Glanzstoff Austria

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Die Glanzstoff Austria (früher Erste österreichische Glanzstoff-Fabriken, Glanzstoff-Fabrik St. Pölten oder Enka Austria) war ein chemisches Unternehmen im niederösterreichischen St. Pölten. Das 1906 eröffnete Werk in St. Pölten produzierte bis 2008 bis zu 12.000 Tonnen Viskosefasern pro Jahr und war zeitweise deren zweitgrößter Produzent weltweit. Zuletzt erwirtschaftete es einen Umsatz von 50 Mio. Euro.[1]

Nach einem Brand in der Abluftreinigungsanlage im Jänner 2008 wurde die Produktion gestoppt, konnte jedoch im April des Jahres teilweise wiederaufgenommen werden. Im Juli 2008 wurde überraschend bekannt gegeben, die Viskosegarnproduktion in St. Pölten zu beenden. Ende 2008 wurde die Produktion endgültig eingestellt, Anfang 2009 wurde die Glanzstoff Austria aufgelöst und die Liegenschaften von der Glanzstoff-Gruppe, die sich im Eigentum der CAG Holding befindet, übernommen. Am ehemaligen Fabriksstandort sind heute etwa 15 Verwaltungsmitarbeiter der Glanzstoff-Gruppe angestellt.

Geschichte

Entstehung und Entwicklung bis zum Anschluss an das Deutsche Reich

1903 wurde ein neuer Zollvertrag zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich abgeschlossen, der die Einfuhr deutscher Waren nach Österreich erschwerte. Die Eigentümer der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG nahe Aachen, allen voran der Österreicher und Mitbegründer Johann Urban, entscheiden sich, ein eigenes Werk in Österreich zu eröffnen, um trotzdem den Markt in Österreich-Ungarn ohne Schwierigkeiten bedienen zu können.[2] Urban wurde 1904 zum Leiter der Ersten Österreichischen Glanzstoff-Fabrik AG mit Sitz in Wien ernannt.[3] Als die Aktiengesellschaft im Dezember 1904 gegründet wurde, waren außer der Muttergesellschaft noch die Oberrheinische Bank und die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft beteiligt. Das Aktienkapital sollte ursprünglich drei Millionen Kronen betragen,[4] bei der Gründung am 17. Dezember wurde es bei nur 2,5 Millionen Kronen festgesetzt.[5]

Urban machte sich auf die Suche nach einem Standort für eine Betriebsstätte in Österreich, Wien kam aufgrund der hohen Grundstückspreise nicht in Frage.[2] Die Wahl fiel vor allem aufgrund der verkehrsgünstigen Lage an der Westbahn, den ausreichenden Grundwasserreserven und der günstigen Energieversorgung aus den städtischen E-Werken auf Viehofen. Der damalige St. Pöltner Bürgermeister Wilhelm Voelkl hatte Urban zudem den günstigen Baugrund vom Niederösterreichischen Religionsfonds[6] knapp außerhalb der Stadtgrenzen verschafft, ließ auf Stadtkosten die Zufahrtsstraße errichten und veranlasste einen vorgezogenen Kanalbau. Zudem wurden von Stadtseiten die Kanalgebühren um 25 % reduziert und die Verpflichtung eingegangen, Arbeiterwohnungen zu errichten.[2] Schon 1903 hatte Hermann Ofner einen Verein zur Erbauung billiger Wohnungen gegründet, welcher in den Folgejahren zahlreiche Arbeiterwohnhäuser errichtete. Das mit Abstand größte war der Zehn-Häuser-Komplex am Mühlweg, bei seiner Fertigstellung 1908 beherbergte er über 100 Arbeiterquartiere.[7]

Mitarbeiter und Tagesproduktionen
 
Jahr
 
Mitarbeiter
 
Tages-
produktion
1906 306 125 kg
1914 1.700 unbekannt
1928 3.020 6 t
1932 800 2,5 t
1939 unbekannt 4 t
1940 unbekannt 5 t
1943 2.200 8,8 t
1944 unbekannt 26 t
1945 600 unbekannt
1955 1.400 unbekannt
1959 1485 15 t
1971 1.353 33 t
1979[8] 550 unbekannt
1990 900 unbekannt
1994 250 unbekannt
1996[9] 420 unbekannt
1997[10] 530 30 t
2000 422 unbekannt
2004 500 34 t
2008 350 31,5 t
2010 15 keine Produktion
Die Fabrik bei der Erbauung 1905
Die prägnanten Wassertürme 1905
Datei:Glanzstoff Austria 1910.jpg
Das Werk 1910

