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Jörg Lanz von Liebenfels

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Jörg Lanz von Liebenfels (* 19. Juli 1874 in Penzing; † 22. April 1954 in Wien; eigentlich Adolf Joseph Lanz) war ein österreichischer Geistlicher, Okkultist, Hochstapler, Rassentheoretiker und Antisemit. Seine Publikationen übten wesentlichen Einfluss auf die Weltanschauung mehrerer bedeutender Nationalsozialisten aus. Eine Zeit lang wurde Lanz von manchen Historikern als einer der wesentlichsten Vordenker Adolf Hitlers angesehen.

Leben

Jugend und Jahre als Zisterzienser

Lanz war Kind einer unauffälligen Wiener Kleinbürgerfamilie und verbrachte eine eher unspektakuläre, wenig ereignisreiche Jugend, zeigte jedoch bereits früh ein intensives, romantisch gefärbtes Interesse an religiösen Ordensgemeinschaften und verschiedenen Formen von Esoterik. Unmittelbar nach seiner Matura 1893 schloss er sich dem Zisterzienserorden an. Als Novize des Stifts Heiligenkreuz im Wienerwald erarbeite er sich rasch Ansehen als profunder Kenner der Geschichte seines Landes und seines Ordens im Allgemeinen sowie seines Stifts im Besonderen.

Im Lauf der folgenden fünf Jahre publizierte Lanz mehr als 30 kunsthistorische Abhandlungen, die auch bei renommierten Historikern Anerkennung fanden. Daneben widmete er große Teile seiner Freizeit der Beschäftigung mit Astrologie, Neopaganismus, Okkultismus und dem Gralsmythos. Unter dem Einfluss dieser Studien, der Schriften des Okkultisten Guido von List und der Polemiken des Alldeutschenführers Georg von Schönerer entwickelte sich Lanz bis zur Jahrhundertwende zum radikalen Deutschnationalen und Eugeniker.

Der Kern seiner späteren politischen Ansichten soll sich Lanz eigenen Aussagen zufolge bereits 1894 durch eine Vision erschlossen haben: Bei der Meditation über einem Grabstein mit der Abbildung eines Ritters, der einen Hundsaffen niederringt, will ihm schlagartig klar geworden sein, dass die Rasse der „Arier“ oder „Herrenmenschen“ einen ständigen Abwehrkampf gegen die Rasse der „Nichtarier“ oder „Affenmenschen“ zu führen habe. Da die arische Rasse durch Vermischung mit „Minderrassigen“ geschwächt sei, seien umfassende „rassenhygienische“ Maßnahmen zu ihrer „Reinzucht“ und „Veredlung“ erforderlich. Diese wiederum bedürften unter anderem einer bedingungslosen Unterordnung der arischen Frau unter den arischen Mann.

Lanz wurde 1898 zum Priester geweiht, scheint kaum ein Jahr später allerdings plötzlich zum Verlassen des Ordens gedrängt worden zu sein. Lanz selbst gab später an, seine ständig „steigende Nervosität“ und seine dadurch angegriffene Gesundheit seien der Grund für seinen im April 1899 vollzogenen freiwilligen Austritt gewesen; das Kapitelbuch hingegen vermerkt „fleischliche Liebe“ als Ausscheidensgrund. Einige Kommentatoren vermuten hinter diesem Vermerk eine Frauenbeziehung und sehen in derem mutmaßlichen Scheitern einen Grund oder Mitgrund für Lanz’ späteren pathologischen Frauenhass. Andere Kommentatoren verweisen auf den Umstand, dass Lanz nach seiner Priesterweihe an der Ausbildung der Wiener Sängerknaben beteiligt war, und auf das in den 1930ern von Nationalsozialisten in Umlauf gebrachte Gerücht, Lanz sei homosexuell gewesen.

