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Liesenstraße

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Lage der Liesenstraße in Berlin, 1884

Die Liesenstraße bildet die Grenze zwischen den Berliner Stadtteilen Mitte und Wedding und war damit bis 1990 auch eine Grenzstraße zwischen dem zur DDR gehörenden Ost-Berlin und West-Berlin, welches der Bundesrepublik Deutschland angehörte. Es handelt sich um eine Straße, an der sich so gut wie keine Wohnbebauung befindet. Geprägt ist sie stattdessen durch vier der bekanntesten Berliner Friedhöfe sowie die Liesenbrücken, mehrere unter Denkmalschutz stehender Bahnbrücken, durch die sie gekreuzt wird.

Lage und Gründungsgeschichte

Die Liesenstraße verbindet die Chausseestraße mit der Gartenstraße und führt nach der Kreuzung mit dieser als Scheringstraße weiter. Sie führt dabei südlich vom Humboldthain über das ehemalige Grundstück des Berliner Gastwirts Carl Adolf Friedrich Liesen und wurde 1826 erbaut, 1833 erhielt sie den Namen nach dem ehemaligen Besitzer. Die Freiflächen boten sich für die Gemeinden an, die auf der Suche nach alternativen Begräbnisstätten für ihre Toten waren, da die bisher genutzten Friedhöfe in der Innenstadt gefüllt waren (siehe Berliner Bestattungswesen).

Im weiteren Straßenverlauf betrieb Robert Schwartzkopff ab 1867 nördlich der Liesenstraße den Erweiterungsbau seiner "Eisengießerei und Maschinenfabrik Schwartzkopf", deren Hauptsitz in der Chausseestraße war und aus der die Berliner Maschinenbau AG hervorging.

Die vier Friedhöfe, der zunehmende Zugverkehr von der benachbarten Stettiner Bahn und das Umfeld an metallverarbeitenden Betrieben, die der Gegend den Namen Feuerland einbrachte, machten verbleibende Grundstücke entlang der Liesenstraße für eine Wohnbebauung entsprechend unattraktiv.

Nach dem Mauerbau konnte die Liesenstraße ab dem 13. August 1961 nur noch vom Westbezirk Wedding betreten und benutzt werden, von der Ostseite war der Zugang durch die Grenzanlagen nicht mehr möglich, wodurch auch drei der vier Friedhöfe nur noch begrenzt zugänglich waren.

Friedhöfe an der Liesenstraße

Blick über den ehemaligen Mauerstreifen, Zerstörungen sind auf allen drei Friedhöfen erkennbar. Im Hintergrund ein Mauerrest

Die Friedhöfe an der Liesenstraße entstanden alle in den 1830er und 1840er Jahren, zu einem Zeitpunkt, als das Gelände am nördlichen Stadtrand Berlins lag. Dabei stellt der seit 1830 genutzte Friedhof II der Domgemeinde den ältesten Friedhof dieser Gegend dar. 1834 folgte der alte Domfriedhof der St.-Hedwigsgemeinde und ein Jahr später wurde der Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde eingeweiht. Diese drei Friedhöfe liegen nebeneinander an der Südseite der Liesenstraße im Bezirk Mitte. 1842 folgte der Bau des Dorotheenstädtischen Friedhofs auf der Nordseite der Straße und damit im Bezirk Wedding.

Nach 1961 war nur noch der Dorotheenstädtische Friedhof frei zugänglich, dieser war jedoch durch die innerdeutsche Grenze von seiner Gemeinde getrennt und wurde von Kreuzberger Gemeinden verwaltet. Die Eingänge von der Liesenstraße zu den anderen Friedhöfen waren durch die Grenzanlagen der DDR geschlossen, die im vorderen Teil liegenden Gräber wurden vollständig abgeräumt und durch einen Plattenweg ersetzt, der für die Fahrzeuge der Grenzpatrouillen genutzt wurde. Durch diese Maßnahmen wurde die Grenze der Friedhöfe um etwa 40 Meter zurückgesetzt. Der Zugang zu den Friedhöfen war zu dieser Zeit nur über einen kleinen, gemeinsamen Eingang in der Wöhlertstraße möglich und auch nur direkten Angehörigen der hier beerdigten Personen aus Ost-Berlin unter strengen Auflagen gestattet. Obwohl es Pläne gab, die Friedhöfe vollständig zu beseitigen, wurden diese nicht realisiert. Trotzdem wurden die Begräbnisstätten durch die Abräumung im Grenzteil, durch Zerstörungen im Grenzbetrieb und nicht zuletzt durch Vandalierer und Souvenierjäger nach der Öffnung der Berliner Mauer teilweise sehr stark beschädigt.

