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documenta 12

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Logo der documenta 12
Atsuko Tanakas Tokyo Work (1955) auf der Karlswiese vor der Orangerie, für die documenta 12 rekonstruiert

Die documenta 12 war die zwölfte Ausgabe der documenta, eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst. Sie fand vom 16. Juni bis zum 23. September 2007 in Kassel statt. Mit 754.301 Besuchern, und damit einem Zuwachs von über 100.000 gegenüber ihrer Vorgängerin, der Documenta11, wurde erneut ein Rekord aufgestellt. Der künstlerische Leiter war Roger-Martin Buergel, als Kuratorin fungierte Ruth Noack. Gemeinsam entschieden sie über die Konzeption der Ausstellung und die Auswahl der Teilnehmer. An mehreren Ausstellungsorten wurden über 500[1] Werke von mehr als 100 Künstlern aus aller Welt gezeigt.

Hintergrund

Roger M. Buergel (künstlerischer Leiter documenta 12) (links), Ruth Noack (Kuratorin documenta 12) (rechts) und das Symbol der documenta 12 (unten).

Roger-Martin Buergel wurde im Dezember 2003 von einer internationalen Findungskommission dem Aufsichtsrat der documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH zur Wahl als künstlerischer Leiter vorgeschlagen. Buergel war zu diesem Zeitpunkt kein bekannter Ausstellungsmacher oder Museumsleiter und soll auch kein klar umrissenes Konzept präsentiert haben. „Vermutlich deshalb entschied sich die Jury am Ende für mich [...] Als einziger Kandidat habe ich in den Bewerbungsgesprächen keine Künstlernamen genannt. Das hat sie überzeugt“.[2] Beobachter spekulierten darüber, dass mit der Entscheidung der Berufungskommission auch eine Kritik und Abwendung von den Konzeptionen der zurückliegenden documenta X (Catherine David, 1997) und Documenta11 (Okwui Enwezor, 2002) verbunden gewesen sei, die vielen als theorielastig galten.[3]

Zusammen mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Ruth Noack, zog Buergel zwei Jahre vor Beginn der Ausstellung von Wien nach Kassel. Noack wird in Veröffentlichungen der documenta 12 als „Kuratorin“ genannt. Sie selbst führte in einem Interview im Mai 2007[4] diese Konstruktion – ein künstlerischer Leiter und eine Kuratorin – auf die documenta-Statuten zurück. Diese würden festlegen, dass nur eine Person die Leitung einnehmen kann „[...] sonst wäre es für Roger M. Buergel und mich selbstverständlich gewesen, dass wir das gemeinsam übernehmen.“ Noack betonte, beide hätten Arbeiten ausgesucht und wären dabei zum Teil gemeinsam, zum Teil alleine gereist. „Jetzt bauen wir die Ausstellung gemeinsam, [...] Der größte Unterschied besteht in der öffentlichen Wahrnehmung: Das ist ein Starsystem, und da gibt's nur einen Leiter. Ich finde das gar nicht so schlecht. Ich kann mich dann konzentrieren auf die inhaltliche Arbeit und nicht so sehr auf den Bereich der Repräsentation. [...] Er hat kein Problem mit Selbstdarstellung. So ein großes Schiff zu steuern, das interessiert mich nicht so. Mich interessiert, eine Ausstellung zu machen.“

Neben Buergel und Noack waren weitere Personen enger mit der Konzeption und dem Erscheinungsbild der Ausstellung verbunden:
Georg Schöllhammer - durch die Konzeption und Leitung des Zeitschriftenprojektes (documenta 12 magazines)
Tim Hupe - als (mit)verantwortlich für die Ausstellungsarchitektur der documenta 12
Alexander Horwath - durch die Auswahl des Filmprogramms der Ausstellung
Ulrich Schötker - als Leiter der Kunstvermittlung im Rahmen der documenta 12

Konzept
Die Konzeption der Ausstellung, die Auswahl der Künstler und Arbeiten, spiegelt den Blick der Ausstellungmacher sowohl auf die Institution documenta, als auch auf die Frage, was relevante zeitgenössische Kunst ist. Die Verantwortlichen der documenta 12, Roger M. Buergel und Ruth Noack, sprechen in ihren Veröffentlichungen[5] von der documenta als „Möglichkeitsraum“ und heben die Bedeutung der ersten documenta hervor. 1955 sei es Arnold Bode gelungen „[...] Kunst, Architektur und BetrachterInnen in Beziehung zu setzen und Öffentlichkeit zu begründen.“ Im Zusammenhang mit den Begriffen zeitgenössische Kunst und aktuelle Kunst, betonen sie, dass:

„[...] „aktuell“ nicht heißt, dass die Werke gestern entstanden sind. Sie müssen für uns Heutige bedeutsam sein. Die documenta 12 zielt auf historische Entwicklungslinien in der Kunst ebenso wie auf unerwartete Gleichzeitigkeiten.“

Ein großer Teil der ausgestellten Arbeiten stammt insofern nicht aus dem 21. Jahrhundert, sondern aus den letzten Jahrzehnten des vorigen. Das älteste Ausstellungsstück ist eine persische Miniatur, entstanden im 14. Jahrhundert. Der unbekannte Künstler montierte geschwungene Linien aus der chinesischen Bildsprache in seine persische Landschaft. Derartige Wanderungen künstlerischer Elemente und Formen über Zeit- und Kulturgrenzen bilden einen Schwerpunkt des Ausstellungskonzepts der documenta 12. Buergel spricht in diesem Zusammenhang von der „Migration der Form“.

Die Ausstellungmacher betrachten die documenta als eine „Bildungsinstitution“,[5] schließen sich in den Kreis der zu Bildenden aber auch selbst mit ein. So schrieb Buergel im Dezember 2005, im Zusammenhang mit der Formulierung der drei „Leitmotive“ der documenta 12: „[...] schließlich machen wir die Ausstellung, um etwas herauszufinden.“[6] In einer Veröffentlichung der documenta 12 aus dem November 2006[5] wird, im Zusammenhang mit dem documenta-12-Beirat und dem Zeitschriftenprojekt, auch ausdrücklich eine „Devise“ angesprochen: „Wir machen eine Ausstellung, um etwas zu erfahren“. Als Versuch, etwas über Menschen und Kunst zu erfahren, kann auch die erste Aktion der documenta 12 gelten, die bereits 2006 startete: Would you like to participate in an artistic experience?.

In ihren Veröffentlichungen im Vorfeld[5] warnten die Ausstellungsmacher die Besucher, dass ihnen auf der documenta 12 keine leichtverständliche Kunst geboten wird, trösteten diese aber gleichzeitig darüber hinweg, dass nicht alles verstanden werden kann oder muss:

„Die BesucherInnen der documenta 12 sind eingeladen, sich mit Kunst zu beschäftigen, die sich selten einfach, häufiger gar nicht verstehen lässt. Die Ausstellung wird ihr Publikum fordern und auffordern, sich auf die ästhetische Erfahrung und die mit ihr verbundenen Entdeckungen einzulassen. In der documenta 12 werden die Besucher angehalten, ihre eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten zu betrachten und an sich selbst zu arbeiten. [...] Dass das Vergnügen und die Herausforderung des Ausstellungsbesuchs jenseits rationalen Verstehens liegen, ist eine Erfahrung, die viele BesucherInnen der vergangenen documenta-Ausstellungen gemacht haben. Gerade auf die Bereitschaft des Publikums, sich auf eine solche Begegnung einzulassen, setzen die AusstellungsmacherInnen - und auf die Kraft der Kunst.“

In einem Zeitungsinterview kurz vor der Eröffnung der Ausstellung[7] wurde auch Betty, eine Portraitmalerei Gerhard Richters, angesprochen, die zwischen zwei abstrakte Arbeiten von Lee Lozano in einen Raum des Fridericianums gehängt wurde. Buergel und Noack spannten auf Nachfragen zu den Bezügen zwischen den Werken einen weiten Interpretationsbogen vom russischen Suprematismus bis zu Ulrike Meinhof. Auf die Frage des Interviewers: „Glauben Sie im Ernst, dass all das dem Publikum ‚visuell einleuchtet‘?“, antwortete Noack:

„Das Publikum wird das natürlich nicht alles wahrnehmen. Damit müssen wir leben. Zeitgenössische Kunst braucht Hingabe, jahrelange Hingabe. Man kann sie nicht so einfach unterm Arm mitnehmen. Aber: Auch den Experten wird es bei unserer Documenta an Interpretationswissen fehlen. Da sind dann alle wieder fast auf dem gleichen Stand. Doch nur wenn jemand etwas nicht weiß, heißt das noch lange nicht, dass er nicht schauen und sich involvieren soll.“

Öffentlichkeitsarbeit
Im Februar 2006 wurde das Logo der documenta 12 vorgestellt, eine Strichliste, die die Zahl zwölf abbildet. Gestaltet wurde es von der Wiener Grafikerin Martha Stutteregger. Ende April 2007 startete die Plakataktion der documenta 12. Grundlage bildeten verfremdete Blütenabbildungen, entstanden im Gewächshaus des Bergpark Wilhelmshöhe. Innerhalb Deutschlands kommen die fünf Motive in 70 Städten zum Einsatz. Ende Mai 2007 wurde ein Kinotrailer für die documenta 12 veröffentlicht. Der etwa 45 Sekunden lange Spot zeigt Fußgänger und deren Schattenwurf. Die Aufnahmen sind Ausschnitt eines Kurzfilmes des Künstlers und Filmemachers Mark Lewis aus dem Jahr 2005 und entstanden im Londoner Financial District.

Die documenta 12 wurde offiziell am Samstag den 16. Juni 2007 um 10:00 durch den deutschen Bundespräsidenten, Horst Köhler, eröffnet. Bereits am Nachmittag des 13. Juni wurde die Ausstellung für akkreditierte Pressevertreter, sowie ganztägig am 14. und 15. Juni für Presse und ausgewählte Gäste im Rahmen einer Preview geöffnet. An diesen Tagen bestand auch die Möglichkeit, die Künstler bei ihren ausgestellten Arbeiten anzutreffen und mit ihnen Gespräche zu führen. Bei der Eröffnungspressekonferenz, am 13. Juni 2007, waren 2700 akkreditierte Journalisten aus aller Welt anwesend.[8] In einer Veröffentlichung Ende Mai 2007[9] luden die Organisatoren der documenta 12 für den Vorabend der offiziellen Eröffnung, den 15. Juni, auf „[...] ein großes Fest für die BürgerInnen der Stadt und alle documenta-Interessierten [...]“ im Bergpark Wilhelmshöhe ein. Dies anstelle eines „[...] exklusiven Cocktailempfang[s] für geladene Gäste [...]“ um - wie die Organisatoren schreiben - der Verbundenheit mit „[...] der Stadt Kassel und ihren Menschen [...] Ausdruck [zu] verleihen.“

Von den Ausstellungsmachern Buergel und Noack sind zahlreiche kritische Bemerkungen wie „Biennale-Unwesen“[10] (Buergel) und „Leistungsschau“[4] (Noack) zu anderen Ausstellungen von Gegenwartskunst überliefert. Sie betonten immer wieder, dass die documenta 12 hier durchaus als Gegenentwurf zu verstehen sei. Das hinderte die documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH aber nicht daran, sich der Plattform Grand Tour 2007 anzuschließen. Dort sind außerdem drei weitere Kunstausstellungen des Sommers 2007 vertreten, die Skulptur.Projekte in Münster, die Biennale di Venezia und die Art Basel. Faktisch handelt es sich um den Versuch, zusammen Reisearrangements zu vermarkten, gemeinsame kuratorische oder künstlerische Ansätze sind damit nicht verbunden.