Die Fabrik wurde am 4. April 1906 feierlich in Betrieb genommen.[2] Zu Produktionsbeginn erzeugten 306 Arbeiter täglich 125 Kilogramm Kupferseide, später wurde die Tagesproduktion auf 600 Kilogramm gesteigert. Bald darauf erfolgten die ersten Erweiterungsarbeiten, unter anderem ließ Urban 1908 das Verwaltungsgebäude aufstocken.

Der Verwaltungsrat entschied, 1911 die Fabrik auf Viskosefasererzeugung umzustellen, was bauliche Änderungen bedingte. Die mehrere Neubauten umfassende Umrüstung war 1913 abgeschlossen.[11]

Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges stieg die Mitarbeiterzahl auf 1.700 an. Schon kurz nach Kriegsausbruch musste ein Teil des Firmenareals an ein Zweigwerk der Whitehead Torpedofabrik abgegeben werden, 1917 wurde die Produktion unter Heeresaufsicht gestellt, was zu einer kurzfristigen Produktionssteigerung führte. 1918 stand das Werk nahezu still, das Schwefelsäurelager und ein Magazin waren zerstört, 1919 kam die Produktion mangels Kohle komplett zum erliegen. Erst 1922 waren die Anlagen wieder voll ausgelastet.

1926 wurde begonnen das Werk auszubauen. Grundlage dieser Erweiterung war eine Erhöhung des Aktienkapitals und der Verkauf der Aktienmehrheit an die holländische Algemene Kunstzijde Unie N.V. Bis 1929 wurden das Kesselhaus, das Turbinenhaus und der 100 m hohe Schornstein errichtet, weiters wurde das angrenzende Areal der geschlossenen Whitehead Torpedofabrik erworben. Es konnten jedoch nicht alle zu Kriegsbeginn abgegebenen Flächen zurückgekauft werden, ein Teil der Grundstücke wurde der Stadt St. Pölten zur Schuldenabdeckung übergeben.[12] Nach den Ausbauten beschäftigte die Glanzstoff 3.000 Mitarbeiter, die pro Tag sechs Tonnen Viskose produzierten. Nachdem der Ort Viehofen 1923[13] eingemeindet wurde, war der Betrieb der größte St. Pöltens. Die bald darauf einsetzende Weltwirtschaftskrise traf den Betrieb ungleich härter als die meisten anderen der Stadt. Millionenverluste[14] zwangen die Eigentümer, das Werk für 18 Monate zu schließen, 1932 wurde mit 800 Mitarbeitern der Betrieb wiederaufgenommen. 1933 wurde eine bis heute bestehende eigene Betriebsfeuerwehr gegründet, die Feuerwehrausrüstung wurde von der geschlossenen Torpedofabrik übernommen.[15]

Zweiter Weltkrieg und Besatzungszeit

Der Anschluss an das Deutsche Reich bewirkte zunächst einen Aufschwung durch die Integration in einen größeren Wirtschaftsraum. Schon bald wurde die Fabrik ein wichtiger Betrieb für die Rüstungsindustrie. Die produzierten Garne fanden in Rüstungsprodukten, wie Fallschirmen, Reifenkörben und Kartuschbeuteln für den Sprengstoff in Granaten Verwendung. Nachdem das Unternehmen 1941 in Glanzstoff-Fabrik St. Pölten AG umbenannt worden war, wurde es als kriegswichtig eingestuft. Die durch die Umstellung auf Cordkunstseide, eine mehrfach gezwirnte Viskosefaser, notwendigen Umbauarbeiten konnten dadurch rasch vollendet werden. Neben der Errichtung eines Ätznatronlagers wurden Anbauten an die Kuchendruckwäsche errichtet und die Heizanlage von Dampf auf Heißwasser umgestellt.[16]

