Dies ist ein als exzellent ausgezeichneter Artikel.

Friedrich Fromhold Martens

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 13. März 2008 um 22:07 Uhr durch Ticketautomat (Diskussion | Beiträge) (Artikel ist exzellent). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Friedrich Fromhold Martens, um 1900

Friedrich Fromhold Martens (* 15. Augustjul. / 27. August 1845greg. in Pärnu; † 7. Junijul. / 20. Juni 1909greg. in Walk; zum Sterbeort siehe Literatur, zur Namensschreibweise und -varianten siehe untenstehende Anmerkungen) war ein russischer Diplomat und Jurist estnischer Herkunft. Er wirkte insbesondere im Bereich des Völkerrechts und war Unterhändler Russlands bei den Verhandlungen zu einer Reihe von internationalen Abkommen. Darüber hinaus war er mehrfach erfolgreich als Vermittler in Konflikten zwischen verschiedenen Ländern tätig.

Während der Ersten Haager Friedenskonferenz im Jahr 1899 schlug er die später nach ihm benannte Martens’sche Klausel vor, die noch heute als wichtiger Grundsatz des humanitären Völkerrechts angesehen wird. Sie besagt, dass in allen Situationen während eines Krieges, die nicht durch geschriebenes internationales Recht geregelt sind, die allgemein üblichen Gebräuche, die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens das Handeln bestimmen sollen. Darüber hinaus wurde 1899 sein Entwurf für eine Konvention zu den Regeln und Gebräuchen des Krieges, den er 1874 für eine Staatenkonferenz in Brüssel ausgearbeitet hatte, als Haager Konvention II angenommen. Friedrich Fromhold Martens gilt damit als Begründer der Haager Traditionen des humanitären Völkerrechts und als einer der einflussreichsten Völkerrechtsexperten seiner Zeit.

Leben

Familie und Ausbildung

Friedrich Fromhold Martens, um 1878

Friedrich Fromhold Martens wurde 1845 als Sohn estnischer Eltern in der Stadt Pernau (heute Pärnu in Estland) geboren, die zur damaligen Zeit als Teil der Provinz Livland zu Russland gehörte. Eine deutsch-baltische Abstammung seiner Eltern ist möglich, jedoch unwahrscheinlich, da die Baltendeutschen in der damaligen Zeit in der Regel zu den sozial besser gestellten Schichten der Gesellschaft zählten. Der Vater von Martens hingegen war Schneider, die Familie lebte in einfachen Verhältnissen. Seine Erziehung und Bildung erfolgte deutschsprachig, darüber hinaus ist über seine Kindheit und Jugend wenig bekannt. Im Alter von fünf Jahren verlor er seinen Vater und vier Jahre später auch seine Mutter. Kurze Zeit später gelangte er in ein evangelisch-lutherisches Waisenhaus in Sankt Petersburg. Hier schloss er an einer deutschsprachigen Schule seine Ausbildung ab und begann 1863 ein Studium an der Juristischen Fakultät der Universität von Sankt Petersburg. Aufgrund seiner sehr guten Studienleistungen und seiner Fähigkeiten wurde er durch den Dekan der Fakultät gefördert.

Durch Studienaufenthalte an den Universitäten in Wien, Heidelberg und Leipzig wurde er von Völker- und Staatsrechtsexperten der damaligen Zeit beeinflusst, unter ihnen Lorenz von Stein in Wien und Johann Caspar Bluntschli in Heidelberg. Im Jahr 1869 schloss er sein Studium mit einer Arbeit unter dem Titel „Über das Recht des Privateigentums im Krieg“ ab. Vier Jahre später promovierte er mit einer Dissertation zur konsularischen Rechtsprechung im Nahen und Fernen Osten.

Am 22. Dezember 1879 heiratete er in Baden-Baden die 1861 in Sankt Petersburg geborene Katarina Maria Luisa Tuhr. Gemeinsam hatten sie einen Sohn und drei Töchter.