Friedhof II der Domgemeinde

Blick über den Friedhof

Der Friedhof II der Domgemeinde zu Berlin wurde 1830 auf einer 10.000 m2 großen Fläche an der Liesenstraße angelegt. Die zugehörige Kirche und Gemeinde befindet sich am Berliner Lustgarten. Der Friedhof sollte den heute nicht mehr vorhandenen Begräbnisplatz in der Elisabethstraße nahe des Alexanderplatz ablösen, wo auch das ehemalige Domhospital stand. Er ist etwa unter einem Hektar groß und damit der kleinste der Friedhöfe an der Liesenstraße, durch den Mauerbau wurde er weiter verkleinert.

Heute sind die meisten Gräber des Friedhofs zerstört und das gesamte Gelände macht einen stark verwahrlosten Eindruck. Bei fast allen noch vorhandenen Grabsteinen fehlen Porträtmedaillons oder andere Teile. Im Kontrast dazu steht die 1896 erbaute Kapelle des Friedhofs von E. Schwartzkopff, die erst 1992 vollständig renoviert wurde und heute auch von der Französisch-Reformierten Gemeinde benutzt wird.

Zu den bekanntesten Personen, die hier beerdigt sind, gehören der Ratsmaurermeister Johann Christoph Bendler (1789-1873) und der Begründer eines Kurzschriftsystems Wilhelm Stolze (1798-1867). Auch Max Bäckler (1856-1924) gehörte zu den Förderern der Stenografie. Der Stallmeister Seiner Majestät Wilhelm I. Rudolf Rieck (1831-1892) ist gemeinsam mit seiner Frau Valeska (1840-1892) nördlich der Kapelle beerdigt. Neben Bendler findet man an der Wand zum Französischen Friedhof noch die Grabstätte des Hof- und Domorganisten Bernhard Irrgang (1869-1916). Das Grab des Oberhof- und Dompredigers Wilhelm Hoffmann ist durch ein hohes Kreuz aus Marmor gekennzeichnet.

Zu den heute nicht mehr auffindbaren Gräbern mit architektonischer und historischer Bedeutung gehören die Grabstätten folgender Personen:

Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde

Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde

Der knapp über einen Hektar große Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde wurde seit 1835 benutzt und löste damit den alten Friedhof der Gemeinde an der Chausseestraße ab. Eine Kapelle befindet sich heute auf dem Gelände nicht mehr, die vorhandene wurde ebenso wie das Haus des Friedhofswärters 1961 mit dem Bau der Berliner Grenzanlagen abgerissen. Der Friedhof besitzt eine zentrale Hauptallee, in dessen Zentrum ein Ehrenmal an die gefallenen Mitglieder der Gemeinde in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 erinnert, eine Gedenkplatte erinnert zudem an die Toten aus dem 1. Weltkrieg.

Dieser Friedhof stellt unter anderem die letzte Ruhestätte des märkischen Schriftstellers Theodor Fontane (1824-1902) sowie seiner Frau Emilie (1824-1902) dar. Dieses Grab wurde im 2. Weltkrieg zerstört und später wieder neu angelegt, wobei statt der ehemals vorhandenen schlichten Fußsteine ein Grabstein aus schwarzem Granit aufgestellt wurde. Wie alle anderen Grabstätten der Friedhöfe konnte auch das Grab Fontanes bis 1989 nur mit Passierschein besichtigt werden.

Grabmal für Theodor Fontane

Außerdem liegt hier der Erfinder eines Stenografiesystems Leopold Arends (1817-1882), auf dessen Grab eine hohe Granitstele mit Bildnisbüste von Alexander Calandrelli stand. Die Büste wurde nach der Maueröffnung gestohlen, konnte jedoch kurze Zeit später auf einem Trödelmarkt sichergestellt werden und wird heute, nachdem sie der Französischen Gemeinde zurück gegeben wurde, im Berliner Hugenottenmuseum ausgestellt. Der Bildhauer Martin Schauss (1867-1927), der vor allem für Bildnisbüsten bekannt war, liegt in einem Erbbegräbnis bestattet. An der Rückwand liegt außerdem in der Grabstätte der Familie Michelet der Pelzwarenhändler, Kommunalpolitiker und Berliner Ehrenbürger Paul Michelet (1835-1926). Ob sich in dieser Grabstätte außerdem der Philosophieprofessor Charles Louis Michelet (1801-1893) befindet, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Auch die Gräber des Journalisten John Scott Peet (1915-1988), des Grafikers und Plakatkünstlers Herrmann Abeking (1882-1939) und des Autors Heinz Bergschicker (1930-1989) befinden sich auf diesem Friedhof.

Wie bei den anderen Friedhöfen an der Liesenstraße gingen durch den Bau der Grenzanlagen und teilweise bereits vorher eine Reihe von architektonisch und historisch bedeutsamen Grabstätten verloren. Darunter befanden sich die Gräber von

Alter Domfriedhof der St.-Hedwigsgemeinde

Blick über den Friedhof

Der alte Domfriedhof der St.-Hedwigsgemeinde wurde 1834 geweiht und löste den ersten katholischen Friedhof am Oranienburger Tor ab, der heute nicht mehr vorhanden und von Mietshäusern überbaut ist. Damit ist dieser Friedhof der heute älteste noch bestehende katholische Friedhof Berlins. Er ist etwa über zwei Hektar groß. 1833 wurde das gesamte Gelände umzäunt und ein Totengräberhaus sowie ein Schuppen erbaut. 1849 wurden hier 429 Opfer der Choleraepidemie begraben, 1866 nochmals 1.111 Opfer der selben Krankheit.

1866/67 wurde die Kapelle des Friedhofs nach dem Vorbild italienischer Renaissancebauten mit Terrakottaformsteinen und einem Kupferdach errichtet. Diese Kapelle wurde 1987 originalgetreu wieder aufgebaut, nachdem sie wegen Baufälligkeit mehrere Jahrzehnte lang nicht mehr benutzbar war. Auf der östlichen Seite der Kapelle befindet sich die Grabstätte der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Karl Borromäus, auf der westlichen die der Schwestern des St.-Hedwigskrankenhauses, die beide mit einfachen Marmortafeln bedeckt sind. Ohne Namen befindet sich hier außerdem die Grabstätte der Schwestern von der Heiligen Elisabeth.

Am Eingang des Friedhofs von der Liesenstraße befinden sich zwei kniende Engel aus Marmor, die von Joseph Limburg (1874-1955) geschaffen wurden und gemeinsam mit der Friedhofsgrenze um etwa 40 Meter von der Liesenstraße entfernt wurden. Durch die Einebnung des Mauerstreifens 1961 sowie den Bau der zweiten Mauer 1867 gingen eine Reihe von architektonisch und historisch bedeutsamen Grabstätten verloren, an die heute ein Gedenkstein auf der freien Rasenfläche sowie ein stehengebliebener Mauerrest vor dem Friedhof erinnern.