Ab 1943 wurde die Produktion weiter ausgebaut, unter anderem wurde ein 35 m hoher Wasserturm, der zu Kriegsende auch als Flakturm diente, eine neue Trafostation und eine Schwefel-Kohlenstoff-Rückgewinnungsanlage neu errichtet. Mit diesen Ausbauten wurde die Produktion zwischen 1938 und 1944 von 2100 auf 9500 Jahrestonnen mehr als vervierfacht. In der Fabrik wurden zahlreiche Zwangsarbeiter beschäftigt, für die ein eigenes Barackenlager auf dem Werksgelände unterhalten wurde.[16]

Bei der Einnahme St. Pöltens durch die sowjetischen Truppen wurde das Werk stark beschädigt. Die Glanzstoff wurde als Deutsches Eigentum beschlagnahmt und in die USIA eingegliedert, 45 % der Maschinen des Betriebes wurden noch 1945 in die Sowjetunion abtransportiert.[17] Zu Kriegsende beschäftigte der Betrieb nur mehr 600 Mitarbeiter, bis 1955 stieg die Zahl der Arbeitnehmer auf 1300 an. Erst 1956, nach Abschluss des österreichischen Staatsvertrages und dem Ende der USIA, konnte die Algemene Kunstzijde Unie die Aktienmehrheit wieder übernehmen, musste jedoch in den nächsten sechs Jahren 10.000 Tonne Seide an Russland als Ablöse liefern.[18] Unter Auswertung der während des Krieges entwickelten Herstellungsverfahren konnte die Produktion von Kunstseide für Autoreifenkarkassen bald wieder aufgenommen werden, 1957 waren 1400 Personen angestellt.

Zweite Republik

Zwei der 1905 erbauten Wassertürme
Der Ziegelschlot 2009

In den folgenden Jahren wurde die Fabrik erweitert. Gegen Ende der 1950er wurden eine Spinnbad-Kristallisationsanlage zur Wiederaufbereitung der Spinnbäder sowie eine Schärabteilung eingerichtet, zwischen 1963 und 65 wurde neben zwei neuen Werkshallen vor allem die Engergieversorgung infolge eines einwöchigen Kohlebunkerbrandes[15] von Kohle auf Erdgas umgestellt. Seit 1961 produzierte das Werk auch das Bautenschutzmittel Kenitex. 1969 reorganisierte der Hauptaktionär der Glanzstoff seine Chemiefaserunternehmen. Die der Algemene Kunstzijde Unie gehörenden Werke in den Niederlanden sollten mit jenen der Glanzstoff AG in Deutschland wirtschaftlich und organisatorisch als ein Unternehmen geführt werden, der Name der neuen Gruppe war AKZO N.V., die Glanzstoff wurde der Tochterfirma Enka-Glanzstoff untergeordnet.[19] Im Jahr 1965 erhielt das Werk die Staatliche Auszeichnung und durfte seither das Bundeswappen im Geschäftsverkehr verwenden.[20]

Nachdem 1975 vorübergehend auf Kurzarbeit umgestellt wurde, entschloss sich die Konzernleitung Ende 1977, das Werk aufgrund pessimistischen Absatzprognosen im Laufe des Jahre 1978 zu schließen. Nach einem Konjunkturaufschung im Herbst 1978 eröffneten sich neue Absatzmärkte und der Stilllegungsbeschluss wurde wieder aufgehoben. Zudem gewährte die Bundesregierung eine Kredit in Millionenhöhe.[21] Im August 1978 brach ein Brand aus und löste einen Großeinsatz aller Stadtfeuerwehren aus. Es entstand mehr als zwei Millionen Schilling (inflationsbereinigt heute etwa 407.000 Euro) Schaden und die Fabrik stand 20 Tage still.[15] 1982 wurden wieder Gespräche über die Schließung des Werks geführt, im selben Jahr wurde der Firmenname in Enka Austria AG geändert.[22] Ende 1982 wurde bekannt, dass der Betrieb mit April 1983 verstaatlicht werden würde.[23] Der Name wurde auf Glanzstoff Austria Ges.m.b.H geändert. Das Unternehmen sollte ursprünglich zu einem Drittel vom Land Niederösterreich übernommen werden, was am damaligen Landeshauptmann Ludwig scheiterte.[24]