Akademisches Wirken

Martens' Abschlussarbeit, 1869

Im Jahr 1871 bekam Friedrich Fromhold Martens einen Lehrauftrag im Bereich des Völkerrechts an der Universität von Sankt Petersburg. Ein Jahr später wurde er Professor für öffentliches Recht am Lyzeum Zarskoje Selo im heutigen Puschkin und an der kaiserlichen Rechtsschule. 1873 folgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor und drei Jahre später zum ordentlichen Professor an der Universität von Sankt Petersburg, eine Position, die er bis 1905 inne hatte. Bereits seine Abschlussarbeit und seine Dissertation erlangten fachliche Aufmerksamkeit und Anerkennung. Durch weitere Veröffentlichungen, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden und auch in anderen Ländern erschienen, wurde er international bekannt und trug zum Ansehen seines Landes im Bereich des Völkerrechts bei. Diese Rechtsdisziplin entwickelte sich in dieser Zeit in Russland zu einem eigenständigen Fach, was unter anderem in der Gründung von entsprechenden Fakultäten für internationales Recht an mehreren traditionsreichen russischen Universitäten zum Ausdruck kam.

Zu den bekanntesten Werken, die Martens in den folgenden Jahren veröffentlichte, zählte das 1881/1882 in zwei Bänden veröffentlichte Buch „Völkerrecht. Das internationale Recht der civilisierten Nationen“, das 1883 auf Deutsch erschien und in insgesamt sieben Sprachen übersetzt wurde. Von 1874 bis 1909 erarbeitete er, parallel in Russisch und Französisch, unter dem Titel „Recueil des traités et conventions conclus par la Russie“ eine Sammlung von 15 Bänden zu den Verträgen, die Russland mit anderen Staaten abgeschlossen hatte. Durch die darin enthaltenen Abhandlungen zu den einzelnen Abkommen und ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte trägt dieses Werk den Charakter einer Enzyklopädie der russischen Außenbeziehungen seiner Zeit. Neben seinem juristischen Wirken war Martens auch Mitglied der Russischen Kaiserlichen Historischen Gesellschaft und verfasste eine Reihe von Essays zur europäischen Geschichte, die ebenfalls international Beachtung fanden und in verschiedene Sprachen übersetzt wurden.

Staatsdienst und diplomatische Karriere

Dissertation von Martens, 1873

Im Jahr 1868 trat Friedrich Fromhold Martens für das russische Außenministerium in den Staatsdienst ein. Sechs Jahre später wurde er zum Attaché für besondere Aufträge des russischen Kanzlers und Außenministers Alexander Michailowitsch Gortschakow ernannt. Während der folgenden fast vier Jahrzehnte war er für drei verschiedenen Zaren als Diplomat tätig: bis 1881 für Alexander II., bis 1894 für Alexander III. und anschließend bis zu seinem Tod für Nikolaus II., der später durch die Februarrevolution 1917 gestürzt wurde. Er vertrat Russland auf fast allen internationalen Konferenzen, an denen das Land in dieser Zeit beteiligt war, so beispielsweise dem Brüsseler Kongress von 1889 zum Handels- und Seerecht, der Antisklavereikonferenz von 1889/1890 in Brüssel und den ersten vier Sitzungen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht in den Jahren 1893, 1894, 1900 und 1904. Darüber hinaus nahm er von 1884 bis zu seinem Tod an nahezu allen internationalen Rotkreuz-Konferenzen teil. Er war aktives Mitglied des 1873 im belgischen Gent gegründeten Institut de Droit international (Institut für Völkerrecht), unter anderem 1885 und 1894 als Vizepräsident, und war in vielfältiger Weise in dessen Aktivitäten involviert. So war er beispielsweise an der Ausarbeitung der Konferenzdokumente für die von November 1884 bis Februar 1885 in Berlin stattfindende Kongokonferenz beteiligt.

In mehreren internationalen Streitfällen wirkte er erfolgreich als Vermittler. Dies betraf beispielsweise 1891 die Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien um französische Fischereirechte an der Küste Neufundlands sowie um einen entsprechenden französischen Stützpunkt am Nordufer der Insel. 1899 war er Präsident eines Vermittlungstribunals zur Beilegung von Grenzstreitigkeiten zwischen Venezuela und dem Vereinigten Königreich in der damaligen britischen Kronkolonie Britisch-Guayana. Die von ihm vorgeschlagene Linie stellt bis in die Gegenwart die Grenze zwischen Venezuela und Guyana dar. Im Disput zwischen Mexiko und den USA im Jahr 1902, dem ersten vom Ständigen Schiedshof in Den Haag verhandeltem Fall, wurde Friedrich Fromhold Martens von den Vereinigten Staaten als Vermittler ausgewählt. Anlass der Auseinandersetzungen waren die Aktivitäten des Pious Fund of California, eines auf Spenden basierenden mexikanischen Fonds zur Finanzierung katholischer Missionsarbeit in Kalifornien. Auch an den Verhandlungen zwischen Russland und Japan, die 1905 zum Vertrag von Portsmouth und damit dem Ende des Russisch-Japanischen Krieges führten, war Friedrich Fromhold Martens wesentlich beteiligt.