Frühe politische Tätigkeit

Unmittelbar nach seinem Auszug aus dem Stift schloss sich Lanz der Bewegung Schönerers an. Seinen Lebensunterhalt bestritt er in den folgenden Jahren hauptsächlich durch Verfassen zahlreicher und großzügig honorierter Beiträge für alldeutsche Periodika. Er begann, Schönerer als einer Art Messias des deutschen Volks zu huldigen, ähnlich wie Schönerer selbst dies zuvor mit dem von Lanz ebenfalls verehrten Otto von Bismarck getan hatte. Obwohl Lanz, anders als Schönerer, nie zum Protestantismus übertrat, fing er an, sich wie sein Idol als Kämpfer gegen den Katholizismus zu gerieren. Sein besonderer Hass galt dem Jesuitenorden.

Ab 1902 begann Lanz, sich eine neue Identität zuzulegen und sich als 1872 in Messina auf Sizilien geborener Baron aus altem schwäbischem Adel auszugeben. Anstelle des Lehrers Johann Lanz und seiner Frau Katharina Lanz, geborene Hoffenreich, gab er nun in allen greifbaren Dokumenten einen „Baron Johann Lancz de Liebenfels“' und eine „Katharina Skala“ als seine Eltern an; aus Adolf Joseph Lanz selbst wurde „Adolf Georg (Jörg) Lanz von Liebenfels“. Mit tatkräftiger Unterstützung Guido von Lists überzeugte er nicht nur die breite Öffentlichkeit, sondern sogar das für ihn zuständige Wiener Meldeamt. Vertrauten gegenüber rechtfertigte Lanz seine Manipulation mit der angeblichen Notwendigkeit, sich einer „astrologischen Überprüfung seiner Person“ zu entziehen; wahrer Grund war wahrscheinlich vor allem Katharina Lanz’ jüdische Abstammung – die Mutter des erklärten Feindes aller Nichtarier war in seinen Augen nicht arisch. Neben seinem Adelsprädikat beanspruchte Lanz zeitweise einen Doktortitel; obwohl mindestens zwei seriöse Biographien nicht endgültig ausschließen wollen, dass Lanz tatsächlich promoviert hat, gilt auch dieser Namenszusatz heute allgemein als selbstverliehen.

Ab 1905 verfasste Lanz zusätzlich zu seinen Arbeiten für die alldeutsche Presse eine Serie von Pamphleten, die er unter dem Sammeltitel „Ostara“ selbst herausgab. Die nach einer germanischen Göttin benannte Reihe war laut Eigendefinition „die erste und einzige Zeitschrift zur Erforschung und Pflege des heroischen Rassentums und Mannesrechts“; als „die Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler“ hatte sie das erklärte Ziel, „die Ergebnisse der Rassenkunde tatsächlich in Anwendung [zu] bringen, um die heroische Edelrasse auf dem Wege der planmäßigen Reinzucht und des Herrenrechtes vor der Vernichtung durch sozialistische und feministische Umstürzler zu bewahren“.

Entwicklung der Theozoologie und Gründung des Neutemplerordens

Lanz’ frühe Artikel waren zwar radikal, aber noch nicht unbedingt exzentrisch; die ihnen zugrunde liegende Kombination von Rassismus, Antisemitismus, Antikatholizismus, Antifeminismus und Antisozialismus hatte zu ihrer Zeit durchaus viele Anhänger. Wirklich bemerkenswert wurde Lanz erst mit seinem Buch Die Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron, das wie die erste Ausgabe der Ostara 1905 erschien und Lanz’ Rassentheorie um ein esoterisches Geschichtsmodell auf Basis einer neognostischen Bibelauslegung erweiterte. In seiner „Theozoologie“ erklärt Lanz die heutigen Arier im Wesentlichen zu Nachkommen der biblischen Engel und die heutigen Nichtarier zu Abkömmlingen einer geschlechtlichen Verbindung zwischen der biblischen Eva und einem der domestizierten Primaten, die den Engeln als Sexspielzeuge gedient hätten. In der Forderung nach Eugenik sieht er den wahren Kern der Lehre Jesu Christi und in Christus selbst einen historischen arischen Heerführer. Lanz hatte damit die ursprünglich von Guido von List umrissene Ariosophie fast fertig ausgeformt und gründete noch im selben Jahr die „Guido-von-List-Gesellschaft“ zu ihrer weiteren Verfeinerung und Verbreitung.