Leitmotive

Bereits im Dezember 2005 formulierte Buergel drei „Leitmotive“ in Frageform, an denen sich die documenta 12 orientieren sollte.[6]

Ist die Moderne unsere Antike? Stellt die Frage nach der Bedeutung des Begriffs der Moderne:

[...] Nach den totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts (den gleichen Katastrophen, die sie ins Werk setzte) scheint die Moderne in Trümmern zu liegen und vollkommen kompromittiert [...] Dennoch ist das Vorstellungsvermögen vieler Menschen von modernen Formen und Visionen tief durchdrungen, und das bedeutet nicht nur Bauhaus, sondern auch Konzepte der Moderne wie „Identität“ oder „Kultur“, die aus der aktuellen Diskussion nicht wegzudenken sind. Kurz, es scheint, als stünden wir zugleich außerhalb und innerhalb der Moderne. [...]

Was ist das bloße Leben? Meint das Spektrum von körperlicher Verletzlichkeit bis zur Ektase und dessen Behandlung in der Kunst:

[...] Das bloße Leben kennt eine apokalyptische und unmissverständlich politische Dimension, an deren Ende die Folter und das Konzentrationslager stehen. Es lässt sich auf diesen apokalyptischen Aspekt aber nicht reduzieren, denn es kennt auch eine lyrische oder sogar ekstatische Seite – eine Freiheit für neue und unerwartete Möglichkeiten [...]. Mitunter gelingt es der Kunst, die Trennung zwischen schmerzvoller Unterwerfung und jauchzender Befreiung vergessen zu machen. [...]

Was tun? Zielt auf die Vermittlung von Kunst und die Bedeutung dieses Vorgangs im Rahmen von Bildung:

[...] In der Kunst und ihrer Vermittlung spiegelt sich der globale Prozess kultureller Übersetzung, der wiederum die Chance einer allumfassenden öffentlichen Debatte bietet. Ein Publikum zu bilden bedeutet, nicht nur Lernprozesse anzustoßen, sondern für eine Öffentlichkeit tatsächlich zu sorgen. Heute erscheint ästhetische Bildung als die einzig tragfähige Alternative zu Didaktik und Akademismus auf der einen und Warenfetischismus auf der anderen Seite.

In einer Veröffentlichung der documenta 12 aus dem November 2006[5] wurden die Leitmotive als „Drei Fragen an die Kunst und ihr Publikum“ eingeordnet. Die „Leitmotive“ waren jetzt „Leitfragen“, die sich der künstlerischen Leitung „[...] in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst aufgedrängt haben.“ Die Ausstellungsmacher betonten: „Diese Fragen werden in der Ausstellung keine unmittelbaren, dafür jedoch viele vermittelte Antworten finden.“

documenta-12-Beirat

Im Vorfeld der Ausstellung wurde der documenta-12- Beirat[11] etabliert. Dieser Beirat besteht aus rund 40 Personen und kam seit Beginn des Jahres 2006 regelmäßig in Kassel zusammen. Dabei sollten lokale Erfahrungen aus den Bereichen Bildung, Stadtplanung, Arbeitswelt, Wissenschaft, sozialer Arbeit, politischen Organisationen, Religion und Kultur sowie Kinder- und Jugendarbeit in die Ausgestaltung der documenta 12 einfließen. Die Organisatoren ordnen den Beirat - ebenso wie das Zeitschriftenprojekt (documenta 12 magazines) - ihrer Devise „Wir machen eine Ausstellung, um etwas zu erfahren“ zu. Gemeint ist der Versuch, „lokales Wissen an verschiedenen Orten der Welt in Beziehung [zu] setzen – und auch die Menschen, die darüber verfügen“.[5]

Zeitschriftenprojekt

Bereits im Vorfeld der documenta 12 wurden die „Leitmotive“ innerhalb eines von Georg Schöllhammer geleiteten Zeitschriftenprojekts von mehr als 80 Zeitschriften, Magazinen und Online-Medien weltweit diskutiert.[12] Die documenta 12 fasst die von den Redaktionen geführten Debatten zusammen. Das Ergebnis bilden die documenta 12 magazines, insgesamt drei Veröffentlichungen, die als „Zeitschrift der Zeitschriften“ fungieren. Sie sind über den Buchhandel erhältlich und sollen, so die Ausstellungsmacher, „[...] den LeserInnen und den BesucherInnen der documenta 12 zur Navigation dienen.“

Kunstvermittlung

Bereits während der Vorbereitung der documenta 12 wurde von den Ausstellungsmachern der hohe Stellenwert der Kunstvermittlung betont. Diese sei keine Zusatzdienstleistung, sondern „integraler Bestandteil der kuratorischen Komposition“. Die Macher betonten „Wie das Leben hat die Kunst keinen Sinn; Sinn muss ihr erst zugedacht werden“. Die Kunstvermittlung soll im Rahmen der „Bildungsinstitution“ documenta die „Kunstwerke sprechen [...] lassen“. im Vorfeld wurde in diesem Zusammenhang der Begriff „Palmenhaine“ verwendet. Diese sollen als Teil der Ausstellungsarchitektur sowohl Orte der Kontemplation, als auch der Diskussion sein.[5]

Finanzierung

Der offizielle Etat der documenta 12 betrug 19 Millionen Euro. Er setzte sich zusammen aus den Einnahmen aus Karten- und Katalogverkauf, sowie aus Zuschüssen der öffentlichen Hand und von Unternehmen als Sponsoren. Öffentliche Mittel flossen vom Land Hessen, der Stadt Kassel, sowie der Kulturstiftung des Bundes. So bezeichnete „Hauptsponsoren“ der documenta 12, die in Veröffentlichungen samt Unternehmenslogo genannt werden, sind der Automobilhersteller Saab und die Sparkassen Finanzgruppe.

Der Gesamtetat von 19 Millionen Euro wird zum Großteil für die Infrastruktur der Ausstellung verwendet. Nur ein Zehntel, also etwa 2 Millionen Euro, stehen dem künstlerischen Leiter für die Realisierung seiner kuratorischen Vorstellungen zur Verfügung. In diesem Zusammenhang sorgte Ende 2006 insbesondere die Finanzierung des von Buergel initiierten Bauvorhabens Aue-Pavillon mit Kosten von ca. 3,5 Millionen Euro für Spekulationen über eine mögliche Deckungslücke. Noch im April 2007, Monate nach dem Baubeginn, sprach Buergel in einem Interview[13] davon, dass dessen Finanzierung noch immer nicht gesichert sei und sagte: „Man sucht nach Finanzierungsformen. Ich kann aber nicht warten, bis ich das Geld habe. Das ist wie eine Filmproduktion: Man fängt an zu drehen, ehe man das Geld zusammenhat.“ Buergel setzte auf Privatpersonen als Sponsoren, Mitglieder einer „globalen Bourgeoisie“. Im Mai 2007 erklärte er die Finanzierung schließlich für gesichert. Ein von Buergel ins Leben gerufener documenta-Freundeskreis sollte Mehrkosten über den offiziellen Etat hinaus übernehmen.

Ausstellungsarchitektur

Die documenta 12 nutzt architektonisch sehr unterschiedliche Gebäude als Ausstellungsorte, hinzu kommen künstlerische Arbeiten im Außenraum. Für die Ausstellungsmacher stellte sich nicht nur die Frage nach Gestaltung und Lichtsetzung innerhalb dieser Räumlichkeiten, sie standen auch vor der Entscheidung, welche Arbeiten in welchem Gebäude präsentiert werden. Grundsätzlich war - wie schon bei den letzten documenta-Ausstellungen - zu klären, welche Gebäude überhaupt verwendet werden. Bei der Documenta11 im Jahr 2002 hatte sich deren künstlerischer Leiter, Okwui Enwezor, entschieden, ein leerstehendes ehemaliges Brauereigebäude zu nutzen, um auf gestiegenen Flächenbedarf und die gewachsenen Besucherzahlen der letzten Jahrzehnte zu reagieren. Roger M. Buergel ließ stattdessen für die Dauer der Ausstellung ein komplett neues Bauwerk als Hauptausstellungsort errichten, den Aue-Pavillon, der bereits im Vorfeld für Aufmerksamkeit und Diskussionen sorgte. Zwar waren schon auf früheren documenta-Ausstellungen temporäre Bauten zum Einsatz gekommen, jedoch nicht in solchen Dimensionen.

In Veröffentlichungen zur Ausstellungsarchitektur[14] beriefen sich Buergel und Noack auf Arnold Bode, den Leiter der ersten documenta-Ausstellungen, und verwiesen auch auf Konzepte von Friedrich Kiesler in den USA und von Lina Bò Bardi in Brasilien. Kernmerkmale der Ausstellungsarchitektur bilden der Versuch, bestehender Architektur ihren Charakter zurückzugeben sowie die Abwendung vom Konzept des White Cube.

Charakter zurückgeben

Das Fridericianum während der documenta 12 mit dem inzwischen erblühten Mohnfeld auf dem Friedrichsplatz

Mit dem Fridericianum aus dem 18. Jahrhundert und der Neuen Galerie aus dem 19. Jahrhundert sind zwei historische Gebäude zentrale Ausstellungsorte der documenta 12. Diese Bauwerke bilden die Formensprache ihrer Entstehungszeit heute jedoch nur noch auf ihrer Fassade ab. Die Innenräume wurden stattdessen in den Jahrzehnten nach deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in Raumkonzeptionen und mit Stilelementen wiederaufgebaut, die in der Tradition der Modernen Architektur stehen. Die documenta 12-Kuratorin Ruth Noack sprach in diesem Zusammenhang auch von „Verschandelung“.[10]

Die Ausstellungsmacher der documenta 12 wollen mit ihrer Ausstellungsarchitektur den jeweiligen Gebäuden ihren „Charakter zurückgeben“ (Noack)[10] und an deren ursprüngliche Nutzungen anknüpfen: Im Museum Fridericianum sehen die Ausstellungsmacher ein ehemaliges naturwissenschaftliches Museum und Wunderkammer. Die Neue Galerie interpretieren sie als ein bürgerliches Museum mit intimer Kabinett-Struktur. In der modernen documenta-Halle aus dem späten 20. Jahrhundert, insbesondere in deren großer Halle, sehen sie eine öffentliche Agora.[10]

Abwendung vom White Cube
Auf der documenta 12 wird mit der als White Cube (weißer Würfel) bezeichneten und etablierten Ausstellungsarchitektur, die ihre Wurzeln in der Modernen Architektur des 20. Jahrhunderts hat, gebrochen. In diesem Zusammenhang werden Wände farbig statt nur weiß gestaltet und die Arbeiten überwiegend als großräumige Zusammenstellungen präsentiert. Einzelarbeiten in abgeschlossenen Räumen bilden Ausnahmen.