Seine vielfältigen Aktivitäten als Vermittler brachten ihm die Beinamen Lord Chancellor of Europe („Lordkanzler Europas“, im Sinne von „Oberhaupt der europäischen Justiz“) sowie Chief Justice of Christendom („Oberster Richter der christlichen Welt“) ein. Als begünstigend für seinen Erfolg als Diplomat und Vermittler wurde die Tatsache angesehen, dass er mit Englisch, Französisch und Deutsch drei wichtige Fremdsprachen fließend beherrschte. Hinsichtlich seiner Fähigkeiten galt er nicht vorrangig als einfallsreicher Ideengeber und Initiator, sondern vor allem als beharrlicher, energischer und ehrgeiziger Praktiker. Sein Charakter war Überlieferungen zufolge allerdings auch durch eine ausgeprägte Humorlosigkeit sowie einen Mangel an Selbstironie geprägt.

Die Haager Friedenskonferenzen

Friedrich Fromhold Martens (sitzend, 2. von links) als Mitglied der russischen Delegation zur Haager Friedenskonferenz 1899

Im Gegensatz zur Friedensbewegung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Popularität gewann, hielt Friedrich Fromhold Martens die völlige Beseitigung von Kriegen in der näheren oder fernen Zukunft für eine Utopie. Als realisierbar sah er hingegen die Verminderung des durch Krieg verursachten Leidens durch klar definierte Regeln an. Für die auf Initiative von Zar Alexander II. im Jahr 1874 in Brüssel stattfindende Internationale Konferenz arbeitete er einen Entwurf für eine Konvention zu den Regeln und Gebräuchen des Krieges aus. Diese wurde zwar von den Teilnehmern der Konferenz mit einigen Änderungen angenommen, erlangte jedoch mangels späteren Ratifikationen nie völkerrechtlich verbindenden Charakter. Hauptgrund war vor allem bei kleineren Ländern die Befürchtung, dass die in der Deklaration von Brüssel formulierten Grundsätze vor allem im Interesse der Großmächte seien.

Eine wichtige Rolle spielte Friedrich Fromhold Martens bei den von Zar Nikolaus II. initiierten Friedenskonferenzen in Den Haag in den Jahren 1899 und 1907. Während der von ihm mitorganisierten ersten Konferenz im Jahr 1899, auf der sein Entwurf von 1874 als Haager Konvention II angenommen wurde, war er Generalbevollmächtigter Russlands und Präsident des Komitees zu den Regeln und Gebräuchen des Krieges. Er war im Laufe der Konferenz unter anderem an der Ausarbeitung der Kriegsgefangenen-Definition sowie der Konvention „betreffend die Anwendung der Grundsätze der Genfer Konvention vom 22. August 1864 auf den Seekrieg“ und des Haager Abkommens „zur friedlichen Beilegung internationaler Streitfälle“ wesentlich beteiligt. Zur Schlichtung eines Streits um die Behandlung von Zivilpersonen, die sich in einem Krieg an Kampfhandlungen beteiligt hätten, schlug er dabei die später nach ihm benannte Martens’sche Klausel vor. Diese gibt für Situationen, die nicht ausdrücklich durch geschriebenes internationales Recht geregelt sind, die allgemein üblichen Gebräuche, die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens als Handlungsrichtlinie vor. Die Klausel ist Bestandteil der Präambel der Haager Landkriegsordnung und wurde 1977 in den Artikel 1 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen von 1949 aufgenommen. Sie stellt noch heute einen wichtigen Grundsatz des humanitären Völkerrechts dar. Die Haager Konferenz von 1899, deren Ausrichtung sich aufgrund der Aktivitäten von Martens von reinen Abrüstungsverhandlungen ausweitete auf den Bereich der Etablierung von friedenssichernden Maßnahmen und Institutionen, gilt im Allgemeinen als vollständiger Erfolg der diplomatischen Bemühungen Russlands. Neben seinen Aktivitäten vor Ort reiste er während der Konferenz mehrfach nach Paris, um das dort stattfindende Vermittlungsverfahren zwischen Venezuela und dem Vereinigten Königreich in der Auseinandersetzung um Britisch-Guayana zu leiten.