Die Ariosophie gewann rasch zahlreiche Anhänger, darunter einige wohlhabende Angehörige des Wiener Großbürgertums und mehrere national und international bekannte Intellektuelle. Neben Guido von List selbst nahm etwa der angesehene schwedische Schriftsteller August Strindberg die Thesen Lanz’ begeistert auf; Strindbergs Meinung nach war Lanz eine „prophetische Stimme“. Vom prominenten Zuspruch ermutigt, gründete Lanz 1907 den Neutempler-Orden oder Ordo Novi Templi, einen nach dem historischen Templerorden benannten okkulten Männerbund, der unter anderem für „Rassenreinheit“ und Rückbesinnung auf tradiertes germanisches „Männerrecht“ eintrat; die Neutempler beabsichtigten, „das Rassebewusstsein durch Stammbaum- und Rassekundeforschung, Schönheitswettbewerbe und die Gründung rassistischer Zukunftsstätten in unterentwickelten Teilen der Erde zu fördern“. Die finanzielle und gesellschaftliche Stellung ihrer Unterstützer ermöglichte es der Gesellschaft, bereits wenige Monate nach ihrer Gründung die Burgruine Werfenstein im niederösterreichischen Strudengau als ihre symbolische Ordensburg zu erwerben.

Im Lauf der folgenden Jahre baute Lanz den Neutemplerorden und die Ostara-Reihe zu einer ertragreichen und zuverlässigen Einnahmequelle aus. Zusätzlich zu den Zuwendungen seiner Gönner sowie Publikationserlösen bezog Lanz etwa Mittel aus dem in den Ostara-Heften beworbenen Verkauf von „Rassenzertifikaten“ sowie der Verleihung von „Rassen-Schönheitspreisen“. Der Orden dürfte auf dem Höhepunkt seines Einflusses etwa dreihundert Mitglieder gezählt haben, unter ihnen etwa der Grafiker Alfred Kubin und der Dichter und Dramatiker Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Die Ostara-Hefte, die Lanz ursprünglich in reger Zusammenarbeit mit anderen Alldeutschen, ab 1908 aber praktisch alleine verfasste, erreichten eine Auflage von mehreren zehntausend Exemplaren. Zu ihren regelmäßigen Lesern zählten unter anderem Adolf Hitler sowie dessen Freund und Förderer Dietrich Eckart. Lanz selbst beziffert die Auflage der Ostara-Reihe mit bis zu 100.000 Exemplaren, diese Behauptung gilt heute allerdings allgemein als unhaltbar.

Spätere Jahre

Nachdem Lanz sein gesamtes früheres Leben in Wien und dessen Umland verbracht hatte, emigrierte er nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 nach Ungarn, wo er sich eigenen späteren Aussagen zufolge am Widerstand gegen die kurzlebige kommunistische Räterepublik Béla Kuns beteiligte und dafür fast hingerichtet worden wäre. Seine Erlebnisse unter dem Regime des jüdischstämmigen Bolschewisten Kun ließen den schon für die Jahre zuvor nachweisbaren Hass Lanz’ auf Juden und Sozialisten Züge von Verfolgungswahn annehmen. Lanz hatte das Judentum zwar schon in früheren Jahren als natürlichen Feind des deutschen Volks gesehen, es aber für vergleichsweise ungefährlich gehalten, weil es Mischehen seiner Angehörigen mit denen anderer Religionen konsequent ablehne. Mit seinem 1923 erschienenen Buch Weltende und Weltwende machte Lanz, mittlerweile wieder in Wien, die von ihm postulierte Weltverschwörung von Juden, Sozialisten und Freimaurern nun zum Mittelpunkt seiner weiteren Publikationen und den Antisemitismus zum Kernpunkt seines Programms.