Buergel beklagte im April 2007[10], die meisten Künstler kämen mit dem Wunsch auf ihn zu „gib mir meine Schuhschachtel“. Buergel betonte, dass er ein anderes Konzept verfolgt, eine „Durchdringung und eine Kommunikation der Formen“. Er kritisierte in diesem Zusammenhang das „Biennale Unwesen“, durch das viele Künstler „verdorben“ seien und betonte, documenta arbeite hier „an einem anderen Modell“.

Ausstellungsorte

Die documenta 12 nutzt sechs Ausstellungsorte innerhalb Kassels[15] Neben den bereits während früherer documenta-Ausstellungen genutzten Gebäuden Fridericianum, Neue Galerie und documenta-Halle wurde zur documenta 12 als temporäres Bauwerk der Aue-Pavillon erstellt. Die Ausstellung bezieht erstmals auch das Schloss Wilhelmshöhe im Bergpark Wilhelmshöhe ein. Schloss und Park liegen am westlichen Stadtrand, und damit von der Innenstadt mit den vier wichtigsten Ausstellungsgebäuden entfernt. Nördlich der Innenstadt befindet sich das ebenfalls erstmals genutzte Kulturzentrum Schlachthof.

Wie auch schon bei vorhergehenden documenta-Ausstellungen gibt es neben den künstlerischen Arbeiten, die innerhalb der Ausstellungsgebäude präsentiert werden, zusätzlich mehrere Außenarbeiten.[16]

Aue-Pavillon

Seit Anfang 2007 entstand der von den Ausstellungsmachern so bezeichnete Aue-Pavillon. Der Name des temporären Bauwerks leitet sich von seinem Standort ab, der innerstädtischen Parkanlage Karlsaue. Auf dem Rasen vor dem Gebäude der dortigen Orangerie wurde eine zusätzliche Ausstellungsfläche von 9 500 Quadratmetern installiert, auf der 140 Arbeiten gezeigt werden. Der Aue-Pavillon dient außerdem als zentraler Standort für die unter dem Stichwort „Palmenhaine“ geplanten Aspekte der Kunstvermittlung im Rahmen der documenta 12.

Baugeschichte

Außenansicht des Aue-Pavillons (im Hintergrund: Orangerie).

Die Ausstellungsmacher bezeichneten in Veröffentlichungen zur Ausstellungsarchitektur[17] das vom Pariser Büro Lacaton & Vassal entworfene Bauwerk als ein „[…] dezidiert zeitgenössisches, aber auch temporäres Gebäude […]“ und sehen es in in enger Beziehung zur benachbarten Orangerie und zur Gartenarchitektur der Karlsaue. Sie verweisen auch auf den Topos des „Kristallpalastes“, jener Ausstellungsarchitektur für Weltausstellungen, wie den Crystal Palace von Joseph Paxton aus dem Jahr 1851 in London und den Grand Palais in Paris von 1900. Die Lokalpresse verwendete im Frühjahr 2007 für das Bauwerk die bescheidenere Bezeichnung „Gärtnerei“. Im April 2007 distanzierten sich die Architekten in Presseinterviews von der Umsetzung ihres Entwurfs, in die sie seit Beginn des Jahres nicht mehr einbezogen worden seien. Sie bemängelten die Abschottung und künstliche Klimatisierung des Gebäudes, die dem Gedanken eines Pavillons innerhalb einer Parklandschaft entgegenliefen. Buergel verteidigte diese Maßnahmen mit konservatorischen und kuratorischen Gründen, insbesondere der Notwendigkeit, die ausgestellten Kunstwerke vor zu viel Lichteinfall zu schützen. Er sprach in diesem Zusammenhang von „Streit“ und betonte, dass sich die „Architektur der Kunst unterzuordnen hat“.[10]

Konstruktion und Architektur

Innenansicht des Aue-Pavillons.

Der Aue-Pavillon bildete annähernd eine U-Form, bei der der westliche Flügel kürzer und breiter als der östliche ausgeführt wurde. Er basierte auf einem Gewächshaus-System des französischen Herstellers Filclair mit Stahltragwerk, Tonnendach sowie Außenwänden aus transparentem Polycarbonat. Der eingeschossige Gesamtkomplex setzte sich aus 49 Basismodulen zusammen, die jeweils eine Länge von 20, eine Breite von 9,60 und eine Höhe von 5,93 Metern besaßen. Die parallel in Nord-Süd-Richtung ausgerichteten und aneinander gekoppelten Einzelmodule und ihre Tonnendächer bedingten lange, innenliegende Dachentwässerungen. Deren volle Funktionalität war zur Eröffnung der Ausstellung nicht gegeben, noch Tage später kam es bei Starkregen zu Wassereintritt in den Innenraum. Der für die documenta-12-Architektur verantwortliche Tim Hupe sprach Ende Juni gegenüber einer Zeitung[18] außerdem von Wasser, das am Fuß der Polycarbonat-Fassade in das Gebäudeinnere eindringe.

Das Tonnendach wurde mittels einer Tragkonstruktion aus einzelnen Stahl-Fachwerkbindern errichtet. Das darüberliegende Dach war ein Tragluftdach: elektrische Gebläse sorgten für die Form und Stabilität einer transparenten Hülle. Die 20 Meter langen Seitenwände der Module wurden von jeweils 6 Stützen getragen. Für den Innenraum des Komplexes ergab sich dadurch ein Konstruktions- beziehungsweise Stützenraster von 9,60 auf 4,00 Meter. Die Bodenfläche bestand aus Asphalt, der in einem Rotton gestrichen wurde. Eine ebene und fugenfreie Ausführung der Bodenfläche gelang jedoch nicht.

Silbrigweißes Gewebe auf der Außenseite der Dachfläche reduzierte den Tageslichteinfall. An der Innenseite der Außenwände hingen raumhoch weiße Vorhänge mit eingewebten Aluminiumstreifen (Svensson Revolux), wie sie auch in der Gewächshaustechnik eingesetzt werden. Unterschiedliche Typen dieser Vorhänge besaßen einen unterschiedlich hohen Anteil an Aluminiumstreifen. Dadurch variierte die Lichtdurchlässigkeit der Vorhänge, was zur Bildung einzelner Zonen unterschiedlicher Beleuchtung für unterschiedliche künstlerische Arbeiten genutzt wurde. Diese Zonierung wurde aber durch die Notausgänge unterbrochen: diese mussten völlig unverhüllt bleiben. Insbesondere in den weniger stark abgedunkelten Bereichen war ein Wechsel der Außenlichtverhältnisse – Sonnenschein oder Bewölkung – auch im Innenraum deutlich wahrnehmbar. Teilbereiche der Außenwände waren nicht mit Vorhängen versehen, sondern schwarz lackiert. Diese schwarzen Flächen verhinderten zwar den Außenlichteinfall, heizten sich unter direkter Sonnenlichteinstrahlung jedoch stark auf. Ganze Außenwandbereiche wurden dann zu unerwünschten sommerlichen Heizkörpern. Die hohe Temperatur der schwarzen Polycarbonat-Elemente führte außerdem dazu, dass sich diese deutlich sichtbar s-förmig verformten.

Unterhalb des Tonnendachs, in etwa 4 Meter Höhe, wurde eine halbtransparente Zwischendecke eingezogen. Dabei kam das Revolux-Gewebe zum Einsatz, das auch für die Verhängung der Außenwände genutzt wurde. Durch dieses halbtransparente Gewebe hindurch war, je nach Außenlichtsituation, die Dachkonstruktion mit ihren Stahl-Fachwerkbindern zu erkennen oder nur zu erahnen. Unterhalb der Zwischendecke hingen einzelne Spots, die neben dem durch die transparenten Seitenwände einfallenden natürlichem Licht als Punktlichtquellen für die künstliche Ausleuchtung einzelner Arbeiten sorgten.

Ausstellungskonzept
Der Innenraum des Aue-Pavillons war ausschließlich den Kunstwerken beziehungsweise der Kunstvermittlung vorbehalten. Klimatechnik und sanitäre Anlagen lagen außerhalb der Gebäudehülle, was dort zu gestalterischen Problemen führte. Der Eingang befand sich am östlichen, der Ausgang am westlichen Schenkel des U-förmigen Grundrisses. Den Besuchern war dadurch eine Richtung vorgegeben. Innerhalb der Ausstellungsfläche gab es allerdings keine angegebene Wegführung zwischen den einzelnen Arbeiten.

Die ausgestellten Arbeiten befanden sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht an der Außenwand, sondern waren freistehend oder an aufgestellten Stellwänden angebracht. An der Außenwand standen die historischen Holzstühle aus Ai Weiweis Arbeit Fairytale, die von den Besuchern benutzt werden konnten. Die Stellwände der Ausstellung waren in einem matten Hellgrau lackiert, etwa 3 Meter hoch und ca. 30 cm stark. Sie besaßen an ihrer Unterkante eine umlaufende, etwa 1 cm hohe Schattenfuge zum Fußboden.

Der Ausstellungsraum gliederte sich in drei Zonen mit unterschiedlichen architektonischen Konzepten:[17] dem vergleichsweise offenen Eingangsbereich mit wenigen orthogonalen Stellwänden folgte ein zweites Drittel, das die Ausstellungsmacher als ein Labyrinth verstanden wissen wollen. Dessen Stellwände sollten die Achsen der umgebenden Parkanlage aufgreifen – ein Zusammenhang, der sich dem Besucher im abgeschlossenen Innenraum nicht ohne weiteres erschließen kann. Das letzte Drittel sollte als White Cube interpretiert werden, der jedoch „gebrochen“ wurde: eine Verglasung der Nordfassade öffnete den Raum zum Gebäude der Orangerie.

Palmenhaine
Bei den unter dem Stichwort „Palmenhaine“ angekündigten Orten der Kunstvermittlung im Aue-Pavillon handelte es sich um 12[19] durch farbige Bodenmarkierungen abgegrenzte Bereiche. Diese Zonen hatten eine Fläche von jeweils ungefähr 20 Quadratmetern und waren mit etwa 20 kreisförmig oder quadratisch angeordneten historischen Holzstühlen aus Ai Weiweis Arbeit Fairytale ausgestattet. Die „Palmenhaine“ dienten geführten Besuchergruppen als Zwischenstop und als Möglichkeit für den „Kunstvermittler“ (Führer), Gesprächsrunden zu bilden. Je nach Lage des „Palmenhains“ im Gebäude wurden die Besucher dieser „Ruhe-Inseln inmitten der documenta 12“.[5] in unterschiedlicher Intensität mit den Geräuschkulissen einzelner künstlerischer Installationen sowie derjenigen der Lüftungs- und Klimatechnik konfrontiert.

Außenarbeiten
Der U-artige Grundriss des Aue-Pavillon bildete einen dreiseitig umschlossenen Innenhof. Auf dieser Rasenfläche befand sich die – später umgestürzte – Außenarbeit Template von Ai Weiwei.