Die Errichtung des Friedenspalastes in Den Haag als Sitz des Ständigen Schiedshofes, dessen Bau im Wesentlichen durch den amerikanischen Industriellen Andrew Carnegie finanziert wurde, geht auf einen Vorschlag von Friedrich Fromhold Martens zurück, der auch an der Grundsteinlegung im Jahr 1907 teilnahm. Im Rahmen der zweiten Friedenskonferenz im Jahr 1907 leitete er das Komitee zum Seerecht, dessen Themen er aufgrund der aufkommenden Rivalität zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich im Bereich der maritimen Aufrüstung als besonders schwierig ansah. In Vorbereitung zu dieser Konferenz besuchte er zum Beginn des Jahres 1907 eine Reihe von europäischen Ländern. Er traf sich dabei unter anderem in Berlin mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II., in Paris mit dem französischen Präsidenten Armand Fallières, in London mit dem britischen König Edward VII., in Italien mit König Viktor Emanuel III., in Österreich mit Kaiser Franz Joseph I. und in Den Haag mit der gesamten königlichen Familie. An der Ausarbeitung der Revision der Genfer Konvention, die ein Jahr zuvor beschlossen wurde, wirkte er ebenfalls mit. Mit dem Ausgang der Konferenz von 1907 war er allerdings weniger zufrieden als mit den Ergebnissen von 1899.

Friedrich Fromhold Martens starb 1909 in der livländischen Stadt Walk und wurde in Sankt Petersburg beigesetzt.

Rezeption und Nachwirkung

Rechtsphilosophische und politische Ansichten

Friedrich Fromhold Martens, um 1880

Die Rechtsphilosophie von Martens, wie sie insbesondere in seinem Buch „Völkerrecht. Das internationale Recht der civilisierten Nationen“ zum Ausdruck kam, war traditionalistisch geprägt. So behandelte er in diesem Werk auf rund 150 Seiten die historische Entwicklung des internationalen Rechts. Die Triebkraft bei der Entwicklung des internationalen Rechts war seiner Meinung die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen. Dabei sah er gemäß dem Motto „ubi societas ibi jus est“ („Wo eine Gesellschaft besteht, existiert auch Recht“) jedes unabhängige Land als Mitglied der internationalen Gemeinschaft und damit als Teil eines einheitlichen und durch eine Rechtsordnung geregeltem Ganzen, verbunden mit den anderen Ländern durch gemeinsame Interessen, Rechte und Bedürfnisse. Das Völkerrecht war für ihn aber nicht nur Ausdruck des Standes der internationalen Beziehungen, sondern auch eine Manifestation der moralischen Werte der menschlichen Gesellschaft. Zu den Grundsätzen, die er in seinem Buch formulierte, zählte die Annahme einer progressiven Entwicklung der Menschheit und die Achtung des Lebens, der Ehre und der Würde jedes Menschen. Als Geltungsbereich des Völkerrechts sah er allerdings nur die „zivilisierten Völker“, zu denen er diejenigen Länder zählte, welche die Grundsätze der europäischen Kultur anerkennen. Die ausschließliche Geltung des Korans in moslemisch geprägten Staaten sei seiner Meinung nach Christen gegenüber feindlich und würde damit keine Möglichkeit zur Anwendung des Völkerrechts in den Beziehungen mit diesen Ländern bieten. Ausdruck seiner rechtsphilosophischen Ansichten ist die ihm zugeschriebene Aussage, dass man die zehn biblischen Geboten in Steintafeln meißeln, in Bronze gießen oder in Stahlplatten prägen könne, sie aber trotzdem ohne Bedeutung seien, solange sie nicht Teil des Rechtsbewusstseins der Gesellschaft seien.

Das alleinige Primat des Rechts über staatlicher Souveränität, politischem Gleichgewicht oder nationalistisch motivierten Bestrebungen war nach seiner Auffassung die Grundvoraussetzung für ein geordnetes Miteinander von Menschen und Ländern ohne Krieg und Gewalt. Als wesentlich erachtete er deshalb eine Kodifikation des Völkerrechts in Form von Abkommen, wenngleich er die bestehenden völkerrechtlichen Verträge kritisch betrachtete, da sie seiner Meinung nach zu allgemein und unspezifisch formuliert seien. Darüber hinaus sah er eine Organisation der internationalen Staatenwelt als unbedingt notwendig an und regte diesbezüglich die Unterordnung aller selbstständigen Staaten unter eine höherstehende Macht an. Für diese schlug er zwei Möglichkeiten vor, und zwar entweder eine Universalmonarchie oder eine von ihm bereits als Völkerbund bezeichnete repräsentative Gemeinschaft. Er zählte damit zu den ersten Diplomaten, die von der Notwendigkeit und dem Nutzen internationaler Rechts- und Verwaltungsstrukturen ausgingen, und führte den Begriff der „internationalen Verwaltung“ in das völkerrechtliche Schrifttum ein. Die Expansionsbestrebungen verschiedener Staaten einschließlich seines Heimatlandes Russland sah er kritisch, da sie seiner Meinung nach den Keim für zukünftige Konflikte darstellen würden. Ebenfalls ablehnend bewertete er militärische Aufrüstung sowie die Kolonialpolitik der europäischen Großmächte. Er war aber nicht grundsätzlich gegen die „Inbesitznahme von freiem Land“, sondern wollte durch die Festlegung von Regeln für die Kolonialisierung, wie beispielsweise im Rahmen der Kongokonferenz, vor allem Konflikte zwischen den „zivilisierten Völkern“ verhindern. Als Befürworter der zaristischen Monarchie und als Diplomat Russlands hatte er allerdings vorrangig die Interessen seines Landes zu vertreten. Einige Autoren wie der deutsch-amerikanische Jurist und Rechtshistoriker Arthur Nussbaum waren deshalb auch der Ansicht, dass Martens zum Teil aus berechnender Zweckmäßigkeit handelte und das Völkerrecht dabei lediglich als ein Mittel der Diplomatie betrachtete.

Den während des 17. Jahrhunderts wirkenden Philosophen und Rechtsgelehrten Hugo Grotius bezeichnete er als „Vater des Völkerrechts“. Als prägende Persönlichkeiten im Völkerrecht nannte er in seinem Werk insbesondere seinen nicht mit ihm verwandten Namensvetter Georg Friedrich von Martens sowie mit dem in Heidelberg wirkenden Schweizer Juristen Johann Caspar Bluntschli einen seiner früheren Lehrer. Seine Ansichten sowohl zur Notwendigkeit einer internationalen Rechtsordnung als auch zum Krieg wurden darüber hinaus auch von den Vorstellungen des französischen Soziologen Pierre Joseph Proudhon beeinflusst. Dieser bewertete Kriege zwar kritisch, schrieb ihnen jedoch auch eine „schöpferische Rolle bei der Entstehung von Staaten“ zu und betrachtete sie als etwas „Göttliches“ sowie als die „dauerhafteste und geheimnisvollste Tatsache der Geschichte“ (La Guerre et la Paix, 1861). In ähnlicher Weise versuchte Martens auf der einen Seite durch sein diplomatisches Wirken, Kriege zu verhindern beziehungsweise in ihren Auswirkungen abzumildern. Andererseits war er gleichwohl nicht nur der Meinung, dass Kriege unvermeidlich seien. Er sah sie darüber hinaus unter bestimmten Umständen als nützlich an oder sogar, wie beispielsweise den Russisch-Türkischen Krieg von 1877/1878, aus humanitären Gründen als geboten und aus völkerrechtlicher Sicht als gerechtfertigt.

Auszeichnungen und Würdigung

Friedrich Fromhold Martens, um 1880

Zu den Auszeichnungen, die Friedrich Fromhold Martens für sein Wirken erhielt, zählten unter anderem Ehrendoktorate der Universitäten von Oxford, Cambridge, Edinburgh und Yale. Darüber hinaus wurde er zum Mitglied des Institut de France ernannt. In allen Jahren von 1901 bis 1907 nominierten ihn verschiedene Persönlichkeiten für den Friedensnobelpreis. Er kam dabei mehrfach in die engere Auswahl des Nobelkomitees, unter anderem bereits 1901 bei der erstmaligen Verleihung des Preises, und galt insbesondere 1902 als Mitfavorit für die Auszeichnung. In mehreren Veröffentlichungen der damaligen Zeit, so beispielsweise in einem 1909 im „Journal of the Society of Comparative Legislation“ veröffentlichten Nachruf und in der 1911 erschienenen elften Ausgabe der Encyclopædia Britannica, wird er diesbezüglich fälschlicherweise als Preisträger genannt.

Friedrich Fromhold Martens war bereits zu Lebzeiten beziehungsweise kurz nach seinem Tod sowohl in der vor der Oktoberrevolution erschienenen russischen Enzyklopädie Brockhaus-Efron als auch in mehreren führenden fremdsprachigen Enzyklopädien verzeichnet, neben der Encyclopædia Britannica unter anderem in den deutschsprachigen Werken Meyers Konversations-Lexikon und Brockhaus’ Konversationslexikon, dem schwedischen Nordisk familjebok und der finnischen Pieni Tietosanakirja. In den über drei Jahrzehnten seines aktiven Wirkens hatte er führend an der Kodifikation des humanitären Völkerrechts mitgewirkt und sich als einer der herausragendsten Experten der damaligen Zeit für die friedliche Beilegung von internationalen Konflikten profiliert. Bereits 1910 und damit nur ein Jahr nach seinem Tod erschien mit der vom deutschen Juristen Hans Wehberg in der „Zeitschrift für internationales Recht“ veröffentlichten Arbeit „Friedrich v. Martens und die Haager Friedenskonferenzen“ eine Arbeit zum Wirken von Martens. Die ersten umfassenden biographischen Abhandlungen verfasste Michael von Taube, der bei Martens promoviert hatte und dessen Nachfolger an der Universität von Sankt Petersburg wurde.

Zu einer Würdigung im Bewusstsein der russischen Öffentlichkeit kam es allerdings erst viele Jahrzehnte später. In der historischen Wahrnehmung während der Zeit der Sowjetunion galt er als „Reaktionär“ und „zaristischer Helfershelfer“. In Nachschlagewerken dieser Epoche wie der Großen Sowjetischen Enzyklopädie wurde er nicht erwähnt, und erst 1993 erschien die erste Abhandlung über ihn in russischer Sprache. Seit 1995 verleiht die Russische Akademie der Wissenschaften den Martens-Preis für herausragende wissenschaftliche Leistungen im Bereich des Völkerrechts und der internationalen Beziehungen. Ein Jahr später wurde eine russische Neuauflage seines Werkes „Völkerrecht. Das internationale Recht der civilisierten Nationen“ veröffentlicht.

Literarische Darstellung

Friedrich Fromhold Martens ist die Hauptfigur des 1984 veröffentlichten historischen Romans „Professor Martensi ärasõit“ („Professor Martens' Abreise“) des estnischen Autoren Jaan Kross, von dem Übersetzungen in zehn verschiedene Sprachen erschienen sind, darunter Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch und Russisch. In diesem Buch wird aus der Ich-Perspektive von Martens dargestellt, wie er zum Beginn des 20. Jahrhunderts während einer Bahnfahrt auf sein Leben zurückblickt. Die Richtung der Reise von Pärnu nach Sankt Petersburg symbolisiert dabei seinen beruflichen und privaten Aufstieg. Die Erinnerungen an seine nach außen hin überragend erscheinende diplomatische Karriere sind geprägt vom Konflikt zwischen den persönlichen Ansprüchen an sein Wirken und der Anpassung an politische Zwänge, sowie seiner inneren Zerrissenheit zwischen Loyalität für das zaristische Russland und seiner eigenen estnischen Abstammung.

Namensschreibweise

Für Martens sind in verschiedenen Veröffentlichungen je nach Sprache und historischem Kontext unterschiedliche Schreibweisen und Formen seines Namens zu finden. Der deutschsprachige Geburtsname lautete „Friedrich Fromhold Martens“, gelegentlich ist auch die Schreibweise „Friedrich Frommhold Martens“ zu finden. Er nahm später den russischen Namen „Фёдор Фёдорович Мартенс“ an, dessen wissenschaftliche TransliterationFёdor Fёdorovič Martens“ ist. Basierend auf den Konventionen zur Transkription russischer Namen in die deutsche Sprache ergibt sich daraus die Schreibweise „Fjodor Fjodorowitsch Martens“, entsprechende Transkriptionen in die englische Sprache sind „Fedor Fedorovich Martens“ und „Fyodor Fyodorovich Martens“.