Lanz’ Publikationstätigkeit dauerte bis Ende der 1920er fort. Ab Mitte dieses Jahrzehnts beanspruchte Lanz für sich, ein wesentlicher Vordenker Adolf Hitlers und „Bahnbrecher des Nationalsozialismus“ gewesen sein; seine Unterstützer gingen dabei zwar so weit, zu erklären, „die Hakenkreuz- und Faschistenbewegungen“ seien „im Grunde genommen nur Seitenentwicklungen der Ostara-Ideen“. Die gewünschte Anerkennung blieb aus: Hitler ging auf die Ansprüche Lanz’ nicht nur nicht ein, sondern überzog Esoteriker und Geheimgesellschaftler Lanz’schen Typs in seinem ab 1925 veröffentlichtem Manifest „Mein Kampf“ darüber hinaus mit beißendem Spott. Auch verschiedene Parteipublikationen äußerten sich wiederholt ablehnend bis verächtlich über Lanz und seinesgleichen. Im Dritten Reich wurde Lanz an weiteren Publikationen gehindert und manchen Quellen zufolge sogar mit offiziellem Veröffentlichungsverbot belegt; der Neutempler-Orden wurde aufgelöst.

Der durch diese Missachtung tief gekränkte Lanz fuhr mit zunehmendem Trotz bis zum seinem Tod fort, sich lautstark als denjenigen Mann darzustellen, „der Hitler die Ideen gab“; weder der Zusammenbruch des Reiches noch das Händeringen seiner Verwandtschaft brachten ihn davon ab. In seinen letzten Lebensjahren wollte der Ariosoph, anscheinend bereits etwas entrückt, daneben auch noch Vordenker und Wegbereiter Lenins gewesen sein.

Weltanschauung

Geschichtsmodell

Die Weltanschauung Lanz’ wurde primär von der Ariosophie Guido von Lists und damit indirekt von der Theosophie Helena Petrovna Blavatskys sowie der Rassenlehre Arthur de Gobineaus inspiriert. Daneben finden sich auch Einflüsse der Anthroposophie Rudolf Steiners, der Welteislehre Hanns Hörbigers, des Magnetismus Franz Anton Mesmers, der „Odlehre“ Carl Reichenbachs sowie der Philosophien von Otto Weininger und Karl Kraus. Eine gewisse Ähnlichkeit besteht auch zu den Ansichten Arthur Trebitschs, obwohl Lanz von diesen nicht direkt beeinflusst wurde.

Zwischen 1900 und 1905 vertrat Lanz eine besonders radikale, aber noch nicht direkt esoterische Variante damals gängiger Rassentheorien. Dem frühen Lanz zufolge verlief die Hominisation im arktischen und subarktischen Raum so viel schneller als im Rest der Welt, dass sich in Nordeuropa bereits eine Art Übermensch herausgebildet hatte, während andere Erdteile noch ausschließlich von sogenannten „Halbmenschen“ bewohnt wurden. Die von Lanz als „Urgermanen“ identifizierten Übermenschen breiteten sich über die ganze Erde aus, wobei sie ihre halbmenschlichen Zeitgenossen nicht nur unterwarfen, sondern sich auch mit ihnen vermischten und auf diese Weise die moderne Menschheit schufen; die Urgermanen „brachten den Halbmenschen nicht nur Gesittung, sondern züchteten sie durch Vermischung mit sich erst zum Menschentum empor, so dass daraus die heutigen niedrigeren Rassen der Mittelländer (um das mittelländische Meer), der Neger und Mongolen entstanden“. Die im späten 19. Jahrhundert weit verbreitete Vorstellung, die Menschheit wäre in vorgeschichtlichlicher Zeit von einer nordischen Herrenrasse kolonisiert und zivilisiert worden, findet bei Lanz damit ihre radikalste bezeugte Ausformung.

Ab 1905 sah Lanz in den Urgermanen nicht mehr einfach Übermenschen, sondern „Gottmenschen“. Diese Gottmenschen seien zum Beispiel überall dort gemeint, wo die Bibel von Engeln berichtet. Zum Zeitvertreib habe sich das Volk der Gottmenschen aus verschiedenen Gruppen niedrigerer Primaten „Buhläfflinge“ herangezüchtet – eine Art Halbmenschen, die sie dann zum Betreiben von Sodomie herangezogen hätten. Mit den Buhläfflingen, die er auch als „Buhlzwerge“, „Schrättlinge“ und „Buhlwichte“ beschreibt, setzt Lanz unter anderem die in der Bibel beschriebenen Dämonen gleich. Aus der Verbindung eines Buhläfflings mit einem weiblichen Gottmenschen, den Lanz mit der biblischen Eva gleichsetzt, wären die heutigen niederen Rassen hervorgegangen. Die Vermischung von Gottmenschen und Niederrassigen habe schließlich die heutigen höheren Rassen hervor gebracht. Durch gezielte Rassenentmischung könne „der wieder reingezüchtete und verklärte weiße Mensch der Zukunft“ auch die übernatürlichen Fähigkeiten des ursprünglichen Gottmenschen zurückerhalten. Die Aufforderung zu einer solchen Rassenentmischung sei im Übrigen auch die eigentliche, später aber von der Kirche unterdrückte Lehre Jesu Christi gewesen.