Fridericianum

Mohnfeld vor dem Fridericianum

Das Fridericianum bildete den Hauptort früherer documenta-Ausstellungen. Während der documenta 12 wurden auf drei Geschossen mit einer Fläche von 3 800 Quadratmetern 85 Arbeiten präsentiert. Anlässlich der Ausstellung wurde im Gebäude eine zentrale Treppe vom Erdgeschoss zum ersten Obergeschoss ergänzt, die an die ursprüngliche Erschließung des Bauwerks anknüpft. Die historische zentrale Treppenanlage war nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Rahmen von mehreren Umbaumaßnahmen entfallen. Die Ausstellungsmacher äußerten die Hoffnung, dass ihre Treppe über die Dauer der documenta hinaus Bestand haben werde.[10]

Im Eingangsbereich des Fridericianums wurden die Seitenwände raumhoch mit Spiegeln verkleidet. Die anderen Wände im Erdgeschoss wurden in einem Rotton, die im 1. Obergeschoss in einem Grünton gestaltet. Das dritte Obergeschoss war hellbraun gehalten, ebenso der ergänzte Treppenraum. Die Fensterflächen wurden unterschiedlich stark mit hellbraunen Vorhängen verhängt, um für die ausgestellten Arbeiten in den jeweiligen Räumen angepasste Lichtsituationen zu schaffen. Einige Fenster waren nicht verhängt und ermöglichen so den Blick nach draußen. Im 1. Obergeschoss arbeitet eine Installation von Iole de Freitas, die den Innenraum füllt und sich an der Außenfassade des Fridericianums fortsetzt, dezidiert mit dem Bezug nach außen.

Auf dem Friedrichsplatz vor dem Fridericianum wurden als Teil der Ausstellung die Arbeiten Mohnfeld von Sanja Iveković und Die Exklusive - Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten von Andreas Siekmann errichtet. Die auf dem Mohnfeld gepflanzten Mohnblumen sollten im Laufe der Ausstellung den Friedrichsplatz in einen „roten Platz“ (“red square”) verwandeln und spielte symbolisch auf verschiedene politische und vor allem revolutionäre Ikonographien an.[20]

Neue Galerie

Die Neue Galerie wurde bereits während früherer documenta-Ausstellungen genutzt. Während der documenta 12 wurden auf 2 900 Quadratmetern Fläche 113 Arbeiten gezeigt. Das Museum ist seit 2006 wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und soll frühstens 2009 wiedereröffnet werden. Das Bauwerk stand daher der documenta 12 mit seiner kompletten Ausstellungsfläche zur Verfügung und bekam dabei eine neue Eingangssituation: statt des nordöstlichen kopfseitigen Eingangs wurde ein bislang nicht mehr genutztes Portal an der Längsseite des Gebäudes zur Karlsaue hin geöffnet. Viele Innenwandflächen wurden - wie auch im Fridericianum - in einem Rot- beziehungsweise Grünton gestrichen. Die Bodenflächen wurden mit Textilbelägen farblich gestaltet.

documenta-Halle

Die documenta-Halle, insbesondere ihr großflächiger Eingangsbereich, wurde nicht nur für Ausstellungszwecke genutzt. Das Gebäude diente dem Zeitschriftenprojekt documenta 12 magazines als Standort. Dort fanden auch sogenannte lunch lectures (Mittagsvorträge) statt. Die Ausstellungsfläche betrug 850 Quadratmeter, dort wurden 23 Werke gezeigt.

Wilhelmshöhe

Schloss Wilhelmshöhe liegt im Bergpark Wilhelmshöhe, am westlichen Stadtrand von Kassel. Im Schloss verfügte die documenta 12 nur über eine verhältnismäßig kleine eigene Ausstellungsfläche von 250 Quadratmetern, gelegen im 2. Obergeschoss. Insgesamt werden in Wilhelmshöhe 43 Exponate gezeigt, darunter auch Außenarbeiten im Bergpark. Schloss Wilhelmshöhe ist Standort einer Gemäldesammlung Alter Meister von Weltgeltung. Einige documenta-Arbeiten wurden in diese bestehende Dauerausstellung integriert. Im 1. Obergeschoss werden documenta-Werke im Zusammenhang einer von Juni bis September 2007 stattfindenden Sonderausstellung mit dem Titel Vom Adel der Malerei. Holland um 1700 gezeigt. Seit 2006 besteht im Schloss Wilhelmshöhe eine weitere Sondersituation: Einige Gemälde, die sonst ein Bestandteil der Sammlung der Neuen Galerie bilden, haben wegen der dortigen Renovierungsarbeiten im Schloss ein Ausweichquartier.

Die Reisterrassen des Terraced Rice Fields Art Project von Sakarin Krue-On lagen auf dem östlich des Schlosses gelegenen Berghang. Westlich neben den barocken Terrassen des für Sanierungsarbeiten eingerüsteten Herkules-Bauwerks standen die großformatigen Bildtafeln Shipwreck and Workers des amerikanischen Künstlers Allan Sekula. Im Schloss Wilhelmshöhe selbst fanden sich beispielsweise:

  • Die schwarz-weiß-Photoarbeit The Splendor of Myself II von Zofia Kulik hängt im 3. Obergeschoss des Schlosses im Rembrandt-Saal.
  • Vier Kopfbilder aus der Serie Lost Boys (Kerry James Marshall) hingen im 3. Obergeschoss des Schlosses im Frans Hals-Saal.

Kulturzentrum Schlachthof

Das Kulturzentrum Schlachthof liegt nordöstlich der Innenstadt, in der Kasseler Nordstadt. Es wurde bereits im Vorfeld für einen örtlichen documenta-Beirat genutzt, bei dem „lokale Experten“ ihre Vorstellungen einbringen konnten. Zur eigentlichen Ausstellung wurden dort zwei Arbeiten präsentiert.

Filmprogramm

Das Filmprogramm der documenta 12 wurde bewusst von den anderen künstlerischen Arbeiten getrennt, die Organisatoren betonten: „Der Ort des Films auf der documenta 12 ist das Kino: eine schlichte Antwort auf die Debatten der letzten Jahre, wie Laufbilder im Kunstkontext wohl am besten darstellbar wären.“[21] Aufführungsort war das 1955 eröffnete Gloria-Kino in der Kasseler Innenstadt. Verantwortlich für die Auswahl des Filmprogrammes war Alexander Horwath, der seit 2002 als Direktor des Österreichischen Filmmuseums in Wien arbeitet. Er wählte Werke von 94 Filmemachern aus den Genres des populären Spielfilms, des Avantgardefilms, des Dokumentarfilms und des Kunstfilms. Alle Beiträge haben ihre Entstehungszeit zwischen den 1950er-Jahren und der Gegenwart. Horwath erklärte im Mai 2007 in einem Interview,[22] dass damit bewusst ein Zeitrahmen gewählt wurde, der mit der Geschichte der documenta zusammenfällt - die erste documenta fand 1955 statt. Er sprach bei diesem Zeitraum von etwas mehr als fünfzig Jahren von der „zweite[n] Hälfte des Kinos“. Horwath betonte, er sehe seine Tätigkeit als Vermittler darin, Kino über die üblichen Kategorien hinweg abzubilden. „Entweder ist alles Rand, auch der Blockbusterfilm, oder alles ist Zentrum. Letzteres ist der Vorschlag der documenta 12.“ dabei „soll in einem oft radikalen Wechsel von bekannten und unbekannten Filmen ein Zusammenhang deutlich werden“.

An den 100 Tagen der documenta 12 wurden 50 abendfüllende Programme gezeigt. Jedes Programm, das aus einem einzelnen oder mehreren Beiträgen bestand, wurde an zwei unterschiedlichen Tagen aufgeführt. Die Reihe begann mit Viaggio in Italia von Roberto Rossellini, entstanden 1954, und endete mit der Uraufführung eines Films von James Benning aus dem Jahr 2007 über Robert Smithsons Spiral Jetty. Die Vorstellungen - für die Besucher eine gesonderte Eintrittskarte zum Preis von 6,50 Euro benötigten - begannen jeweils um 20:30.

Werke und Aktionen (Auswahl)

Would you like to participate in an artistic experience?

Die soziale Skulptur Would you like to participate in an artistic experience? des in Brasilien lebenden Ricardo Basbaum startete als erste Aktion der documenta 12 bereits im Jahr 2006. Insgesamt zwanzig weiß-blaue, wannenähnliche, Stahlobjekte mit einem Zylinder in der Mitte wanderten seitdem durch Haushalte und Treffpunkte auf drei Kontinenten, durch Städte wie Kassel, Ljubljana, Mexiko-Stadt oder Dakar. Sie sollten von ihren temporären Besitzern verwendet und auch verändert werden. Die Benutzer der Objekte waren aufgerufen, ihre Erfahrungen zu dokumentieren. Basbaum formuliert zur Arbeit:

„Ich will die Beziehung des Künstlers zum Publikum umkehren, um etwas von den Menschen zu erfahren. Jetzt ist das Publikum der Sender und der Künstler der Empfänger“.[23]

Die Arbeit, beziehungsweise ihr Ergebnis, wird innerhalb einer Art von Sitzlandschaft präsentiert, die sich im Eingangsbereich des Aue-Pavillons findet.

Fairytale

Datei:Ai weiwei documenta XII.jpg
Arbeit Ai Weiweis für die documenta 12

Unter dem Titel Fairytale (Märchen) lädt der Pekinger Architekt und Künstler Ai Weiwei 1001 Landsleute nach Kassel auf die documenta 12 ein. Die Chinesen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Landesteilen stammen, werden aber nicht unmittelbarer Teil der Ausstellung. Ai Weiwei lässt stattdessen die Reise dieser Menschen und ihre Erfahrungen durch Filmemacher und Schriftsteller dokumentieren. Die Arbeit hat für Konzeptkunst beträchtliche Dimensionen. Die damit verbundenen Kosten gibt der Künstler mit drei Millionen Euro an, die von zwei privaten Stiftungen übernommen werden. Auf die Frage, ob es wirklich Kunst sei, 1001 Chinesen in eine Ausstellung mitzunehmen, antwortete Ai Weiwei in einem Interview[24]:

„Es ist Kunst, wenn man es Kunst nennt. Mein Traum war es, Menschen die Reise zur Documenta zu ermöglichen, die diese Möglichkeit sonst nie im Leben gehabt hätten. Das ist doch zumindest teilweise das, was Kunst bewirken kann: die Bedingungen für individuelle Aufklärung und Bewusstseinsbildung schaffen, die naivsten und einfachsten Fragen zu beantworten.“

Ai Weiweis Gäste aus China reisen nacheinander in fünf Gruppen von jeweils etwa 200 Personen an und sind gemeinsam in einer ehemaligen Fabrikhalle in der Kasseler Nordstadt untergebracht. Die erste Gruppe traf bereits kurz vor der Eröffnung der Ausstellung ein.

Bestandteil von Fairytale sind außerdem 1001 historische chinesische Holzstühle, die sich an den Ausstellungsorten befinden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Werken auf der documenta 12 dürfen diese Sitzmöbel - ihrer Funktion entsprechend - von den Besuchern auch benutzt werden.