Darüber hinaus hat Martens selbst seinen Namen seit den frühen 1870er Jahren in seinen Schriften als „Friedrich von Martens“ beziehungsweise in der französischen Form „Frederic de Martens“ angegeben. Auch die Form „Friedrich Freiherr von Martens“ wird gelegentlich verwendet, ebenso wie beispielsweise in der deutschen Übersetzung seiner Dissertation die Schreibweise „Friedrich Fromholz von Martens“. Die genauen Umstände einer dem zugrundeliegenden Erhebung in den Adelsstand (Nobilitierung) sind jedoch unklar. Es ist möglich, dass die Ernennung durch den russischen Zaren erfolgte, beispielsweise im Zusammenhang mit seiner Berufung zum Professor. Die entsprechende Ehrung könnte ihm aber auch von einem russischen Ritterorden verliehen worden sein, allerdings ist sein Name in den Matrikeln der Livländischen Ritterschaft oder der anderen in der Region aktiven Orden nicht verzeichnet.

Werke (Auswahl)

  • Über das Recht des Privateigentums im Krieg. Sankt Petersburg 1869; russischer Originaltitel: О праве частной собственности во время войны.
  • Das Consularwesen und die Consularjurisdiction im Orient. Sankt Petersburg 1873 (russisch), Berlin 1874 (deutsch); russischer Originaltitel: О консулах и консульской юрисдикции на Востоке.
  • Recueil des traités et conventions conclus par la Russie. 1874–1909
  • Die Brüsseler Konferenz und der orientalische Krieg von 1877–1878. Sankt Petersburg 1878
  • La Russie et l'Angleterre en Asie centrale. Brüssel 1879
  • La question égyptienne. Brüssel 1882
  • Völkerrecht. Das internationale Recht der civilisierten Nationen. 1881/1882 (russisch), Berlin 1884/1885 (deutsch), Paris 1887/1888 (französisch)
  • La conférence africaine de Berlin et la politique coloniale des Etats modernes. Brüssel 1887

Literatur

Der Artikel beruht vollständig auf den im Folgenden genannten Veröffentlichungen. Die Einträge in den zeitgenössischen Ausgaben von Meyers Konversationslexikon und Brockhaus-Konversationslexikon dienten dabei vor allem zur Erstellung der Liste der Werke. Sie waren des Weiteren die Quelle für grundlegende biografische Daten, die dann in den entsprechenden Abschnitten durch Informationen aus den Artikeln von Vladimir Vasilievich Pustogarov, Dieter Fleck und Henn-Jüri Uibopuu ergänzt wurden. Der Publikation von Fleck entstammen darüber hinaus die Angaben im Abschnitt „Namensschreibweise“ zu den Umständen der Erhebung von Martens in den Adelsstand.

Die Ausführungen zu den rechtsphilosophischen und politischen Ansichten von Friedrich Fromhold Martens sowie zur Wahrnehmung seiner Person in der Sowjetunion und zu seinen Sprachkenntnissen basieren auf der in den Monatsheften für Osteuropäisches Recht erschienenen Arbeit von Henn-Jüri Uibopuu, die Angaben zur Bewertung des Krieges durch Martens zum Teil auch auf der Veröffentlichung von Martti Koskenniemi. Quelle für die ergänzenden Informationen zur kontroversen Bewertung seines Wirkens durch einige Autoren ist der Beitrag von Peter Macalister-Smith. Die Angaben zu seinen Charaktereigenschaften entstammen, ebenso wie die auf einer sinngemäßen Übersetzung aus dem Englischen basierenden Aussage zur Rolle der zehn Gebote für das Rechtsbewusstsein, dem Kapitel über Martens im Buch von Arthur Eyffinger.

Als Sterbeort wird in der 2000 veröffentlichten Martens-Biographie von Vladimir Vasilievich Pustogarov auf Seite 338 die Stadt Walk genannt, während Dieter Fleck davon abweichend Sankt Petersburg angibt. Für die Darstellung im Artikel wurde im Bezug auf diese Diskrepanz die Angabe von Pustogarov übernommen, dessen in der Zeitschrift „International Review of the Red Cross“ erschienenem Artikel auch die Information zum Ort der Beisetzung entstammt.

Weiterführende Veröffentlichungen

  • Vladimir Vasilievich Pustogarov, William Elliott Butler (Übers.): Our Martens. F.F. Martens: International Lawyer and Architect of Peace. Kluwer Law International, Alphen aan den Rijn 2000, ISBN 9-04-119602-1

Weblinks