Die weitere Geschichte der Menschheit ist laut Lanz im Wesentlichen die Geschichte der Auflehnung der „Nichtarier“ gegen die „Arier“, wobei er unter Nichtariern diejenigen Völker versteht, in denen das Erbgut der Halbmenschen beziehungsweise Buhläfflinge überwiegt, unter Ariern entsprechend diejenigen, die mehr oder weniger „reinrassige“ Abkömmlinge der Urgermanen beziehungsweise Gottmenschen sind. Der postulierte intellektuelle und charakterliche Unterschied zwischen Ariern und Nichtariern ist bei Lanz geringer als bei anderen Rassentheoretikern seiner Zeit, dafür sieht er eine größere Bandbreite innerhalb dieser beiden Gruppen. Für Rassenideologen wie Arthur de Gobineau, Arthur Trebitsch oder Houston Stewart Chamberlain sind alle der von ihnen als Arier klassifizierten Indogermanen mehr oder weniger gleich wertvoll, alle der von ihnen als Nichtarier eingeordneten Angehörigen anderer Sprachfamilien mehr oder weniger gleich unbrauchbar; für Lanz hingegen stehen etwa „Mittelländer“ fast genau so weit unter den Germanen, wie sie über den als „Mongolen“ bezeichneten Sprechern ostasiatischer, südostasiatischer und amerikanischer Sprachen oder über den als „Neger“ bezeichneten Schwarzafrikanern stehen.

Forderungen

Wie praktisch alle Rassenideologen war Lanz Kollektivist; „sittlich und gut“ ist laut Lanz „alles, was der höheren Rasse frommt, unsittlich, was ihr schadet“. Rassenkampf ist für Lanz nicht nur ein Faktum, sondern ein Auftrag. „Die Möglichkeit, durch bewusste Reinzucht die Rasse zu veredeln und zu heben“, sei „die einzige wahre und wirksame Reue für die Sünde der Vermischung“: „Nur wenn sich höhere Menschen untereinander vermischen, bleibt das Göttliche in ihnen und sie werden Gott immer ähnlicher durch fortschreitende Entwicklung zum Besseren. Tun sie das aber nicht, vermischen sie sich mit niederen Rassen, dann schwindet auch das Göttliche in ihnen“.

Als konkrete rassenhygienische Maßnahmen propagiert Lanz unter anderem die Einrichtung von „Zuchtkolonien“ ausgewählter arischer „Zuchtmütter“, deren einzige Lebensaufgabe darin bestehen sollte, von ausgewählten arischen „Ehehelfern“ begattet zu werden und diesen einwandfrei arischen Nachwuchs zu gebären. Politisch oder militärisch bewährten Männern sollte dabei Polygynie zustehen, „Verbrecher, Geisteskranke und erblich Belastete“ hingegen seien von der Fortpflanzung auszuschließen. „Kranke und Rassenminderwertige“ sowie Verbrecher seien zu sterilisieren und am besten überhaupt in Arbeitslager zu internieren. „Unser Vieh haben wir durch Viehzuchtzölle vor Rassenentartung und Verseuchung geschützt“, so Lanz zu diesen Forderungen, „die Menschen aber geben wir noch schutzlos der Verseuchung und Blutverpanschung der geilen [Mischlinge] des Ostens und des Südens preis.“