Template

Die Außenarbeit Template (Vorlage, Schablone) von Ai Weiwei hatte ihren Standort im dreiseitig umschlossenen Innenhof des Aue-Pavillons. Vier riesige senkrechte Scheiben durchdrangen einander an einem zentralen Punkt. Dort waren die Scheiben im unteren Bereich durchbrochen und passierbar. Diese Durchbrüche erzeugten wiederum die Andeutung eines Innenraums.

Die Scheiben waren jeweils aus einer Vielzahl von einzelnen kleinen hölzernen Türen und Fenster zerstörter chinesischer Häuser aus der Ming- und Qing-Dynastie zusammengesetzt. Sie standen ursprünglich senkrecht auf einem etwa 50 cm hohen, sockelartigen, Holzfundament. Die Gesamtabmessung der Arbeit betrug 720 x 1200 x 850 cm.[25]

Ai Weiweis Konstruktion wurde im Mai und Juni 2007 durch chinesische Handwerker erstellt und überragte in ihrer Höhe den Aue-Pavillon um mehrere Meter. Während eines Unwetters am Nachmittag des 20. Juni 2007, nur vier Tage nach der Ausstellungseröffnung, hielt Template der Windlast nicht stand: die Konstruktion wurde von ihrem Fundament gerissen und umgeworfen. In einer ersten Reaktion zeigte sich der Künstler gelassen und äußerte, dass ein Wiederaufbau nicht geplant sei.[26] Das zusammengebrochene Kunstwerk wurde nach der documenta vermessen und Ende Oktober demontiert. Es soll an einem neuen Standort im selben Zustand wieder aufgebaut/aufgeschichtet werden.

Terraced Rice Fields Art Project

Terraced Rice Fields Art Project

Das Terraced Rice Fields Art Project ist eine Außenarbeit von Sakarin Krue-On im Bergpark Wilhelmshöhe. Der thailändische Künstler ließ am östlichen Hang vor dem Schloss Wilhelmshöhe Terrassen für den Nassreisanbau anlegen.

In Veröffentlichungen im Vorfeld[27] schrieben die Ausstellungsmacher der documenta 12:

„Sowohl die Terrassenanlage als auch der Reisanbau werden nach traditionellem Vorbild durch Krue-On und sein thailändisches Team, darunter ein erfahrener Reisbauer, Experten aus der Region Kassel sowie documenta-MitarbeiterInnen realisiert. Dabei wird man so weit als möglich auf den Einsatz von Maschinen verzichten, auf überlieferte Methoden setzen und die Arbeiten mit einfachen Geräten wie Spaten, Gabeln und Hacken per Hand ausführen.“
Durch die umfangreichen Erdarbeiten wurden zahlreiche Scherben, Konchen, Metallfragment und ähnliches aus verschiedenen Epochen freigelegt, die aus der über 800 jährigen Geschichte des Schlosses und seiner Vorgängerbauten erzählen. Trotz des massenhaften Auftreten verschiedenster Fundstücke fanden keine Notgrabungen statt.

Der Bergpark mit seiner 300-jährigen Geschichte bietet einen historischen Bezug zu Ostasien: Nur wenige hundert Meter entfernt bilden einige Gebäude die Reste des sogenannten „chinesischen Dorfes“ Mou-lang. Dieses entstand ab 1781 unter dem Landgrafen Friedrich II. und war einerseits eine zeitgenössische Chinoiserie, das Dorf und seine Bewohner dienten jedoch auch landwirtschaftlichen Zwecken. Der unmittelbare Ort der Installation ist ein mit Gras bewachsener Parkhang, mit Sichtbezug sowohl zum Schloss, als auch – entlang der kilometerlangen Achse der Wilhelmshöher Allee – zur Stadt. Der Hang dient heute nicht der Landwirtschaft, stattdessen wird er im Winter von der einheimischen Bevölkerung traditionell zum Schlittenfahren genutzt.

Die Ausstellungsmacher sahen „eindeutig auch ein[en] Bezug auf die Kaskaden im Bergpark“ – gemeint waren die des Herkules-Bauwerks aus der Zeit des Barock – und betonten, dass sie in der Arbeit eine symbolische Inszenierung des Aufeinandertreffens von verschiedenen Kulturen sehen:

„Das Schloss Wilhelmshöhe – von Status, Gestalt und Symbolkraft ein architektonisches Monument eindeutig westeuropäischer Provenienz – und das Reisfeld – Zeugnis der Aneignung von Natur und ihrer Nutzung für den Lebensunterhalt sowie Symbol für Wachstum, Entwicklung und Zusammenarbeit. Sind sie gleichwertige Partner oder ist das eine Kulisse des anderen? Sakarin Krue-On will Fragen stellen und hofft, dass die Besucher Antworten finden werden.“

Die Erdarbeiten zur Anlage der Terrassen wurden durch einen örtlichen Gartenbaubetrieb mit Minibaggern durchgeführt. Sie begannen erst im Mai 2007, wenige Wochen vor der Eröffnung der documenta 12. Erst wenige Tage vor der Ausstellungseröffnung wurde mit der Wasserbefüllung und der Bepflanzung der inneren Becken begonnen. Aufgrund der kurz zurückliegenden Erdbewegungen präsentierten sich die äußeren Hänge der Reisterrassen zum Zeitpunkt der Eröffnung der documenta 12 als kahle braune, weil vegetationsfreie, Flächen. Das für den Nassreisanbau notwendige Wasser wurde dem Lac, einem See am Fuße des Schlosshanges entnommen. Durch eine motorbetriebene Pumpe wurde es in das oberste Becken der Terrassen gefördert und von dort mittels PVC-Rohren nach unten weiterverteilt. Es stellte sich heraus, das große Mengen des Wassers im Untergrund versickerten und weiter unten am Hang, quasi als neuentstandene Quelle, wieder an das Tageslicht kamen.

Am 20. Juni, vier Tage nach der Eröffnung der Ausstellung, wurde bekannt, dass aus Sorge der Berg könnte abrutschen die maschinelle Bewässerung eingestellt worden war. Stattdessen soll zukünftig auf schonendere manuelle Bewässerung und Trockenreis gesetzt werden.

Die Exklusive - Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten

Die Installation (rechter Platzrand) auf dem Friedrichsplatz

Die Außeninstallation Die Exklusive - Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten des in Berlin lebenden Künstlers Andreas Siekmann steht auf dem Friedrichsplatz. Um das historische Standbild von Landgraf Friedrich II. sind wie in einem Kinderkarussell bunt bemalte Sechsecke und ausgeschnittene Figuren montiert. Der auf dem Dach des Karussells angebrachte Titel spricht die gesellschaftliche Ausgrenzung – die Exklusion – im Rahmen der Globalisierung an. Folglich sind Polizisten zu sehen, die Demonstranten bei einem G8-Gipfel abwehren, eine flüchtende Frau, die einen Pass erlangen will, Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz und sein Amtsvorgänger James Wolfensohn, sowie Arbeiterinnen aus Niedriglohn-Fabriken.

Im Jahr 2003 scheiterte eine Aufstellung der Arbeit in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Das dortige Regierungspräsidium verbot die Installation rund um das historische Reiterstandbild August des Starken mit der Begründung: „Das Reiterstandbild als politische Manifestation der Macht eines barocken Fürsten verträgt keinerlei zusätzliche An[-] Auf- oder Umbauten“, da sonst das Erscheinungsbild „verändert, beeinträchtigt, zum Teil entstellt und seiner eigentlichen Aussage beraubt“ werde. Die Behörde sah „keine Notwendigkeit, neue Werte für das Reiterstandbild August des Starken zu definieren, die mit dem traditionellen und künstlerischen Denkmalwert nicht identisch“ wären. Stattdessen befürchtete sie, dass „der Fürst quasi seiner Macht und Überlegenheit im eigentlichen und übertragenen Sinne beraubt“ werde.[28]

The Splendor of Myself II

Die großformatige schwarz-weiß-Arbeit The Splendor of Myself II[29](meine eigene Großartigkeit) der polnischen Künstlerin Zofia Kulik hängt im 3. Obergeschoss des Schlosses Wilhelmshöhe, im Rembrandt-Saal. Das aus neun einzelnen Phototafeln zusammengesetzte Frauenportrait entstammt einer Serie von Arbeiten, in der die Künstlerin jeweils ihr eigenes Gesicht montierte und historische Herrscherinnen-Bildnisse der englischen Königin Elisabeth I. (1533-1603) zitiert beziehungsweise persifliert. So zeigt das Kleid der Frau als Ornamentik Abbildungen nackter Männer in absurden Körperhaltungen. Die 1997 entstandene Arbeit wurde mittig zwischen vier - deutlich kleinere - Männerportraits aus dem 17. Jahrhundert gehängt, die von Rembrandt van Rijn stammen, beziehungsweise seiner Werkstatt zugeschrieben werden.

Lost Boys

Vier Kopfbilder aus der Serie Lost Boys des US-amerikanischen Künstlers Kerry James Marshall hängen im 3. Obergeschoss des Schlosses Wilhelmshöhe, im nach Frans Hals benannten Hals-Saal. Die Portraits zeigen jeweils ein schwarzes, nahezu formatfüllendes, Gesicht eines Menschen afrikanischer Herkunft vor einem hellen bis weißen, nicht ohne weiteres bestimmbaren, Hintergrund. Der Titel der Serie nimmt Bezug auf Figuren von J. M. Barrie aus dessen Geschichten um Peter Pan vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Bilder selbst thematisieren die Lebenswirklichkeit "verlorener" farbiger Jugendlicher am Ende des Jahrhunderts und wurden durch die Inhaftierung des Bruders von Marshall angeregt.[30] Marshalls Bilder aus den 1990er-Jahren wurden paarweise unterhalb von zwei großformatigen Gemälden Karel van Manders III (1606-1670) gehängt. Manders um 1640 entstandene Bilder entstammen einem 10-teiligen Zyklus, der eine Erzählung des griechischen Autors Heliodor aus dem 3. Jahrhundert illustriert. Heliodors Aithiopica (Aethiopica, Äthiopische Geschichten) beschreibt die Liebesgeschichte der Chariklea und des Theagenes. Chariklea ist die hellhäutige Tochter der äthiopischen Königin Persina. Manders linkes Gemälde zeigt das dunkelhäutigen Königspaar Hydaspes und Persina zusammen mit einem Bild der weißhäutigen Andromeda, einer Ahnfrau Persinas. Nach Heliodor ist die Betrachtung dieses Bildnisses durch Persina während ihrer Empfängnis der Grund für die helle Hautfarbe ihrer Tochter Chariklea.