Nach einer Sanierung und Umstrukturierung erfolgte 1988 die Rückumwandlung in eine Aktiengesellschaft, die Aktien wurden an die Lenzing AG verkauft. Zwei Jahre später fanden 900 Personen Arbeit in der Glanzstoff, das Unternehmen ging an die Börse.[25] 1991 ging eine biologische Abwasser- und Recyclinganlage in Betrieb.[26] Zwei Jahre später stürzten Absatzrückgänge und Zahlungsrückstände von Kunden das Unternehmen in eine Krise. Der Textilbereich wurde geschlossen, einzig die Reifenindustrie wurde weitergeführt. Die Mitarbeiterzahl reduzierte sich auf 250. Nachdem das Unternehmen Konkurs anmelden musste, wurde es 1994 von der CAG Holding des Industriellen Cornelius Grupp übernommen.[27] Im Jahr darauf wurde die Produktion textiler Garne wiederaufgenommen. Nach der Inbetriebnahme einer neuen Abgasanlage 1998 wurde das Werk 2001 mit neuen Spinnmaschinen ausgestattet.[22] Ab 1997 wurde innerhalb der CAG Holding die Glanzstoff-Gruppe gegründet, die neben der Glanzstoff Austria auch die Werke Glanzstoff Bohemia und Textilcord Steinfort umfasste, 2007 kam Sicrem hinzu.

Am Abend des 10. Jänners 2008 brach in der Abluftanlage ein Brand aus, die Löscharbeiten dauerten bis in die Morgenstunden.[28] Im Juli wurde bekanntgegeben, dass das Werk mit Jahresende geschlossen werden würde. Die 327 Beschäftigten wurden beim AMS zur Kündigung angemeldet. Als Grund für die Schließung wurde das langwierige Genehmigungsverfahren für eine neue Abluftanlage genannt, ohne die eine wirtschaftliche Produktion nicht sinnvoll war. Im Dezember 2008 wurde der Betrieb eingestellt,[29] einige Mitarbeiter blieben allerdings in der Energiezentrale sowie in der Abwasserentsorgung eingesetzt.[30] Die gekündigten Mitarbeiter werden von einer Outplacementstiftung betreut.[31] Diese wird gemeinsam vom Land Niederösterreich, dem Arbeitsmarktservice und der CAG-Holding finanziert,[32] alleine das Land Niederösterreich investierte über 280.000 Euro.[33] Die Glanzstoff Austria wurde Anfang 2009 aufgelöst, die Glanzstoff-Gruppe übernahm die Liegenschaften. Einzig die Holding der Glanzstoff-Gruppe blieb mit 15 Mitarbeitern in St. Pölten, die verblieben Angestellten erledigen Verwaltungsaufgaben für die weitergeführten Werke Glanzstoff Bohemia, Textilcord Steinfort und Sicrem der Glanzstoff-Gruppe.[27]

Sprengung des Schornsteins 2009

Am 17. Juli 2009 um 14:00 Uhr wurde vom Sprengdienst der Feuerwehr St. Pölten der 1929 erbaute Ziegelschornstein gesprengt. Der ursprünglich mit 100 m Höhe erbaute Schornstein musste 1978 infolge eines Blitzschalges bereits bis auf 86 m Höhe abgetragen werden, war jedoch noch immer der höchste in Österreich. Die Sprengung war notwendig geworden, weil das Material des außer Betrieb gestellten Schornsteins brüchig zu werden drohte.[34]

Namen und Eigentümer der Glanzstoff Austria

Die Glanzstoff Austria hatte in ihrem 104-jährigen Bestehen mehrere Besitzer. In der Bevölkerung einfach Glanzstoff genannt, änderte sich der offizielle Name im Laufe der Zeit mehrmals, meist aufgrund Eigentümerwechsels. In der folgenden Tabelle werden die Eigentümer und Namen aufgeführt.

Namen und Eigentümer
Zeitraum Name Eigentümer
1904–1926 Erste österreichische Glanzstoff-Fabriken AG Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG
1926–1941 Erste österreichische Glanzstoff-Fabriken AG Algemene Kunstzijde Unie N.V.
1941–1945 Glanzstoff-Fabrik St. Pölten Deutsches Reich
1945–1955 Glanzstoff-Fabrik St. Pölten Управление советским имуществом в Австрии (USIA)
1955–1969 Glanzstoff-Fabrik St. Pölten AG Algemene Kunstzijde Unie N.V.
1969–1982 Glanzstoff-Fabrik St. Pölten AG AKZO N.V.
1982–1983 Enka Austria AG AKZO N.V.
1983–1988 Glanzstoff Austria Ges.m.b.H Gesellschaft für Bundesbeteiligungen an Industrieunternehmen
1988–1994 Glanzstoff Austria AG Lenzing AG
1994–2009 Glanzstoff Austria GmbH Glanzstoff-Gruppe der CAG Holding