Wesentlich für Lanz war, dass die Zuchtmütter „in strenger Abgeschiedenheit“ gehalten werden müssten. Evas Sündenfall habe dazu geführt, dass Frauen sich unterbewusst zu den „Halbaffen“ hingezogen fühlen würden, da diese eine der des germanischen Mannes überlegene „Manneskraft“ hätten: „Das ist eben die Tragik der Erotik des heroischen Mannes: Dass er sowohl dem Weibe der eigenen Rasse und noch viel mehr dem Weibe der niederen Rasse zu wenig derbsinnlich ist … die derbsinnlichen dunklen Männer der Niederrassen, die unter uns wohnen, haben den erotischen Geschmack unserer Weiber psychisch und physisch von Grund aus verdorben“. Lanz zufolge hat „das buhlaffenlüsterne Weib“ durch seine Triebhaftigkeit „die alten Kulturen umgebracht“ und „wird auch unsere Kultur zertrümmern, wenn wir Männer uns nicht bald besinnen.“ Insbesondere junge Mädchen müssten streng bewacht werden, da der erste Sexualpartner einer Frau sie mit seinem Samen „imprägnieren“ und so das Erbgut aller ihrer späteren Nachkommen beeinflussen würde, egal wer deren eigentlicher Vater sei. Jungfräulichkeit habe aus diesem Grund „nicht bloß Lieberhaberwert, sondern einen hochbedeutsamen rassenwirtschaftlichen Wert“.

Die vollkommene Entrechtung der Frau war für Lanz nicht nur im Sinne der Rasse, sondern auch im Sinne ihrer selbst. Erstens habe „die Natur selbst“ die Frauen den Männern „als Sklavinnen bestimmt“; die Frau sei „Besitztum“ des Mannes „wie ein Baum, der Frucht trägt, der Besitz des Gärtners ist“. Zweitens hänge ihr Seelenheil von ihrer Unterordnung ab: „Diesen Schmerzensweg muss das Weib zurückgehen, nachdem es den jahrtausendealten Weg der bacchantischen Wollust getaumelt ist. Es muss für seine Leidenschaft büßen.“ Drittens schließlich würde „das Weib“ für seine Selbstaufgabe schon auf Erden reich belohnt werden: „Es wird der Liebe der schönsten, jugendkräftigsten Männer teilhaftig werden, es wird sich der schönsten und edelsten Kinder erfreuen, ihm werden künftige Geschlechter als der neuen verehrungswürdigsten und allerseligsten Gottesmutter Tempel und Denkmäler errichten und ihm königliche Ehren erweisen.“

Lanz rechnet mit einer unmittelbar bevorstehenden Zuspitzung des Rassenkonflikts. Die von Neid und Minderwertigkeitsgefühlen auf die unbewusst als überlegen erkannten Arier und insbesondere deren germanische Elite aufgestachelten „Minderrassigen“ rüsten seiner Ansicht nach „zu einem gemeinsamen Kampf gegen die germanische Rasse“. Eines ihrer wichtigsten Werkzeuge und gleichzeitig ihre Anführerin sei dabei die katholische Kirche. Damit die germanische Rasse den Kampf „um die Vorherrschaft über den Erdball“ gewinnen könne, müsse die von der katholischen Kirche verratenen Rassenreinheitslehre Christi umgehend wiederweckt werden; zu diesem Zweck sei eine „romfreie germanische Volkskirche“ zu bilden.

Einfluss auf Adolf Hitler

Lanz’ Behauptung, einer der wesentlichsten Vordenker Adolf Hitlers gewesen zu sein, wurde bis in die 1950er praktisch nur von seinen engsten Anhängern ernstgenommen. Kurz vor seinem Tod gelang es Lanz jedoch, den Psychologen und Schriftsteller Wilfried Daim von seiner Bedeutung zu überzeugen. Daim arbeitete an einer Biografie Lanz’ und führte im Rahmen seiner Recherchen mehrere ausführliche Gespräche mit diesem. Daims unmittelbar nach dem Ableben Lanz’ veröffentlichte Biographie erschien unter dem plakativen Titel „Der Mann, der Hitler die Ideen gab“ und machte den inzwischen fast vergessenen Lanz nicht nur erneut bekannt, sondern verankerte ihn auch erstmals tatsächlich als Wegbereiter Hitlers im Bewusstsein der interessierten Öffentlichkeit.