Kassel Gardens (from the Perspective of a Mole)

Kassel Gardens (from the Perspective of a Mole) (Kasseler Gärten (aus der Perspektive eines Maulwurfs)) der US-Amerikanerin Martha Rosler besteht aus einer etwa 12-minütigen Videoprojektion, bei der im 3-Sekunden-Takt diaschauartig farbige Photographien gezeigt werden. Neben die Projektionsfläche wurden fünf gerahmte Ausdrucke aus der projizierten Bildserie gehängt. Die Arbeit entstand im Frühjahr 2007 in Kassel[31] für die documenta 12 und ist im Ausstellungskatalog als Passionate Signals eingeordnet. Sie wurde in der westlichen, stark abgedunkelten Ecke des Aue-Pavillons gegenüber dem hellen Ausgangsbereich aufgestellt.

Martha Roslers von Maulwurfshügeln durchsetzte Kasseler Gartenbilder haben wenig mit Hochglanzphotographie von Park- oder Gartenanlagen zu tun, obwohl der Bergpark Wilhelmshöhe und insbesondere die Karlsaue breiten Raum einnehmen. Daneben finden sich aber auch Aufnahmen von Friedhöfen und Restgrün oder solche, bei denen sich der Begriff „Garten“ nicht aufdrängt. Wirft man nur einen kurzen Blick auf die Projektion, wird sich das zugrundeliegende Thema der Arbeit – ihr Bezug zur Stadt und zur documenta – kaum erschließen. Erst bei längerer Betrachtung erkennt man documenta-Standorte und kann auch einzelne Wegstrecken identifizieren, die die Künstlerin während ihrer Aufnahmen ablief. Ihre Wege führten Rosler nicht nur in Gärten, sondern auch an Industriestandorte, Gleisanlagen und Gräber. In ihrer Besprechung der Arbeit[32] zieht die Kuratorin Ruth Noack einen weiten Bogen von Gärten als Bildern vom Paradies und Ausdruck einer geordneten Welt bis zu Krieg und Zerstörung:

„[…] Martha Rosler hat in Kassel (nicht nur) Maulwurfshügel fotografiert. Sie hat sich zur Fantasie hinreißen lassen, hier breche das lokale Unbewusste hervor und mit ihm die unter dem Rosenhügel begrabenen Schutthalden. Zugeschüttete Geschichte: Wiederaufbaupropaganda angesichts der nahen Zonengrenze – Bombenangriffe der Alliierten, die die Stadt in Schutt und Asche legten – Dominanz der Rüstungsindustrie, damals wie heute. […]“

Mit Rosenhügel meint Noack den westlichen Hang der Karlsaue, an dem als Bauschutt die Reste der durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kasseler Innenstadt deponiert wurden. Seine gärtnerische Gestaltung war 1955 Teil der Bundesgartenschau und somit auch Fundament und Anlass der ersten documenta. Der Hang liegt kaum hundert Meter entfernt vom Aue-Pavillon, in dem Roslers Arbeit gezeigt wird. Zusammen mit Roslers Aufnahmen dieses Hanges und eines dort eingebetteten Kriegerdenkmals finden sich auch solche des Aue-Pavillons der documenta 12 während dessen Bauphase im Frühjahr 2007.

The Zoo Story

Die Installation The Zoo Story (Die Zoo-Geschichte) des in Berlin lebenden Peter Friedl steht in der documenta Halle. Es handelt sich um das 3,5 Meter hohe Tierpräparat einer Giraffe.

Zur Einordnung als künstlerische Arbeit der documenta 12 vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts kennzeichnete Buergel die Giraffe als „Idee“ und schrieb:

„Es ist für Peter Friedl entscheidend, dass Brownie zwar zum Bild taugt, dass dieses Bild aber, so steht zu hoffen, eine andere Geschichte in Gang setzt als die ohnmächtig stereotypen Medienbilder aus der Konflikt- und Besatzungszone [...]“

Der Künstler konstruierte hinter dem Präparat eine Geschichte, die dazu anregen soll, die Naivität der Medien zu hinterfragen. Das Kunstwerk hat sich zu einem Liebling der Medien entwickelt, das nun häufig plakativ zur Illustration des Nahostkonflikts benutzt wird.

Der Giraffenbulle „Brownie“ stamme aus Südafrika und soll seit 1997 im Zoo von Qalqiliyah beheimatet gewesen sein, einer überwiegend von Palästinensern bewohnten Stadt im Westjordanland. In der Folge einer israelischen Militäroperationen im Zusammenhang mit der Zweiten Intifada sei das Tier in Panik geraten, stürzte zu Boden, und verendete am 19. August 2002. Der Tierarzt des Zoos habe das Präparat erstellt. Wie Roger M. Buergel in seiner Rezension der Arbeit im Ausstellungskatalog schrieb [33] „amateurhaft“, wodurch Brownie den „Charme eines vielgeliebten Steiff-Tieres“ verströme. Die ausgestopfte Giraffe stand – zusammen mit anderen im Zoo gestorbenen Tieren – in einem museumsartigen Nebengebäude des Zoos.

Die wahre Geschichte hinter der Giraffe ist nur schwer zu rekonstruieren.

Teilnehmende Künstler

Künstler der documenta 12 vor dem Fridericianum

Die documenta 12 war die weiblichste aller documenten bis dato: Mit 55 teilnehmenden Künstlerinnen waren fast die Hälfte der berufenen KünstlerInnen Frauen. (“Die aktuelle Documenta ist ein Lehrstück über den selbstverständlichen Umgang mit der Kunst von Frauen und der Kunst von Männern. Sie schafft es, fernab einer Polemik oder Besonderung, feministische Positionen als integralen Bestandteil kultureller Produktion vorzuführen. [...] Die Zugänge zur Kunst zu thematisieren, ist ein Kunstgriff, dem es wohl auch zu verdanken ist, dass auf der Documenta so viele radikale Positionen vertreten sind.“) [34]

Am 21. Februar 2006 stellten die Organisatoren mit Ferran Adrià und Artur Zmijewski bereits die ersten zwei Personen vor, die in der Ausstellung vertreten wären. Dem Alphabet nach handelte es sich um den ersten und letzten Teilnehmer. Im Gegensatz zu anderen großen Kunstausstellungen wollten die Macher der documenta 12 eine vollständige Liste erst unmittelbar vor deren Beginn veröffentlichen. Aus unterschiedlichen Gründen wurde jedoch ein Teil der Namen bereits vorher publik: Einige Künstler machten ihre Teilnahme öffentlich, andere wurden in Presseveröffentlichungen der documenta 12 im Vorfeld sukzessive als Teilnehmer genannt. In einem Interview im April 2007[13] sagte Buergel, es gehe „weniger um Geheimhaltung als darum, den Findungsprozess zu schützen.“ Er gestand allerdings ein: „Man spielt natürlich auch mit medialen Erwartungen.“ Im Rahmen einer Pressekonferenz am 13. Juni 2007 wurde schließlich eine Liste mit 110 Positionen und insgesamt 114 Namen veröffentlicht:[35]

A
Sonia Abián Rose Ferran Adrià Saâdane Afif Ai Weiwei Halil Altindere
Eleanor Antin Aoki Ryoko David Aradeon Ibon Aranberri
B
Monika Baer Maja Bajevic Yael Bartana Mária Bartuszová
Ricardo Basbaum Johanna Billing Cosima von Bonin Trisha Brown
C
Graciela Carnevale James Coleman Alice Creischer
D
Danica Dakic Juan Davila Dias & Riedweg Gonzalo Díaz
Atul Dodiya Ines Doujak Lili Dujourie Lukas Duwenhögger
F
Harun Farocki León Ferrari Iole de Freitas Peter Friedl
G
Poul Gernes Andrea Geyer Simryn Gill David Goldblatt Sheela Gowda
Ion Grigorescu Grupo de artistas de vanguardia Dmitri Gutov
H
Sharon Hayes Romuald Hazoumé Hu Xiaoyuan Ashley Hunt
I - J
Sanja Iveković Luis Jacob Jorge Mario Jáuregui
K
Amar Kanwar Mary Kelly Bela Kolárová Abdoulaye Konaté Bill Kouélany
Jirí Kovanda Sakarin Krue-On Zofia Kulik KwieKulik
L
Louise Lawler Zoe Leonard Lin Yilin Lee Lozano Lu Hao
M - N
Churchill Madikida Iñigo Manglano-Ovalle Kerry James Marshall Agnes Martin
John McCracken Nasreen Mohamedi Andrei Monastyrski Olga Neuwirth
O
J.D. ’Okhai Ojeikere Anatoli Osmolovsky George Osodi Jorge Oteiza
P
Annie Pootoogook Charlotte Posenenske Kirill Preobrazhenskiy Florian Pumhösl
R
Yvonne Rainer CK Rajan Gerhard Richter Alejandra Riera
Gerwald Rockenschaub Lotty Rosenfeld Martha Rosler
S
Luis Sacilotto Katya Sander Mira Schendel Dierk Schmidt Kateřina Šedá
Allan Sekula Ahlam Shibli Andreas Siekmann Nedko Solakov Jo Spence
Grete Stern Hito Steyerl Imogen Stidworthy Mladen Stilinovic
Jürgen Stollhans Shooshie Sulaiman Oumou Sy Alina Szapocznikow
T
Atsuko Tanaka David Thorne Guy Tillim
U - Z
Lidwien van de Ven Simon Wachsmuth Xie Nanxing Yan Lei
Tseng Yu-Chin Zheng Guogu Artur Żmijewski

Presse-Echo

Deutschsprachige Tagespresse

Die meisten Rezensionen der documenta 12 in der Tagespresse erschienen zeitnah zur Eröffnung am 15. Juni 2007 und waren daher teilweise von den Anfangsthemen (z.B. Mohnfeld ohne Blüten) geprägt:

Durchaus positiv Thomas Wagner in der FAZ: „Die documenta macht Kunst wieder erfahrbar. Buergel setzt sie nicht auf Diät. Er nimmt sie schlicht ernst, manchmal zu ernst. Weil sie das Sensationelle meidet, befreit die d12 die Kunst aus der Gefangenschaft, in der sie die aufs Neue schielende Wahrnehmung des Marktes zu halten sucht. Hätte sie auch die Drehzahl des Spinnrads des Kuratierens gedrosselt, wäre sie wirklich wunderbar.“ [36]
Uta Baier schrieb in der Welt dagegen: „Das Mohnfeld von Sanja Ivekovic vor dem Fridericianum ist noch nicht aufgegangen. Kein wogendes Meer roter Blüten begrüßt den Besucher. Man ist versucht, diese trockene Einöde, die so schön gedacht war, als Sinnbild für das ganze Unternehmen Documenta 12 zu verstehen. Die Idee war wunderbar, die Realität ist es nicht.“ [37]
Etwas positiver Holger Liebs in der Süddeutschen: „So taucht man in Kassel nun für hundert Tage ein in einen künstlerischen Privatkosmos, ein bisweilen esoterisches, manchmal arg bildungsbeflissenes, aber oft auch unterhaltsames Gelehrtenparadies. Wir wissen nun: Die Ferne zum Kunstmarkt ist noch kein Wert an sich. Aber an den Rändern unserer Bilderwelt gibt es immerhin einiges aufzustöbern. Was bleibt, ist ein zwiespältiger Eindruck.“ [38]

Englischsprachige Tagespresse

Im Vergleich zur deutschen Tagespresse schienen die Besprechungen in den englischsprachigen Zeitungen kritischer:

