas 1961. The Spanish Civil War. Harper & Bros, New York 1961; dt. Der spanische Bürgerkrieg. Berlin/Frankfurt/Wien 1962." (Anatomie der menschlichen Destruktivität: Bibliographie, S. 548)
  4. In der Bibliographie der Anatomie der menschlichen Destruktivität (S. 539) in deutscher Sprache: "Das Menschliche in uns, Konstanz 1968."
  5. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. S. 372 f.
  6. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 373
  7. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. S. 366 ff.
  8. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. S. 412 ff.
  9. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 414
  10. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. S. 371 ff.
  11. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 380
  12. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. S. 380
  13. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität., S. 380 f.
  14. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 381 f.
  15. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 412 ff.
  16. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, 13. Bösartige Aggression: Adolf Hitler, ein klinischer Fall von Nekrophilie: S. 415 ff.
  17. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 384
  18. a b E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität in der Bibliographie, S. 543 zu dieser Studie: "Maccoby, M. 1972. "Emotional Attitudes and Political Choices." Politics and Society. (Winter): 209-239."
  19. Studie Maccobys Emotional Attitudes and Political Choices von 1972 auf SAGE. Abgerufen am 10. Juli 2017.
  20. Erich Fromm, Rainer Funk: Erich Fromm-Gesamtausgabe, Band I: Analytische Sozialpsychologie; Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. ISBN 3-421-05280-8. Fundstelle: Einleitung des Herausgebers - Zu Leben und Werk Erich Fromms, Seite XXVII-XXVIII: "Mit Michael Maccoby [...] untersuchte [Fromm] in den sechziger Jahren den Gesellschafts-Charakter der Bewohner eines mexikanischen Dorfes. [...]". Als Studie wird im Literaturverzeichnis genannt: "[Fromm, E.] -, und Michael Maccoby, 1970b: Social Character in a Mexican Village. A Sociopsychoanalytic Study, Eaglewood Cliffs 1970 (Prentice Hall)"
  21. E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, Abschnitt "Nekrophilie und die Vergötterung der Technik, S. 384 ff." S. 372 f.
  22. H. P. Lovecraft, C. M. Eddy jr.: Die geliebten Toten. In: H. P. Lovecraft et al.: Azathoth. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, S. 41 ff.
  23. Carsten Henkelmann: Visitor Q (2001) - Takashi Miike / Sense of View Review. Abgerufen am 21. Juni 2017.