In den 1990ern begann die Geschichtswissenschaft, die Bedeutung Lanz’ wieder in Frage zu stellen. Insbesondere die renommierte Hitlerbiografin Brigitte Hamann stellte sich auf den Standpunkt, dass zwar Hitlers Diktion bis zu einem gewissen Grad von Lanz beeinflusst gewesen sein könnte, seine Weltanschauung aber eher nicht. Mittlerweile wird allgemein angenommen, dass Hitler einerseits sowohl die Ostara-Reihe als auch Lanz’ Artikel in der alldeutschen Presse aufmerksam mitverfolgte, mit dem diese durchziehenden Okkultismus und Frauenhass aber andererseits nichts anzufangen wusste. Nach Beginn seines politischen Aufstiegs schien Hitler ganz im Gegenteil ernsthaft befürchtet zu haben, durch eine Assoziation mit völkischen Esoterikern im Allgemeinen und Lanz von Liebenfels im Besonderen politischen Schaden zu nehmen; seine laut Hamann „erstaunlich aggressiv“ formulierten Angriffe auf völkische „Sektierer“ und „Rauschebärte“ dürften neben wirklicher Ablehnung auch politischem Kalkül entsprungen sein. Aktuellem Wissensstand zufolge war Lanz’ Einfluss auf Hitler zumindest im Ideologischen vernachlässigbar.

Werke

  • Katholizismus wider Jesuitismus. Frankfurt 1903
  • Die Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron. Wien/Leipzig/Budapest 1905
  • Der Taxilschwindel. Ein welthistorischer Ulk. Frankfurt 1905
  • Ostara. (89 Hefte.) Rodaun/Mödling 1905-1917 (38 Hefte als Neuauflage Wien 1926-1931)
  • Rasse und Weib und seine Vorliebe für den Mann der minderen Artung. In: Ostara 21. 1908
  • Die Gefahren des Frauenrechts und die Notwendigkeit der mannesrechtlichen Herrenmoral. In: Ostara. 1909
  • Die Rassenwirtschaftliche Lösung des sexuellen Problems. In: Ostara. 1910
  • Charakterbeurteilung nach der Schädelform. In: Ostara. 1910
  • Das Geschlechts- und Liebesleben der Blonden und Dunklen. In: Ostara. 1910
  • Die Komik der Frauenrechtlerei, eine heitere Chronik der Weiberwirtschaft. In: Ostara 44. 1911
  • Einführung in die Sexualphysik. In: Ostara. 1911
  • Die Blonden als Schöpfer der Sprachen. In: Ostara. 1911
  • Moses als Darwinist. In: Ostara. 1911
  • Kallipädie oder die Kunst der bewussten Kinderzeugung. In: Ostara. 1911
  • Weltende und Weltwende. Lorch 1923
  • Grundriss der ariosophischen Geheimlehre. Oestrich 1925
  • Das Buch der Psalmen teutsch. Das Gebetbuch der Ariosophen, Rassenmystiker und Antisemiten. 1926
  • Bibliomystikon oder die Geheimbibel der Eingeweihten. (10 Bände.) Pforzheim u. a. 1929-1934
  • Praktisch-empirisches Handbuch der ariosophischen Astrologie. (4 Bände.) Düsseldorf 1926-1934

Literatur

  • Peter Emil Becker: Zur Geschichte der Rassenhygiene. Wege ins Dritte Reich. Thieme, Stuttgart 1988. ISBN 3-13-716901-1
  • Wilfried Daim: Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Jörg Lanz von Liebenfels. Isar, Wien 1994. ISBN 3-928127-73-x
  • Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. Propyläen, Berlin 1973 ISBN 3-549-07301-1
  • Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Stocker, Graz/Stuttgart 1997. ISBN 3-7020-0795-4
  • Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. Piper, München 2001, ISBN 3-492-23240-X
  • Peter Paul Heller, Anton Maegerle: Thule. Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 1995. ISBN 3-89657-090-0
  • Ekkehard Hieronimus: Lanz von Liebenfels. Eine Bibliographie. Berg, Toppenstedt 1991. ISBN 3-922119-11-5

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Weblinks