Geradezu vernichtend Adrian Searle im Guardian: „The content of the current Documenta, and the ways in which the art is displayed and framed by argument, gives pause for serious concern. Documenta 12 is a disaster.“ [39] (Übersetzung: Sowohl die Inhalte der aktuellen Documenta, als auch die Art und Weise, in der die Kunst gezeigt und gedanklich eingeordnet wird, geben Anlass zur Sorge. Die Documenta 12 ist ein Disaster.)
Kein gutes Haar an der Ausstellung ließ auch Richard Dorment im Daily Telegraph: „The artistic directors this year are the freelance curator Roger Buergel and his art historian wife Ruth Noack, and between them they have managed to stage the single worst art exhibition I have ever seen anywhere, ever. Though Documenta 12 has more than 500 works, so much of what is on view is second-rate, chosen for who knows what reason and displayed so eccentrically that [...] it is easy to overlook the few really good things in it. [...] This is a show organised by two pseuds and intended for graduate students and people who don’t really like visual art at all.“ [40] (Übersetzung: Die künstlerische Leitung liegt dieses Jahr in den Händen des freiberuflichen Kurators Roger Buergel und seiner Frau Ruth Noack, einer Kunsthistorikerin. Zusammen haben es die beiden geschafft, die eindeutig schlechteste Kunstausstellung zu produzieren, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe. Obwohl auf der Documenta 12 mehr als 500 Werke gezeigt werden, sind so viele der Werke zweitklassig, von den Kuratoren aus gänzlich unklaren Gründen ausgewählt, und dann noch exzentrisch präsentiert, [...] dass man die wenigen wirklich guten Arbeiten leicht übersieht. [...] Diese Ausstellung wurde durch zwei pseudointellektuelle Wichtigtuer organisiert. Das Zielpublikum der Ausstellung sind offensichtlich ältere Studenten sowie Menschen, die visuelle Kunst nicht wirklich mögen.)
Dagegen Holland Cotter in der New York Times: „That’s the dynamic of Documenta 12 as a whole. Does it work? In the end, no. The first time through, its combination of new names and forms generates an excitement of discovery. It’s so great not to see everyone you’ve seen everywhere else. On a return visit the surprise has diminished, and the installation starts to look too porous; the curatorial ideas too obvious, pedantic and confining; the work too small, private, underdone, done-before.“ [41] (Übersetzung: Das ist also die Dynamik der Documenta 12. Funktioniert es? Letzten Endes: Nein. Beim ersten Durchgang verursacht die Kombination von neuen Namen und Formen allerdings ein aufregendes Entdeckungsgefühl. Es ist großartig, nicht schon wieder die gleichen Namen zu sehen, die man schon überall sonst gesehen hat. Bei einem zweiten Besuch allerdings - wenn das Überraschungsmoment nachlässt - wirkt die Ausstellung zu uneben. Die kuratorischen Ideen sind zu offensichtlich, zu pedantisch und zu einengend, die gezeigten Arbeiten zu klein, zu privat, zu unfertig, zu schon-mal-gemacht.)

Kunstzeitschriften

Besprechungen in Kunstzeitschriften, welche mit mehr zeitlichem Abstand zum Eröffnungstrubel erschienen, waren - wie bei jeder documenta üblich - vielfältig:

Ute Thon im Hauptartikel von Art: „Documenta 12 enttäuscht auf weiten Strecken mit blasser Kunst und grandiosen Pannen. […] Immer dort, wo die Documenta-Macher demonstrativ auf exotische Effekte setzen und dürftige Ideen als hohe Weisheiten verkaufen [...] scheitert die Weltkunstschau kläglich. [...] Die Documenta 12 ist kein Totalschaden, aber ganz bestimmt auch nicht das bahnbrechende Zukunftsmodell, als das es mancher Kritiker schon vor Ausstellungsbeginn hochgejubelt hat. „Ich glaube, dass Sie sich von mir verabschieden müssen als einen, der die Richtung angibt“, sagte Buergel in einem raren Anflug der Selbsterkenntnis auf der Eröffnungspressekonferenz. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen.“ [42] In der selben Ausgabe von art werden Kuratoren und Museumsdirektoren gefragt: „War die documenta 12 eine gelungene Ausstellung?“ Auch hier fallen die Wertungen ganz unterschiedlich aus. Uneingeschränkt positiv, im Gegensatz zur Tendenz des Haupartikels, äußerte sich Adam Szymczyk (Direktor der Kunsthalle Basel):„Die Documenta 12 ist eine bemerkenswerte kuratorische Leistung, und eine überwiegend bestechende Ausstellung – präzise und ein Gegenbild zum überschwänglichen Kunstmarkt. Sie ist eine Ausstellung der Ausstellungen, indem sie einige modernistischen Präsentationsformen produktiv zur Anwendung ringt. Die Pressearbeit der Documenta war eine mutige Darbietung an sich: Die Kuratoren haben die gängige Forderung nach Transparenz und unmittelbaren Zugriff auf die Kunst zurückgewiesen. Anstatt das Publikum und die Medien mit vorgefertigten Botschaften zu füttern, wurde dem einzelnen Besucher die Möglichkeit eröffnet, sich auf die Ausstellung einzulassen.“ [43]
Fast persönlich verletzend Silke Hohmann in Monopol: „Ruth Noack und Roger M. Buergel haben die ganz große Idee nicht hinbekommen, sind aber auch im Kleinen gescheitert. Ihr Leitmotiv der Migration der Form ist aufgeblasen und hätte sich bestenfalls als Nebenschauplatz geeignet. Für 19 Millionen haben Buergel und Noack eine Ausstellung nach ihrem Privatgeschmack gemacht, für Leute wie sie, die sich für vieles interessieren, aber nicht direkt für zeitgenössische bildende Kunst. Buergel will sich nun altem Kunsthandwerk zuwenden, denn “ich mache nur Sachen, die ich noch nicht kann!" Dann dürfte er noch mal eine Documenta kuratieren.“ [44]
Kunstforum International widmete (wie seit der documenta 6 jedes Mal üblich) der documenta 12 mit Band 187 eine gesamte Ausgabe. Die darin versammelten Texte fielen oftmals positiver aus als die bisherige Pressereaktionen, so schreibt zum Beispiel Michael Hübl: „Die Documenta 12 zeigt heute, was morgen ganz alltägliche Normalität sein wird [...] eine Realität, die längst nicht mehr auf einen Nenner zu bringen ist und die bereits jetzt so aussieht, als sei sie bald nicht mehr in den Griff zu kriegen: die verzweifelten, bornierten hektischen und verzweifelten Versuche einzelner gesellschaftlicher Gruppen, diesen Prozess durch verschärfte Kontrollen und Reglementierungen aufzuhalten, sind nur ein Beleg für die These, dass die Zeit der grandiosen Behauptungen vorbei ist und die Zukunft im Diffusen, im Kleinteiligen, Unscheinbaren liegt, [...]“. [45] Ingo Arend schrieb einige Seiten weiter: „Die Biennale von Venedig und die Documenta setzen auf die sinnliche Intelligenz. [...] In Kassel gab es durchaus überzeugende Werke, die dem Sinnlichen und der ungewohnten Form wieder ihren Stellenwert in der zeitgenössischen Kunst einräumten.“ [46] Und Hans Belting stellte schließlich fest: „Es könnte sein, dass diese Documenta einen neuen Zustand der Kunstwelt zeigt.[47]
Hanno Rauterberg schrieb im ZEIT-Feuilleton: „Sie ist ein Erfolg, ein Besucher- und ein Gefühlserfolg. [...] wird diese Documenta als eine Documenta der Neubestimmungen in Erinnerung bleiben. Auf geradezu verwegene Weise stellte sie nicht die Kunst, sondern den Betrachter in den Mittelpunkt. Sie forderte seine Bereitschaft, sich selbst etwas einzubilden, eigene Deutungen zu entwickeln, sich heranzutrauen an das Unvertraute. Früher nannte man dergleichen ästhetische Erfahrung. Welche Sprengkraft sie noch immer hat, auch das hat dieser Kunstsommer gezeigt.“ [48]

Reaktion der documenta-Macher auf Presse-Echo

Auf einige zwiespältige bis negative Reaktionen in der Presse antworteten die documenta-Macher zum Ende der Ausstellung mit einem Rundumschlag:

Noch Ende August 2007 begaben sich Buergel und Noack in einem Interview mit Cécile Schortmann vom HR auf die Meta-Ebene: „Frage: Ist es aber nicht schmerzlich wenn Kunstkenner und auch Kollegen diese documenta so kritisch beurteilen? Buergel: Wenn man sich ein bisschen mit der documenta-Geschichte befasst, dann kennt man das. Das ist ja fast stereotyp, wie das abläuft. Wir haben Erwartungen geschürt, dann kommt die Ausstellung, dann kommt das große Entsetzten und dann dauert es ein paar Jahre bis sich das sedimentiert, weil man sich die Kriterien erst mal erarbeiten muss. Frage: Das hört sich jetzt sehr rational an, aber hat Sie die Kritik nicht verletzt? Buergel: Nein, man braucht Gegenwind, um abzuheben. Das Schlimmste, was der Ausstellung passieren könnte, ist dass man ihr indifferent begegnet. Dann ist man tot. Aber wenn sie einem entweder um den Arm fallen oder sagen: ‚Die schlimmste Ausstellung, die ich je gesehen habe‘, dann hat man etwas richtig gemacht.“ [49]
In einem Interview mit Johanna und Luca DiBlasi in der HAZ äußerten sich Buergel und Noack zwei Wochen nach dem HR-Interview schon etwas weniger entspannt: „Es gibt bei jeder documenta diese Empörung. Wenn man das kapiert hat, nimmt man es nicht persönlich. Was da aus unterschiedlichen Lagern kommt, ist wie bei einem Rülpswettbewerb.“ Insbesondere auf Bazon Brock gemünzt, der Buergel wegen Nepotismus kritisiert[50] hatte: „Das sind ältere Männer, die nicht loslassen können. Sie glauben, es sei ihre documenta. Da findet jetzt einfach eine Generationsablösung statt.“ Insbesondere verweisen sie auf die hohen Besucherzahlen als Bestätigung ihrer Arbeit. [51]
Buergel veröffentlichte im Spiegel eine zweiseitige Abrechnung mit den Kritikern der documenta 12 und seiner Kuratorentätigkeit. Darin warf er den Kritikern vor, sie hätten sich „entschlossen, die Ausstellung zu hassen“. Weiter bezeichnet er seine Gegner als „Lynchmob“ und wirft ihnen „Ignoranz, eine Abwehrhaltung und einen Mangel an Lust auf Erfahrungen“ vor. [52]