Produkte und Produktion

Kurz nach der Eröffnung der Ersten österreichischen Glanzstoffabrik wurde von der Kupferseide- auf die Viskosegarnerzeugung umgestellt. Bis zuletzt produzierte das Werk vorwiegend Viskosefilamentgarne. Die technischen Garne, vertrieben unter dem Namen Viscord, wurden vor allem für die Reifenproduktion verwendet, die textilen Garne Viscofil und Viscont wurden in der Kleidungsindustrie angewandt.[35] Der Unterschied zwischen technischen und textilen Garnen lag vor allem in der Anzahl der verzwirnten Filamente. Während beim textilen Garn zwischen 33 und 330 Fasern verzwirnt[36] wurden betrug die Anzahl bei den technischen Garnen zwischen 660 und 2.640.[37]

Die Prodution verlief in beiden Fällen gleich. Zuerst wurde langfasriger Zellstoff in 15-prozentiger Natronlauge alkalisiert. Die Lauge wurde danach abgepresst und in den Prozess zurückgeführt. Nachdem der Zellstoff zerfasert war, wurde er vorgereift und anschließend in Schwefelkohlenstoff xanthogeniert. Durch den Zusatz von wässriger Natronlauge entstand eine zähe Flüssigkeit, genannt Viskose, die in die Spinnabteilung gelangte. Dort wurde die Viskose, je nach gewünschter Faserqualität, durch Spinndüsen unterschiedlicher Lochzahl in ein Spinnbad gedrückt. Die schwefelsauren Spinnbäder enthielten hohe Konzentrationen an Natriumsulfat und Zinksulfat, bei textilen Garnen zusätzlich Farbpigmente. Darin flockte die gelöste Cellulose unter Kohlenstoffdisulfid-Abgabe. Danach wurden die Fäden aufgespult, mehrfach zur Entfernung von Spinnbadrückständen gewaschen, getrocknet und, bei Bedarf, verzwirnt.[26] Im wesentlichen lief die Produktion schon 1961 auf gleiche Weise.[18] Bei der Spinnbadaufbereitung entstand als Nebenprodukt Natriumsulfat. Die jährlich etwa 12.000 produzierten Tonnen wurden weiterverkauft.[38]

In den 1960ern und beginnenden 1970ern produzierte das Werk zudem das Bautenschutzmittel Kenitex. Das Mittel bestand aus einem Kunststoff-Bindemittel mit darin enthaltenen Mineralstoffen wie Asbest, Titanoxid und Zinkoxid, zusätzlich wurden verschiedene Farben beigemengt. Dieses Mittel wurde auf Fassaden aufgetragen und machte das Gebäude wetterfest und beständig gegen Säuren und Laugen.[19] Mit dem schrittweisen Verbot von Asbest wurde die Produktion in den 1970ern eingestellt.[21]

Umweltbelastung

In seiner Geschichte hat die Glanzstoff-Fabrik die Umwelt unterschiedlich stark belastet. Neben der Luftverschmutzung durch Abgase aus der Produktion wurden vor allem in den Anfangszeiten der Boden und das Grundwasser massiv beeinträchtigt.

Zwischen 1904 und 1983 wurde der Nordteil des Betriebsgeländes, etwa 15.000 m², als Abfalldeponie benutzt. Vorwiegend wurden bei der Produktion anfallende Abfälle wie Kohlenasche, Schlacke, Laugenschlamm, Viskoseabfälle und Kalkschlamm sowie hausmüllähnliche Abfälle, Bauschutt und Kies abgelagert. Die Deponie umfasste etwa 38.000 m³ bis 50.000 m³[39] oder 57.100 Tonnen abgelagertes Material. Feststoffuntersuchungen ergaben hohe Konzentrationen an Sulfaten, Zink, FCKW und Schwefelwasserstoff. Auch im Grundwasser wurde eine ständige Überschreitung der für diese Substanzen geltenden Trinkwassergrenzwerte gemessen. Im Jahr 2000 wurde die Deponie Nord als Altlast eingestuft und der Glanzstoff eine Beihilfe von 2,056 Millionen Euro zugestanden, um sie zu sanieren.[40] Die Deponie wurde 2002 teilweise saniert, der Nordteil der Deponie wurde ausgehoben und entsorgt. Auf dem Südteil der Deponie war eine Werkshalle errichtet worden, weshalb das Ausheben nicht mehr möglich war. Trotzdem sanken die Konzentrationen im Grundwasser unter die gesetzlichen Grenzwerte.[26] Die Deponie Nord wird heute noch immer zu den Altlasten gezählt.[41] Im April 2009 wurden am gesamten Areal Bohrungen durchgeführt. Die Bodenproben zeigten eine Bodenbelastung über den Grenzwerten, blieben jedoch unter der Maßnahmenschwelle.[42]

Durch die direkte Nachbarschaft zur Traisen und die Ableitung der geklärten Abwässer in diese kam es im Fluss zu Belastungen. Zwischen 1993 und 2002 wurden Messungen flussauf und flussab der Glanzstoff durchgeführt, teilweise wurden die Grenzwerte nicht eingehalten. Vor allem der Sulfatwert wurde, trotz der geringen Konzentration vor dem Werk, teilweise um über 300 % überschritten.[26]

Die Glanzstoff und mit ihr St. Pölten war bekannt für den schwefeligen Geruch, der an faule Eier erinnerte. Dieser wurde vor allem durch Kohlenstoffdisulfid und Schwefelwasserstoff hervorgerufen.[43] Neben diesen beiden Stoffen wurde auch Schwefeldioxid in hohen Mengen ausgestoßen. Während der Ausstoß von Schwefeldioxid sich immer innerhalb des gesetzlichen Rahmens befand, gab es für Schwefelwasserstoff in Niederösterreich keine Grenzwerte. Wenn man die oberösterreichischen Grenzwerte oder jene der WHO anwendete, so wurden diese mehrfach überschritten.[26]

Literatur

  • Thomas Karl u. a.: Die Kunstdenkmäler der Stadt St. Pölten und ihrer eingemeindeten Ortschaften. 1999, ISBN 3-85028-310-0, Eintrag Erste Österreichische Glanzstoffabrik, S. 333–336.
  • Franz Mathis: Big Business in Österreich: österreichische Grossunternehmen in Kurzdarstellungen. 1987, ISBN 3-486-53771-7, Eintrag Glanzstoff, S. 122–123.
  • Gerhard Stadler: Das industrielle Erbe Niederösterreichs. 2006, ISBN 3-205-77460-4, Kapitel Gemeinde St. Pölten – Glanzstoff, S. 603–606.

Weblinks

Commons: Glanzstoff Austria – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Umsatzangabe auf glanzstoff.at
  2. a b c d Rudolf Büttner, 1972: St. Pölten als Standort industrieller und großgewerblicher Produktion seit 1850, Kapitel St. Pöltens Gründerzeit – Chemische Industrie mit Kunstfasererzeugung, S. 38–41
  3. Manfred Wieninger, 2002: St. Pöltner Straßennamen erzählen. Eintrag zur Urbansraße, S. 374–375. ISBN 3-7066-2208-4
  4. Eine Aktiengesellschaft für die Produktion künstlicher Seide. In: Neue Freie Presse, Abendblatt, 2. Dezember 1904, S. 6 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nfp
  5. Erste österreichische Glanzstofffabrik. In: Neue Freie Presse, Abendblatt, 17. Dezember 1904, S. 5 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nfp
  6. Rudolf Büttner, Elfriede Klee, 1959: St. Pölten als Industriestandort. (Wiener Geographische Schriften, Band 8) Kapitel 5.e) Die Moderne Industrie – Die besonderen Standortbedingungen am Beispiel dreier Großbetriebe zur Zeit ihrer Errichtung, S. 46–50
  7. Thomas Karl u. a., 1999: Die Kunstdenkmäler der Stadt St. Pölten und ihrer eingemeindeten Ortschaften. Eintrag Zehn-Häuser, S. 405. ISBN 3-85028-310-0
  8. Die Abkürzung AZ ist obsolet; bitte verwende Vorlage:Arbeiterzeitung.
  9. Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, Siegfried Nasko, 1996: Jahrbuch 1986–1996 – St. Pölten – 10 Jahre Landeshauptstadt, Kapitel Glanzstoff Austria, S. 49
  10. Glanzstoff verdoppelt die Faserproduktion in: WirtschaftsBlatt, 25. Oktober 1996
  11. Vorlage:Aeiou
  12. Gerhard Stadler, 2006: Das industrielle Erbe Niederösterreichs. Kapitel Gemeinde St. Pölten - Whithehead, S. 607–608. ISBN 3-20577460-4
  13. Historische Entwicklung der Stadt St. Pölten
  14. Die Erste österreichische Glanzstoff-Fabrik-AG in St. Pölten stellt die Produktion ein in der Geschichtsdatenbank des Niederösterreichischen Landesmuseums
  15. a b c Betriebsfeuerwehr der Glanzstoff Austria GmbH, 2003: 70 Jahre
  16. a b geheimprojekte.at zur Glanzstoff zwischen 1938 und 1945
  17. Rudolf Büttner, Elfriede Klee, 1959: St. Pölten als Industriestandort. (Wiener Geographische Schriften, Band 8) Kapitel 5.c) Die Moderne Industrie – Die Entwicklung und Einrichtung der Industriebetriebe, S. 37–44
  18. a b
    Die Abkürzung AZ ist obsolet; bitte verwende Vorlage:Arbeiterzeitung.
  19. a b Rudolf Büttner, 1972: St. Pölten als Standort industrieller und großgewerblicher Produktion seit 1850, Kapitel Ausbau der Wirtschaft in der Freiheit – Chemische Industrie mit Kunstfasererzeugung, S. 102–105
  20. Geschichte der Glanzstoff Austria auf glanzstoff.at
  21. a b Magistrat der Stadt St. Pölten, Siegfried Nasko, 1980: St. Pölten – Stadtreport 1970–1980, Kapitel Problem „Glanzstoff“, S. 91
  22. a b Begleitheft zur Sonderausstellung Glanzstoff – St. Pölten nimmt Abschied
  23. Die Abkürzung AZ ist obsolet; bitte verwende Vorlage:Arbeiterzeitung.
  24. Die Abkürzung AZ ist obsolet; bitte verwende Vorlage:Arbeiterzeitung.
  25. Börsegänge österreichischer Gesellschaften auf factbook.at
  26. a b c d e Medienübergreifende Umweltkontrolle in ausgewählten Gebieten – St. Pölten auf umweltbundesamt.at
  27. a b Aus für Glanzstoff: 300 verlieren Job in: Die Presse, 19. Juli 2008
  28. Brand bei Glanzstoff: 350 Mitarbeiter in Zwangspause in: Die Presse, 11. Jänner 2008
  29. Glanzstoff – eine Ära geht zu Ende auf noe.orf.at, 19. Dezember 2008
  30. Letzter Tag für viele Glanzstoff-Mitarbeiter auf noe.orf.at, 19. Dezember 2008
  31. Anfragebeantwortung des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 8. Jänner 2010 zum Thema Arbeitsstiftungen, S. 7
  32. Wir haben alles versucht und waren für alle rechtlich gangbaren Lösungsvorschläge offen!, Presseaussendung der Stadt St. Pölten vom 4. August 2008
  33. Presseaussendung des Landes Niederösterreich vom 28. April 2009
  34. NÖ: Österreichs höchster Ziegelschlot gesprengt in: Die Presse, 17. Juli 2009
  35. Viskose-Filamentgarne auf glanzstoff.at
  36. Produktspezifikationen „Viscont“ auf glanzstoff.at
  37. Produktspezifikationen „Viscord“ auf glanzstoff.at
  38. Natriumsulfat auf glanzstoff.at
  39. Information zur Altlast N 35 Glanzstoff – Deponie Nord auf umweltbundesamt.at
  40. Schreiben der Europäischen Kommission zu einer Umweltschutzbeihilfe an die Glanzstoff
  41. Übersicht der nicht sanierten Altlasten in Niederösterreich auf umweltbundesamt.at
  42. Glanzstoff-Areal leicht chemisch belastet auf noe.orf.at, 20. April 2009
  43. Glanzstoff: Die letzten Tage einer St. Pöltner Hass-Liebe in: Die Presse, 8. Dezember 2008

Koordinaten: 48° 12′ 58″ N, 15° 38′ 11,4″ O

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