Eine Reihe von bedeutenden Berlinern wurden auf dem Friedhof beerdigt, deren Grabmäler heute leider nicht mehr vorhanden sind. Die folgenden Grabmäler sind vollständig oder teilweise verloren gegangen:

Grab von Peter von Cornelius

Neben diesen Verlusten gibt es auf dem heute nur noch etwa 1,4 Hektar großen Gelände eine Reihe weiterer Gräber historisch mehr oder weniger bedeutsamer Personen, darunter

Grabmal für Carl Sonnenschein

Dorotheenstädtischer Friedhof II

Blick über den Friedhof

Der Dorotheenstädtische Friedhof II wurde 1842 geweiht und sollte den Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden an der Chausseestraße ablösen. Anders als bei diesem sollten hier jedoch nur Mitglieder der Dorotheenstädtischen Gemeinde beerdigt werden. Durch dem Mauerbau wurde der Friedhof von der Gemeinde im Bezirk Mitte getrennt, die Pflege und Weiterführung übernahmen mehrere Kirchengemeinden in Kreuzberg.

1950/51 entstand die Kapelle nach Plänen von Otto Bartning, um einen Ersatz für die Kirche zu schaffen. Bereits 1912/1913 wurde das dreiteilige Tor von Friedrich und Wilhelm Hennings erbaut.

Zu den wichtigsten Grabstätten des Friedhofs gehört das unter Denkmalschutz stehende Mausoleum für den Zirkusdirektor Paul Busch (1850-1927) und seine Frau Barbara Sidonie Busch (1849-1898), welches 1898 von Herrmann Paulick und Felix Voss erbaut wurde. Auch das Grabmal des Firmengründers Rudolph Hertzog (1857-1894) steht unter Denkmalschutz. Außerdem finden sich auf dem Gelände die Ehrengräber für den Physiker August Adolph Eduard Eberhard Kundt (1839-1894), Otto Nicolai, Julius Carl Raschdorff, Ernst Jacob Renz und Albert Schumann (1858-1939).

Liesenbrücken

Die heute als Liesenbrücken bekannten Bahnbrücken kreuzen die Liesenstraße kurz vor der Kreuzung zur Gartenstraße. Es handelt sich hierbei um Brücken, die die Bahngleise der bereits seit 1843 existierenden Stettiner Bahn über die Straßen führen sollten. Erbaut wurden die Brücken 1890 bis 1896 von B. Hildebrandt und Bathmann, um die bis dahin auf einer Ebene mit den Straßen liegenden und sie so direkt kreuzenden Gleise höher zu legen und damit den Verkehr unterhalb der Gleise zu ermöglichen.

Für den Bau der Brücken wurden die Gleise auf Dammaufschüttungen gelegt. Die eigentlichen Brücken stellten eiserne Fachwerkkonstrukte dar, die durch halbparabolische Obergurte stabilisiert wurden. Die Endstücke bildeten Portale. Auf den Brücken erhielten die Gleise eine leichte Kiesschüttung und das Gleisbett wurde mit Platten abgedeckt. Die Bahntrasse wurde mit der Berliner Ringbahn vereint und zum Bahnhof Berlin Gesundbrunnen geleitet. Von 1934 bis 1939 führte außerdem die neu gebaute S-Bahn-Strecke der Nord-Südbahn vom Bahnhof Gesundbrunnen über diese Brücken.

In den Jahren 1956/57 wurden die beiden westlichen Brücken renoviert und das Fachwerkträgersystem durch Blechträger ausgetauscht. Die Auflageflächen und die Seitenflügel der Brücken wurden für diesen Zweck vollständig abgetragen und nachfolgend wieder aufgebaut während der S-Bahnverkehr über die mittlerweile stillgelegten Fernbahngleise der beiden östlichen Brücken geleitet wurde. Heute sind nur noch die renovierten Brücken in Betrieb, der Gesamtkomplex steht unter Denkmalschutz.

Literatur

  • Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke: Berliner Bezirkslexikon Mitte, Edition Luisenstadt Berlin 2001
  • Alfred Etzold, Wolfgang Türk: Der Dorotheenstädtische Friedhof. Die Begräbnisstätten an der Berliner Chausseestraße, Ch. Links Verlag Berlin 1993
  • Klaus Hammer: Historische Friedhöfe in Berlin, Stattbuch Verlag Berlin 1994