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. „über 500“ nach documenta 12 Pressemappe, Pressekonferenz am 13. Juni in Kassel, S. 3 eine frühere Veröffentlichung Pressemappe Räume für Kunst - Zur Ausstellungsarchitektur der documenta 12, o. D. im April 2007 veröffentlicht liefert in der Addition der einzelnen Ausstellungsorte nur knapp über 400 Arbeiten.
  2. Einordnung Buergels und Zitat nach Hanno Rauterberg: Revolte in Kassel, DIE ZEIT, 12. April 2007 Nr. 16, online unter http://zeus.zeit.de/text/2007/16/Documenta
  3. vgl. Nicola Kuhn: Wer ist Roger M. Buergel?, Der Tagesspiegel, 9. Juni 2007, online unter http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Fragen-des-Tages-Buergel-Documenta;art693,2318150, abgerufen 2007-06-11
  4. a b „Das ist ein Starsystem“, Interview von Elke Buhr mit Ruth Noack, in Frankfurter Rundschau, 2007-05-15, online unter http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1135595& abgerufen 2007-05-18
  5. a b c d e f g h nach DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2006-11
  6. a b Roger M. Buergel: Leitmotive, Dezember 2005, online unter http://www.documenta12.de/leitmotive.html
  7. Holger Liebs im Gespräch mit Roger M. Buergel und Ruth Noack, Wir wollen einem Massenpublikum Komplexität schmackhaft machen, Süddeutsche Zeitung vom 5. Juni 2007, S. 15
  8. Hessische Allgemeine, 2007-06-14, S. 1
  9. documenta 12: documenta 12 Eröffnungsfest am 15. Juni im Bergpark Wilhelsmhöhe, datiert 31. Mai 2007, online unter http://www.documenta12.de/796.html?&L=0, abgerufen 2007-06-01
  10. a b c d e f g Pressekonferenz der documenta 12 am 24. April 2007 in Kassel, documenta-Halle. Einziges Thema war die Ausstellungsarchitektur. Einleitenden Vorträgen folgte ein Rundgang durch die Ausstellungsorte in der Innenstadt, danach wurden Fragen beantwortet
  11. umfangreichere Darstellung, siehe documenta 12: documenta- 12-Beirat, online unter http://documenta.de/beirat.html?&L=0 abgerufen 2007-05-14
  12. Liste aller beteiligte Zeitschriften und Magazine online unter http://documenta12.de/teilnehmer.html?&L=0 abgerufen 2007-05-10
  13. a b Interview von Stefan Grissemann und Nina Schedlmayer mit Roger Martin Buergel in profil, 19/07, 2007-04, online unter http://www.networld.at/profil/index.html?/articles/0715/560/170325.shtml
  14. nach Press Kit, Spaces for art – on documenta 12 exhibition architecture, Pressemitteilung der documenta 12, 2007-04
  15. DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06, zählt als siebten Standort das in Spanien liegende Restaurant elBulli des Kochs Ferran Adrià auf, das Gloria-Kino, als Standort des Filmprogramms wird dort nicht zu den Ausstellungsorten gezählt, sondern gesondert aufgeführt.
  16. DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06, zählt zwölf "DOCUMENTA 12 AUSSENPROJEKTE" (works on site) auf
  17. a b Pressemappe Räume für Kunst - Zur Ausstellungsarchitektur der documenta 12, o. D. im April 2007 veröffentlicht. Der Kerntext zur Konzeption der d12-Ausstellungsarchitektur ist von Noack und Buergel als Autoren gezeichnet
  18. Hessische Allgemeine, Im Extremfall evakuieren, 26. Juni 2007, S. KS-LO1
  19. Anzahl 12 nach DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I - Exibition map, allerdings war zumindest ein Palmenhain, der unmittelbar vor einem Notausgang angelegt wurde, nicht mit Stühlen ausgestattet
  20. Vergleiche die Aussage der Künstlerin unter „Der Friedrichsplatz zwischen leuchtendem Rot und Revolutionsliedern“ auf der offiziellen Webpräsenz der documenta 12 (zuletzt abgerufen am 15.12.2007)
  21. nach DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Filmprogramm, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-05
  22. Interview von Brigitte Werneburg mit Alexander Horwath, "Für eine Zeit in einem anderen Leben", taz vom 14. Mai 2007, S. 15-16, online unter http://www.taz.de/dx/2007/05/14/a0166.1/text, abgerufen 2007-05-28
  23. zitiert nach Would you like to participate in an artistic experience?, Eine Arbeit von Ricardo Basbaum für die documenta 12, online unter http://www.documenta12.de/aktuelles_9.html?&L=0
  24. Kosten und Finanzierung von Fairytale sowie das Zitat nach dem Interview Ai Weiweis in der Süddeutschen Zeitung vom 2. April 2007, online unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/454/108346/print.html
  25. documenta 12 Catalogue, 2007, S. 356
  26. Hessische Allgemeine, 2007-06-21, S. 1
  27. alle Zitate nach: Sakarin Krue-On, „Terraced Rice Fields Art Project“, Pressemitteilung der documenta 12, 2007-05-08
  28. Zitate nach einem Vortrag von Karl-Siegbert Rehberg: Kultur als Geschichtsersatz: Reflexionen zum Dresden-Mythos, online unter http://www.dhmd.de/neu/index.php?id=768, abgerufen 2007-05-28
  29. 1180 x 1417 Pixel-Abbildung der III. Arbeit der Serie, die sich von der ausgestellten nur in wenigen Details unterscheidet unter http://www.kulturundkontext.de/img/medien/tiefeslicht/Kulik_Splendor.jpg, abgerufen 2007-05-30
  30. „[...] A take on the JM Barrie novel, it translates the child-men of the text into dispossessed and disenfranchised young black men lost in a ghoulish world between childhood and adulthood. A pair of portraits, Lost Boys AKA Black Johnny and Lost Boys AKA Lil Bit demonstrate this state of being and not-being. Marshall has explained that his brother’s imprisonment provided a starting point for the series, as it made him consider the ways in which young black men seemed to be becoming lost. The titles of the portraits make it clear the boys are Lost Boys and alter egos but who else are they? We assume them to be sons and brothers and friends but there is nothing to signify this. Even their faces are being eaten away by the surrounding paint. They are in the process of being lost before our very eyes. [...]“ Abigail Dunn: Kerry James Marshall: Along the Way, Besprechung einer Ausstellung, Catalyst, UK, 13. Oktober 2006, online unter http://www.cre.gov.uk/Default.aspx.LocID-0hgnew0ly.RefLocID-0hg01b001006009.Lang-EN.htm, abgerufen, 2007-06-07
  31. Zwei Aufnahmen zeigen Hügel am entfernten Horizont. Es handelt sich dabei um eine riesige Abraumhalde des Kalibergbaus. Eine derartige Halde existiert in Kassel nicht, allerdings 100 km weiter südlich, in der Nähe der Bahntrasse nach Frankfurt am Main.
  32. documenta 12 Catalogue, 2007, S. 294
  33. alle Zitate Buergels nach documenta 12 Catalogue, 2007, S. 246
  34. Michely,Viola: Documenta feminale, in: KUNSTFORUM International; „DIE DOCUMENTA 12“; Band 187 August - September 2007; Ruppichteroth 2007 (S. 75 –77)
  35. documenta 12 Pressemappe, Pressekonferenz am 13. Juni in Kassel, S. 10 und 11
  36. Thomas Wagner: Befreiung aus der Gefangenschaft des Marktes, FAZ, 16. Juni 2007
  37. Uta Baier: Sinnsuche, so schwer wie ein Ironman-Lauf, Die Welt, 15. Juni 2007, online unter http://www.welt.de/kultur/article947543/Sinnsuche_so_schwer_wie_ein_Ironman-Lauf.html
  38. Holger Liebs: Elegant in die Besenkammer, Süddeutsche Zeitung, 15. Juni 2007, online unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/937/118798/
  39. Adrian Searle: 100 days of ineptitude, The Guardian, 19. Juni 2007, online unter http://arts.guardian.co.uk/art/visualart/story/0,,2106264,00.html
  40. Richard Dorment: The worst art show ever, The Daily Telegraph, 19. Juni 2007, online unter http://www.telegraph.co.uk/arts/main.jhtml?xml=/arts/2007/06/19/badocumenta119.xml
  41. Holland Cotter: Asking Serious Questions in a Very Quiet Voice, New York Times, 22. Juni 2007, online unter http://www.nytimes.com/2007/06/22/arts/design/22docu.html
  42. Thon, Ute: Gefangen im Palmenhain, art, Nr. 8/2007, online unter http://www.art-magazin.de/kunst/491/die-kritik
  43. Szymczyk, Adam: Ist die Documenta 12 eine gelungene Ausstellung ?, art – DAS KUNSTMAGAZIN; „Kunstsommer 2007 - Die Weltgalerie“, Nr. 8 / August 2007; Hamburg 2007 (S. 39)
  44. Hohmann, Silke: Pleiten, Pech und Posenenske, Monopol, Nr. 8/2007
  45. Hübl, Michael: Zukunftsentwurf „Gescheiterte Hoffnung“, in: Kunstforum International; „DIE DOCUMENTA 12“; Band 187 August - September 2007; Ruppichteroth 2007 (S. 35 – 39)
  46. Arend, Ingo: Die Anrufung der Sinne, in: Kunstforum International; „DIE DOCUMENTA 12“; Band 187 August - September 2007; Ruppichteroth 2007 (S. 79-81)
  47. Belting, Hans: Auf chinesischen Stühlen?, in: KUNSTFORUM International; „DIE DOCUMENTA 12“; Band 187 August - September 2007; Ruppichteroth 2007 (S.- 97-101)
  48. Rauterberg, Hanno: „Kasseler Sprengkraft - Was bleibt von der Documenta?“, in: DIE ZEIT – Feuilleton; Nr. 39 20.September 2007, Hamburg 2007 (S. 53)
  49. Man braucht Gegenwind, um abzuheben Ein Interview von Cécile Schortmann mit Roger M. Buergel und Ruth Noack für "hauptsache kultur", Hessischer Rundfunk, 22. August 2007, online unter http://www.hr-online.de/website/specials/documenta/index.jsp?key=standard_document_32784710
  50. Bazon Brock: Kuratorenkaraoke Willkürpathos auf der documenta 12, artnet Magazin, 22. Juni 2007, online unter https://www.artnet.de/magazine/features/brock/brock06-22-07.asp
  51. Wir sind ein bisschen konventionell geblieben Ein Interview mit Roger M. Buergel und Ruth Noack, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 9. September 2007, online unter http://www.haz.de/newsroom/kultur/zentral/kultur/art180,112387
  52. Roger M. Buergel : Ängste im Machtfeld Eine Kritik an der Kritik der Kasseler Documenta, Spiegel, Nr. 37/2007, 10. September 2007, online unter http://service.spiegel.de/digas/find?DID=52909373

Literatur

Folder (kostenfrei):

  • DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2006-11
  • DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Filmprogramm, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-05
  • DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Übersicht, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06
  • DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Kunstvermittlung, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06
  • DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I - Exibition map, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06 - Dieses zweisprachige Faltblatt bietet eine graphische Übersicht sowohl über die einzelnen Ausstellungsorte, als auch über die Verteilung der einzelnen Werke in den Gebäuden. Die aktuelle Ausgabe, Drucklegung 2007-06, enthält die Anmerkung „Änderungen vorbehalten“ und einige Unkorrektheiten.

Weblinks

Commons: Documenta – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien